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Als Autor trat Amos Oz auf ihn bezeichnende Weise zum ersten Mal 1961 an die Öffentlichkeit, mit einem politischen Essay sowie einer Erzählung. Es folgten mehr als zwanzig Romane, Erzählsammlungen und Essaybände. In Wo die Schakale heulen, seiner ersten Buchpublikation aus dem Jahre 1965, acht Erzählungen, die erstmals in deutscher Übersetzung vorliegen, ist in exemplarischer Weise mitzuerleben, wie Oz zu dem Schriftsteller geworden ist, der er ist.
In den Erzählungen sind alle den Autor prägenden Themen bereits versammelt: Der eminent politische Oz erzählt vom Kibbutzalltag in feindlicher
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Produktbeschreibung
Als Autor trat Amos Oz auf ihn bezeichnende Weise zum ersten Mal 1961 an die Öffentlichkeit, mit einem politischen Essay sowie einer Erzählung. Es folgten mehr als zwanzig Romane, Erzählsammlungen und Essaybände. In Wo die Schakale heulen, seiner ersten Buchpublikation aus dem Jahre 1965, acht Erzählungen, die erstmals in deutscher Übersetzung vorliegen, ist in exemplarischer Weise mitzuerleben, wie Oz zu dem Schriftsteller geworden ist, der er ist.

In den Erzählungen sind alle den Autor prägenden Themen bereits versammelt: Der eminent politische Oz erzählt vom Kibbutzalltag in feindlicher Umgebung. Dabei zeigt sich: Politische Gegebenheiten sind äußerst wichtig für das individuelle und kollektive Handeln. Im Heulen der Schakale jenseits der Zäune ist der israelisch-palästinensische Konflikt präsent. Das Außen, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, erklärt jedoch nicht hinreichend das Verhalten der Einzelnen: Es hängt im gleichen Maße ab von den Traditionen, den Phantasien, dem Glauben. Auch in den frühesten Erzählungen erweist Amos Oz sich als Meister im Verfolg der luzidesten Regungen seiner Personen, die sich auf keinen vorgefassten Begriff bringen lassen. Hier haben die traumhaft-utopischen Aspekte seiner Bücher ihren Ursprung - auch wenn die Hoffnungen von Autor und Protagonisten auf politischer wie individueller Ebene nie in Erfüllung gehen.
Autorenporträt
Oz, AmosAmos Oz wurde am 4. Mai 1939 in Jerusalem geboren und starb am 28. Dezember 2018 in Tel Aviv. 1954 trat er dem Kibbuz Chulda bei und nahm den Namen Oz an, der auf Hebräisch Kraft, Stärke bedeutet. Amos Oz war Mitbegründer und herausragender Vertreter der seit 1977 bestehenden Friedensbewegung Schalom achschaw (Peace now) und befürwortete eine Zwei-Staaten-Bildung im israelisch-palästinensichen Konflikt. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1992, dem Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main 2005 und dem Siegfried Lenz Preis 2014. Sein bekanntestes Werk Eine Geschichte von Liebe und Finsternis wurde in alle Weltsprachen übersetzt und 2016 als Film adaptiert.

Pressler, MirjamMirjam Pressler, geboren 1940 in Darmstadt, war eine der namhaftesten Übersetzerinnen des Hebräischen. Sie übersetzte Werke von Aharon Appelfeld, Lizzie Doron, Batya Gur und David Grossman. Ihre große, sprachlich wie literarisch weite Erfahrung war von größtem Wert auch für die Erschließung der israelischen Lebenswelt, wie Amos Oz sie überliefert. Für die Übersetzung von Oz' Roman Judas erhielt sie 2015 den Internationalen Literaturpreis - Haus der Kulturen der Welt. Pressler starb am 16. Januar 2019 in Landshut.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.04.2018

Ein kleines Haus
Gleich zwei neue Bücher zeigen: Der Schriftsteller Amos Oz ist
auch als Essayist einer der klügsten Analytiker Israels
VON MEIKE FESSMANN
Elf Sprachen haben seine Eltern gesprochen, der aus Odessa kommende Vater alle mit russischem Akzent. Die Familie der Mutter stammte aus Polen. Amos Oz, 1939 als Amos Klausner in Jerusalem geboren, wuchs als Einzelkind in einer kleinen Wohnung im Stadtteil Kerem Avraham auf, in dem vor allem Einwanderer aus Osteuropa lebten. Nach dem Selbstmord der Mutter im Jahr 1952 brach er mit dem Vater, einem Bibliothekar, der lieber Wissenschaftler geworden wäre. Alleine zog er in einen Kibbuz. Er wollte die Bücher und die Familiengeschichte hinter sich lassen, mit den eigenen Händen und dem Körper arbeiten. Den Nachnamen des Vaters, der auch der seines Großonkels, des Literaturwissenschaftlers Joseph Klausner, war, legte er ab. Er nannte sich von nun an Oz, was Kraft und Stärke bedeutet.
Amos Oz ist schließlich ziemlich genau das geworden, was sein Vater für ihn erträumt haben könnte: einer der bekanntesten Schriftsteller Israels, wenn nicht der bekannteste. Die Spannungen des Landes haben sich in seine Biografie übertragen. Es hat lange gedauert, bis er den Jerusalem-Roman „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ schreiben konnte, in dem er erkundete, warum die große Liebe der Eltern so tragisch scheiterte. Das 2002 im hebräischen Original erschienene, in zahlreiche Sprachen übersetzte Opus magnum ist auch eine Geschichte Israels.
Nur wenige können so klug und zugleich pragmatisch über die Lage des Landes Auskunft geben, nur wenige mit vergleichbarer Wärme, aber auch mit der „Autorität eines ehemaligen Feldwebels der israelischen Armee“, die er ironisch ins Feld führt, wenn er seinen strategischen Sachverstand demonstrieren will. „Ich bin kein Pazifist“, sagt Amos Oz, der die Friedensbewegung „Peace Now“ mitgegründet hat. Die scheinbaren Widersprüche dieses Schriftstellers haben mit den Herausforderungen zu tun, vor die er gestellt ist. Wie erklärt man Israel? Und wie kann man es so erklären, dass man zur Befriedung beiträgt, ohne die realen Spannungen zu ignorieren?
Amos Oz hat von Anfang an politische Essays und Literatur parallel publiziert. Es sind für ihn zwei verschiedene Metiers, auch wenn sie sich auf den gleichen Stoff beziehen. Selten kann man dieses Spannungsverhältnis besser beobachten als mit den zwei Editionen, die der Suhrkamp Verlag soeben zeitgleich herausbringt, obwohl Jahrzehnte zwischen ihnen liegen. „Wo die Schakale heulen“ versammelt zum ersten Mal die frühen Erzählungen auf Deutsch, die 1965 in der hebräischen Originalausgabe („Arzot ha-Tan“) und 1976 und 1980 in einer überarbeiteten Fassung erschienen sind. Bis auf die letzte Geschichte, die den Mythos von Jiftach adaptiert, stammen neun der zehn Erzählungen aus den Jahren 1962 bis 1964. Man würde sie Jugendwerke nennen, wären Form und Sujets nicht von erstaunlicher Reife und Abgründigkeit. Kaum vorstellbar, dass sie ein Mann um die zwanzig geschrieben hat. Aber es war eben nicht irgendein junger Mann – schon damals war er der Schriftsteller Amos Oz.
Unter dem Titel „Liebe Fanatiker“ („Shalom lekana’im“) erscheint parallel dazu ein überaus erhellendes Bändchen mit „Drei Plädoyers“. Zwei sind erweiterte und aktualisierte Fassungen früherer Essays und Vorträge. Das dritte, „Träume, von denen sich Israel möglichst bald befreien sollte“, ist nach der Wahl Donald Trumps geschrieben, aber noch vor dessen gefährlicher Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels.
Als Jude unbedingt auf dem Tempelberg beten zu wollen, schreibt Amos Oz darin, sei ungefähr so, als wolle man als Fußgänger auf seinem Recht beharren, am Zebrasteifen Vorrang zu haben, obwohl man einen Lastwagen mit 100 km/h auf sich zurasen sieht. Man kann das machen, aber ratsam ist es nicht. Sein Plädoyer bittet inständig darum, ihn mitsamt seinen Kindern und Enkelkindern davon zu verschonen, sich mit 200 Millionen Arabern der islamischen Welt anzulegen. Schon lange plädiert er für eine Zweistaatenlösung. Er kann das so formulieren, dass es jedes Kind versteht: „Mein zionistischer Ansatz ist schon seit Jahren ganz einfach: Wir sind nicht allein in diesem Land. Wir sind nicht allein in Jerusalem. Das sage ich auch zu meinen palästinensischen Freunden. Ihr seid nicht allein in diesem Land. Es gibt keinen anderen Weg, als dieses kleine Haus in zwei noch kleinere Wohnungen aufzuteilen.“
Dass der Zionismus auch eine Jugendbewegung war, die Idealisten aus den verschiedensten Ländern anlockte, davon geben die Erzählungen einen Eindruck. Aber noch mehr von der zum Bersten gespannten Polarität, die der innere Antrieb dieses Schriftstellers zu sein scheint. Die meisten Erzählungen spielen in einer ländlichen, rund um einen Kibbuz angeordneten Welt. Auch wenn sie immer wieder so etwas wie einen hellen Lichtkreis um einen Schreibtisch entwerfen, irgendein älterer Mann sitzt dort und ordnet gerade schreibend die Welt, laufen die Fäden der Bedrohung quer durch alle Szenerien – hinaus in eine martialische Außenwelt, in der Schakale vor Trauer und Wut, vor Geilheit und Bosheit lachen, heulen, schreien, in der ein Wüstenwind bläst, der sich jederzeit zu lokalen Stürmen auswachsen kann, und in der eine Hitze brodelt, die alles niederwalzt. So wie die titelgebenden Schakale „sinnliche Ströme“ leiten, „die von Körper zu Körper springen“, reagiert in dieser Welt alles mit jedem. Die Geschichten sind durchpulst von Begehren und Begierden, die weder vor dem Unterschied zwischen Leblosem und Lebendem Halt machen, noch vor dem Inzest. Da lockt ein älterer Kibbuz-Bewohner, ein aus Bulgarien stammender ehemaliger Pferdezüchter, eine junge Frau in sein Junggesellenzimmer und deutet ganz nebenbei an, dass er vermutlich ihr Vater ist. Nach langem Hin und Her ist schließlich sie es, die vom Begehren mitgerissen wird. Mit dem Hinweis auf die blonde Farbe ihres Haars ruft sie aus: „wir dürfen es! Komm!“
Junge Männer lassen ihr Leben bei Vergeltungsaktionen, werden in Feindesland von Schakalen zerrissen oder geraten in den Mahlstrom der Gefühle ihrer niemals in Harmonie lebenden Eltern. Von schwebender Trauer ist die Erzählung „Der Weg des Windes“, in der wir gleich zu Anfang erfahren, dass der junge Fallschirmjäger, der zur Feier des Unabhängigkeitstags über dem Kibbuz der Eltern abspringt, den strahlenden Sonnentag nicht überleben wird. Damit die Mutter ihn mit ihrer sorgenden Liebe umfangen kann, öffnet er zusätzlich den Reservefallschirm, um aus der Menge der Kameraden herauszustechen. Doch der Ostwind trägt ihn davon, er verfängt sich in einer Hochspannungsleitung. Stundenlang hängt er dort bibbernd vor Angst, zum Schrecken und Amüsement der Umstehenden und unter den zornigen Rufen des Vaters, der ihm zuruft, er solle endlich sein Messer nehmen, die Schnüre durchschneiden und sich fallenlassen.
Konkret in der Dingwelt und den alltäglichen Verrichtungen, interessant in der Darstellung der verwickelten Generationen- und Sorgebeziehungen eines Kibbuz, hoch symbolisch in der Beschreibung einer feindlichen Umgebung und abgründig in den immer wieder ins Uferlose ausgreifenden und plötzlich abstürzenden Liebeswünschen, ist „Wo die Schakale heulen“ ein Erzählungsband von fremdartiger Schönheit und Grausamkeit.
Eine Stadt-Erzählung, sie spielt in Rechavia, der als „Kurort für Flüchtlinge“ titulierten, noblen Jerusalemer Gartensiedlung, dünstet eine Atmosphäre aus, die in ihrer Dichte und Genauigkeit zwischen Verheißung und Bedrohung schwankt. Kurz vor der Hochzeit wird ein junger Mann von seiner zukünftigen Schwiegermutter ohne Mantel in die Nacht gelockt. Auf verschlungenen Pfaden führt sie ihn über das Viertel hinaus, während sie ihn mit Familiengeheimnissen traktiert und zu einer Nähe nötigt, die ihm zuwider ist. „Schlafwandelnde Schakale irren durch die Täler. Aus der Tiefe des Nebels rufen sie ihre Brüder, die im Zwinger eingeschlossen sind. Das ist das Land der Albträume, und dahinter erstrecken sich vielleicht die Gärten, die noch kein Mensch gesehen hat, nach denen nur das Herz verlangt: Zuhause.“
Die aus Wien kommende Schwiegermutter mokiert sich über die hebräische Sprache, mit der sich Gefühle nicht differenziert genug ausdrücken ließen. Der Autor selbst sieht das anders. Und auch seine Übersetzerin, die ausgezeichnete Mirjam Pressler, die für beide Bücher zwei völlig verschiedene Register benötigte, wird das anders sehen. Amos Oz gehört zur ersten Generation, die mit Hebräisch aufgewachsen ist. Die Erneuerung der hebräischen Sprache in gerade mal drei, vier Generationen hält er für eine der größten Errungenschaften Israels, ebenso den Bau von Städten, Dörfern, genossenschaftlichen Siedlungen. Die verschiedenen Strömungen des halachischen Judentums erläutert er vor allem im Kontrast zu den säkularen Errungenschaften der jüdischen Kultur, zu denen er die moderne hebräische Literatur ebenso rechnet wie Streitlust, gemeinsame Familienessen und Demokratie.
Dass es „Fanatiker“ zu allen Zeiten und an allen Orten gibt, ist eine der Botschaften dieses ebenso klugen wie leicht zu lesenden Buches, dessen Beobachtungen weit über Israel hinausgehen. „Bei immer mehr Menschen ist das stärkste soziale Gefühl tiefe Abscheu“: knapper kann man rechte Strömungen auf den Straßen und Hass-Tiraden in sozialen Medien nicht beschreiben. Neugier und Fantasie, die Akzeptanz von Unterschieden und die unbedingte Bereitschaft zum Kompromiss – das sind die Tugenden, die Amos Oz den Fanatikern der Welt entgegenhält.
Amos Oz: Liebe Fanatiker. Drei Plädoyers. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 144 Seiten, 18 Euro.
Amos Oz: Wo die Schakale heulen. Erzählungen. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 320 Seiten, 22 Euro.
Ein älterer Mann sitzt
dort und ordnet gerade
schreibend die Welt
Die Erneuerung der hebräischen
Sprache ist eine der größten
Errungenschaften Israels
Ein Pazifist ist er nicht: der israelische Schriftsteller Amos Oz
Foto: imago/Leemage
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.03.2018

Bleiche Jünglinge buddeln im Wüstensand

Endlich erscheinen die frühen Erzählungen von Amos Oz auf Deutsch. Sie erzählen von Hoffnungen und Irrwegen der Kibbuzim - und von einem Streit, der so alt ist wie die Menschheit.

Wenn es so etwas gibt wie Kibbuz-Literatur, will Amos Oz jedenfalls davon nichts wissen. Es gebe Gedichte und Romane, die im Kibbuz spielten, es gebe auch Dichter und Schriftsteller, die im Kibbuz lebten. "Aber der Kibbuz als solcher hat die hebräische Literatur nicht verändert", hielt der israelische Schriftsteller schon 1974 in einem Essay fest. Das ist insofern erstaunlich, als das Werk des 1939 in Jerusalem geborenen Autors seit seinen Anfängen immer wieder um diese besondere sozialutopische Gesellschaftsform kreist, deren Anhänger seit Beginn des vorigen Jahrhunderts in der Wüste des Heiligen Lands ihren sozialistischen Traum von einer neuen, gerechteren Welt leben.

Das Wort "Kibbuz" bedeutet im Hebräischen "sich versammeln". Und die egalitären Kommunen sollten den Gründern zufolge ausschließlich von dem leben, was der Boden hergab. Als Amos Klausner mit fünfzehn Jahren gegen sein konservatives Elternhaus rebellierte, zog auch er in eine solche Gemeinschaft in die Wüste und gab sich dort gleich auch einen neuen Namen: Oz, was Stärke und Kraft bedeutet. Er blieb, bis er 1960 zum Militär eingezogen wurde, sechs Jahre lang dort. Um diese Zeit begann er zu schreiben. Und nicht nur sein Debütroman "Keiner bleibt allein" von 1966 erzählt vom Leben im Kibbuz. Auch der erste Band mit Erzählungen, den Amos Oz bereits 1965 in Israel veröffentlichte und der jetzt in der flüssigen Übersetzung von Mirjam Pressler endlich auch auf Deutsch vorliegt, kreist in fast allen Geschichten um diesen Ort mit seinen ganz eigenen Gesetzen, Utopien und Fehlentwicklungen. Dass der Kibbuz ungewöhnliche Charaktere hervorbringt, deren Hoffnungen und Herausforderungen, kleinen und großen Dramen sich von denen der übrigen Gesellschaft oft fundamental unterscheiden, davon handeln diese dichten allegorischen Geschichten, die auch nach mehr als einem halben Jahrhundert nichts von ihrer literarischen Kraft eingebüßt haben.

Die Kibbuzniks, die Amos Oz wie aus einem Relief herausschält - kahlköpfige Veteranen, die in der Cafeteria das Treiben der Jüngeren wie ein griechischer Chor kommentieren, junge Idealisten, die mit blassen Fingern die Erde umgraben, oder Schoa-Überlebende, die in der Vergangenheit leben -, sind Grenzgänger. Weder in der einen, abgeschiedenen Welt noch in der anderen fühlen sie sich wirklich zu Hause. In den auf Gemeinschaft gegründeten Kommunen ringen sie um ihre Individualität und wollen insgeheim ihren ureigenen Ausdruck nicht aufgeben. Verlassen sie jedoch den Kibbuz und gehen in die Stadt, nach Jerusalem oder Tel Aviv, sind sie nicht weniger Getriebene ihrer Projektionen. Hier wie da hadern sie damit, dass die Träume, an denen sie herumbasteln wie an den Zäunen ihrer Felder, so widerständig sind. Manchmal scheitern sie ganz. "Menschen wie Saschke und Tanja versteckten sich hinter ihrem Zorn, ihrer Sehnsucht und Aufopferung", heißt es gleich in der Auftaktgeschichte. Sehr viel optimistischer wird es nicht.

Wie schon in "Keiner bleibt allein" spielt die karge Wüstenlandschaft hinter den Grenzzäunen auch in den Erzählungen eine zentrale Rolle. Ein ums andere Mal beschreibt Oz die wechselnden Farben des Himmels, aber auch die Gerüche und Geräusche der Umgebung. Die Schakale, deren furchterregendes Geheul die kalten Nächte durchbricht, stehen dabei für das Unsichtbare, das Fremde, das jenseits der Befestigung in der Wildnis lauert, und die, anders als ihre Verwandten, die Hunde, nicht zu zähmen sind.

Als sich in der Erzählung "Land der Schakale" ein Jungtier in einer Eisenfalle verfängt, und die älteren Schakale sich mit "falschem Erbarmen" und "wachsender Bosheit" um den sterbenden Gefangenen scharen, lässt sich das als Allegorie auf menschliches Verhalten lesen. In "Beduinen und Kreuzotter" wird das Jaulen der Schakale dann sogar direkt in Beziehung zum nächtlichen Gesang der Beduinen gesetzt, der als "eintöniges, langanhaltendes Jammern" den Groll der Kibbuz-Bewohner weckt. Zwischen den beiden Minivölkern schwelt ein Streit, der alte Konflikt zwischen Viehzüchtern und Ackerbauern, der so alt ist wie die Menschheit selbst. Doch auch wenn die Siedler wissen, dass sie einfach ungefragt in den Lebensraum der Nomaden eingedrungen sind, können sie sich nicht damit abfinden, dass sie immer wieder von den ungewollten Nachbarn bestohlen werden. Die Razzien des Kibbuz-Sekretariats in den Beduinenzelten bleiben erfolglos, und als man noch unschlüssig ist, wie weiter vorzugehen wäre, lässt sich Ge'uela, eine unverheiratete Kibbuznik, auf einen Plausch mit einem Beduinen ein.

Während die Dämmerung naht und der letzte Traktor vom Feld rollt, rauchen die beiden gleichwohl misstrauisch eine Zigarette zusammen. Es folgen ein paar Sätze auf Hebräisch, doch als der Araber zu beten anfängt, wird Ge'uela panisch, und sie rennt davon, als würde sie verfolgt. Es sind zwar nur Grillen, die ihr hinterherzirpen, aber bald meint sie, der Beduine habe sich auf sie stürzen wollen "wie ein wildes Tier". Sollen die jungen Leute doch "über ihre Zelte herfallen und ihnen die schwarzen Knochen brechen für das, was sie mir angetan haben", geht es ihr durch den Kopf. Und tatsächlich ziehen die Schläger bald schon los. Da beschleicht Ge'uela noch einmal ein anderes Gefühl: "Ihr war nach Versöhnen und Verzeihen. Sie wollte ihn nicht hassen und ihm nicht den Tod wünschen."

Die Moral, das markiert schon der junge Amos Oz, ist niemals einfach. Seine Geschichten, die viel Raum für Ungesagtes lassen, drehen es immer ins Komplizierte. Da stirbt ein junger Mann, Sohn eines Helden der israelischen Arbeiterbewegung, ausgerechnet am Tag seines Triumphs, als er dem Vater seine Künste als Fallschirmjäger vorführen will. Statt auf den Boden zu gleiten, verfängt er sich in einem Stromkabel. "Du Feigling!", ruft der Vater dem Sohn zu, der weinend in den Leitungen baumelt, "schämen solltest du dich!" Ein solch jämmerlicher Tod ist im heroischen Konzept des Vaters nicht vorgesehen.

Neben den Erzählungen erscheint dieser Tage auch der Band "Liebe Fanatiker", der überarbeitete Essays von Amos Oz zum ungelösten Israel-Konflikt und der Zweistaatenlösung enthält. Anders als in diesen Aufsätzen gibt es in der Literatur des Autors kaum je eine Rettung. Weder vor der Dunkelheit, die auch diejenigen im Stich lässt, die in ihr Rettung suchen, noch vor der Feindschaft oder den triumphierenden Stimmen der Schakale. Am schlimmsten aber sind für die Oz-Figuren die Stimmen im Kopf. Denn die lassen nicht nach. Der Titel des Debütromans von Amos Oz lautet im Original "Anderswo, vielleicht". Darin lässt sich so etwas wie eine Poetologie auch seiner frühen Erzählungen entdecken. Es gibt womöglich so etwas wie Glück, wie Gelingen, aber ganz bestimmt nicht hier, sondern irgendwo, anderswo.

SANDRA KEGEL

Amos Oz: "Wo die Schakale heulen". Erzählungen.

Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 319 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Tobias Schwartz entdeckt den Einfluss Sherwood Andersons auf die frühen Erzählungen von Amos Oz in diesem 50 Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung auf Deutsch vorliegenden Erzählungen. Laut Rezensent gelungen übertragen von Mirjam Pressler, bieten die Texte nicht nur buchstäblich heulende Schakale, sondern auch jede Menge symbolisches Heulen über den Nahostkonflikt. Außer Beschreibungen des Lebens im Kibbuz liefert der Autor laut Schwartz erotische Spannung, biblische Legenden und vor allem sprachliche Kraft. Eine faszinierende Ansicht des Ursprungs der Prosa dieses Autors, meint er.

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»Ein starkes, wunderbares, aufwühlendes Buch. «
The New York Times
Tobias Schwartz entdeckt den Einfluss Sherwood Andersons auf die frühen Erzählungen von Amos Oz in diesem 50 Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung auf Deutsch vorliegenden Erzählungen. Laut Rezensent gelungen übertragen von Mirjam Pressler, bieten die Texte nicht nur buchstäblich heulende Schakale, sondern auch jede Menge symbolisches Heulen über den Nahostkonflikt. Außer Beschreibungen des Lebens im Kibbuz liefert der Autor laut Schwartz erotische Spannung, biblische Legenden und vor allem sprachliche Kraft. Eine faszinierende Ansicht des Ursprungs der Prosa dieses Autors, meint er.

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»Beim Lesen der Erzählungen ... wird man Zeuge wie Amos Oz eine Sprache sucht, wie ein Schriftsteller zu seinem Stil findet. Da ist das sanfte, behutsame Zeichnen der Charaktere, die andeutungsvolle, dichte Sprache, eine fast leichtfüßige Poesie der Beiläufigkeit - und zugleich sind da dämonenhafte Schattierungen, die schlichte Beobachtungen brechen, wie das Flimmern und Flackern eines beschädigten Films.« Leander F. Badura der Freitag 20180509