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Menschen über dreißig kennen oft nicht einmal ihre Namen, für jüngere Jahrgänge sind sie Topstars: Influencer. Junge Erwachsene und sogar Kinder filmen sich beim Schminken, auf Reisen oder beim Sport und teilen ihre Tipps über soziale Medien mit ihren Fans. Dabei platzieren sie geschickt Produkthinweise und verdienen so ihren Lebensunterhalt - oder gar ein Vermögen.
Für Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt sind die Influencer symptomatische Sozialfiguren unserer Zeit. In der Abstiegsgesellschaft scheinen noch einmal Aufstiegsträume wahr zu werden, der Spätkapitalismus hübscht sein Gesicht mit
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Produktbeschreibung
Menschen über dreißig kennen oft nicht einmal ihre Namen, für jüngere Jahrgänge sind sie Topstars: Influencer. Junge Erwachsene und sogar Kinder filmen sich beim Schminken, auf Reisen oder beim Sport und teilen ihre Tipps über soziale Medien mit ihren Fans. Dabei platzieren sie geschickt Produkthinweise und verdienen so ihren Lebensunterhalt - oder gar ein Vermögen.

Für Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt sind die Influencer symptomatische Sozialfiguren unserer Zeit. In der Abstiegsgesellschaft scheinen noch einmal Aufstiegsträume wahr zu werden, der Spätkapitalismus hübscht sein Gesicht mit Filtern und Photoshop auf, mit einer revolutionären Form der Werbung komplettieren Instagrammer und Youtuber das Geschäftsmodell des kommerziellen Internets. Bei aller ausgestellten Modernität, so Nymoen und Schmitt, beeinflussen die Influencer jedoch noch in einer weiteren Hinsicht den Zeitgeist: Indem sie rückwärtsgewandte Rollenbilder, Konsumismus und rigide Körpernormen propagieren, leisten sie einem konservativen Backlash Vorschub.
Autorenporträt
Ole Nymoen studiert Soziologie und Wirtschaftswissenschaften in Jena und arbeitet als freier Journalist. Mit Wolfgang M. Schmitt spricht er in ihrem gemeinsamen Podcast Wohlstand für alle über Geld sowie ökonomische Ideengeschichte und politische Ökonomie. Wolfgang M. Schmitt ist Youtuber, Podcaster und Kritiker. Seit 2011 betreibt er den ideologiekritischen Youtube-Kanal »Die Filmanalyse«. Bei Suhrkamp erschien von ihm zuletzt (mit Ole Nymoen) Influencer. Die Ideologie der Werbekörper (2021).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Andrea Gnam hat nichts gegen Kapitalismuskritik. Und auch vom Markt der InfluencerInnen, die auf sozialen Medien Publikumsnähe vorgaukeln, um Produkte anzupreisen, hält sie nicht viel. Das Buch des Soziologen Ole Nymoen und des Filmkritikers Wolfgang Schmitt überzeugt die Kritikerin dennoch nicht ganz, schon weil die alte Kapitalismuskritik nicht recht auf die sozialen Medien übertragbar sei, meint sie. Zwar lernt Gnam hier, wie Influencer vorgehen, um Follower zu generieren, wie diese selbst durch Algorithmen und Sprachcodes bestimmt werden oder wie traditionell die Geschlechterbilder von Influencern sind. Exkurse von Benjamin bis Brecht täuschen die Rezensentin aber nicht darüber hinweg, dass der "Analyserahmen" relativ schmal bleibt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.03.2021

Dummerchen in Dauerwerbesendungen
Der Podcaster Ole Nymoen und der Youtube-Filmkritiker Wolfgang M. Schmitt analysieren das Phänomen „Influencer“
Auf die Idee, Videos von Influencern an Filmen von Quentin Tarantino zu messen, ist bisher noch niemand gekommen. Ole Nymoen und Wolfang M. Schmitt haben es jetzt getan. Tarantino erschaffe aus Samples etwas Neues, schreiben sie, doch diese Kunst könne „bei den Influencern nur vergebens gesucht werden“. „So ein Jammer!“, kann man da denken. Oder sich fragen, warum man sie dort überhaupt suchen sollte. Womit zwei Probleme des Buchs „Influencer – Die Ideologie der Werbekörper“ benannt wären: die Überhöhung des Themas und der Tonfall.
Dabei haben Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt auf knapp 200 Seiten auch viele interessante Punkte zusammengetragen. Die Autoren – bekannt aus ihrem Podcast „Wohlstand für alle“, Schmitt außerdem als Filmkritiker auf Youtube – analysieren das Phänomen Influencer: junge Menschen, die in den sozialen Netzwerken Geld verdienen, indem sie ihren Alltag zeigen und dabei Produkte bewerben. Die Creme, die sie sich morgens ins Gesicht schmieren, den Eiweiß-Drink, den sie sich mittags zusammenrühren.
Die Entstehung des Influencertums leiten die Autoren dabei logisch aus der Geschichte des Kapitalismus und seiner Krise her: der gesättigte Markt, die Etablierung von Werbung und Marken, um den Konsum wieder anzutreiben, die Entstehung des Internets und der personalisierten Werbung. Die Influencer seien die „Krönung“ der Online-Werbung, „das perfektionierte Testimonial“. Plötzlich würden sich Menschen freiwillig Werbung anschauen. Gleichzeitig sei „Influencer“ einer der wenigen verbliebenen Jobs, die noch das Aufstiegsversprechen des Kapitalismus einhielten: es aus dem Nichts zu Prominenz und Geld bringen zu können.
Influencer haben durch ihre Reichweite Macht, Einfluss eben, wie der Name schon sagt, was Nymoen und Schmitt zu Recht kritisch sehen. Sie zeigen das eindrücklich am Beispiel männlicher Fitness-Influencer, die als „Coaches“ ein toxisches Bild von Männlichkeit propagieren. Oder an den Reise-Influencern, die zur Rettung von Korallen aufrufen, währen sie einen Lifestyle bewerben, der die Erde ausbeutet. Auch die möglichen negativen Auswirkungen auf Körperbilder oder die unkritische Unterstützung autoritärer Staaten – eine niederländische Agentur vermittelt etwa Influencer fürs Nation-Branding nach Saudi-Arabien – halten die Autoren für gefährliche Entwicklungen.
Stimmt alles und ja, es gibt unfassbar dumme Influencer-Aktion (als ein Beispiel werden Tiktok-Nutzer genannt, die sich als KZ-Häftlinge verkleideten, um an den Holocaust zu erinnern). Das Problem ist, dass die Autoren ihre Glaubwürdigkeit durch ihren herablassenden, teils arroganten Ton immer wieder selbst demontieren. In ihrem Ankündigungsvideo zum Buch nennen sie das „eine gewisse Polemik“. Aber diese Mischung aus neutraler Analyse hier und Nachtreten dort lässt einen als Leserin ratlos zurück: Wollen die nun das Publikum aufklären – oder bloß den Influencern eins reinwürgen? In jedem Fall wird schnell klar, dass Nymoen und Schmitt das Phänomen nicht oder nicht nur interessant oder problematisch finden – sondern vor allem Influencer für sehr, sehr dumm halten.
Man merkt es daran, dass sie zwar hart aburteilen, aber mit keinem Influencer je gesprochen haben; oder an ihrer Behauptung, dass Follower ihre Vorbilder „selten ihrer Intelligenz wegen“ schätzten; oder wenn sie fabulieren, Reise-Influencer sprächen „selten in vollständigen Sätzen, vielmehr geben sie unentwegt Symptominterjektionen von sich“. „Symptominterjektionen“ ist so ein Wort, mit dem sich die beiden Autoren offenbar von den ach so dummen Influencern abheben und ihren Status als Intellektuelle markieren wollen. Gerne nehmen sie dafür auch berühmte Männer aus Kunst und Kultur her, an denen sie die Werbe-Influencer unsinnigerweise messen, obwohl die ja weder Kunst noch Kultur machen wollen: Brecht, dessen „Zuhälterballade“ die Influencer sicher nicht kennen würden, Tarantino, der der bessere Filmemacher sei als sie, oder Jean-Luc Godard, dessen Schnitttechnik des „Jump Cut“ sie zwar nutzen würden, aber dass der „einmal Avantgarde war und die Brüchigkeit des Subjekts und der Moderne ausdrücken sollte, ist längst vergessen“.
Manchmal wirken Nymoen und Schmitt dabei wie Waldorf und Statler aus der Muppet-Show, die aus ihrer Loge heraus frotzeln und sich dabei vor allem selbst irre schlau und witzig finden. Dabei hätten sie die Möglichkeit gehabt, mehr nach oben zu treten. Denn die Macht der Plattformen und Algorithmen kommt zwar immer wieder zur Sprache, wirklich ausgeführt wird das Thema allerdings nicht.
Gleichzeitig verpassen die Autoren es unglücklicherweise, eine wesentliche Schwäche ihrer Recherche offenzulegen: Wer ein Buch über Werbeinfluencer schreibt und sich dafür stundenlang Werbeinfluencervideos anschaut, dem wird der Algorithmus weitere ähnliche Inhalte anbieten. Wenn man das Buch liest, gewinnt man darum schnell den Eindruck, beim Öffnen von Instagram sofort in eine Influencerdauerwerbesendung hineinzufallen. Alle anderen Inhalte der Plattform, künstlerische oder politische etwa, werden von Nymoen und Schmitt durchweg als „Nischen“ bezeichnet. Es sind aber leider Nischen, in denen sich sehr viele Menschen aufhalten, in deren Timeline nie auch nur eine einzige Reise- oder Fitness-Influencer-Story auftaucht. Das zu erwähnen, hätte vermutlich aber die schöne intellektuelle Klage vom Ende des guten Geschmacks und der Intelligenz kaputtgemacht.
NADJA SCHLÜTER
Eine Agentur vermittelt sogar
Influencer fürs Nation-Branding
nach Saudi-Arabien
Ole Nymoen,
Wolfgang M. Schmitt:
Influencer -
Die Ideologie
der Werbekörper.
Suhrkamp Verlag, 2021.
192 Seiten,
15 Euro.

DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.04.2021

Richtiges Bewusstsein ist halt selten profitabel
Von wegen Verfügungsmacht über die eigenen Produktionsmittel: Ole Nymoen und Wolfgang Schmitt knöpfen sich die Influencer vor

Weshalb wird es nicht als lästig wahrgenommen, sondern mit vielen Klicks belohnt, wenn Influencerinnen auf sozialen Plattformen wie Instagram, Tiktok und Youtube Produkte in die Kamera halten und als lieb gewordene Begleiter ihres Alltags preisen? Die Rezeption von Werbung habe sich mit den sozialen Medien fundamental geändert, behaupten Ole Nymoen und Wolfgang Schmitt in ihrem Buch. Ob Werbung, zumindest wenn sie ästhetisch anspruchsvoll war, nicht auch schon zuvor ihre Fans gehabt hatte, mag dahingestellt bleiben - wie auch vieles andere, was die beiden mit Hilfe eines schon in die Jahre gekommenen theoretischen Instrumentariums analysieren.

Es spricht erst einmal nichts dagegen, die alten Werkzeuge der Kapitalismuskritik scharf zu halten. Doch im Feld der Medientheorie und speziell der sozialen Medien wollen sie nicht so richtig greifen. Die Influencer - es wird das generische Maskulinum verwendet - vermitteln ihren Followern ein Aufstiegsversprechen für jedermann: Mit angenehmer Tätigkeit, dem Erstellen von Videoclips vom eigenen Wohn- oder Kinderzimmer aus, sollen Aufmerksamkeit, Geschenke, Geld und schließlich auch Einfluss erlangt werden. Was Stars unter den Influencern von den Stars traditioneller Medien wie Film, Radio und Fernsehen unterscheidet, ist ihre vermeintliche Nähe zum Publikum: Sie verdoppeln die Welt ihrer Betrachter, alles ist allerdings "etwas geglättet, gefiltert, per Photoshop aufgehübscht".

Die Influencerinnen nehmen den Part der besten Freundin ein, die ihr Gegenüber medial am eigenen Erfahrungsschatz teilhaben lässt. "Sie erzeugen ein falsches Bewusstsein, das sie wiederum gewinnbringend auszubeuten wissen, ja sie verherrlichen das ,beschädigte Leben' im Spätkapitalismus."

Ein Irrglaube, so arbeitet das Autorenduo heraus, käme dabei die "verblendeten" Follower und hoffnungsvollen Newcomer unter den Influencern besonders teuer zu stehen: die Anschaffung von Equipment und neuen Produkten, für die man sich möglicherweise verschuldet, in der Hoffnung, selbst Influencer zu werden und bei gesteigerten Klickzahlen dann endlich von den beworbenen und umworbenen Unternehmen gesponsert zu werden. Influencerinnen vertreten in der Regel ein traditionelles Frauenbild, gewürzt mit "sex sells", mit dem sich für einige wenige Stars der Szene blendend verdienen lässt. Während die Damen sich mit Kosmetik, Ernährung, Reise, Sozialem und anderen Frauenzeitschriftthemen beschäftigen, gibt es Motivationscoaches für toughe Männer, die finanzielle Unabhängigkeit mit Immobilien versprechen oder Ratschläge erteilen, wie man Werbeshops mit überteuerten Angeboten betreiben kann.

Selbständigkeit im Tun wird vorgetäuscht, in Wirklichkeit bestimmen aber Sprachcodes der Plattformen und Algorithmen das Leben des Influencers: "Die Idealvorstellung, die Influencer werden über ihre Produktionsmittel vollends selbst verfügen, ist daher realitätsfern", urteilen die Autoren, um dann die Frage zu stellen, wer denn hier wen ausbeute. Es war für Marxisten schon immer schwierig, Frauen einzuordnen, ohne den berüchtigten Nebenwiderspruch zu bemühen, der auch bei Nymoen und Schmitt noch durchscheint: Was feministische Theorie anbelangt, wird deren Differenzierung innerhalb der letzten Jahrzehnte kaum wahrgenommen; man rekurriert auf Frigga Haug, eine marxistische Autorin der sechziger Jahre.

Bei der Analyse von Pauschalreisen, die sich die Followerinnen allenfalls leisten können, kommen die Leser dann in den Genuss von Formulierungen, die an die pointiert-versonnene Diktion Walter Benjamins anknüpfen: "Es bleibt nur die Aussicht auf zwei Wochen all inclusive, von denen man heimkehrt mit einem Louis-Vuitton-Imitat, das allerdings immer noch echter ist als der Basar, auf dem man es erstanden hat." Und auch ein Blick auf Brechts Lehrtheater vom "Guten Menschen von Sezuan" darf nicht fehlen. Aus der Geschichte der Hauptfigur Shen Te wird versucht abzuleiten, weshalb Influencer, die sich vordergründig für Soziales engagieren, nicht gleichzeitig damit Geld verdienen und Gutes bewirken können. Und bei dieser Gelegenheit darf man sich dann auch über Frauen lustig machen, die beklagen, dass sie während der Elternzeit ihre Vorstandstätigkeit ruhen lassen müssen. Ist man so privilegiert, dass man es als Frau in den Vorstand schafft, sollte man nicht lamentieren.

Manchen Beobachtungen aus dem unermüdlichen Strom der Clips hätte man einen etwas weiteren Analyserahmen gewünscht. Wenn zum Beispiel Influencerinnen Einkauf und Entertainment verbinden, indem sie selbstgesetzte Aufgaben erfüllen wie "1 Minute Zeit, um 500 Euro auszugeben! Jeden pinken Artikel, den ich sehe, muss ich kaufen!", dann wäre ein Blick auf die (feindliche) Übernahme von einst avantgardistischen Positionen der Konzeptkunst interessant gewesen. Und wenn man auf Videos aufmerksam macht, in denen Gegenstände, gerne teure, mit einer Maschine zerquetscht werden, wären anthropologische Überlegungen zum Potlatch, der demonstrativen Vernichtung eigenen Besitzes zur Steigerung des Ansehens, naheliegend gewesen. Man wäre auch ein ganzes Stück weiter gekommen, hätte man Baudrillards Simulationstheorie zu Rate gezogen, um die letzten medialen Entwicklungen zu beschreiben: Die Fastfood-Kette "Kentucky Fried Chicken" arbeitet in ihren Clips nicht mehr mit Schauspielern, sondern einem virtuellen, täuschend menschenähnlichen Doppelgänger des Firmengründers. Virtuelle Influencer könnten also die realen Influencer verdrängen.

ANDREA GNAM

Ole Nymoen

und Wolfgang Schmitt:

"Influencer". Die Ideologie der Werbekörper.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 191 S., br., 15,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Nymoen und Schmitt gelingt es, das Gruselphänomen Influencer auf schaurig-schöne, teils auch süffisant-fiese und sehr witzige Art zu durchleuchten.« Maxi Beigang Berliner Zeitung 20210529