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Verfilmung »Nomadland« ausgezeichnet mit 3 Oscars, 2 Golden Globes und dem Goldenen Löwen
Zehntausende Menschen in Amerika sind unterwegs. Sie leben in Wohnmobilen, Vans, Anhängern. Übernachten auf Supermarkt-Parkplätzen, neben den Highways, in der Wüste. Sie schaufeln Zuckerrüben in North Dakota, reinigen Toiletten in den Nationalparks von Kalifornien, arbeiten Zwölf-Stunden-Schichten im Amazon-Versandzentrum im winterlichen Texas. Eines haben sie oft gemeinsam: Sie sind alt. Und im 21. Jahrhundert, erschüttert von der Finanzkrise der Zehnerjahre, ist ihnen der Boden für den sprichwörtlich…mehr

Produktbeschreibung
Verfilmung »Nomadland« ausgezeichnet mit 3 Oscars, 2 Golden Globes und dem Goldenen Löwen

Zehntausende Menschen in Amerika sind unterwegs. Sie leben in Wohnmobilen, Vans, Anhängern. Übernachten auf Supermarkt-Parkplätzen, neben den Highways, in der Wüste. Sie schaufeln Zuckerrüben in North Dakota, reinigen Toiletten in den Nationalparks von Kalifornien, arbeiten Zwölf-Stunden-Schichten im Amazon-Versandzentrum im winterlichen Texas. Eines haben sie oft gemeinsam: Sie sind alt. Und im 21. Jahrhundert, erschüttert von der Finanzkrise der Zehnerjahre, ist ihnen der Boden für den sprichwörtlich wohlverdienten Ruhestand weggebrochen. Deshalb ziehen sie als Nomaden der Arbeit von einem saisonalen Tageslohnjob zum nächsten.

Jessica Bruder hat sich ihnen ein Jahr lang angeschlossen und ist diesem Treck durch ganz Amerika gefolgt. Eine nachhallende Reportage über Ausbeutung, Ungerechtigkeit und prekäre Lebensumstände, aber auch über altersweise Beharrlichkeit, Sinn für Gemeinschaft und Abenteuer, wie sie nur ein amerikanischer Highway versprechen kann.

Ausgezeichnet 3 Oscars 2021 sowie dem Goldenen Löwen auf den Internationalen Filmfestspielen von Venedig 2020, Siegerfilm beim Toronto International Film Festival 2020»Ein überwältigendes und großartig geschriebenes Buch, das an John Steinbecks Früchte des Zorns denken lässt.« (The New York Times)Ein "Buch des Jahres" der New York Times, ausgezeichnet mit dem Discover Great New Writers Award.
Autorenporträt
Jessica Bruder war als Professorin an der Columbia Graduate Journalism School tätig. Ihr Leitartikel ¿The End of Retirement¿ im Harper¿s Magazine , Basis dieses Buches, wurde mit dem Aronson Award for Social Justice Journalism ausgezeichnet, sie veröffentlicht darüber hinaus u. a. in The New York Times Magazine, The Washington Post und The International Herald Tribune. Bruder lebt in Brooklyn, New York City.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.06.2019

Die Welt der Workamper
Jessica Bruder hat Menschen in den USA begleitet, die ohne festen Wohnsitz von Job zu Job reisen und eigene Regeln haben
VON VIOLA SCHENZ
Linda May hat ihr Zuhause bei einer Auktion erstanden. 1400 Dollar hat der Trailer gekostet, ein blassgelber Hunter Compact, Baujahr 1974. „Der Innenraum ist 1,60 Meter hoch, ich bin 1,50“, sagt sie. „Passt perfekt.“ Sie ist Mitte sechzig, zweifache Mutter, vierfache Großmutter, trägt silbergraue Haare und eine rosa Brille. Die Amerikanerin verbringt ihren Lebensabend in diesem Anhänger beziehungsweise am Steuer ihres Jeep Grand Cherokee, den sie von einem Schrottplatz gerettet hat.
Linda zählt zu einer wachsenden Gruppe von Nomaden in den USA. Sie übernachten neben den Highways, auf Supermarkt-Parkplätzen, in der Wüste, sie füllen ihre Benzintanks mit Saisonarbeit. Diese Workamper, wie sie sich nennen, verladen Zuckerrüben, schieben Rollwagen durch Warenlager, pflücken Äpfel in Oregon und Blaubeeren in Kentucky, bewachen Tore an Ölfeldern in Texas. Meist handelt es sich um Mittelschichtler, in ihren früheren Leben waren sie Manager, Banker, IT-Ingenieure, Sachbearbeiter. Die meisten hat die Finanzkrise von 2008 um ihre Rücklagen gebracht; ohne Altersabsicherung ziehen sie von Job zu Job, von Küste zu Küste. Ihre Häuser und Wohnungen, ihren „real estate“, mussten sie tauschen gegen etwas, das sie „wheel estate“ nennen: gebrauchte Wohnmobile, ausgediente Schulbusse, Pick-ups mit Campingaufbauten, Trailer.
Diesem Treck durch Amerika ist die Journalistin Jessica Bruder gefolgt, hat selbst Monate in einem Camper verbracht. Ihre Megarecherche spann sich über drei Jahre und 15 000 Meilen, gut 50 Interviews hat sie mit Arbeitsnomaden geführt. (Wie sie allerdings diesen enormen Zeitaufwand finanzierte, erfährt man nicht.) Das Ergebnis ist eine 383 Seiten dicke Mischung aus Dokumentation und Reportage, 2017 in den USA erschienen. Bruder hat an der Columbia Journalism School in New York gelehrt, sie schreibt unter anderem für die Washington Post und das Magazin der New York Times. „Nomaden der Arbeit“ basiert auf einem Artikel, den sie für das angesehene Harper’s Magazine schrieb. Sie gewann dafür einen Journalistenpreis und war für weitere nominiert. Damit nicht genug: Das Buch wird demnächst verfilmt, mit Oscar-Preisträgerin Frances McDormand in der Hauptrolle. Solche Ehre wird Journalisten selten zuteil.
Bruder eröffnet Einblicke auf ein soziales Phänomen, das so brisant wie tabuisiert ist. Die Workamper leben in einer fast geschlossenen, unsichtbaren Welt, aus Scham oder weil sich ihre Existenz in den Weiten Amerikas und neben den vielen sorglos dauerreisenden Senioren in ihren Riesencampern verliert. Sie haben eigene Strukturen mit eigener Logistik. Sie organisieren sich über Apps, sie angeln sich Jobs durch Inserate auf Websites wie Workers on Wheels und Workamper News, sie helfen sich aus, wenn jemand in akute Not gerät.
2016 waren fast neun Millionen der über 65-jährigen Amerikaner noch immer angestellt, 60 Prozent mehr als ein Jahrzehnt davor, zitiert Bruder die Statistik. Freilich, und das erwähnt sie nicht, gehören dazu auch Freiwillige, die ohne wirtschaftliche Not einfach gern beschäftigt bleiben; Amerikas Arbeitsrecht kennt keine Altersgrenze nach oben. Mit den Zehntausenden Arbeitsnomaden entstand eine Schattenwirtschaft. Sie sind jederzeit und überall einsetzbar, als Saisonpersonal erscheinen sie, wo und wann sie gebraucht werden. Sie bringen ihr Eigenheim mit und verwandeln Firmenparkplätze vorübergehend in Firmensiedlungen. Sie sind nicht lange genug dabei, um sich gewerkschaftlich zu organisieren. Amerikanische Unternehmen werden steuerbegünstigt, wenn sie „sozial Schwache“ beschäftigen; für einen Konzern wie Amazon sind sie daher ideale Aushilfen. Der Versandhändler betreibt eigens ein Programm namens Camper Force: In der Hochsaison, also den vier Monaten vor Weihnachten, engagiert er zusätzlich bevorzugt betagte Wanderarbeiter.
In der Tradition sozialkritischer US-Schriftsteller wie John Steinbeck („Früchte des Zorns“), Upton Sinclair („Der Dschungel“) oder Barbara Ehrenreich („Nickel and Dimed“) porträtiert Bruder Missstände und soziale Verlierer. Diejenigen, bei denen ein prekäres Elternhaus, schlechte Ausbildung, Krankheit, Scheidung, Drogenmissbrauch oder eben eine Finanzkrise dem American Dream im Weg stehen. Manches Scheitern ist fremd-, manches selbstverschuldet. Linda Mays Tochter etwa kommt wie ihre Mutter kaum über die Runden, dennoch leistet sich die Familie vier Hunde, die sie miternähren muss.
Die Seniorin Linda hat sich auf Campingplätze spezialisiert, zu ihrer Arbeit als Platzwart gehört nicht nur, Tag und Nacht für Neuankömmlinge ansprechbar zu sein, sondern auch dreimal täglich die Toiletten zu putzen. Ihre früheren Jobs waren: Truckerin, Cocktailkellnerin, Versicherungsagentin, Bauinspektorin oder Händlerin mit Bodenbelägen. Sie gibt zu, sich nie um Alterssicherung gekümmert zu haben. Nach vielen Jahren mit mieser Bezahlung verlor sie Wohnung, Arbeit, dann Arbeitslosenhilfe. Alkohol und Meth machten sich in ihrem Leben breit. Sie zog bei einer Tochter und deren Familie ein, bis die ebenfalls aus Geldnot in eine kleinere Wohnung wechseln musste. Sie hat Anspruch auf Sozialhilfe, aber die 500 Dollar im Monat reichen nicht mal für die Miete. Linda landete in ihrem Trailer.
Arbeitsmigranten waren immer Teil der USA. Nach dem Bürgerkrieg (1861 – 65) zogen Schwarze gen Norden, wo Stahl-, Kohle- und später Autofabriken Arbeit en masse boten. Die Wirtschaftskrise nach dem Börsencrash 1929 brachte in den frühen 30er-Jahren die „Okies“ nach Westen, und seit jeher ist Amerikas Landwirtschaft auf mexikanische Saisonarbeiter angewiesen. Was die aktuellen Workamper besonders macht: Sie sind weiß und betagt. Und sie teilen sich eine amerikanische Tugend: Sie tragen ihr Schicksal mit Würde, Gejammer würde es nur schwerer machen. Sie verweigern den Begriff „homeless“, nennen sich lieber „houseless“ und sehen in ihrem Dasein durchaus auch eine große Freiheit. Im wohlfahrtsverwöhnten Europa mag das für manchen zynisch klingen, aber vielleicht ist solch ein autarkes Leben in der Tat würdevoller als das deutscher Sozialhilfeempfänger, die bei Bier und RTL 2 ruhiggestellt werden.
So eindrücklich Bruders Beobachtungen sind – irgendwann verliert sie sich darin. Das Buch gerät zu detailliert, zu lang, zu redundant. Analytisches kommt zu kurz, ebenso die Stellungnahme von Verursachern und Verantwortlichen: von Politikern, die Arbeitsgesetze erlassen, von Pensionsfondsverwaltern, die die Rentner um ihre Ersparnisse brachten, von Firmen wie Amazon, deren Praktiken die Autorin anprangert. Als sie auch noch über zwei lange Kapitel schildert, wie sie sich ihren eigenen Trailer aussucht und einrichtet, um selber in einer Zuckerrübenfabrik und einem Warenlager zu jobben, denkt man sich: Jetzt ist gut, man kann seinen Protagonisten auch zu nahekommen.
Ein Lektor hätte Bruder und ihren Idealismus bremsen sollen. Doch im Kern ist das Buch eine spannend geschriebene Dokumentation. Auf seine Verfilmung kann man sich freuen.
Die 500 Dollar Sozialhilfe
im Monat reichen nicht, um sich
eine Mietwohnung zu leisten
Saisonarbeiter, die von der wohlhabenden Gesellschaft kaum wahrgenommen werden: Menschen wie Linda (links oben) haben selten eine Altersabsicherung und sind ständig auf den Highways unterwegs, auf der Suche nach einem neuen Saisonjob, um sich über Wasser zu halten. Die Workamper-Community wird immer größer und ist gut vernetzt.
Fotos: Jessica Bruder, Aus dem besprochenen Buch
Jessica Bruder:
Nomaden der Arbeit. Überleben in den USA im 21. Jahrhundert. Aus dem Amerikanischen von Teja Schwaner. Blessing-Verlag, München 2019.
384 Seiten, 22 Euro.
E-Book: 21,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2019

Schmerzmittel vom Arbeitgeber

Aus der Traum: Jessica Bruder hat mit amerikanischen Arbeitsnomaden gelebt und weiß jetzt, woher die Wut der Abgehängten kommt.

Immer noch, knapp drei Jahre nach Donald Trumps Wahl zum Präsidenten der Vereinigten Staaten, reiben sich liberale europäische Beobachter weiterhin verwundert die Augen darüber, wie es dazu hat kommen können. Dabei hätte man es wissen und verstehen können, spätestens seit der großen Finanzkrise der Jahre seit 2008, die nicht allein in Nordamerika, sondern auch in Westeuropa das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit von Politik und Wirtschaft nachhaltig erschütterte.

Jessica Bruders im Reportagestil flüssig geschriebenes Buch über die Arbeitsnomaden in den Vereinigten Staaten bietet, obwohl sie Trumps Namen nie erwähnt und überdies im Grunde keine politische Analyse leisten will, eine Erklärung an für die prekäre, instabile und fluide Situation der Mittelklassen. Das Land, das wie kein anderes mit religiös anmutender Inbrunst den Individualismus und die Freiheit als Höchstwerte und Grundvoraussetzungen sozialen Aufstiegs preist, hat ausgerechnet seine anhänglichsten Gläubigen im Stich gelassen, ebenjene Angehörigen der weißen Mittelkassen, die über Jahrzehnte glaubten, Fleiß, Anstand, Anpassung an Normen, Konventionalität und Aufstiegswille garantierten einen Lebensabend in geordneten Verhältnissen.

Nun, da viele von ihnen im siebten Lebensjahrzehnt stehen, sehen sie sich verraten und verkauft. Die Versprechen von New Deal und Great Society der dreißiger bis sechziger Jahre wurden nicht eingehalten, ebenso wenig die anschließenden neoliberalen Verheißungen der Befreiung von Regeln und Regulationen. Ein Prozent der amerikanischen Bevölkerung verdient heute einundachtzigmal mehr als die unteren fünfzig Prozent, deren Einkommen seit den siebziger Jahren nicht nennenswert gestiegen sind, unabhängig von Arbeitsleistung und Produktivität.

Angesichts solcher Zahlen ist die simple wirtschaftswissenschaftliche Feststellung, Ungleichheit sei eine notwendige Bedingung für das Funktionieren der Märkte, bloßer Zynismus. Es geht gar nicht um Gleichheit, sondern um ein Mindestmaß an gerechter Teilhabe. Denn im Ergebnis mündet das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Märkte bei gleichzeitigem Abbau von sozialen Mindestsicherungen in einer gesamtgesellschaftlichen Katastrophe. Die Löhne und Renten reichen vorne und hinten nicht aus, um die Mieten zu bezahlen. Hinzu kommen Schulden, die aus Krankheit, Scheidung oder sogar der Studienzeit resultieren oder eine Folge von Börsenkrächen sind.

Was dann für viele Amerikaner bleibt, ist der Umzug in den Wohnwagen oder das Mobile Home, das Leben auf den Landstraßen, die periodische Wanderung von Arbeitgeber zu Arbeitgeber. Insbesondere Amazon oder Wal-Mart profitieren von diesen mobilen Alten, die nicht arbeiten, weil es ihnen Freude bereitet, wie die Werbung gerne suggeriert, sondern weil sie es müssen, um ihr tägliches Brot - und nicht wirklich mehr - bezahlen zu können. Manchen schmerzen Füße, Muskeln und Knochen dermaßen, dass die Arbeitgeber - in einem Anfall sozialer Wärme und Mitgefühls - Automaten mit Schmerzmitteln aufstellen, damit sie auf Dauer arbeitsfähig bleiben.

Man kann das als Besinnung auf uramerikanische Werte von Unabhängigkeit und Freiheit preisen, als echte Tugenden der frontier, jener stets in den Westen wandernden Grenze, die angeblich Amerika groß gemacht hat. Man kann aber auch ehrlich sagen, dass es sich um Ausbeutung und Unterdrückung handelt. Mehr noch: Man kann auch von Verrat sprechen, Verrat durch jene Eliten, die seit den achtziger Jahren unter Ronald Reagan, Bill Clinton, den beiden Bush-Präsidenten und Barack Obama den Gesellschaftsvertrag mit der Masse der Amerikaner zugunsten einer totalitären Marktideologie aufgekündigt haben.

Da hilft es wenig, wenn Ökonomen abstrakt die Leistungsfähigkeit der Märkte als soziale Wohltat darstellen, wenn in Wirklichkeit das Gros der Bevölkerung abgehängt wird, nicht weil es ungebildet, unfähig oder unflexibel wäre, sondern weil man jeden Gestaltungswillen vermissen lässt. Die persönliche Leistung hat im Kontext von Globalisierung und neoliberalem Laissez-faire an Wert dramatisch eingebüßt, und die Politik hat darauf reagiert, indem sie möglichst alle Macht an "die Märkte" und die sie propagierenden Experten abgegeben hat. Das aber war eine feige Flucht, ein Versagen, das bei den Betroffenen, wen wundert es, zu einer unbestimmten, aber sehr konkreten und durchaus berechtigten Wut geführt hat, die man gerne ebenso vage wie nichtssagend als "Populismus" bezeichnet.

Die Welt dieser Betroffenen schildert Jessica Bruder, Professorin an der Columbia Journalism School, ruhig, ohne Schaum vor dem Mund und aus nächster Nähe. Für viele Monate hat sie unter den Workcampern, den modernen Arbeitsnomaden der Vereinigten Staten, gelebt, deren Erfahrungen geteilt und deren Leben unter die Lupe genommen. Ihre Schilderungen bleiben durchweg sachlich und mitfühlend, ihre Tonlage ist weder polit-aktivistisch noch soziologisch-analytisch, sondern vielmehr still beschreibend, nur mitunter kommentierend.

Bruder vermeidet es, die Lebensweise der Arbeitsnomaden - Angehörige der unteren weißen Mittelklasse jenseits Mitte fünfzig - zu denunzieren. Gelegentlich romantisiert sie das Leben auf der Straße, die Solidarität unter den derart Marginalisierten, sogar ein wenig. Unaufdringlich weist sie auf ältere Traditionen hin, an welche die Workcamper anschließen, etwa die Arkies und Okies der Großen Depression oder die Planwagensiedler des neunzehnten Jahrhunderts. Sie schildert Momente des Glücks und der Zufriedenheit, aber auch persönliche Katastrophen und Rückschläge.

Bruders gesellschaftliche und politische Schlussfolgerungen sind zurückhaltend. Stellenweise wirkt das fast ein wenig hilflos, was nicht zuletzt an einem Mangel an tiefgreifender gesellschaftlicher und ökonomischer Analyse liegt. Dennoch hat sie ein wichtiges Buch geschrieben, denn wer ihrer Darstellung folgt, versteht, woher die Wut und der Zorn kommen, die zur Wahl Donald Trumps beigetragen haben. Wenn nämlich Demokraten und Liberale in den hier geschilderten working poor nur noch Abgehängte sehen, die politisch falsche Entscheidungen treffen, weil sie "populistisch" wählen, tragen sie maßgeblich dazu bei, den demokratischen Staat und die Marktwirtschaft in der Masse der Gesellschaft aktiv zu delegitimieren.

MICHAEL HOCHGESCHWENDER

Jessica Bruder: "Nomaden der Arbeit". Überleben in den USA im 21. Jahrhundert.

Aus dem Amerikanischen von Teja Schwaner. Karl Blessing Verlag, München 2019. 384 S., geb., 22,- [Euro].

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»Bruder eröffnet Einblicke auf ein soziales Phänomen, das so brisant wie tabuisiert ist. [...] Eine spannend geschriebene Dokumentation.« Viola Schenz, Süddeutsche Zeitung