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»Was tut ein Roman, was in kürzerer Form die Erzählung? Mit einem Haifischbiß reißen sie ein Stück aus der Zeit, schnappen sich ein Stück der Schöpfung und bearbeiten es nach Gutdünken.« Gleich in zwei Etappen stellt sich Sibylle Lewitscharoff ans Rednerpult, um sich Gedanken über Literatur zu machen: In den berühmten Frankfurter Poetikvorlesungen sowie den Zürcher Poetikvorlesungen 2011 befaßt sie sich mit großer Weltliteratur und Schlüsselromanen zweifelhaften Charakters, seziert Figurennamen - »Josef K.: auch ein verflucht guter Name!« - und Romananfänge, wettert gegen den schnöden…mehr

Produktbeschreibung
»Was tut ein Roman, was in kürzerer Form die Erzählung? Mit einem Haifischbiß reißen sie ein Stück aus der Zeit, schnappen sich ein Stück der Schöpfung und bearbeiten es nach Gutdünken.« Gleich in zwei Etappen stellt sich Sibylle Lewitscharoff ans Rednerpult, um sich Gedanken über Literatur zu machen: In den berühmten Frankfurter Poetikvorlesungen sowie den Zürcher Poetikvorlesungen 2011 befaßt sie sich mit großer Weltliteratur und Schlüsselromanen zweifelhaften Charakters, seziert Figurennamen - »Josef K.: auch ein verflucht guter Name!« - und Romananfänge, wettert gegen den schnöden Realismus und wirbt für den Auftritt von Engeln und sprechenden Tieren in der Fiktion.
Gleichzeitig erlaubt der Blick auf das fremde Werk immer auch Rückschlüsse auf das eigene. Hier wird das Gute, Wahre und Schöne verhandelt - lehrreich, polemisch und hochvergnüglich.
Autorenporträt
Sibylle Lewitscharoff, 1954 in Stuttgart geboren, veröffentlichte Radiofeatures, Hörspiele, Essays und Romane. Für Pong erhielt sie 1998 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Der Roman Apostoloff wurde 2009 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. 2013 wurde sie mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Ihr erstes Theaterstück, Vor dem Gericht , wurde 2012 am Nationaltheater Mannheim uraufgeführt. Lewitscharoff war Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung sowie der Berliner Akademie der Künste. Sibylle Lewitscharoff verstarb am 14. Mai 2023 im Alter von 69 Jahren in Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Kristina Maidt-Zinke scheint von der Erkenntnisfülle, die ihr dieser Band mit den Frankfurter und den Zürcher Poetikvorlesungen von Sibylle Lewitscharoff bietet, überwältigt. Zweifel am Guten, Schönen, Wahren lässt sie sich bevorzugt von dieser Autorin auseinandersetzen, die des Komischen, der Ironie, der Klarsicht, der Sprache gleichermaßen mächtig ist, bibelfest überdies, wie die Rezensentin feststellt, die über die hier dargelegten Bezüge zwischen Glauben und Literatur durchaus überrascht ist. Wie Lewitscharoff munter assoziierend Exkurse, Anekdoten und Bekenntnisse nicht zu einem eigenen Werkkommentar, auch nicht zu einer systematischen Poetik, aber zum Vergnügen der Rezensentin zusammenbindet, stimmt Maidt-Zinke glücklich. Polemisch, fügt sie hinzu, sind die Einlassungen zu Bibelübersetzungen, zu Johannes Kerner, zum Regietheater etc. auch. Und voller Lob der Tradition, wenn sie Riesen wie Kafka und Beckett umarmt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2012

Wider die literarische Coolness
Sibylle Lewitscharoff liest jetzt den Affen die Leviten

In seiner Dankesrede zum Zürcher Literaturpreis 1966 hatte Emil Staiger den Romanen und Bühnenstücken der Nachkriegsliteratur mangelnde Gesittung vorgeworfen. "Sie wimmeln von Psychopathen, von gemeingefährlichen Existenzen, von Scheußlichkeiten großen Stils und ausgeklügelten Perfidien. Sie spielen in lichtscheuen Räumen und beweisen in allem, was niederträchtig ist, blühende Einbildungskraft." Die Aufregung war immens, der vormals verehrte Literaturprofessor, der große Meister der immanenten Interpretation, wurde mit Schimpf und Schande überhäuft und zog sich verbittert zurück. Seitdem hat sich kein prominenter Akteur des Literaturbetriebs dergleichen getraut.

Sibylle Lewitscharoff hat sich in ihrem vergangenen Herbst erschienenen Roman "Blumenberg" nicht gescheut, dem berühmten Philosophen einen leibhaftigen Löwen auf den Teppich seines Arbeitszimmers zu legen, ebenso löwenherzig wettert sie nun in ihren Frankfurter und Zürcher Poetikvorlesungen gegen den zeitgenössischen Realismus und dessen Liebäugeln mit dem Vulgären. Bei aller Notwendigkeit genauer Beobachtung gehöre es zu seinen unangenehmen Schlagseiten, "im Dreck, im Verkommenen zu wühlen", möglichst unter der Vorspiegelung, dabei gewesen zu sein. Überhaupt gebe es "zu viele coole Texte über kaputte Typen. Die halbe Leipziger Romanschule übt sich darin, übrigens meist bar jeder eigenen Erfahrung in so extremen Milieus."

In der erzählenden Literatur sieht sie eine Überbewertung der Kreativität, hinter der meist nicht mehr stecke als ein Ringen um Anerkennung "mittels Provokation, Skandalen und Markierungsgesten"; mit eher schwächlichen Resultaten, namentlich der Preisgabe der Formen, "die das Mögliche erkunden". Auch das deutsche Theater sei der "Idiotie des Schockhaften" verfallen. Es zeige eine Gesellschaft "von schreienden Verrückten, die herumbatzen und herumschmieren wie Kleinkinder", eine Gesellschaft, die sich offenbar "als menschlichen Schrott betrachtet". Aber auch die Größen neigten auf ihre älteren Tage zur vulgären Regression, zu "hochnotpeinlichen alterssexelnden Suaden" Martin Walser, zu "ranschmeißerischem Unfug" Günter Grass in der "kindergartenhaften Eingemeindung" Fontanes, zur "Kalauermaschine" Elfriede Jelinek.

Gegen den "Eigenkreativwahn" der Heutigen und das "Affentheater des Zeitgeschmacks" beschwört Sibylle Lewitscharoff wie schon Staiger die leuchtenden Sterne der Tradition, Homer, Ovid, Vergil, Dante, Shakespeare, Goethe und ihren "Lieblingsautor" Kafka. Sie plädiert damit für die Inspiration aus der Tradition: "Gerade das etwas fremd Gewordene aus vergangenen Zeiten hat oft die Kraft, die eigenen Haltungen, das eigene Denken zu bereichern und in unverhoffte Richtungen zu lenken."

Wie Hans Blumenberg begreift die Autorin den Menschen als ein trostbedürftiges Mängelwesen, das nach "Erlösung von Schmutz und Schuld" dürstet, nach Entlastung vom Druck des Realitätsprinzips und nach Orientierung in einer unübersichtlichen Wirklichkeit. Im Gegensatz zu ihrem Verehrer Denis Scheck scheint Sibylle Lewitscharoff die klassizistische Formel der Einheit des Guten, Wahren und Schönen bei allem Augenzwinkern durchaus ernst zu nehmen. So verpflichtet sie die Literatur unumwunden auf die Vermittlung sittlicher Werte, vor allem auf die "Zähmung unserer mörderischen Energien", zugleich aber auf ästhetisches Vergnügen. Damit wird wie schon bei Emil Staiger unverkennbar das Horazsche prodesse et delectare gegen die zeitgenössische Literatur ausgespielt.

Dass diese Thesen einen neuen Literaturstreit auslösen, ist weder zu befürchten noch gar zu erhoffen. In Zeiten der massenmedialen Verbreitung des Vulgären ruft auch die traditionsbewusste Provokation nur mehr müdes Achselzucken hervor. Für Leser aber, die beim Namen gerufen werden wollen und die gleichermaßen gern mit den Toten und den Lebenden sprechen, für alle, die sich der herrischen Maßgabe des Realismus nicht beugen mögen, sind Sibylle Lewitscharoffs freche Lektüren eine große Freude. Denn sie ist kraft ihres Namens nicht nur eine ernste Levitenleserin, sondern im Schreiben auch ein "Witsch", ein listig unzuverlässiges Wesen, ja sogar gut schwäbisch ein dem Albernen gewogenes "Käsperle".

FRIEDMAR APEL

Sibylle Lewitscharoff: "Vom Guten, Wahren und Schönen". Frankfurter und Zürcher Poetikvorlesungen.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 200 S., br., 14,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.06.2012

Glänzende Augenhöhlen
Prägnant, vergnüglich, maliziös: Sibylle Lewitscharoff
widmet sichdem „Guten, Wahren und Schönen“
Als 1997 die gesammelten Bildergeschichten und Bildgedichte Robert Gernhardts in dem Prachtband „Vom Schönen, Guten, Baren“ veröffentlicht wurden, schien die im Titel verspottete Begriffstrias, die mal Platon, mal den Weimarer Klassikern zugeschrieben wird und die – in anderer Reihenfolge – den Fries der Frankfurter Alten Oper ziert, damit ein für allemal erledigt. Auf liebenswürdige, weil hochkomische Weise, aber doch unrettbar. Vierzehn Jahre danach hielt die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff, als wäre nichts gewesen, ihre Frankfurter Poetikvorlesungen unter dem Motto „Vom Guten, Wahren und Schönen“, und so heißt auch der daraus entstandene Textband. Unterschlagen wird, dass die ebenfalls darin abgedruckten, später gehaltenen Zürcher Poetikvorlesungen der Autorin etwas anders betitelt waren, nämlich: „Zweifel am Guten, Wahren, Schönen“. Was der ersten Variante nachträglich einen doppelten Boden einzieht.
Zwischen dem 2006 verstorbenen Universalkünstler Gernhardt und der quicklebendigen Sprachkünstlerin Lewitscharoff gibt es mehr Gemeinsamkeiten, als es den Anschein hat. Nicht nur, weil sie eine der raren Schriftstellerinnen ist, denen das Komische zu Gebot steht: In beiden Fällen verbirgt sich hinter der vom Zweifel befeuerten Ironisierung des Schönen, Guten und Wahren – dort kräftig, hier diskret – eine klarsichtige, sehr ernsthafte Affinität zu dem, was diese Begriffe, jeder für sich genommen, im Kern besagen. Andererseits gerät das Bare, das zum Wahren in besonders pikantem Kontrast steht, auch der Poetikdozentin ins Visier – wenn sie in der Vorlesung zum Thema „Arm und Reich“, bevor sie die Literaturgeschichte nach diesem Antagonismus durchforstet, unverblümt auf gegenwärtige Missverhältnisse und auf ihre eigene Geld-Sozialisation zu sprechen kommt.
Gleichfalls auf den Kern zurückgeführt, muss hier die abgegriffene Formel „Gott und die Welt“ in Anschlag gebracht werden, denn nur sie umfasst die beiden Pole, zwischen denen diese Texte sprachmächtig und spielerisch ihre Spannungsbögen bauen. Gott hat seinen ersten Auftritt schon nach wenigen Sätzen der Eröffnungsvorlesung, die sich mit „Namen“ befasst. Nicht nur, weil sie Religionswissenschaften studiert hat, unterhält Sibylle Lewitscharoff eine enge Beziehung zur Heiligen Schrift.
Abgesehen davon, dass kaum jemand den „Botschaftsverkehr zwischen Oben und Unten“ so schön beschreiben kann wie sie (man lese das Kapitel „Wahrheit der Offenbarung“), liegt ihr daran, das Bewusstsein dafür wachzuhalten, dass unabhängig von Glaubensfragen die Bibel zu den Fundamenten und Quellen der literarischen Tradition zählt, ohne deren Schubkraft („das Gebläse von hinten, und zwar das große“, wie sie im Interview sagte) die Literatur der Gegenwart und Zukunft verwaisen, verwelken und verwahrlosen müsste.
So ist Gott, die Hauptfigur dieses Traditionsstrangs, in den Vorlesungen wie selbstverständlich präsent. Und die Welt ist es sowieso, als das Stoffliche und Sinnliche, das von Mutterseite her inkorporierte Schwäbische auch, die Bodenhaftung, die weder in Lewitscharoffs schwebetauglicher Erzählprosa noch bei ihren lässigen theoretischen Aufschwüngen je verloren geht. Einen Kommentar zum eigenen Werk wird man hier so vergeblich suchen wie eine systematische „Poetik“. Man findet vielmehr acht Themen, Fragenkomplexe, durch die sich die Autorin zum Versuch einer literaturästhetischen Selbstvergewisserung anregen ließ: Themen, die sie weit ausholend und kühn assoziierend umkreist, mit spürbarem Vergnügen an Exkursen und Anekdoten, persönlichen Bekenntnissen, maliziösen Seitenhieben und flammender Polemik.
Letztere kleidet sich immer wieder in köstliche Bilder, etwa wenn es um moderne Bibelübersetzungen geht, die so tun, „als könnten wir auf einem Kunstledersitz im Familiengericht uns der Offenbarung nähern, oder während wir einer Runde von Johannes Kerner zuschauen“. Und die dabei – nun wird es ernst und schwindelerregend klug – den „geheimen Zündfaden der Inspiration böswillig kappen, der seit Überbringen der Gesetzestafeln die bibelhorchenden Generationen verbindet, indem er sie einander fremd werden lässt“.
Zuweilen glaubt man, einen veritablen Predigerton zu vernehmen, und zwar von der Art, dass das Hören und Sehen einem nicht vergeht, sondern geschärft wird. In diesem Sinne ist das Kraftzentrum der Vorlesungen diejenige über „Realismus und Vulgarität“, in der mit diversen Holzwegen der „sprachgebundenen Künste“ in unserer Zeit abgerechnet wird: mit der Überbewertung der „Zeugenschaft“ und dem Irrtum von der Aufklärung durch Schock und Ekel, mit der fatalen Liebe zum Kurzsatz, mit „hausbackener Schaffschurzprosa“ und mit der stagnierenden Fadheit des Regietheaters. Widerspruch ist der Autorin gewiss, zumal dort, wo sie das Vulgäre mit dem „Bösen“ paart. Aber sie kann sich hier auf den englischen Kulturtheoretiker Terry Eagleton berufen, den sie geradezu genüsslich zitiert.
Womit wir bei den Gewährsleuten, Garanten oder auch „Schutzengeln“ der Unbotmäßigen wären. Wer so gezielt austeilt, muss seine Maßstäbe offenlegen. Der Schlüssel dazu ist das „Gespräch mit den Toten“. Es bezeichnet bei Lewitscharoff nicht nur die Kommunikation zwischen Diesseits und Jenseits, wie sie in ihren Romanen möglich ist, sondern auch die geistige Verbindung zu den Riesen, auf deren Schultern heutige Schriftsteller stehen. Oder, mit den Worten der Autorin: „Wahrlich, die Literatur ist ein weites Feld, in dessen Furchen die Wiedergänger stolpern und winken, immer frisch wird es umgepflügt. Unsere verlorenen Objekte und Gedanken wachsen dort. Unsere Kinderhirne schlüpfen in die Schädel unserer Vorfahren, mit glänzenden Augen schauen wir probeweise zu deren Augenhöhlen heraus.“
Das Lob der Tradition durchzieht die Vorlesungen wie ein Leuchtfaden, und besonders hell funkelt er dort, wo von den beiden Riesen des zwanzigsten Jahrhunderts die Rede ist, von Kafka und Beckett. Das Eingeständnis, dass nach ihnen kein Größerer mehr kam, liegt nicht eben im Trend, weist es doch Legionen von toten und vor allem lebenden Schriftstellern in die Schranken. Sibylle Lewitscharoff, auch sie gehört ja dazu, verneigt sich nicht nur mit gelassener Grazie vor jenen beiden Radikalen, sondern charakterisiert sie, über die längst alles gesagt schien, mit Sätzen von schwer zu überbietender Prägnanz. Sie sind von allem Erkenntnisstiftenden, das dieser kleine Band enthält, vielleicht das Kostbarste. Denn gerade in ihnen schimmert am augenfälligsten die Ahnung davon auf, „was essentiell gut, was schön, was wahr sein könnte in uns selbst und in der Welt, in der wir leben“.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
SIBYLLE LEWITSCHAROFF: Vom Guten, Wahren und Schönen. Frankfurter und Zürcher Poetikvorlesungen. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 205 S., 14 Euro.
„Die Literatur ist ein weites Feld,
in dessen Furchen die
Wiedergänger stolpern und winken“
Sibylle Lewitscharoff, das Wahre und Schöne im Blick Foto: www.roggenthin.de
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»Die gebürtige Stuttgarterin bietet wahrlich Erhellendes - mit viel Humor.«
»Für Leser ... die sich der herrischen Maßgabe des Realismus nicht beugen mögen, sind Sibylle Lewitscharoffs freche Lektüren eine große Freude.« Friedmar Apel Frankfurter Allgemeine Zeitung 20120609