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»The Third Man« von Carol Reed erweist sich neben seiner ungebrochenen folkloristischen Strahlkraft als Film mit starken Gegenwartsbezügen in puncto Flucht, Migration und Identität. Diese erste umfassende und anschauliche Aufarbeitung des Filmklassikers ist Pflichtlektüre für Filmliebhaber und ein überraschend aktueller Essay über das 20. und 21. Jahrhundert.1948/49 entstand in den Ruinen des befreiten, aber noch besetzten Österreich der Film »The Third Man«: ein Thriller zwischen Riesenrad und Kanalsystem, mit Orson Welles in einer Paraderolle. Und mit einem Zitherthema, das einem nicht mehr…mehr

Produktbeschreibung
»The Third Man« von Carol Reed erweist sich neben seiner ungebrochenen folkloristischen Strahlkraft als Film mit starken Gegenwartsbezügen in puncto Flucht, Migration und Identität. Diese erste umfassende und anschauliche Aufarbeitung des Filmklassikers ist Pflichtlektüre für Filmliebhaber und ein überraschend aktueller Essay über das 20. und 21. Jahrhundert.1948/49 entstand in den Ruinen des befreiten, aber noch besetzten Österreich der Film »The Third Man«: ein Thriller zwischen Riesenrad und Kanalsystem, mit Orson Welles in einer Paraderolle. Und mit einem Zitherthema, das einem nicht mehr aus dem Kopf geht.Bert Rebhandl liest diesen Klassiker zum 70. Geburtstag neu und entdeckt zahlreiche, zum Teil verblüffende Facetten. »The Third Man« ist nicht nur ein Vergnügen für Touristen und Nostalgiker, sondern ein unvermutet aktueller Film über das Europa und die Welt von heute.
Autorenporträt
Bert Rebhandl, geboren 1964 in Oberösterreich, ist einer der profiliertesten deutschsprachigen Filmkritiker. Er schreibt vor allem für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und den "Standard". Bücher über Orson Welles, den Western (als Herausgeber) und über die Fernsehserie "Seinfeld". Er lebt in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.03.2020

Der Oligarch
und das Penicillin
Bert Rebhandl über den Film „Der dritte Mann“
Wenn es ums Genie geht und seine Kunst, bleibt die Moral besser aus dem Spiel. Das erklärt Harry Lime in bemerkenswerter Prägnanz: „In den dreißig Jahren unter den Borgias hat es nur Krieg gegeben, Terror, Mord und Blutvergießen, aber dafür gab es Michelangelo, Leonardo da Vinci und die Renaissance. In der Schweiz herrschte brüderliche Liebe, fünfhundert Jahre Demokratie und Frieden. Und was haben wir davon? Die Kuckucksuhr!“
Um die zynische Schattenfigur Harry Lime kreist der Film „Der dritte Mann“ aus dem Jahr 1949, dem der Filmkritiker Bert Rebhandl zum Jubiläum des Erscheinens vor 70 Jahren ein kleines, als „Neuentdeckung eines Filmklassikers“ inszeniertes Buch gewidmet hat. Er weiß sehr wohl, dass man einen Kultfilm nicht noch weiter zum Monolithen machen und auf den Begriff bringen darf, daher versetzt er die Begriffe in einen kreativen Wirbel, in einen Kreislauf der Assoziationen. Es ist ein Buch über Wirtschaftswunder und Schwarzmarkt, die gespannte Atmosphäre des Kalten Kriegs, über Politik und Geschichte, amerikanisches und europäisches, besonders österreichisches Kino, über das Hin und Her zwischen Kino und Literatur, aber auch über die Wende im Jahr 1989. Und natürlich über Genie und Kuckucksuhren. Das Buch wechselt zwischen Roman und Film, zwischen der englischen und der deutsch-österreichischen Fassung, den Vorstellungen der daran Beteiligten, der Produzenten, Autoren und Akteure.
Im „Vorspann“ streift Rebhandl durch Wien, den Schauplatz des Films von Carol Reed und des Romans, den Graham Greene als Vorlage schrieb, Wien im Nachkriegswinter 1948/49, eine in vier Zonen aufgeteilte Stadt. Es geht vom Westbahnhof, wo einst auch der Orient-Express Station machte und nun der Westernromanschreiber Rollo Martins, der Held des Films, ankommt, quer zum Prater-Riesenrad, wo Martins die entscheidende Begegnung mit dem mysteriösen, in den Untergrund abgetauchten und längere Zeit als tot vermeldeten Freund Harry Lime hat.
Vom „Dritten Mann“ haben die meisten wohl keine zielstrebige Storyline in Erinnerung, sondern eine Serie von Ereignissen und Momenten, zusammengehalten und immer wieder punktuell in Erregung versetzt durch die legendäre Zithermusik von Anton Karas: die Flucht des Schwarzmarktschiebers Harry Lime durchs Wiener Kanalsystem, eine Frau (Alida Valli), die mit ihrer Liebe zwischen zwei Männern steht, sie ist aus der Tschechoslowakei geflohen und ihr droht die Repatriierung, dann ein paar britische Besatzungsfiguren, und natürlich eine Galerie skurriler bis sinistrer Wiener Figuren, Paul Hörbiger als Hausmeister, den ein schlimmes Schicksal ereilt – „Odraht ham’s eam“ –, Erich Ponto als Doktor, Siegfried Breuer als ein gewisser Popescu. Bert Rebhandl skizziert, was sie in ihren Persönlichkeiten an Theater- und Filmtradition mitbringen.
Der Film ist vielfach verschachtelt, auch durch eine verwickelte Produktionsgeschichte. Graham Greene und Carol Reed stehen auf der einen Seite, und der Produzent Alexander Korda, sie haben einen finsteren Film noir im Sinn. Mit David O. Selznick, dem Starproduzenten von „Vom Winde verweht“ kam amerikanisches Geld ins Projekt, kamen die Stars Joseph Cotten und Alida Valli, und die Intention, einen internationalen, das heißt amerikanisierten Film zu schaffen. Schon der Titel war Selznick zu diffus, er hätte gern „Night in Vienna“ gehabt und für die Rolle des Harry Lime lieber Cary Grant oder Robert Mitchum. Reed und Greene aber setzten Orson Welles durch, er war der fünfte Mann im Team der Produktion. Die „Kuckucksuhren“-Passage war sein Werk.
Mit einem Blick in die Vergangenheit, die Zeit des Nationalsozialismus zumal, gibt sich der Film nicht weiter ab, Wien war damals, nach dem Krieg in vier Sektoren geteilt, aber Österreich nie in Gefahr, geteilt und zwei verschiedenen Blöcken zugeschlagen zu werden – als das erste Annexionsopfer der Nazis.
Mehr als siebzig Jahre nach der Erstaufführung im Herbst 1949, dreißig Jahre nach der Wende hat der Film erstaunliche Aktualität. Mit dem Penicillinschieber Harry Lime ist gewissermaßen der erste Oligarch der modernen Geschichte entstanden, Orson Welles hat den Typ später in seinem Film „Mr. Arkadin“ weitergestaltet. „Mit Arkadin dachte Welles all das zu Ende, was in der Figur von Harry Lime und unter den speziellen Bedingungen des besetzten Wien angelegt war: einen transnationalen Investor und Fädenzieher, dessen ursprüngliches Kapital nicht genau herleitbar ist (aber vermutlich in irgendeiner Form gestohlen war). Welles war seiner Zeit diesbezüglich auch deswegen voraus, weil er als Filmemacher immer wieder auf nomadisches Kapital angewiesen war … Man könnte sogar sagen: 1989 begann die Epoche, von der Harry Lime in ,The Third Man‘ noch nicht einmal träumen konnte.“
Am Ende des Buchs hat „Der dritte Mann“ seine Unergründlichkeit bewahrt. Und funktioniert genauso wie seine Musik, die, so schrieb es einmal die Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch, „ebenso stupid wie bösartig animiert wirkt. In ihrer ohrwurmhaften Monotonie kennt sie vor allem das An- und Abschwellen. Sie verfolgt die Handlung und deren Personal auf eigenständige und perfide Art. Im Gegensatz zu den vielen Verstellungen besitzt sie die irreale Rachsucht einer Stimme aus dem Nirgendwo, die immer schon da war. Man könnte sagen, dass diese Zither-Musik einen grotesk verdrehten Plan ausführt: Statt aus der Unterwelt orphisch zu befreien, führt sie direkt in sie hinein.“
FRITZ GÖTTLER
Für die Rolle des Harry Lime
hätte Selznick gern Cary Grant
gehabt, oder Robert Mitchum
Mehr als siebzig Jahre nach der
Erstaufführung 1949 hat
der Film erstaunliche Aktualität
Bert Rebhandl: Der dritte Mann. Die Neuentdeckung eines Filmklassikers. Czernin Verlag, Wien 2019.
128 Seiten, 20 Euro.
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