Post aus New York

Nazipizza und Popkultur

Von Ute Thon
07.03.2002. Ein neues Popmagazin namens Heeb will beweisen, dass jüdische Jugendliche kosher und cool sein können. Um den Titel gab's schon den ersten Krach.
Große Überraschungen kommen manchmal in winzigen Verpackungen. Die meistdiskutierte Neuerscheinung auf Amerikas übersaturiertem Zeitschriftenmarkt hat eine Erstauflage von 20.000 Exemplaren und bislang nicht einmal genügend Kapital, um eine zweite Ausgabe zu produzieren. Die Rede ist von Heeb, einem provokanten jüdischen Magazin für 18-35-Jährige. Schon der Titel, ein amerikanisches Schimpfwort für jüdische Einwanderer, das von "Hebrew", dem englischen Begriff für "Hebräer" abgeleitet ist, sorgte für Kontroversen. Von der New York Times bis zum Branchenblatt Variety kommentierten alle großen Zeitungen den Heeb-Launch am 5. Februar. "Es ist gut, ein Magazin zu haben, dass die Jugend anspricht", ereiferte sich Abraham Foxman, Direktor der Anti-Defamation League in New York in Newsday, "doch es ist kontraproduktiv zu versuchen, Aufmerksamkeit zu erzielen, indem man einem antisemitischem Schimpfwort Glaubwürdigkeit verleiht." Während ein Rabbi aus Delaware die Zeitschriftenmacher in einem Leserbrief ermutigte: "'Heeb' ist in Wirklichkeit ein verniedlichender Ausdruck dafür, dass wir uns am Rand befinden", schrieb Eliezer Sneiderman. "Unsere Rabbis erzählen uns doch immer, dass Jude zu sein bedeutet, dass man ein Rebell ist." Und Forward-Chefredakteur J.J. Goldberg raunte: "Das Magazin ist dreist, aber ich denke, es hat auch etwas. Wir müssen uns etwas einfallen lassen, um die nächste Generation zu erreichen." (Hier ein paar Artikel zu Heeb, die noch kostenfrei im Netz zu lesen sind: im New York Observer, in der New York Press, bei NewsTrove, bei New York Metro, bei Ironminds, dem Media Life Magazine und dem Jewish Bulletin of Northern California.

Jennifer Bleyer kommen die Schlagzeilen gerade recht. Die Chefredakteurin von Heeb will mit ihrem Magazin überkommene Tabus brechen und mit altbackenen Vorurteilen aufräumen. Zum Beispiel, dass jüdische Kids nicht wirklich cool sind. Die 26-Jährige, die als Teenager mit Punkfrisuren und Tramptouren quer durch Amerika gegen ihre traditionell jüdische Erziehung rebelliert hat, startete ihre journalistische Karriere schon mit 17, als sie ein Underground-Punkmagazin mit dem Titel Mazeltov Cocktail herausbrachte. Ein Praktikum beim Traditionsblatt Harper's verfestigte ihren Eindruck, dass es für ihre Generation junger, trendbewusster, politisch-engagierter Juden kein ansprechendes Magazin gibt. Mit 60.000 Dollar Anschubfinanzierung von "Joshua Venture for Jewish Social Entrepreneurs", einer jüdischen Stiftung mit Sitz in San Francisco, und 10.000 Dollar von Steven Spielbergs "Righteous Persons Foundation" will Bleyer diese Marktlücke nun mit einem "kosher-coolen Popmagazin" schließen.

Die Heeb-Redaktion besteht aus einer Handvoll enthusiastischer Youngsters, die in New Yorks Szenevierteln East Village und Williamsburg leben und bislang unentgeltlich für das neue Zeitschriftenprojekt arbeiten. Der Inhalt des ersten Hefts ist ebenso eklektisch wie seine Optik. Den Titel ziert ein Plattenspieler, wie er von Rap-Musikern verwendet wird. Doch statt einer Schallplatte spinnen die schwarzen, goldberingten Hände eine Scheibe koscheres Matzenbrot. Die Texte reichen vom trendigen Interview mit einer jüdischen Skateboard-Designerin und einer Hommage an Allen Ginsburg bis zur investigativen Reportage über dunkle Geschäfte bei der Privatisierung von US-Gefängnissen. Aufhänger der Geschichten ist jüdischer Aktivismus oder aber die Ironisierung jüdischer Klischees. Auffallend abwesend sind dagegen Holocaust-Stories. "Das hat mit unserer Identität als junge amerikanische Juden nur noch wenig zu tun", erklärt die Heeb-Chefredakteurin.

Heeb markiert einen radikalen Prioritätenwechsel in den jüdischen Gemeinden Amerikas. Während Erinnerungen an den Holocaust und Wachsamkeit gegenüber neuen Anzeichen von Antisemitismus für ihre Eltern noch wichtige, identitätsstiftende Faktoren waren, macht sich Bleyer mit Artikeln wie "Twisted Crust", einer Satire über den antisemitischen Gehalt einer neuen Pizza-Kreation der Fastfood-Kette Pizza Hut, über die notorische Opferhaltung dieser Generation lustig. Die Wahl des einstigen Schimpfworts als Titel ist Teil des Programms. Ähnlich wie sich junge Afro-Amerikaner das rassistische Schimpfwort "Nigger" angeeignet haben, suchte Bleyer nach einem zündendem Begriff, der die Elterngeneration auf die Palme bringt, aber bei hippen Altersgenossen ankommt.

Bisher ging die Rechnung auf. Die New York Press kürte Heeb bereits vergangenen Oktober zum "besten Magazin-Konzept des Jahres 2001". Und die ersten Reaktion von Lesern sind ermutigend. "Unter all den Menschen auf diesem Planeten konnte ich nie den Bullshit verstehen, den man gegen euch hat", schrieb ein junger irischer Katholik. "Aber wie mit allen Sachen, in denen es um Leben, Freiheit und die Suche nach Glück geht, scheiß' auf die, die keinen Spaß verstehen."

Dennoch reichte das Startkapital gerade mal für die Produktion der ersten Ausgabe. Und noch liefert die Chefredakteurin die frisch gedruckten Exemplare persönlich in den Alternativ-Buchläden im East Village ab. Doch Jennifer Bleyer hofft, dass sie in den nächsten Monaten genug finanzkräftige Investoren findet, um Heeb in eine heißbegehrte Vierteljahreszeitschrift zu verwandeln. Ein entscheidender Schritt auf dem Weg zum Erfolg ist bereits getan. Ein einflussreicher Sponsor spendierte Heeb die Dienste von Susan Blond, einer Edel-PR-Firma mit Vertretungen in New York und Los Angeles, die Popstars wie Michael Jackson und Lenny Kravitz vertritt.