09.04.2001. Er ist absolut durchschnittlich, ein Kommunist, pflegt sich mit Antifaltencreme, verbreitet Hyperoptimismus, liebt Krawatten mit Suppennudelmuster, ist leer. Italiens Intellektuelle untersuchen die vielen Gesichter des Silvio Berlusconi.
Silvio Berlusconi wäre gern der zukünftige Premier
aller Italiener, deswegen zeigt er sich auf seinen Wahlplakaten als Arbeiter, Bauer, Unternehmer, Handwerker - fehlt zur glaubwürdigen demographischen Repräsentation eigentlich nur noch die Hausfrau mit Kochlöffel und
Kittelschürze. Bis zu den Parlamentswahlen am 13. Mai bleibt aber noch Zeit für neue Verwandlungen: "Berlusconi,
hätte er Titten, er würde auch als Fernsehansagerin auftreten", meinte
Enzo Biagi, TV-Kolumnist der
RAI.
Passend zu den vielen Gesichtern des Cavaliere gibt es jetzt auch den "Präsidenten aus Papier", die eindimensionale
Anziehpuppe zum Ausschneiden. Dem Basis-Präsidenten in Unterwäsche lassen sich die verschiedenen Verkleidungen leicht anstecken. Besonders hübsch ist der "Presidente Chansonnier": während des Studiums verdiente sich Berlusconi sein Taschengeld als Entertainer auf
Kreuzfahrtschiffen, wo er lernen musste, einem
gelangweilten, sonnenverbrannten und vor allem durchschnittlichen Publikum
zu gefallen - durch angepasste Uniformität. So lautete die Analyse
Gabriele Romagnolis, der in seinem Artikel in der unabhängigen Wochenzeitung
diario der Frage nachgeht, warum "die
absolute Durchschnittlichkeit des Cavaliere so viele Menschen träumen lässt".
Diario widmete Berlusconi anlässlich der anstehenden Wahlen eine
Sonderausgabe mit dem Titel "Berlusconeide. Alles was ihr über Silvio wissen solltet, bevor ihr ihm eure
Hausschlüssel anvertraut". Die erste Auflage von 50.000 Exemplaren ist mittlerweile ausverkauft, die zweite soll möglichst bald am Kiosk liegen. Die mehr als zwanzig Artikel dringen hinter die Wahlkampfkulisse zu den wahren Gesichtern des Cavaliere durch: Berlusconi, Präsident eines Medienimperiums, Politiker unter Korruptionsverdacht mit Mafianahem Freundeskreis, Unternehmer mit dunklem Startkapital, Besitzer eines Fußballvereins und Glatzkopf im blauen Einheits-Look.
Umberto Eco, Großmeister der Semiotik, entdeckt in Berlusconi sogar einen
heimlichen Kommunisten. In seinem Artikel in
La Repubblica erteilt er den Lesern, bzw. Wählern eine Lehrstunde in politischer Zeichentheorie und vergleicht die Methoden des heutigen Berlusconismus mit den
überholten Strategien der Altkommunisten und der 68er. Vordergründig folge der Polo, das politische Rechts-Bündnis des Cavaliere, den
Regeln der Werbung: "das ständige Wiederholen des immer gleichen Symbols und einiger weniger, leicht erinnerbare Slogans, darüber hinaus eine kluge, sehr
einnehmende Farbauswahl, die der von
Windows entlehnt ist." Das Wesentliche eines Slogan sei es, doziert Eco, dass er nicht wahrheitsgetreu oder glaubwürdig zu sein braucht, man muss sich einfach nur gut daran
erinnern können.
Stimmt, denn Berlusconis Ausspruch: "Sono un operaio - ich bin ein Arbeiter" wird viel zitiert, besonders von Komikern und in Satire-Shows. Damit aber lässt sich, laut Eco, nicht zum Kern der Propaganda vordringen, denn Berlusconi schlägt die
Linke mit ihren eigenen Kommunikations-Mitteln, die sie jahrzehntelang für geeignete Werkzeuge im politischen Kampf hielt. Auch die kommunistische Partei unter der Führung
Togliattis in der
Nachkriegszeit, erinnert Eco, habe sich ihren Anhängern fast ausschließlich durch gut verstehbare Slogans mitgeteilt: "der
kapitalistische Imperialismus ist das Übel der Welt". Berlusconis Weltsicht geht dementsprechend in der Formel auf: "Der Kommunismus ist das Übel der Welt". Besonders aussagekräftig findet Eco den
'roten' Spruch "die Dinge müssen sich ändern" und stellt daneben Motto und Namen von Berlusconis Partei: 'Forza Italia'. Mit 'los, voran' feuerten die Fans der
Azzurri (politisch neutral) die
Fußballnationalmannschaft an, bis der Ruf als Propaganda
instrumentalisiert wurde.
Weitere Analogien sieht Eco in der Reduktion auf möglichst nur ein (mehr oder weniger)
charismatisches Gesicht. Damals waren es Lenin, Mao Tse Tung oder Che Guevara - heute grinst ein mit Antifaltencreme durchtränkter Berlusconi von den Plakaten, auf denen er keinen seiner Bündnis-Partner neben sich duldet. Wo einst rote Fahnen wehten, färbt der Cavaliere nun alles blau ein. Genau wie zu politischen Kampfzeiten der 68er riecht er überall
Komplotte und verweigert seinen Gegnern jegliche Kompromisse oder Zugeständnisse. Die Ideologie hat Berlusconi durch seinen Populismus ersetzt, den er im Massenmedienformat über seine drei
Fernsehsender ungehemmt verbreiten kann. Daran würde sich auch nichts ändern, falls Berlusconi - den neusten Gerüchten zu Folge - sein Medienpaket noch vor der Wahl verkaufen sollte. Denn den weiteren Zugriff auf die Inhalte wird sich der Cavaliere ganz gewiss sichern.
Die Verbindung von Populismus und Medien
untersucht Claudio Rinaldi, ebenfalls in
La Repubblica. Er weist Eco darauf hin, dass es einen sehr bedeutenden
Unterschied zwischen der Demagogie Berlusconis und jener der Altkommunisten gebe - schließlich habe Togliatti keine Wahlen gewonnen. Der Cavaliere agiere universalistisch, Togliatti hingegen dachte
selektiv und machte sich gar nicht erst die Mühe, den Feind, die Bourgeoisie, für sich zu gewinnen. Der "Biscione" (den Spitznamen 'Riesennatter' hat Berlusconi seiner glitschigen Wendigkeit zu verdanken) beeinflusst durch seine TV-Kanäle die
kollektiven Werte- und Wunschvorstellungen des Publikums und schafft so den idealen Nährboden und die "kollektiven psychologischen Voraussetzungen" für seinen übertriebenen
"Hyperoptimismus" ohne jegliches Fundament. Berlusconi bewegt sich in einem
populistischen Loop. Über das Fernsehen konstruiert und antizipiert er eine heile, glückliche Welt, die er als Politiker seinen Wähler verspricht. Die Politik wird zur Soap-Opera. Die Familienfotos Berlusconis in der Presse passen ausgezeichnet in dieses Konzept: der Cavaliere strahlt wie das
glückliche Oberhaupt einer erfolgreichen US-Familien-Dynastie-Serie. Rinaldi resümiert: "Für Berlusconi ist die Politik nichts anderes als die Fortführung des Fernsehens mit anderen Mitteln."
Noch vor der Politik komme für Berlusconi jedoch die Ästhetik, meint
Antonio Mancinelli im
diario und definiert Berlusconis Stil und Aussehen als
Trash. "Durch die paradoxe - aber keineswegs völlig abwegige - Umkehrung des 68er-Spruches 'Alles ist Politik' hat Berlusconi eine gefährliche Metamorphose ausgearbeitet, in der alles
Waren-Show ist, selbst die Politik." Und auch die Mode, wenn man Berlusconis "Krawatten mit
Suppennudelmuster" (wie der italienische Dandy Giovanni Nuvoletti sie beschieb) überhaupt als solche bezeichnen kann. Im
ästhetischen Code des "Silvio-Systems", in dem der Cavaliere selbst sein eigenes, wichtigstes Produkt ist, geht es nicht um Eleganz, sondern um die Abbildung eines
allgemeinen Geschmackmodells. Dieses wiederum imitiert nur, was es für echte "Klasse" und echten Chic hält, was aber für den durchschnittlichen Verbraucher unerreichbar ist. Somit tritt der trashige Berlusconi als ideale, volksnahe Projektionsfläche für die Wünsche der Konsumenten-Wähler auf, die davon träumen, so viel Geld zu haben wie er, der reichste Mann Italiens. Und wenn es Berlusconi geschafft hat, der
Self-made-man mit dem durchschnittlichen Geschmack, dann können es auch andere schaffen, oder?
"Berlusconi ist leer" sagte
Andrea Camilleri, der wohl beliebteste Autor Italiens, dem Direktor des
diario. Das einzige, was der Cavaliere könne, so Camilleri, sei
kaufen - und kaufen bedeutet
nichts. Dann ist also Berlusconi ein
referenzloses Zeichen und dürfte als solches eigentlich keine Wahlen gewinnen, es sei denn, die Mehrheit der Wähler besteht aus Käufern und Verkäufern.