Post aus der Walachei

Wieder einen Sonnabend überlebt

Von Hilke Gerdes
05.09.2005. Natürlich kann man nach Rumänien auch fliegen. Großartiger aber ist es, mit dem Auto durch die Karpaten die Donau hinunterzufahren.
Eisernes Tor

August 1968: Ausgerüstet mit einigen Kanistern Benzin und einem geliehenen Auto wollte Helmuth Lange durch das Eiserne Tor, dem kleinen Grenzposten nach Jugoslawien, aus Rumänien flüchten. Der deutsche Schauspieler war zu Dreharbeiten für einen Western in dem Land, dessen Regierungsoberhaupt den Einmarsch sowjetischer Truppen in Prag offen kritisiert hatte. Man befürchtete daraufhin das Schlimmste. Es kam zu keinem militärischen Konflikt in Rumänien, aber Ceausescu wurde für seine antisowjetische Haltung vom Westen gefeiert. Im Radiointerview schwärmt Lange von der Hilfsbereitschaft seiner rumänischen Kollegen.

August 2005: Am Eisernen Tor stauen sich die Pkw. Es sind nicht viele, doch genug für den Mann am einzigen Grenzschalter. Eine alte Frau verkauft den in der Autoschlange Wartenden Sonnenblumenkerne für umgerechnet 35 Cent die Tüte.

Früher endete hier am Durchbruch der Donau durch die Karpaten die Fahrt für die Schiffe. Ein Felsriff im Wasser war bei Niedrigwasser unüberwindbar. Durch Sprengungen im 19. Jahrhundert machte man das Donautal ganzjährig befahrbar. Gefährlich blieb es trotzdem, bis vor dreißig Jahren ein Kraftwerk mit Staudamm entstand. Dörfer verschwanden im aufgestauten Wasser, das nun auch von größeren Schiffen befahren werden konnte.

Ein Grenzposten macht der ausländischen Familie ein Zeichen umzudrehen und einen anderen Weg zu fahren. Sie gehorcht und steht plötzlich vor allen anderen in der Schlange. Womit sie diese Freundlichkeit verdient hat, bleibt ihr ein Rätsel.

Die Sonnenblumenkerne begleiten die Fahrt donauaufwärts. Auf der gegenüberliegenden rumänischen Seite ist kein einziges Haus mehr zu sehen. Die Landschaft ist spektakulär, hohe Felsen mit steil zum Wasser abfallenden Hängen, dichte Wälder, dramatisch enge Flussstellen öffnen sich unvermittelt zu einem breit ausgedehnten Flusslauf. Touristisch ist diese wunderschöne Region vollkommen unerschlossen. Einige wenige Lieferwagen und Autos ziehen selbstbewusst ortskundig auf der den Donauwindungen folgenden Landstraße vorüber. Nur vereinzelt tuckern Schiffe vorbei.


Das unbekannte Gesicht


Wie aus dem Nichts taucht am rumänischen Donauufer ein riesiges in Fels gehauenes Gesicht auf. In den USA sind amerikanische Präsidenten in Stein verewigt, in Afghanistan Buddha und in Rumänien? Keiner weiß es genau; außer den Einheimischen kennt kaum einer dieses Gesicht, denn wer fährt schon auf der einsamen serbischen Landstraße entlang, wenn es schnellere Wege nach Belgrad gibt? Nirgendwo ist davon zu lesen. Vielleicht stellt das steinerne Gesicht den römischen Kaiser Traian, der um 100 nach Christus Straße und Brücke bauen ließ, um von hier nach Dakien einzufallen. Sehr römisch wirkt das Gesicht allerdings nicht. Gemutmaßt wird auch, dass es der Daker-König Decebal sein könnte.


Donau, Duna, Dunaj, Dunav, Dunarea


Vor einiger Zeit war das steinerne Gesicht im Kino zu sehen. In einem Film von Goran Rebic, der von der letzten Reise eines Donauschiffes handelt, mit Otto Sander als Kapitän und Robert Stadtlober als plötzlich auftauchenden Jungen, der die Leiche seiner Mutter mit an Bord bringt. Sie war vor Jahren die Frau des Kapitäns und der Junge ist vielleicht sein Sohn. Sie soll vom Kapitän ihren letzten Willen erfüllt bekommen; dort ihre Ruhestätte zu finden, wo der erste gemeinsame Sohn auf der Flucht aus Rumänien den Tod fand: am Eisernen Tor. "Donau, Duna, Dunaj, Dunav, Dunarea", so der Filmtitel, führt den Zuschauer knapp 2000 Kilometer von Österreich über die Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Bulgarien und Rumänien zum Donaudelta, wo die verwickelte Beziehungsgeschichte ihr tragisches Ende findet. Das Beste am Film sind die wechselnden Landschaften.


Hinunter und hinauf

Die fast 2900 Kilometer lange Donau führt durch die Hälfte des europäischen Kontinents vom Schwarzwald bis zum Schwarzen Meer. Durch den Eisernen Vorhang verlor die Donauschifffahrt an Bedeutung, aus der Nähe wurde Ferne. Junge Kunststudenten der Universität Linz fahren die Donau hinunter und versuchen ins Gespräch zu kommen mit den Studenten außerhalb des westlichen Horizonts, die von einer solchen Reise nur träumen können. Sponsoren für eine Reise die Donau hinauf finden sich nicht so leicht.

Relationen

Seit der Grenzöffnung kann der Reisende die gefühlte Distanz an den realen Kilometerlängen überprüfen. Budapest liegt näher an Wien als Innsbruck, Prag näher an Berlin als Köln. Bis Budapest kommt man von Deutschland aus schnell; dank der Autobahnen beziehungsweise ausgebauten Schnellstraßen. Auch die Billigfluganbieter haben Budapest als Ziel entdeckt. Budapest ist im Westen angekommen. Das große Haus der rumänisch-ungarischen Freundschaftsgesellschaft ist eine Ruine, die auf ihre Sanierung wartet.

Wer weiter will als Budapest, braucht Zeit für die Autofahrt oder Geld fürs Fliegen. Für 19,90 Euro von Berlin nach Budapest, für mindestens 350,- Euro von Berlin nach Bukarest. Budapest liegt auf der Mitte der Strecke zwischen Berlin und Bukarest. Die zweite Weghälfte ist mühsamer. Selbst der hartnäckigste Kritiker des Straßenausbaus wird hier weichgeklopft und wünscht sich nach stundenlanger Fahrt auf enger Landstraße, die er sich mit schwerfälligen 18-Tonnern, schleichenden Alt-Dacias, waghalsig überholenden Audis und den obligatorischen Pferdefuhrwerken teilen muss, den baldigen Autobahnbau herbei. Eine Autobahngebühr schreckt niemanden. Schon jetzt braucht man eine Vignette für die rumänischen Nationalstraßen.


Gerangel

Eigentlich sollte es mit dem Ausbau des Verkehrsnetzes in Rumänien schnell vorangehen. Die alte PSD-Regierung hatte mit dem amerikanischen Konzern Bechtel, der u.a. mit großen Wiederaufbauprojekten im Irak betraut ist, einen 2,5 Milliarden Euro schweren Vertrag über den Bau einer 415 Kilometer langen Autobahn zwischen Brasov und Oradea an der ungarischen Grenze abgeschlossen. Das hat der EU nicht gefallen. Denn sie plant einen anderen Streckenverlauf in Anbindung an die geplante Autobahn zwischen Budapest und der Grenze. Die rumänische Regierung hat eingelenkt und ihre Zahlungen an Bechtel ersteinmal zurückgestellt. Das EU-Projekt hat nun höhere Priorität. 630 der 685 von Bechtel engagierten Arbeiter durften in Zwangsurlaub gehen, mit 75 Prozent ihres Gehalts.


Gegenrichtung

Wer gegen Ende August gen Bukarest fährt, bewegt sich gegen den Strom. Die letzten italienischen Wohnwagen sind in Ungarn zurückgeblieben. Danach kommen einem ausländische Pkw in größerer Anzahl nur noch entgegen. Aus Italien, Österreich, Deutschland, einige aus den Niederlanden und sogar aus Irland. Daraus abzuleiten, dass der Tourismus doch boomt in Rumänien, ist ein Trugschluss. Ein Blick auf die Insassen genügt: Es sind die im Ausland arbeitenden Rumänen, die auf Heimaturlaub waren und nun auf der Rückfahrt sind. An der Grenze hat man Zeit, die Gesichter zu studieren. Die wenig erfreuliche Aussicht auf weiteres stundenlanges Autofahren ist allen abzulesen.
Beim Anblick der ersten alten Frau, die ihre Kuh zum Grasen am Tau ausführt, der Leute, die auf kleinen Bänken vor ihren Gartenzäunen an der Straße sitzen, und der ersten Gänsegruppe, die am Straßenrand herumwatschelt, spürt man wiederangekommen zu sein in Rumänien.


Samstag in Rumänien


Empfehlenswert ist die Einfahrt nach Rumänien an einem Samstagabend. Denn dann ist das Land eine einzige im Kreis wippende und kleinschrittig hüpfende Gesellschaft: Es wird Hochzeit gefeiert, und zwar überall! Von der Straße aus sieht man den traditionellen Kreistanz vor und in dem kleinen Dorflokal wie dem großen Hotel. Auf eine ruhige Unterkunft wird man an einem Sonnabend allerdings verzichten müssen. Der Reisende kann froh sein, überhaupt eine Herberge zu finden, deren Zimmer nicht restlos von der verzweigten Verwandtschaft des Brautpaars in Beschlag genommen wurden.
Die rumänische Hochzeitsfeier unterscheidet sich in einem Punkt wesentlich von der deutschen: Während auf Letzterer der Ablauf des Festessen dem Schweinefütter-Prozess im norddeutschen Mastbetrieb entspricht - die Nahrungsaufnahme erfolgt in einem Zuge -, wird bei Ersterer spät begonnen, sodass dem Neuling der Magen schon bis zu den Schuhsohlen durchhängt, bevor die erste Vorspeise drei Stunden nach Beginn der Veranstaltung auf den Tischen steht. Zu glauben, dass es nun zügig vorangehe, ist ein Irrtum. Zwischen jedem Menüteil vergehen mindestens zwei Stunden, weshalb es völlig normal ist, morgens um vier den deftigen Hauptgang mit allerlei Fleischsorten zu servieren. Zwischendurch wird getanzt, paarweise oder im Kreis. Die etwas später folgende Hochzeitstorte leitet das Finale ein. Erleichterung macht sich auf den Gesichtern breit. Wieder einen Sonnabend überlebt.