Post aus der Walachei

Sollen sie doch in den Kongo gehen!

Homosexualität in Rumänien. Von Hilke Gerdes
07.06.2006. Homosexualität ist eine Todsünde. Rumänien hat seine zweite Gay Parade hinter sich, akzeptiert sind die Teilnehmer aber noch lange nicht.

Überraschung

Eine Frau steht an der Straßenecke und hält ein kleines Pappschild mit einem Marienbildnis und der Aufschrift "Homosexualität ist eine Sünde Gottes" in der Hand. Ein Zwanzigjähriger mit blond gefärbten Haaren und einem Kettchen mit Kreuzanhänger liefert sich mit ihr ein heftiges Rededuell. Aus der kleinen Menschenmenge, die um die beiden herum steht, wird ab und zu ein Satz eingeworfen. Ein älterer Mann mit Ehefrau an der Hand, Typus durchschnittlicher Bürger, sagt ganz ruhig, dass jeder doch so könne, wie er wolle. Ein vorbeikommender Passant ruft zur Frau hinüber, dass es jetzt endlich wohl doch genug sei mit den Verboten, Ceausescu sei tot. Keiner spricht für die Frau. Eher amüsiert man sich über ihren missionarischen Eifer.

Diese kleine Spontan-Diskussion am Rande der ersten Gay Parade in der Geschichte des Landes, die 2005 stattfand, erstaunt die ausländische Beobachterin. Sie hätte mehr Unterstützung für die homophobe Meinung erwartet, denn a) ist eine konservative Auslegung des christlichen Glaubens hier sehr tief im Denken vieler verankert und b) ist erst seit etwas mehr als vier Jahren Homosexualität legal. Sind die Rumänen doch toleranter gegenüber Homosexuellen als angenommen?

Diese Frage beantwortet Florin Buhuceanu, der Leiter von accept, mit einem klaren Nein. accept, eine seit 1996 eingetragene NGO in Rumänien, macht sich für die Rechte von LGBT (Lesben, Gay, Bi- und Transsexuellen) stark. Auf ihrer Website sind typische Fälle von Diskriminierung in den Jahren um 2000 dokumentiert. Aber auch heute, gut vier Jahre nach Aufhebung des Verbots von Homosexualität, würden Übergriffe geschehen oder manche LGBT wie Kriminelle behandelt. Nach wie vor haben LGBT mit Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, in der Familie zu rechnen, wenn sie das Versteckspiel um ihre eigene Identität nicht mitmachen würden.

Zwar gehe es in Bukarest liberaler zu als an vielen anderen Orten, doch es sei äußerst schwer gewesen, die erste Gay Parade durchzusetzen. Erst nachdem Tausende von Protestschreiben und -anrufen aus dem In- und vor allem Ausland das Büro des Bürgermeisters lahmlegten, die Justizministerin Monica Macovei und schließlich auch der Staatspräsident, Traian Basescu, sich für die Parade aussprachen, gab der Bürgermeister dem Druck nach und revidierte das anfängliche Verbot. Dass schnell international reagiert wurde, ist zu einem Großteil Diane Fisher zu verdanken. Sie ist Mitglied der Metropolitan Community Churches. Diese 1968 in Kalifornien entstandene Freikirche, die heute knapp fünfundvierzigtausend Mitglieder in zweiundzwanzig Ländern hat, setzt sich international für die Rechte von LGBT ein. Fisher gehört zum Ältestenrat und ist unter anderem für Osteuropa zuständig. 2005 und 2006 ist sie in Bukarest, um accept bei der Durchsetzung der ersten Gay Pride Parade im Land zu unterstützen.


Gegner

Es kamen wesentlich mehr Menschen zur ersten Parade als vom Veranstalter erwartet, von 350 bis 500 ist die Rede, darunter auch nicht wenige sich solidarisierende Heteros. So wie die Stadt waren sich auch die Veranstalter nicht sicher, ob alles friedlich ablaufen würde. Die Noua Dreapta (Neue Rechte), eine faschistische Organisation mit Verbindungen nach Deutschland, die ebenso gerne gegen Juden, Ungarn und Abtreibungsbefürworter hetzt, hatte Proteste angekündigt.

Doch es gab keine größeren Zusammenstöße. Verbalattacken seitens aufgebrachter Kirchenanhänger - ein Bukarester Priester hatte tausend Stimmen gegen den Marsch gesammelt - blieben unbeantwortet. Die offensichtlich nervösen Polizisten unterbanden Angriffsversuche von Mitgliedern der Noua Dreapta rigoros. Zu aggressiv, meint Buhuceanu, der dafür auch eine Hypothese hat: "Die Polizisten kehrten ihren Widerwillen gegen uns, den sie nicht ausleben durften, gegen die Rechten. Aber am liebsten hätten sie auf uns eingeschlagen". Der Anführer der "Noua Dreapta" wurde später wegen Anstiftung zu einer unangemeldeten Demonstration zu einer relativ hohen Geldstrafe verurteilt.


Inkognito oder freizügig

Viele der Teilnehmer an der Parade trugen eine Karnevalsmaske. Nur die wenigsten ließen sich ohne Maske bereitwillig fotografieren. Auch das seit vielen Jahren liierte Paar, das freimütig Auskunft gab, nicht. Wenn ihr Arbeitgeber herausfinden würde, dass sie schwul seien, wäre das eine Katastrophe. Auch mit den Kollegen wäre es dann schwierig, nein, noch sei man in Rumänien weit entfernt davon, Homosexualität zu akzeptieren.

Einige Roma-Transvestiten posierten abends auf dem Fest lachend vor der Kamera, ganz nach dem Motto: "Wir haben sowieso nichts mehr zu verlieren". Wer Roma und lesbisch, schwul, bi- oder transsexuell ist, findet nirgendwo Akzeptanz. Auch bei der LGBT-Community nicht, räumt Buhuceanu ein. Wer selbst einer diskriminierten Minderheit angehört, solidarisiert sich nicht automatisch mit einer anderen. Zu tief sind die Vorbehalte gegen Roma in der gesamten Gesellschaft verankert.


accept

Nicht nur dass Rumänien im letzten Jahr seine erste Gayparade erleben durfte, ist das Verdienst von accept. Die NGO, die dieses Jahr ihr zehnjähriges Bestehen feiert, hat sich insbesondere für die Abschaffung des Homosexualität inkriminierenden Paragraphen 200 eingesetzt. Nach jahrelangen Debatten und Protesten war es Ende 2001 soweit. Doch Florin Buhuceanu macht sich keine Illusionen: Ohne den Druck der EU wäre die Sache anders verlaufen.

Ein wichtiger Handlungsbereich von accept ist neben der juristischen und psychologischen Beratung die Aufklärungsarbeit. Bis heute ist in den meisten Schulen Homosexualität tabu. Und bringen in einem Theaterprojekt die Schüler selbst dieses Thema auf die Bühne, wird dem Lehrer hinterher von der rumänischen Direktorin mitgeteilt, dass "so etwas" an der Schule, in diesem Falle die so genannte Deutsche Schule Bukarest, nicht erwünscht sei.

Accept hat sein Mitspracherecht beim Erziehungsministerium eingeklagt, als es darum ging, Unterrichtsmaterialien über Sexualität zu erstellen. Inzwischen gibt es sachliche Informationen, nur ein Problem bleibt bestehen. Nicht alles, was vom Ministerium herausgegeben wird, gelangt in die Klassen. Dazu bedarf es der Kooperationsbereitschaft der Schulinspektoren, der Schulleitungen und der Lehrer. Und Letztere führen gern die Eltern an, die "so etwas" auch nicht gerne sehen.

Innerhalb der homosexuellen Szene spielt das Internet eine wichtige Rolle. Auf den einschlägigen Seiten wird informiert, diskutiert und kontaktiert. Inzwischen traut sich so mancher auch sein Foto zu posten. Das war vor gut einem Jahr noch anders. Frauen treten allerdings auch heute kaum in Erscheinung.

Eine häufig zu hörende Meinung ist, dass man seine sexuelle Präferenz nicht öffentlich machen sollte. Auch manche Homosexuelle äußern sich so. Jeder könne im Privaten ja tun und lassen, was er wolle, aber nicht auf der Straße. Prinzipiell ist dagegen nichts zu sagen. Aber dass der öffentliche Raum und die Medien komplett durchsexualisiert sind, und zwar heterosexuell, wird dabei gerne übersehen. Ebenso wie die rechtliche Benachteiligung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft gegenüber der heterosexuellen Ehegemeinschaft.


"Rusine"

Anlässlich von Gay Pride 2006 hat accept das Thema der Homo-Ehe in die Medien gebracht und sofort einen Sturm der Entrüstung geerntet.

"Sollen sie doch in den Kongo gehen!", zitiert eine Boulevardzeitung den Bürgermeister des Bukarester Sektors 5 und der Regierende Bürgermeister vom Sector 6, der sich in seiner eigenen Rolle als Mann angegriffen zu fühlen scheint, lässt verlautbaren: "Ich mag nur Frauen." Nicht alle der sechs Befragten äußern sich auf einem derartigen Niveau; nur werden sachlichere Ausdrucksweisen nicht zur Hauptschlagzeile gemacht. Keiner ist allerdings für die gleichgeschlechtliche Ehe.

Gigi Becali, einer der reichsten Männer und einziger Maybach-Besitzer hier im Land, der sich medienmäßig zuletzt als großer Helfer der Donauflutopfer feiern ließ, weil er den Bau einiger Häuser finanziert hat, läßt auch diesmal die Gelegenheit nicht aus, sich volksnah zu geben. 2 bis 3 Millionen Euro wolle er für ein Volksentscheidung über diese Frage spendieren; dessen Ergebnis werde zeigen, dass Homosexuelle in Rumänien nichts zu melden haben.

Die orthodoxe Kirche lässt öffentlich erklären, dass die Forderung von accept ein Angriff auf die "Moral und Familie" sei. Wesentlich mehr Kirchenanhänger als 2005 kommen am Tag der diesjährigen Parade (3. Juni), um von den Straßenrändern aus "rusine" (Schande) zu den Teilnehmern herüberzurufen. Ein Priester reckt beschwörend das Kreuz gegen die "Verdammten".

Von irgendwoher fliegen Eier und Plastikflaschen. Ein Mann um die siebzig ruft durch ein Megaphon, dass Antonescu (faschistischer Führer Rumäniens Anfang der vierziger Jahre) sie alle hätte umbringen lassen. Und immer wieder "rusine".

Hatte anfänglich so mancher Paradenteilnehmer das massive Aufgebot an Polizisten, Wasserwerfern und weiträumigen Absperrungen kritisch beäugt und die Einlasskontrolle am Treffpunkt schon als Schikane bewertet, wird ihnen beim Anblick der Gegendemonstranten kurze Zeit später klar, dass es um seinen Schutz geht. Die anfänglich ausgelassene Stimmung, für die insbesondere die Transvestiten sorgen - zur Freude der zahlreichen Pressefotografen, die sich förmlich auf sie stürzen -, kippt an der zentralen Piata Unirii, wo die Gegendemonstranten zu Hunderten stehen. Eine solche Menge hat keiner erwartet.

Die Polizisten sind zunehmend nervös, vor den Absperrungen kommt es zu Schlägereien und Verhaftungen. Kaum ist das Routenende erreicht, wird zum sofortigen Verlassen des Ortes aufgerufen. Polizisten kontrollieren die nahen Metrostationen und umgebenden Straßen. Eine Gruppe von Paradeteilnehmern wird in der U-Bahn von einigen jungen Männern angegriffen und verletzt. Die Noua Dreapta lässt verlautbaren, dass sie mit den Gewaltäußerungen nichts zu tun habe. So müssen die Männer, die durch die Absperrungen wollten und Hakenkreuze oder T-Shirts mit der deutschsprachigen Aufschrift "Hitlerjugend? trugen, wohl anderer Gesinnung sein ?

Die faschistische Organisation hatte einige Stunden vor der Parade gegen die Homosexuellen demonstriert, die eine "Beleidigung des christlich-orthodoxen Volkes" seien, wie ihr Leiter Tudor Ionescu erklärte. Eine unselige Allianz zwischen Glaube und politischem Extremismus.


Fazit

Die Medien berichten von 500 bis 1000 Paradeteilnehmern und einem vielleicht übertriebenen Zehnfachen an Gegendemonstranten.

Hat sich accept mit seiner Forderung der gleichgeschlechtlichen Ehe zu weit vorgewagt? Buhuceanu rechtfertigt den jetzigen Zeitpunkt damit, dass nach dem EU-Beitritt diese Forderung erst recht kein Gehör finden würde, weil dann der Druck von außen so gut wie egal sei. Ob die Rechnung aufgeht, bleibt fraglich. Der homophobe Protest am 3. Juni mag Ausdruck einer radikalen Minderheit sein, denn die "normalen Menschen", Kategorie Nachbarin und Zeitungsverkäufer, äußern sich wesentlich gelassener. Doch auch sie halten die gleichgeschlechtliche Ehe für zuviel des Guten. Auch wenn Elton John das Recht dazu hat. Für viele steht Rumänien seit 1990 Kopf; keine Werte mehr, nur Geldverdienen, drohende Verarmung, Stress und Zügellosigkeit. Und jetzt auch noch das. Dabei ist aus den Köpfen noch nicht einmal heraus, dass Homosexualität eine Krankheit ist und Homosexuelle bis vor nicht langer Zeit nach offizieller Lesart als potenzielle Kinderschänder galten. Sachliche Informationen suchte man in den meisten Medien vergeblich und ist auch heute nicht selbstverständlich.

Es ist schwer vorstellbar, in wenigen Jahren einen Bewusstseinswandel zu erreichen, der in westlichen Ländern Jahrzehnte gebraucht hat, auch wenn, wie Tilman Krause in der Welt meint, das wilhelminische Deutschland gar nicht so homophob war. Themen wie Heirat und Kinder in gleichgeschlechtlichen Beziehungen sind auch dort heute keineswegs erledigt. Sollte es in Rumänien schneller gehen, um so besser. Kann man den Brief des Präsidenten der rumänischen Abgeordnetenkammer, Bogdan Olteanu, an accept als einen Schritt in diese Richtung interpretieren oder nur als Show für die EU? Er gratuliert der Organisation zu ihrem zehnjährigen Bestehen und bestätigt ihre wichtige und von der Regierung respektierte Rolle im Kampf um gleiche Rechte für alle.