Post aus der Walachei

Ovid verbrachte hier seine letzten Lebensjahre

Von Hilke Gerdes
10.02.2005. Die meisten Tataren Rumäniens stammen von der Krim. Und die meisten von ihnen sind hierher gezogen, als die Krim unter russische Herrschaft kam. Ein Besuch bei der Minderheit und in Constanta.
Es ist der 20. Januar 2005, Höhepunkt des muslimischen Opferfestes Kurban Bairam. In einem kleinen Dorf nahe des Schwarzen Meeres: Hier leben etwa 500 der 25.000 Tataren Rumäniens. Wie die ähnlich kleine türkische Minderheit sind sie muslimischen Glaubens.

Am Tag zuvor hat, wer es sich leisten konnte, einen Hammel für die Toten geopfert. Heute geht es um die Lebenden. Frühmorgens treffen sich die Männer zum Gebet in der kleinen Moschee. Die Kinder kommen etwas später zusammen, um - ähnlich wie die Sternensänger im christlichen Brauch - gemeinsam von Haus zu Haus zu ziehen und Süßigkeiten zu sammeln. Die Kinder wünschen "Bairam Koiyrli Bolsin", was soviel wie "gesundes, frohes Bairam" bedeutet. Auf Tatarisch, denn hier spricht man tatarisch. Noch, denn diese Sprache wird nicht in der Schule unterrichtet. Und es gibt immer mehr Mischehen, in denen nur noch rumänisch gesprochen wird. Die Älteren sehen dies mit Sorge. Wer Glück hat, findet einen tatarischen Partner auf dem Ball, der jedes Jahr zum Kurban Bairam veranstaltet wird.

Bei den Kindern ist die Herkunft egal. Auch die RumänInnen und der kleine Deutsche bekommen Kekse, Schokolade und Chipstüten, nachdem sie deutlich "Bairam" und mühsam "Koiyrli Bolsin" herausgebracht haben. Die Verwandten des kleinen Tataren, mit dem der Deutsche befreundet ist, stecken auch dem Nichtmuslimen später großzügig Geldscheine zu.

Während die Kinder unterwegs sind, machen sich die Erwachsenen auf zum Friedhof, um gemeinsam für ihre Toten zu beten. Dann gibt es die erste und wichtigste Mahlzeit des Tages: das Frühstück, das so üppig ist wie ein Mittagsmahl. Mit Suppe, Rindfleisch-Sarmale, Reis, Huhn, eingelegtem Gemüse und Baklaval, süßen Blätterteigteilchen.


Hammel im Geländewagen
Die Tradition des Kurban Bairam geht auf das alttestamentliche Opfer Abrahams zurück. Und wie im jüdischen Glauben werden die Tiere nach strengen Regeln geschächtet.

Unsere Gastgeber opfern dieses Jahr drei Hammel. Jedes der Tiere ist einem der Familienmitglieder gewidmet und soll ihm später auf dem schwierigen Weg zum himmlischen Reich beistehen, wie die Großmutter erklärt. Und hinzufügt: Es gäbe dort eine Brücke, die sei so schmal wie ein Haar. Nur wer Gutes tue, könne sie überwinden. Weshalb es das Wichtigste am Opferfest sei, mindestens ein Drittel des Hammels Bedürftigen zu schenken.

Der Hodscha kommt, um die Tiere zu segnen. Es ist ein junger Mann, der noch nicht lange in der Gemeinde ist. Er müsse noch viel lernen, sagen die Alten.
Nun kann es zum Schlachter gehen. Drei ausgewachsene Schafe sind zu transportieren. Es gibt im Haus keine Art Viehwagen, auch kein Pferdefuhrwerk. Was in Deutschland auf größere Organisationsprobleme stieße, erledigt man hier im Handumdrehen. Wozu ist der große Geländewagen des Sohnes aus Bukarest da? Sitzbänke werden umgeklappt und Lederpolster mit Plastikplane abgedeckt - fertig ist der Transporter. Der größte Hammel läßt sich leicht an seinen schön geschwungenen Hörnern aus dem Stall ziehen. Nur seine hundert Kilo machen es schwer, ihn in den Wagen zu hieven. Doch mit Hilfe des Nachbarns geht auch das. Für die weniger "griffigen? Tiere ist die Schubkarre da, sie bis vors Auto zu bringen. Es gibt für alles eine Lösung.


EU-Normen
Der Schächter hat heute viel zu tun. Es hängen bereits vier Schafffelle über dem Zaun, als wir den Hof hinter einem kleinen Privathaus betreten. Die erhält der Hodscha als Lohn für das Segnen der Tiere. Gedärm dampft in einer Schubkarre. Blutlachen rinnen langsam zu einem Abfluss. Mehrere Hammelhoden liegen auf der Fensterbank. Eine Delikatesse, wie mir der Schächter versichert. Gekocht und mit Zitrone würden sie wie Fisch schmecken. Er gibt mir auf all meine Fragen bereitwillig Auskunft. Auch wenn er Angst zu haben scheint, dass ich kontrollieren will. Wiederholt versichert er mir, dass die Tiere gesund seien und alles den Vorschriften entspreche. Das magische Stichwort EU fällt. Die Sorge vor deren Normen steht ihm im Gesicht geschrieben.

Mich erschrecken die einfachen Schlachtbedingungen nicht. Wie vieles im ländlichen Rumänien erinnert es mich an frühere Zeiten im ländlichen Deutschland. Als es dort noch Hausschlachtungen und weniger strenge Vorschriften gab.

Die Tiere weisen gen Mekka, wenn ihr Körper ausblutet. Im norddeutschen Schlachthof, der Rindfleisch in den Iran exportierte, bot ein kleines schwarzes X an der weißen Fliesenwand dem extra angereisten Schächter Orientierung. Hier kennt man die Richtung natürlich so.

Alles von den Tieren wird verwertet. Ein anwesender Herr in Anzug und Krawatte will mich von der Schmackhaftigkeit der Augen überzeugen. Ich möchte es nicht bestreiten, aber auch nicht selbst überprüfen. Das Gedärm wird vergraben, es den Hunden vorzuwerfen, käme der Blasphemie gleich.


Respekt vor dem Alter

Während die Männer sich um die Verteilung des Fleisches kümmern, beginnt zu Hause der Besuchsreigen. Es ist ein wichtiges Gebot, möglichst noch am selben Tag den älteren Mitgliedern der Familie seinen Respekt zu erweisen. Ihnen die Hand zu küssen und sie an die Stirn zu führen. Da die Familien häufig groß sind und es dementsprechend viele Ältere gibt, hat man eine Menge zu tun. Das heißt: Kein stundenlanges Herumsitzen, sondern Kommen, Safttrinken, süße Teilchen Essen, Gehen. Manche absolvieren bis zu zehn Besuche am Tag.
Gäste aus der Türkei sind gekommen. Da die Tataren ein Turkvolk und das Tatarische dem Türkisch ähnlich ist, gibt es enge Kontakte dorthin. Es ist weniger schlimm einen Türken zu heiraten als einen Rumänen, denn somit bleibt es bei derselben Religion. Viele Tataren sprechen Türkisch und Türkisch-Kurse gibt es auch an den Schulen.

Die meisten Tataren Rumäniens stammen von der Krim. Und die meisten von ihnen sind hierher gezogen, als die Krim unter russische Herrschaft kam. Die traditonellen Pferdezüchter wurden Schafzüchter und arbeiteten in der Landwirtschaft.
Den Tataren, denen wir begegnen, sind Kleinunternehmer, Hühnerfarmbesitzer und Handwerker. Der ehemalige Präsident des Tatarenverbandes in Rumänien war Hochschullehrer und begrüßt mit Handkuss. Nein, viele Aktivitäten gebe es nicht, antwortet er lächelnd auf meine Frage, was der Verband denn so mache. Das Geld, das man als Minderheit vom rumänischen Staat bekomme (vor zwei Jahren seien es eine Viertelmillion Euro gewesen), gebe man für Feste aus - und wieder lächelt er.


Constanta

Verabredet sind wir mit ihm auf dem Bairam-Empfang des Türkischen Konsulats in Constanta, der von den Griechen gegründeten Hafenstadt am Schwarzen Meer. Ovid verbrachte hier seine letzten Lebensjahre in der Verbannung. Schien ihm die Gegend mit ihrem kontinentalen Klima auch "nahe des eisigen Pols?, so lobte er doch die Freundlichkeit ihrer Bewohner.

Wir fahren vorbei an orthodoxer und römisch-katholischer Kirche, an Synagoge und Moschee. Vor Deportation, Krieg und sozialistischer Planwirtschaft, als jüdische, türkische, rumänische und griechische Kaufmänner noch ihren Handel hier trieben, muss es lebendig zugegangen sein. Heute zerfallen die alten Häuser. Heute ist Constanta berühmt (oder besser: berüchtigt) für seinen Bürgermeister. Er besitzt einen lokalen Fernsehsender, eine lokale Zeitung und vieles andere in der Stadt (und an der Küste). Basescu hat sich geweigert, ihn zu empfangen. Er sei einzig und allein ein Fall für die Antikorruptionsbehörde, soll der neue Präsident sinngemäß gesagt haben.


Aufräumen und Stühlerücken

Während die PSD seit der Wahlschlappe über eine Initiative zur Modernisierung nachdenkt, verkündet die neue Mitte-Rechts-Regierung, jetzt endlich aufräumen zu wollen mit Korruption und Steuerhinterziehung.
Schon bald darauf ist die Erdölraffinerie RAFO Onesti in den Schlagzeilen. Und die mit ihm verbundenen Absatz- und Zuliefererfirmen. Insgesamt 500 Millionen Dollar soll der volkswirtschftliche Schaden durch Steuerhinterziehung und Veruntreuung von öffentlichen Geldern betragen.

Verträge, die die alte Regierung ohne Ausschreibung mit ausländischen Firmen abgeschlossen hatte, will man überprüfen. Wie der mit dem Europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern EADS (European Aeronautic Defence and Space Company), der im Beisein von Gerhard Schröder im August unterzeichnet worden war und bei dem es um 650 Millionen Euro für die Infrastruktur zur Überwachung der rumänischen Außengrenze geht.

Richard Wagners Skepsis, mit Regierungsantritt der Opposition verlagere sich nur die Macht auf andere Interessengruppen, teilen hier viele nicht. Er herrscht (noch) das Prinzip Hoffnung.

Viele wagen sich jetzt an die Öffentlichkeit. Wie Journalisten der Staatlichen Rundfunksender, die ihrem Direktor Parteinahme und Manipulation von Informationen vorwerfen. Und in einem offenen Brief an die neue Kulturministerin, Mona Musca, fordern unabhängige Kulturinstitutionen, Theaterdirektoren, Künstler, und Kritiker endlich demokratische Strukturen zu etablieren und diejenigen am offiziellen Kunstgeschehen zu beteiligen, die wirklich etwas von künstlerischen Dingen verstehen.


Gleiche Steuern für alle

Ein Wahlversprechen der Opposition wurde rasant eingelöst: Seit dem 1. Januar zahlt jeder Verdienende 16 Prozent Steuern, unabhängig davon, wie hoch sein Einkommen ist. Zusammen mit schärferen Kontrollen und höherer Bestrafung von Steuerhinterziehung soll der Einheitssteuersatz der Schattenwirtschaft ein Ende machen. Weniger Geld im Staatshaushalt, mehr in privater Hand. Geld für Investionen und Konsum. Mittelfristig wird sich zeigen, ob die Rechnung aufgeht.
Aus der Perspektive des Sozialstaats sieht ein einheitlicher Steuersatz ungerecht aus. Doch hier hat man solche Bedenken nicht. So wie der Chefredakteur der Allgemeinen Deutschen Zeitung, Emmerich Reichrath, denken viele: "Die Steuerreform zielt auf die Förderung jener ab, die mehr und effizienter arbeiten und denen nicht mehr ein höherer Prozentsatz ihres Einkommens vom Staat abgeknöpft wird als jenen, die es vorziehen, sich mit einem schlecht bezahlten Job ?an einem warmen Plätzchen? duchzuwursteln?. (ADZ, 31,12.2004)

Für viele ist der schlecht bezahlte Job keine Frage des "Vorziehens?, sondern der Notwendigkeit. Ausbildung oder Alter machen anderes nicht möglich. Und nicht immer ist es warm ?