Post aus den USA

How' are y'all doing

Von Ekkehard Knörer
31.03.2004. Die texanische Hauptstadt Austin ist im März Livemusik-Hauptstadt der Welt. Tausend Bands treten beim Festival SXSW auf. Dazu kommt ein Filmfestival und eine Internet-Konferenz. Auch Julie Delpy hatte einen Auftritt - als Sängerin.
Mitte März ist in Austin, Texas, der schönste Frühling. Alles blüht, die Temperaturen wagen sich weit in die Zwanziger vor, die rabenartigen Vögel, die allgegenwärtig sind, krächzen ohne Ende und gehen in eindeutiger Absicht aufeinander los. Der Frühling ist in Texas die schönste Jahreszeit, denn im Sommer steigen die Temperaturen auf über 40 Grad, nicht selten bei 100 Prozent Luftfeuchtigkeit, und dem Menschen bleibt nichts anderes übrig, als sich von einem voll klimatisierten Raum in den nächsten zu flüchten. Räume, die nicht klimatisiert sind, gibt es kaum, auch nicht im März. Schon gar nicht die Shopping Malls, die, ohne System über die Stadt verteilt, das sind, was bei uns die Fußgängerzone ist, ein Ort zum Flanieren, Einkaufen, Schlendern, Leute-Angucken und vor allem: zum Essen. Zonen ohne Tageslicht, atmosphärisch abgeschlossen von der Außenwelt. Kein Wunder daher, dass der jüngste Hollywood-Blockbuster "Dawn of the Dead", der gerade Mel Gibsons "Passion of the Christ" von der Spitze der Boxoffice abgelöst hat, Zombies in einer Mall wüten lässt.

Wer sich von außen den von Parkplätzen umringten gesichtslosen Kästen nähert, ahnt nichts vom Leben - und sei es der Untoten - dahinter. Aber wie abseits eine Mall auch zu liegen scheint, mittags sind die Food Courts voll, in denen die kulinarische Welt zu Gast ist, wenn auch in der amerikanisierten, texanischen Version. Sushi ist nicht nur in Europa oder in New York der letzte Schrei, auch in Texas gibt es längst Fastfood-Japaner, wie es Fastfood-Chinesen und -Inder und -Koreaner und -Mexikaner und -Italiener gibt. Und McDonalds natürlich, Burger King, Wendy's, Jack-in-the-Box, Whataburger und wie die Burger-Ketten alle heißen, auf deren kleine Drive-Thru-Hütten man außerhalb der Malls allenthalben stößt.

Die texanische Hauptstadt Austin nennt sich, vielleicht etwas texanisch großspurig, vielleicht auch zu Recht, Livemusik-Hauptstadt der Welt. Jeden Abend spielen, neben Tour-Bands auf der Durchreise, Lokalmatadoren, kleine, noch unbekannte Bands in den Läden auf der 6th Street, wo sich eine Kneipe neben der anderen findet und aus jeder Tür hört man, schlendert man am Abend durch die Straße, Live-Musik. Mitte März aber kommt es seit 1987 zum Ausnahmezustand, der den Namen SXSW trägt und sich "South by Southwest" spricht. Dann nämlich sind hier während einer Woche tausend Bands zu Gast, nicht nur, aber vor allem aus den USA. Tagsüber spielen sie kurze Gigs in den Plattenläden, abends dann verteilt auf zwanzig Spielstätten, eine Band eine Stunde, sechs Bands hintereinander, man löst ein Ticket für den Abend, das mit Preisen von etwa zwanzig Dollar spottbillig ist. Oder man kauft sich gleich das Armband (für 135 Dollar) und kann sich die ganze Woche lang jeden Abend und jede Nacht alles anhören, sich von einem Ort zum andern treiben lassen, von der Lieblingsband zum jüngsten Gerücht, das einem von Freunden oder den täglich erscheinenden Extra-Beilagen der ortsansässige Zeitungen zugeflüstert wird. Die Musikstile reichen von Independent Rock über Alternative Country, von Blues bis, neuerdings, Hip Hop, nur die Freunde elektronischer Musik kommen zu kurz.

Seit 1993 ist ein eigenständiges Filmfestival angegliedert, das in diesem Jahr seinen Schwerpunkt auf den Dokumentarfilm legte, der in den USA ohnehin gerade einen kleinen Boom erlebt. Dazu kommen umfangreiche Konferenzen, zu denen nicht nur die halbe amerikanische Musik-Industrie anreist, sondern auch Regisseure wie - in diesem Jahr - Jonathan Demme und Jim Jarmusch, um über das Filmemachen zu reden. Richard Linklater, der in diesem Jahr auf der Berlinale mit "Before Sunset" für Furore sorgte, muss gar nicht anreisen, denn er ist in Austin zu Hause und wurde bei Julie Delpys - wenig enthusiastisch besprochenem - Konzert bei SXSW ebenso gesichtet wie Ethan Hawke, der andere "Before Sunset"-Star. Zusätzlich zu Musik und Film gibt es seit einigen Jahren noch eine Internet-Konferenz, so dass diverse amerikanische Weblogger sowie diesmal auch die Betreiber der größten amerikanischen Weblog-Plattform blogger.com hier ihre Zelte aufgeschlagen haben.

Das Publikum ist jung, natürlich, kennt sich aus, strömt nachts bis um zwei oder drei in Massen durch die einschlägigen Gegenden in Downtown Austin und rund um den riesigen Campus der Universität, der ohnehin so etwas wie das geheime Zentrum ist. Die Studenten, die mehr als zehn Prozent der Bewohner ausmachen, prägen das Leben der Stadt in starkem Maß. Im Westen wird das Universitätsgelände von der - neben der 6th Street - lebendigsten Straße Austins gesäumt, liebevoll The Drag genannt, mit Cafes, Kneipen, Second-Hand-Läden. Internet-Cafes freilich gibt es keine, wie ich feststellen musste, und das hat seinen recht erstaunlichen Grund; durchweg nämlich ist der drahtlose Internet-Empfang möglich, in den Universitäts-Gebäuden wie in sämtlichen Cafes, und zwar umsonst - im letzten Jahrzehnt hat sich Austin, eher unbemerkt, zur nicht unbedeutenden Silicon City gewandelt, dem Computerverkäufer Dell, der hier seinen Firmensitz hat, ist es in erster Linie gedankt. Überall sitzen Studenten mit ihren Notebooks, trinken ihren Kaffee, meist zum Latte geschäumt, blinzeln in die Sonne und verbreiten eine Gelassenheit, die für die ganze Stadt typisch ist.

Unfassbar für jemanden, der aus Berlin kommt, oder auch aus New York, ist die Freundlichkeit, die einem allerorten entgegenschlägt. Es wird einem so oft ein wunderbarer, großartiger, schöner, fabelhafter Tag gewünscht, das reicht nach einer Woche eigentlich schon fast für den Rest des Lebens. Als zur Nüchternheit neigender Europäer stürzt einen das Strahlen und Singen des meist miserabel bezahlten Bedienungs- und Verkaufspersonals von einer Verlegenheit in die nächste, man weiß gar nicht, was man auf all diese "How' are y'all doing" oder "Have a fabulous evening, guys" antworten soll. Das macht aber nichts, es wird weiter gestrahlt, egal was man sagt.

Zum Texas-Klischee, das man so im Kopf hat, passt das alles natürlich nicht. Man sieht Cowboyhüte vor sich (die es gibt, aber sie bestimmen nicht das Stadtbild) oder denkt an George W. Bush, der sich in Austin als Gouverneur seine ersten politischen Sporen verdient hat. Texas ist konservativ, Austin aber ist es nicht. Jedenfalls nicht der Kern, denn in den Vorgärten der kleinen Häuschen, in denen die große Mehrzahl der Leute hier lebt, sieht man neben der amerikanischen (und häufiger der texanischen) Flagge auch "Americans for Peace - No War in Iraq"-Schilder. Der Austin Chronicle, die allwöchentlich umsonst verteilte Zeitung, sieht nicht nur aus wie die berühmte New Yorker Village Voice, sie ist auch genauso links.

Den Texaner aus dem Klischee-Bilderbuch, den gibt es freilich auch, wir sind ihm im Taxi begegnet. Wir sind aus Berlin, verraten wir auf die Frage des Fahrers. Das habe er schon gehört, sagt er, das liege doch in Russland. Nein, widersprechen wir. Dann fällt ihm noch etwas ein: Die Berliner Mauer, da war doch was, trennt die nicht Deutschland von China. Wir müssen wiederum widersprechen. Dann aber strahlt er: deutsches Bier sei hervorragend. Und die Autobahnen, kein Tempolimit. Und die Waffen: Nichts geht über eine Heckler. Dann verraten wir ihm, dass in Berlin gut sieben Mal so viele Menschen leben wie in Austin. Das ist doch super für euch, meint er kryptisch, da könnt ihr Hasch rauchen, so viel ihr wollt.

Versteh mir einer die Texaner.