Post aus Bangkok

17 Jahr, blondes Haar

Thailands Jugend liebt Glamour, ausgefallene Frisuren und Jungfräulichkeit vor der Eheschließung. Von Ulf Biedermann
10.06.2003. Thailändische Teenager dürfen ihre Haare in der Schule nun etwas länger tragen - und sie haben schicke Idole wie Kathaleeya Mcintosh oder Paradorn Srichapan.
Vor ein paar Wochen begann in Thailand das neue Schuljahr, für viele Thai-Teenager darüber hinaus eine ausgesprochen haarige Angelegenheit. Denn ein 1972 erlassenes Gesetz der damaligen Militärregierung schreibt unter drakonischen Strafen einen Einheitshaarschnitt vor. Für Jungs hieß das Kahlschlag bis über die Ohren, Mädchenhaar durfte den Blusenkragen nicht einmal streifen. Die Jugend pochte auf ihr Recht der freien Persönlichkeitsentfaltung und trotzte in den dreimonatigen Sommerferien mit Punkfrisuren, schulterlangen Matten und schrillsten Tönungen, die zum Ferien-Ende oft unter Tränen der Schere zum Opfer fallen mussten. Den alten Zopf hat die Regierung jetzt abgeschnitten. "Das ist eine der besten Entscheidungen die das Erziehungs-Ministerium zu unseren Gunsten getroffen hat", lobte ein 15-Jähriger in einem Interview. Doch damit sind noch nicht alle Haar-Wogen geglättet. Denn jetzt liegt es an den einzelnen Schulen, wie stark die Mähne in Zukunft gebändigt werden muss. Einem Schüler, der lieber nicht namentlich genannt werden wollte, schwante Böses. Er kenne einen sehr strikten Lehrer, der aus der Geschichte richtig Geld machen wird, weil er neben der Schule einen eigenen Frisör-Salon betreibt. "Die Haar-Kriege" (Bangkok Post) haben es bis in die überregionalen Schlagzeilen geschafft, weil sich die Nation um ihre Jugend sorgt. Die traditionellen Werte stünden auf dem Spiel, warnen die ewig Gestrigen und geben ihren BMWs und Mercedes die Sporen.

MTV, Hollywood, Internet und die eigene High Society schaffen natürlich auch in Thailand Begehrlichkeiten, die der Westen so vortrefflich bedienen kann. Doch der modische, figurbetonte, frechere Trend, einer der harmlosen Art, ist nicht mehr aufzuhalten. Das musste auch Premierminister Taksin erkennen, als er vor Beginn des Songkran-Festivals, dem "Wasserfest" zur buddhistischen Jahreswende, eine kleine Lektion in Sachen Kleiderordnung loswerden wollte. Der Regierungschef ermunterte die jungen Damen des Landes, Hemdchen mit Spaghettiträgern und knappe Röckchen durch die Thaitracht, bestehend aus Wickelrock und züchtiger Bluse, zu ersetzen, um sich wenig später zu korrigieren. Natürlich sei das jederfraus ureigene Entscheidung... Was die Damenwelt mit einem Lächeln quittierte.

Schlimmer ist da schon der Einfluss der westlichen Fast-Food-Ketten, die auch in Thailand unförmig Übergewichtige schaffen, die das gewohnte Straßenbild verändern. Zwischen die grazilen, anmutig schlanken Töchter des Landes mischen sich immer mehr Dickerchen, denen Hitze und Luftfeuchtigkeit böse zusetzen. Verschlimmert wird ihr "Leiden" durch den ganz normalen Schlankheits-Wahnsinn, der auch in Thailand grassiert. Die Stars und Sternchen in Film, Fernsehen und auf den Laufstegen der Modebranche sind gertenschlank, wie es der weltweite Trend diktiert. Die Regenbogenpresse enthüllt täglich, welcher Promi mit Tees, Pillen oder unter dem Skalpell zu den gewünschten Formen kam und senkt damit die Hemmschwelle. Im Dezember des vergangenen Jahres bezahlte eine 17-jährige Schülerin ihren Mut zum Wandel mit dem Leben. Sie starb auf dem OP-Tisch, als man ihr das lästige Fett absaugen wollte.

"Was ist in unserer Gesellschaft schief gelaufen?" fragt sich die Nation und erinnert sich mit Grausen an Schlagzeilen aus dem vergangenen Jahr:

- Eine Lehrerin versuchte eine Schülerin zu ermorden, weil sie hinter ihre heimliche Affäre mit einem anderen Mann gekommen war- Studentinnen in Hat Yai (im Süden nahe der Grenze zu Malaysia) ließen sich von Geschäftsleuten aus dem Nachbarland als Zweitfrauen anmieten und für Summen bis zu 1500 Euro im Monat in mietfreien Apartments "abparken"- Ein arbeitsloser Ingenieursstudiums-Absolvent erschlug Vater und Großmutter weil sie seinen schwulen Freund nicht mochten

Dr. Porntip Rojanasunan, Thailands Nummer eins unter den Gerichtsmedizinern und bekannt für ihren Mut zu unbequemen Wahrheiten (und ihre Haartracht!), hielt der Gesellschaft den Spiegel vors Gesicht. (Ihre Website, www.morporntip.com hat bei unseren Suchen leider nicht funktioniert). Sie überbewerte Akademiker, fehlinterpretiere die Erfolgreichen in Schule, Beruf und Wirtschaft als gute Menschen und schaffe so die falschen Vorbilder für die Jugend. Gesellschaft, Schule und Familie müssten sich intensiver darum kümmern, die Jugendlichen durch die Klippen des Lebens zu führen, ihnen bei emotionellen Schwierigkeiten und ethischen Dilemmata zur Seite stehen, helfen Schlechtes von Gutem zu unterscheiden, Niederlagen und Enttäuschungen mit Fassung zu meistern und den Mut zu entwickeln weiterzumachen, auch wenn Dinge nicht so rosig aussehen.

Die jüngste Meinungsumfrage der "Thailand Marketing Research Society" (TMRS) unter 1200 repräsentativ ausgewählten 13- bis 18-jährigen gab Entwarnung. Thailändische Teenager plaudern unter der Woche pro Tag drei Stunden mit Freunden, opfern 1,7 Stunden für Schulaufgaben und sehen am Wochenende fünf Stunden fern. Über 50 Prozent der Befragten verdienen mit Nebenjobs ihr eigenes Geld und geben im Durchschnitt 1.870 Baht (39 Euros) im Monat aus. Dr. Rawewan Prakobpol, Leiter der Studie: "Thai Teenager sind nicht so schlecht, wie viele glauben. Die Studie zeigt, dass sie sehr wohl wissen, was gut und was schlecht ist." Ganz im Gegenteil, die Teenager würden erstaunlich ernsthaft. Zu den fünf wichtigsten Problemen um die sich thailändische Teenager sorgten, zählten Drogen, die Wirtschaft, die Umwelt, Verkehrsprobleme und der Verlust der thailändischen Identität. In ihrem Kommentar kommt die Studie nicht umhin, Vergleiche mit den Nachbarländern anzustellen. In China hätten Jiang Zemin, Einstein und Mao Idolstatus, weil das Land der Mitte keine eigene Pop-Kultur besitze, die der Jugend eine "Heimat" gibt. Das ist auch der Grund, warum Malaysias Premier Mahathir Mohamad die westliche Kultur öffentlich als Bedrohung für Asiens Werte verdammt. Besonders gefährdet sind nach seiner Einschätzung der Respekt gegenüber den Älteren und die politische Autorität. Die Japaner sind für ihn das extremste Beispiel. Er nennt sie respektlos "Blondinen", weil sie sklavisch der US-Kultur nacheiferten.

An Idolen mangelt es Thailand wahrlich nicht.

Den Olymp der Idole beherrscht derzeit Tennis-Star Paradorn Srichapan (24), Neunter der Weltrangliste, dessen live übertragene Matches wahre Straßenfeger sind. Die momentane Formkrise auf den europäischen Clay-Courts erklären die Medien mit der Forderung, Thailand braucht mehr Asche-Plätze. Paradorn ist für Thailand so wichtig wie seine paradiesischen Strände, die Thai-Cousine oder seine legendäre Gastfreundschaft. Das hat auch die Regierung erkannt. Paradorn ist Sonderbotschafter seines Landes und reist mit einem roten Diplomatenpass. Ein Privileg, das Tiger Woods, dessen Mutter Thai ist, ausschlug. Er zieht es vor Amerikaner zu bleiben. Thailands Boxer, bislang der einzige sportliche Stolz der Nation, dürften ein wenig neidisch sein. Denn ihre Stunde schlägt nur alle vier Jahre bei den Olympischen Spielen. Goldmedallien-Gewinner sind dann aber dem Himmel ein ganz mächtiges Stück näher, als in irgendeiner anderen Nation auf dieser Welt. Dass David Beckham in Thailand ein Idol ist verdankt er zum Teil seiner Gattin und der Tatsache, dass die Englische Premier League zu den prominentesten Turnieren im thailändischen Wettgeschäft zählt.Im Showbiz sind zwei Trends erkennbar:

Erstens: Immer mehr Megastars, wie Kathaleeya Mcintosh (31) oder Sonai Cooling (29) stammen aus einer Farang-Thai Beziehung, die Beiden aus einer Britisch-Thai-Ehe. Diese Entwicklung ist sicher wertvoll angesichts der Tatsache, dass für thailändische Kinder der "schwarze Mann" eben der "Farang", der Ausländer ist.

Zweitens: Thailändische Stars gewinnen an internationalem Ansehen, seit ihre Soaps und Kino-Filme erfolgreich in die Nachbarländer exportiert werden. Suwanan Kongyin, Spitzname "Gop", Frosch, ist in Kambodscha so populär wie in Thailand und das hatte üble Folgen. Irgendjemand setzte in Kambodscha das Gerücht in die Welt, sie habe in einem Interview Kambodschas weltberühmte Tempelanlage "Angkor Wat" als Kulturerbe Thailands bezeichnet und dessen Rückgabe gefordert. Die Reaktionen sah die ganze Welt. Aufgebrachte Kambodschaner stürmten die thailändische Botschaft, plünderten thailändische Geschäfte und schworen eine erstklassige Krise herauf. Suwanan war schockiert, weil unschuldig und gewann die wenigen unentschlossenen Herzen ihrer Landsleute.

Die Thais lieben den Glamour, was sich in unzähligen Wettbewerben ausdrückt, in denen neben der "Miss Thailand" die schönste "Dicke", die älteste "Schöne", die jüngste "Schöne", der schönste "Transvestit" des Landes, der Region, der Provinz oder des Dorfs gesucht wird. "Sanuk", "Spaß", ist ein nationaler Sport und im Spaß wird eben oft auch übertrieben. Wenn junge Mädchen sich die Haare blond färben, weil japanische Teeny-Bands damit angefangen haben, dann ist das Spaß mit Aufmerksamkeitseffekt. Wenn man zum blonden Haar stahlblaue Kontaktlinsen trägt ist man mega-cool im modischen Bangkok und nur das zählt. Thailands Jugend ist so frech, neugierig, trendbewusst und spaßorientiert wie andere Teenager in einer entwickelten Gesellschaft. Was sie unterscheidet sind ihre traditionellen Bindungen. Thai Teenager bejahen mehrheitlich ihre Verantwortung für ihre Eltern, die Jungfräulichkeit bis zur Eheschließung, den Respekt vor Älteren und die Weisheit Lord Buddhas der sagte, Leben ist Leiden so lange wir Wünsche und Begierden haben. Was soll an der Jugend falsch sein? Die Frage können sich nur Betriebsblinde stellen, die nicht wissen, dass es auf der Welt keine Gesellschaft ohne eine stattliche Herde schwarzer Schafe gibt.