Efeu - Die Kulturrundschau

Wetterleuchten der Gedanken

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
03.04.2019. Die taz lässt sich von Jean-Luc Godard sein "Bildbuch" um Augen, Hirn und Ohren hauen. Die Berliner Zeitung lässt sich von Mai-Phuong Kollath ein vietnamesisches Leben in Deutschland erzählen. Im Standard flüchtet der Schriftsteller Michael Stavaric vor dem Gejammer der Buchbranche in den Knast. Die NZZ erkennt in Mark Rothko den Rembrandt der Moderne. Und wie der Tagesspiegel berichtet, sinkt mit dem Stern des saudischen Herrschers Mohammed bin Salman auch prompt der Wert seiner Kunstsammlung: Der "Salvator Mundi" ist weg. 
9punkt - Die Debattenrundschau vom 03.04.2019 finden Sie hier

Film

Material für Augen, Hirn und Ohren: Jean-Luc Godards "Bildbuch" (Bild: Grandfilm)

Mit seiner Collage "Bildbuch" meldet sich Jean-Luc Godard in dieser Woche auch in den deutschen Kinos zurück - sogar mit eigens auf Deutsch eingesprochenem Voice-Over. Das fertige Werk (hier in unserer Magazinrundschau mehr zu dessen Entstehung) ist wieder ein Film, der sich dem einfachem Nachvollziehen versperrt und ins Zeichenflottierende spielt: "In den dämmrigen Regionen, aus denen seine Filme schöpfen, hat das Bewusstsein nicht viel verloren", schreibt Gregor Dotzauer dazu im Tagesspiegel und führt weiter aus: "Assoziationsketten wie im Halbschlaf. Stimmen, Formen und Farben, die anschwellen und verebben. Ein Wetterleuchten der Gedanken."

In der taz umkreist Ekkehard Knörer diesen Film, dessen man in Worten und Begriffen kaum Herr werden könne: Dieser Essay "haut sich einem als Verhau aus heranrauschendem, kurz aufgeblendetem, dann gleich wieder verschwundenem Material um Augen, Hirn, Ohren. Manches kehrt wieder, gerade die Musik, aber leitmotivisch wäre schon zu viel gesagt. Niemand kommt all dem hinterher, nicht jedenfalls, wenn eine Deutung gesucht wird für das, was mit diesem Bild-, Sprach-, Musikwirbel gesagt sein könnte über das hinaus, was der Bild-, Sprach-, Musikwirbel, alles andere als maulfaul, in Fragmenten und Zitaten ohnehin die ganze Zeit sagt."

Weitere Artikel: Den Berlinern empfiehlt Andreas Busche eine Reihe mit den Filmen von Uwe Frießner im Zeughauskino. Für die Zeit hat sich Katja Nicodemus mit dem französischen Komödienregisseur Philippe de Chauveron getroffen. Auf ZeitOnline weist Barbara Schweizerhof darauf hin, dass der für seine Darstellung als Freddie Mercury gerade mit dem Oscar ausgezeichnete Schauspieler Rami Malek mit der Hörspielreihe "Blackout" jetzt auch unter die Podcaster gegangen ist.
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Bühne

Sanja Mitroviś: Danke Deutschland. Foto: Thomas Aurin / Schaubühne

Im taz-Interview mit Nicholas Potter spricht die Regisseurin Sanja Mitrović über ihr dokumentarisches Theater, das Schweigen der Einwanderer und die zwei vietnamesischen Communities in Deutschland. Für die Berliner Zeitung trifft sich Susanne Lenz mit Mai-Phuong Kollath, die in Mitrovićs Stück "Danke, Deutschland - Cam On Nuoc Duc" beim Find-Festival ihre Geschichte erzählt: "Mai-Phuong Kollath, Jahrgang 1963, lebt seit 37 Jahren in Deutschland. Sie hat einen weiten Weg zurückgelegt, seit sie 1981 als Küchenhilfe im Hafen von Rostock anfing. Der gewünschten Abschottung der Vertragsarbeiter hatte sie sich widersetzt, war noch zu DDR-Zeiten schwanger geworden, von einem Deutschen. Eine Schwangerschaft, die sie verheimlichte, um nicht abgeschoben zu werden. Nach dem siebten Monat war sie sicher. Unter entwürdigender Kontrolle stand sie immer noch. 8.300 Ost-Mark verlangte die Botschaft für den vietnamesischen Pass, den sie für das deutsche Standesamt brauchte."

Bedenklich nah an "House of Cards" sieht Adrienne Braun in der SZ Christof Küsters Version der "Schulz-Story" im Studio Theater in Stuttgart, die das politische Debakel des SPD-Kanzlerkandidaten nacherzählt: "Auch wenn Sebastian Schäfer allein optisch ein idealer Schulz-Darsteller ist und souverän den Abend trägt, geht es Christof Küster nicht nur um Schulz. Er will die Strukturen des Politbetriebs aufzeigen, in dem sich Falschmeldungen fatal verselbständigen, Worte grell ausgeleuchtet werden und jeder Fingerstreich der Politiker medial ausgeschlachtet wird. Dabei ist es immer Martin Schulz, der für die Pleiten und Pannen der SPD den Kopf hinhalten muss. Sein Job: Schadensbegrenzung."

Weiteres: Der Tagesspiegel meldet, das ein Gericht in Moskau den Hausarrest für Regisseur Kirill Serebrenniko verlängert hat. Besprochen werden Verdis "La forza del destino" in London (SZ), Thorleifur Örn Arnarssons blutige Inszenierung von Schillers "Räubern" am Theater Basel (NZZ, Nachtkritik), Virginie Despentes' "Leben des Vernon Subutex" und Philippe Quesnes "Farm Fatale" an den Münchner Kammerspielen (FAZ) und Marco Arturo Marellis Inszenierung von Manfred Trojahns Oper "Orest".
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Kunst

Mark Rothko: Selbstporträt, 1936. Bild: KHM Wien

Bisher wurde die Mark-Rothko-Schau im im Kunsthistorischen Museum Wien eher verhalten aufgenommen, in der NZZ preist sie Philipp Meier jedoch als Offenbarung. Sie zeigt ihm, dass Rothko stets die Kunst der Alten Meister im Blick hatte, denen das Sehen selbst als Lichtquelle dient: "Dass es nun ausgerechnet das Kunsthistorische Museum Wien wagt, in seinen opulent barockisierenden Räumen des Wiener Späthistorismus diesen schwierig auszustellenden Maler zu zeigen, hat auch mit der Absicht der Kuratoren zu tun, mit Klischees, die sich um diesen Maler ranken, aufzuräumen. Zum Beispiel damit, dass Rothko im Zuge des abstrakten Expressionismus alles hinter sich gelassen habe, was die abendländische Kunst Europas ausmachte. Selten zu sehen waren bisher seine frühen, gegenständlichen Bilder. Und so gibt den Auftakt dieser exquisiten Schau eines der frühesten Werke, die Rothko gemalt hat: das Selbstporträt von 1936, in dem sich der Künstler gleichsam als Rembrandt darstellt."

Eben noch wurde der "Salvator Mundi" als wiedergefundener Leonardo da Vinci gefeiert und von den saudischen Herrschern für 450 Millionen Dollar gekauft, schon ist es aus der Öffentlichkeit verschwunden. Alle Ausstellungen mit dem Bild sind abgesagt, Museumseröffnungen verschoben. Im Tagesspiegel wundert Brigit Rieger das nicht: "Die New York Times äußert den Verdacht, der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman könnte das Bild privat verwahren. Man munkelt, er wolle verhindern, dass es gezeigt wird, um den Status als echter Leonardo da Vinci zu halten. Ob das Bild tatsächlich vom berühmtesten aller Renaissance-Maler stammt, wird schon lange bezweifelt... Ende 2011 wurde das Bild dann im Rahmen der großen Leonardo-Ausstellung in der Londoner National Gallery ausgestellt und erstmals doch als eigenhändige Schöpfung Leonardos präsentiert. Dabei war das Bild aus Privatbesitz stark beschädigt und viele Male restauriert und retuschiert worden. Es kam außerdem mit einer dürftigen Provenienzgeschichte."
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Literatur

Schriftsteller Michael Stavarič erzählt im Standard von seinen Lesungen im Knast im Vorfeld der Leipziger Buchmesse. Dort dann wieder angekommen "feierte und bejammerte meine Branche sich einmal wieder selbst, eine große und zugleich sehr kleine 'Blase'. Und alle dort wollen eine (Erfolgs-)Geschichte. Ich verstehe das. Ich komme allerdings aus einem Gefängnis. Die dortigen Insassen und wie wir mit ihnen umgehen, ist die weitaus wesentlichere Geschichte."

Weitere Artikel: Von einem Auftritt von A. L. Kennedy im Literaturhaus Zürich berichtet Angela Schader in der NZZ. Peter Kultzen schreibt in der NZZ einen Nachruf auf den Schriftsteller Rafael Sánchez Ferlosio. Besprochen werden unter anderem Reni Eddo-Lodges Essay "Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche" (Standard), Jörg-Uwe Albigs Medienbetriebssatire "Zornfried" (ZeitOnline), Durs Grünbeins "Aus der Traum (Kartei)" (Tagesspiegel), Philipp Lyonel Russells von Christoph Hein übersetzter Roman "Am Ende ein Blick aufs Meer" (SZ), Nico Walkers "Cherry" (Standard) und Reinhard Kaiser-Mühleckers "Enteignung" (FAZ).
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Musik

Im Standard staunt Amira Ben Saoud über das Popphänomen Billie Eilish (mehr dazu hier), die mit 17 gerade das Business erobert, von einschlägigen Lolita- und Fräulein-Klischees aber meilenweit entfernt ist: "Introspektiv und mit einer für ihr Alter unwahrscheinlichen Zärtlichkeit und Reife liefert Eilish einen sinnlichen Alternative-Pop-Entwurf zwischen Teenage-Angst und Rebellion." Im ZeitMagazin berichtet die Musikerin von ihren (Alb-)Träumen und dass sie in ihren Videos auch deshalb so viel herumturnt, weil sie das früher gerne gemacht hat, was ihr dann aber untersagt wurde. Auch in ihrem neuen, ziemlich tollen Video turnt sie fleißig durch die Gegend:



In der SZ-Popkolumne verzweifelt Jens-Christian Rabe derweil an den deutschen Charts: Dort steht mit dem neuen Schiller-Album "seelenlose Elektrosoße vom Allerfadesten" auf Platz Eins, dicht gefolgt von Herzog, der mit "seelenlosem Syntie-Bombast" auf sich aufmerksam macht, und dann stößt man zu allem Unglück auf Platz Drei auch noch auf Roland Kaiser, der mit schwülen Schlager-Schlüpfrigkeiten ("Warum hast du nicht nein gesagt/es lag allein an Dir") mal wieder mit Anlauf ins bewährte MeToo-Fettnäpfchen springt.

Weitere Artikel: In der SZ plaudert Westbam über die Wurzeln von Techno in der DJ-Culture des Hip-Hops und erklärt, warum sein musikalischer Zugriff im Grunde genommen Punk ist. Im Standard stellt Ljubiša Tošić Stephan Pauly vor, der künftig den Wiener Musikverein leiten wird. Chefdirigent Vladimir Jurowski verlängert beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, meldet Ulrich Amling im Tagesspiegel.

Besprochen werden Ebows Album "K4L" (Welt) und das neue Mekons-Album "Deserted" (taz). Daraus ein aktuelles Video:

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