9punkt - Die Debattenrundschau

Ein bisschen mehr Telefonüberwachung

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
15.05.2018. In der NZZ erklärt Slavenka Drakulic, warum die #MeToo-Bewegung in Osteuropa bisher so wenig Resonanz gefunden hat. Die New York Times stellt die Pastoren vor, die bei der gestrigen amerikanischen Botschaftseröffnung in Jerusalem die Gebete sprachen. Die "Datenschutzgrundverordnung" (DSGVO) ist ein Horror für kleine Website-Betreiber, protestiert Enno Park in t3n. Ganz aktuell: Die Soros-Stiftung verlässt Budapest und geht nach Berlin.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 15.05.2018 finden Sie hier

Religion

Einen sehr erstaunlichen Hintergrund zu gestrigen Eröffnung der amerikanischen Botschaft in Jerusalem liefert Matthew Haag in der New York Times: Ein evangelikaler Pastor, "der einst sagte, dass Juden in die Hölle gehen werden", und ein Fernsehprediger, "der glaubt, dass Hitler Teil eines Plans Gottes war, die Juden nach Israel zurückzubringen", spielten bei der gestrigen Eröffnung eine wichtige Rolle - Robert Jeffress und John C. Hagee sprachen die Gebete bei der Zeremonie: "Trotz ihrer Kommentare über das jüdische Volk gehören die beiden Pastoren zu den führenden pro-israelischen Stimmen in der evangelikalen christlichen Welt. Einige Evangelikale glauben, dass die amerikanische Politik Israel unterstützen sollte, um biblische Prophezeiungen über eine Wiederkehr Christi wahrzumachen. Trumps Botschaftsentscheidung war eines der wichtigen Wahlversprechen..."
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Gesellschaft

In Osteuropa hatte die #MeToo-Debatte bisher wenig Resonanz. In der NZZ macht Slavenka Drakulić dafür das Fehlen einer Frauenbewegung verantwortlich und das Klima, das konservative Politiker zusammen mit der katholischen und orthodoxen Kirche schaffen: "Wahrscheinlich halten Frauen, die in einer stark patriarchalischen Kultur leben, sexuelle Belästigung nicht für ein großes Problem. Und selbst wenn, geht es um etwas, was im Westen nur schwer verstehbar ist. Die Frauen in den ehemals kommunistischen Ländern scheinen resigniert zu haben und einfach nicht mehr zu glauben, dass es möglich sei, irgendetwas zu ändern. So dass sie schon im Vorhinein von jeder öffentlichen Reaktion absehen, selbst wenn es sich um Schläge und Vergewaltigung und nicht 'nur' um Belästigung handelt."

Im Interview mit Zeit online erzählt Charlotte Roche, dass ihr WDR-Filmchef Gebhard Henke (der alle Vorwürfe bestreitet) bei einer Veranstaltung mit der rechten die Hand schüttelte und die linke auf ihrem Hintern abgelegt habe. Warum sie nicht lauthals protestiert hat, versteht sie bis heute nicht: "Wenn ich zum Beispiel im Nachtleben unterwegs bin, erwarte ich, dass so etwas passieren kann. Da habe ich schon viele Male richtig reagiert, geschubst, geschrien, mich gewehrt. Aber auf dieser Veranstaltung fühlte ich mich sicher, ich kannte viele Leute, ich mochte die. Deshalb war ich komplett perplex. Ich weiß noch, dass ich dachte: Wenn ich den Mann von mir wegstoße und schreie, was ein normales Verhalten wäre, dann verursache ich damit den Eklat des Abends."

Außerdem: Im multikulturellen Berlin-Neukölln gibt es immer öfter Angriffe auf Homosexuelle und Transmenschen, meldet Helena Piontek im Tagesspiegel: "Allein von 2015 auf 2016 stiegt die Anzahl an Hasskriminalität wegen sexueller Ausrichtung in Berlin um zwölf Prozent, auf 291 Übergriffe - auch weil Hasskriminalität mittlerweile häufiger als solche erkannt und angezeigt wird."
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Europa

In Italien zeichnet sich ein Regierungsbündnis aus den linkspopulistischen Fünf Sternen und der rechtspopulistischen Lega Nord ab. Damit würde erstmals ein Gründungsmitglied der EU von EU-skeptischen Politikern regiert, schreiben Jacopo Barigazzi und Giulia Paravicini in politico.eu und zählen einige Konsequenzen für Europa auf - eine davon: die Russlandsanktionen: "Im April sagte Matteo Salvini von der Lega, dass er 'die absurden Sanktionen, die der italienischen Wirtschaft unschätzbaren Schaden bereiten' abschaffen würde. Die Verbindungen zwischen der Lega und Russland sind besonders eng. Letztes Jahr unterzeichnete die Partei einen 'Kooperationsvertrag' mit Wladimir Putins Regierungspartei. Fünf-Sterne-Politiker haben ebenfalls dazu aufgerufen dazu aufgerufen, mit Blick auf italieinische Unternehmen Sanktionen auszusetzen."

Außerdem: Die ganz aktuelle Reuters-Meldung, dass die Soros-Stiftung in Budapest schließt und ihre Zentrale nach Berlin verlegt.

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Überwachung

Die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat im Gespräch mit Tobias Schulze von der taz Verständnis für die recht massiven Proteste gegen das geplante bayerische Polizeiaufgabengesetz: "Es ist jetzt bei den Leuten ein Maß erreicht, wo sie nicht mehr sagen: Na ja, ein bisschen mehr Telefonüberwachung, das muss eben sein. Hier geht es wirklich weiter. Ohne, dass etwas passiert ist und ohne ganz konkrete Anhaltspunkte für einen möglichen Anschlag kann man hier festgenommen werden oder kann digital die Kommunikation durchsucht werden." Mit Klagen gegen das Gesetz ist allerdings zu rechnen, ergänzt Christian Rath in einem zweiten Artikel.
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Internet

Endlich mal ein Protest gegen die kommende Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), die sämtlichen Webseitenbetreibern Schweißperlen auf die Stirn treibt - aus Angst vor Abmahnanwälten, die irgendwelche Verstöße aufgreifen werden. Im Techblog t3n schreibt der Mediengestalter Enno Park: "Die DSGVO überzieht zahllose Menschen mit einem bürokratischen Irrsinn und treibt diejenigen, die das vermeiden wollen, zu den großen Plattformen, die sich unter dem Deckmantel der 'Einwilligung' dann allerlei erlauben können."

Marcel Weiß schreibt dazu in seinem Neunetz: "Sowohl in der Datenschutzdebatte als auch bei Themen wie zum Beispiel der ​Netzneutralität (in der US-Debatte) wird der private/halb-private/freie Teil des Webs nicht mitgedacht. Dabei ist es das Kostbarste, das das Internet der Öffentlichkeit mitgegeben hat. Gleichzeitig ist es auch das Fragilste." Auch auf Sascha Lobos Spiegel-online-Kolumne zum Thema ist nochmal hinzuweisen.

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Politik

Das Iran-Abkommen sei zwar solide verhandelt gewesen, aber das habe wenig genützt, schreibt Joachim Krause vom Kieler Institut für Sicherheitspolitik im politischen Teil der FAZ: "Leider blieb der erhoffte Wandel in der Politik Irans aus. Die Revolutionswächter, die das Kernwaffenprogramm betrieben hatten, fanden in Syrien, im Irak und im Jemen neue Betätigungsfelder. Und sie führten ein Raketenprogramm fort, welches nur Sinn ergibt, wenn beabsichtigt ist, später doch Kernwaffen zu beschaffen. Insbesondere verfolgt die iranische Führung weiterhin mit großer Konsequenz das Ziel, Israel auszulöschen."
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Wissenschaft

Wir haben nicht mehr viel Zeit umzusteuern, warnt der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber im Interview mit der SZ. Es dauerte zehntausende Jahre, bis sich das Klima um fünf Grad erwärmte. "Heute erwärmt sich die Erde hundertmal so schnell. 90 Prozent aller marinen Arten sind damals ausgestorben, 70 Prozent der terrestrischen. Die Biosphäre hat sich nach und nach komplett neu organisiert. Was der Mensch heute anstellt, ähnelt eher dem Asteroideneinschlag an der Kreide-Paläogen-Grenze. Dass so etwas jetzt geschieht, in diesem Tempo, auf einem überbevölkerten, übernutzten Planeten, gleicht einem kollektiven Suizidversuch. ... Heute wissen wir dagegen genau, was Sache ist. Trotzdem keine Reaktion zu zeigen, ist schändlich. Und sehr dumm."
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Kulturpolitik

Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat in Berlin eine 132 Seiten dicke Broschüre zum Umgang mit Raubkunst aus der Kolonialzeit vorgestellt, berichtet eine zufriedene Nicola Kuhn im Tagesspiegel: "Der Leitfaden stellt eine praktische Anleitung dar, wie die Herkunftsgeschichte von Sammlungsobjekten erforscht werden kann, welches Recht damals beim Erwerb angewandt wurde, wie sich seitdem die Gebietsverhältnisse verändert haben. Der wichtigste Ratschlag: Statt einseitig Rückgabeangebote zu machen, sollten vielmehr in den Herkunftsländern die Bedürfnisse erfragt werden. Vielfach sind die möglichen Empfänger eher an Digitalisaten statt den originalen Objekten interessiert, um damit weiterarbeiten zu können, sagt Wiebke Ahrndt", die Direktorin des Bremer Übersee-Museums, die "federführend" an der Broschüre mitgearbeitet hat.

"Ein radikaler Kulturwandel wie in Frankreich ist nicht zu erkennen", kritisiert dagegen Jörg Häntzschel in der SZ, vor allem, wenn es um die Frage der Restitution gehe: "Zu prüfen sei, 'ob ein regelrechter Rechtsanspruch auf Rückgabe des (…) Sammlungsstückes besteht.' Wenn nicht, seien öffentlichen Institutionen die Hände gebunden: 'Eine Weggabe von Eigentum (...) darf eigentlich nur dann erfolgen, wenn es hierfür eine gesetzliche Grundlage gibt.' Was die Autoren nicht sagen, ist, dass dieser Anspruch ohne bilaterale Abkommen so gut wie nie besteht."
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