Im Kino

Terror

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
24.09.2008. Zwei Terrorismusfilme. Wo "Der Baader- Meinhof- Komplex" von Uli Edel und Bernd Eichinger plump Ereignisgeschichte verdoppelt, konzentriert sich Julia Loktevs Konzeptfilm "Day Night Day Night" ganz minutiös auf die äußeren Regungen einer zum Selbstmordanschlag bereiten Frau.
Da ist er nun, unübersehbar, überall, "Der Baader-Meinhof-Komplex". Aber was will dieser Film?

Wir sehen hoch- und halbberühmte deutsche Schauspielerinnen und Schauspieler (ganz exzellente darunter wie Johanna Wokalek und Martina Gedeck), die so hergerichtet sind, dass sie prominenten deutschen Terroristinnen und Terroristen ähneln: der Film will durch Verdopplung frappieren.


Wir sehen ikonische Bilder und Szenen der Vergangenheit - Ohnesorg, Dutschke, Meins -, die werden nachgespielt und nachgestellt wie in jenen Reenactments, in denen Hobbygeschichtsdarsteller sich in die Kleider der Vergangenheit werfen, im falschen Glauben, es sei am Reifrock zu spüren, wie sich's im Ancien Regime lebte: der Film will durch Reinszenierung Nähe zum Ereigneten evozieren.


Wir sehen Politgetümmel mit Steinwurf und Explosionen und Schüsse und Morde auf der Straße, mit allen Mitteln der Handkamera-, Bildausschnitt-, Montage- und Rhythmusinstrumentkunst zu international vorzeigbaren Actionsequenzen zugerichtet: der Film will Tempo machen.


Wir sehen Ulrike Meinhof nackt am Strand von Sylt und Gudrun Ensslin nackt in der Wanne und alle miteinander nackt im palästinensischen Ausbildungslager: der Film will Arsch und Titten.

Wir sehen, später in Stammheim, die Ensslin und die Meinhof im Zickenkrieg: der Film will die Vorabend-Soap.

Außerdem will der Film: nichts auslassen, keinen überfordern, viel Geld einspielen, die Titelblätter erobern; er will zu Anne Will (wo er letzten Sonntag schon war) und den Oscar, den will er auch.

Nur denken will er nicht; eine Haltung finden und Bilder, die nicht nur - dumm, aber teuer - nachplappern, was man kennt, das will er nicht. Alles "stimmt", dafür bürgt Stefan Aust, alles sieht echt aus, dafür sorgen die Ausstatter und Rechercheure, und nichts ist wahr, dafür bürgen das Buch und die Inszenierung von Bernd Eichinger und Uli Edel. Sie haben den durchideologisierten Terrorsprech normalisiert, das peinliche Gequatsche von Andreas Baader und das Schwäbisch von Gudrun Ensslin auch. Als wäre das nicht genug Retusche, um dann doch wieder beim Mythos zu landen und bei Terroristen-Ikonen. Ja, man sieht ihr sinnloses Töten, aber weil es aussieht wie im nächsten besten Actionfilm, nimmt man es, schulterzuckend fast, als zum Genre gehörig hin.

Eines will - oder kann - der Film nicht sein: Eine vom Heute ausgehende Reflexion auf den Terrorismus und eine Zeit, in der er intelligenten und sensiblen Menschen als gangbare Option erscheinen konnte. Es hätte auch dazugehört zu zeigen, dass vieles daran heute schier unbegreiflich ist und einem in der Tat auch unfreiwillig komisch vorkommen muss (vgl. das Interview in der Welt). Sich zu fragen, warum diese von heute aus manchmal lächerlich und oft genug auch einfach nur abstoßend erscheinenden Figuren damals den An- und Vorschein einer beginnenden Weltrevolution beschwören konnten, das und nicht der "Polit-Porno" (Michael Althen in der FAZ), der es nun ist, zielt in den Kern unserer Geschichte mit der RAF.

Statt dessen bietet "Der Baader-Meinhof-Komplex" nichts als Ereignisgeschichte auf Fernsehspielniveau. Die Schauspielerinnen und Schauspieler haben sich, wie allenthalben brav nachgebetet wird, in diese Figuren hineingefühlt, aber sie finden für uns nichts heraus. Sie erschöpfen sich - und uns - im Klappern der Dialoge, im Hetzen von Tat zu Tat. Was ihnen die Regie und das Buch verbieten, ist der Bruch mit dem öden Abbildrealismus; ein Bruch, in dem erst sich etwas wie Gedanken und Haltung, kurz gesagt: Reflexion, einstellen könnten. Schon im Wissen des Realismus um seine Grenzen läge ein solcher Bruch. Oder im Wissen darum, dass auch die zum Terror sich Treibenden und zum Terror Getriebenen eine Menge Klischees und Straßenkampfromantik im Kopf hatten. Oder im genauen Rekonstruieren der totgeborenen Sprache, die denen blieb, die das richtige Leben im falschen suchten - es wäre das gerade das Drama der Ulrike Meinhof gewesen.

Aber nichts will der Film wissen über sich und die Welt. Er hascht nur nach Bildern, die wir schon kennen, nach Gedanken, die wir schon haben, nach Mitteln, die auf der Straße liegen. Wo er Erklärungen sucht, fällt er selbst - wie schon mit dem Beginn, zu dem Janis Joplin singt - einfach so aufs nächstliegende Klischee. Die Reihung der Geschehnisse wird, mangels irgendeines reflektierenden Zugriffs, zur Kausalitätsbehauptung: Ohnesorg, Dutschke, Bild, ergo RAF. So einfach kann man sich's machen. Aber weil er es sich so einfach macht, ist "Der Baader-Meinhof-Komplex" fahrlässig und dumm und man kann nur hoffen, dass das Publikum sich für so blöd nicht verkaufen lässt.

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Auch "Day Night Day Night" ist ein Terrorismusfilm. Nur ist es, als wäre hier, was ein Film wie "Der Baader-Meinhof-Komplex" in zehn Sekunden erledigt, herausvergrößert auf Spielfilmlänge. Man sieht eine junge Frau (Luisa Williams), in den Credits heißt sie nur "Sie". Die Kamera folgt dieser Frau, neunzig Minuten lang. Sie kommt an in der New York, sie geht in ein Hotel, sie zieht die Vorhänge zu. Sie badet, sie rasiert sich die Achseln. Sie wird von Männern mit Masken instruiert. Sie ist eine Frau mit einer Mission, was man als Zuschauer nach und nach erst begreift.

"Day Night Day Night" beobachtet, ohne mit der Wimper zu zucken und ohne dies gleich und von Anfang an klar zu machen, eine Selbstmordattentäterin auf ihrem Weg zum Attentat am New Yorker Times Square. "Sie" ist fast immer im Bild, die Kamera verliert sie kaum je aus dem Blick. Nicht viel Spektakuläres geschieht in den ersten zwei Dritteln des Films. Nur die Vorbereitungen, nur der Blick immerzu auf die Frau, in ihr Gesicht, in dem sich sehr wenig rührt. Erklärungen sucht man fast vergeblich, in diesem Gesicht, aber auch im ganzen Film. Ziele, Motive, der ganze Tathintergrund: das bleibt unklar, auch dann, wenn man diejenigen sieht, die hier die Fäden ziehen. Zwei von ihnen unterhalten sich in Gebärdensprache, man erfährt nicht warum.

"Day Night Day Night" ist eine Versuchsanordnung, überaus künstlich. Eine Übung im Abschneiden und Verweigern als Rückseite einer totalen Konzentration. Einzig um Regungen geht es, im Körper, im Gesicht. Durchaus bewusst arbeitet der Film mit der Frustration der Betrachtererwartungen. (Dass sie gewollt ist, ändert nichts daran, dass sie sich in der Tat einstellt und manchmal auch nervt.) Wo "Der Baader-Meinhof-Komplex" keinen Gedanken hat, da folgt in "Day Night Day Night" alles aus dem radikal durchgehaltenen Konzept, das die Parameter setzt. Gerade darum aber gilt: Was Luisa Williams leistet als Darstellerin einer Frau, über die man nichts erfährt als das, was man sieht (ganz selten, es gibt kaum Dialoge, auch hört), das ist phänomenal.


Nach zweit Dritteln der Bruch, fast ein Schock. Der Ausbruch in die Realität, der Einbruch der Außenwelt. Es ist, als hätte der Film nur auf diesen Moment gewartet. Die Terroristin ist von einem Moment auf den anderen versetzt ins Zentrum der Großstadt. Das Gedränge im Port Authority Busbahnhof in Manhattan. Die 42. Straße, dann der Times Square. Der Film selbst lässt sich, wie seine Protagonistin, der er mit der Handkamera zwischen all den anderen Fußgängern folgt, von der Lebendigkeit des Urbanen geradezu überwältigen. Alles, fast alles, ist hier dokumentarisch gedreht. Die Protagonistin ist wie gelähmt vom Ansturm des Lebens, das sie auslöschen will. Für den Moment.

"Day Night Day Night", der erste Spielfilm der Videokünstlerin Julia Loktev, ist nicht perfekt. Man kann sich fragen, ob er nicht von einer stärkeren Öffnung auf mögliche Kontexte profitiert hätte; ob er nicht seiner selbst und seines Konzepts etwas zu gewiss ist und deshalb, bei aller Brillanz in der Ausführung, ein etwas zu klinisches Experiment bleibt. Aber immerhin hat er ein Konzept und einen sehr eigenen Blick auf die Welt und den Körper. Schon deshalb ist er mit einem aufs Aufwendigste plumpen Werk wie "Der Baader-Meinhof-Komplex" nicht zu vergleichen.

Der Baader-Meinhof-Komplex. Deutschland 2007 - Regie: Uli Edel - Darsteller: Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Johanna Wokalek, Bruno Ganz, Alexandra Maria Lara, Nadja Uhl, Hannah Herzsprung, Jasmin Tabatabai

Day Night Day Night. USA / Deutschland 2006 - Regie: Julia Loktev - Darsteller: Luisa Williams, Josh Phillip Weinstein, Gareth Saxe, Nyambi Nyambi, Tschi Hun Kim, Annemarie Lawless, Frank Dattolo, Richard Morant, Julissa Perez - Fassung: O.m.d.U.