Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
19.03.2002. In der SZ erklärt Susan Sontag, warum sie Elfriede Jelinek nicht lesen kann. In der FR plädiert der Historiker Klaus-Dietmar Hanke für einen "Ort der Erinnerung" an die Stasi. In der FAZ beschreibt Beqe Cufaj die Wirkung von Slobodan Milosevic' Selbstverteidigung auf die Öffentlichkeiten im ehemaligen Jugoslawien. Und alle erinnern an Luise Rinser.

SZ, 19.03.2002

In einem Gespräch gibt Susan Sontag Auskunft über ihren neuen Roman "In Amerika" und erklärt, warum sie kein Buch über eine unsympathische Person schreiben könnte: "... ich habe nicht diese Toleranz gegenüber dem Abstoßenden, Bösartigen, Grausamen, die manche Schriftsteller an den Tag legen. Elfriede Jelinek zum Beispiel. Sie ist eine glänzende Autorin, doch wenn ich 'Die Klavierspielerin' lese, wird mir ganz schlecht. Den Film wiederum finde ich hervorragend." Wir erfahren aber auch etwas über ihre Beweggründe, nun gerade die Geschichte einer polnischen Schaupielerin nach einem authentischen Fall zu erzählen: "Mit Theaterleuten bin ich viel lieber zusammen als mit Schriftstellern, sie sind lebendiger, warmherziger, und sie gehen nicht so früh ins Bett."

Gustav Seibt
unternimmt den Versuch, das derzeitige italienische Oppositionsvakuum als eine historische Konstante zu begründen. Von Garibaldi über Mussolini: die Muster der Vereinnahmungen und Assimilationen gleichen sich. Bis heute sei demnach "die strukturelle Bedingung für die obrigkeitliche Organisation des Konsenses ... die traditionelle Alternativlosigkeit der italienischen Politik, das Fehlen eines realen parlamentarischen Wettbewerbs." Für Seibt ist "der Medienmanager Berlusconi die modernste, schäbigste Gestalt des Bonapartismus, die Herrschaft einer Clique im Namen kleinbürgerlicher Massen." Und das derzeitige "Versagen der Linken" erscheine als "eine düstere Erbschaft italienischer Politikmuster, aber auch der kommunistischen Parlamentsverachtung."

Um die lange Schlange, die sich in Anwartschaft auf eine Helden-Sprechung gebildet hat, geht es in einem nur teilweise polemischen Text des israelischen Psychologie-Professors Dan Bar-on. Politische Führer, Kommandanten, Siedler, Mütter, Kriegberichterstatter - alle warteten auf eine Posten als Held. Vielleicht, lässt Bar-on sein fikitives Komitee beschließen, ist "keiner von euch ein Held. In diesem blutigen Krieg gab es keine Helden. Aus heutiger Sicht solltet ihr alle vergessen werden."

Weitere Themen
: Wir lesen einen Nachruf auf Luise Rinser. Einen Nachklapp zur zweiten Kölner Lesegroßveranstaltung lit.cologne. Einen Bericht über ein Kolloquium, auf dem Blaise Pascals Anthropologie verhandelt wurde und eine kritische Zusammenfassung über die "Taubheit der Politik" beim Treffen der Deutsch-Tschechischen und Deutsch-Slowakischen Historikerkommission in Berlin.

Besprechungen lesen wir heute von einem Kammermusikabend der Geigerin Viktoria Mullova und der Pianistin Katia Labeque in München und einem Berliner Konzert unter der Leitung von Kent Nagano, der kontrastreich Brahms "Requiem" mit einem neuen Stück von Wolfgang Rihm koppelte. Gelobt wird eine Inszenierung von Don DeLillos "Der Tagesraum" im Nationaltheater Mannheim. Gewarnt wird dagegen vor der Kino-Komödie "Knallharte Jungs", die offenbar nur schlichte Teenager-Seelen zum Kichern bringt. Vorgestellt wird schließlich noch die Ausstellung "Dark Spring" mit 14 jungen, internationalen Künstlern in der Ursula Blickle-Stiftung im schwäbischen Kraichtal, die sich mit den Auswirkungen der Militarisierung auf unsere Gesellschaft beschäftigt.

Rezensionen: Der amerikanische Schriftsteller Stewart O'Nan bespricht den neuen Roman von Stephen King, rezensiert werden außerdem das Romandebüt des Argentiniers Jorge Victoriano Alonso, und eine Studie über das antike Judentum. (Mehr dazu in unserer Bücherschau ab 14 Uhr.)

FR, 19.03.2002

Der Historiker Klaus-Dietmar Hanke (TU Dresden) plädiert für einen Ort der Erinnerung an die Stasi. "Die begrüßenswerte Entdramatisierung der 'Vergangenheitsbewältigung'" dürfe "nicht zu schleichender Geschichtsvergessenheit führen". Hanke argumentiert, dass sich "totalitäre Herrschaft weniger nach ihrer Verbrechensfrequenz bestimmt, sondern nach der Kontrolldichte sowie dem gesellschaftlichen und individuellen Autonomieverlust. Nach diesen Kriterien war das SED-Regime sogar totalitärer als die NS-Diktatur." Und gerade weil "die Methoden des lautlosen Terrors und die 'Zersetzungsmaßnahmen' sehr diffus (gewesen) und im Nachhinein nicht immer leicht greifbar" seien, befänden sich ihre Opfer häufig in "Beweisnot".

Niels Werber analysiert den Vorschlag von John Arquilla, Professor an einer amerikanischen Navy-Kriegsschule und Berater der Denkfabrik "Rand", sich nicht auf die Verfolgung und Festsetzung von Osama bin Laden zu fixieren. Denn "das polyzentrische, polymorphe Al Qaeda-Netz (sei) mit einem Rhizom" vergleichbar und eben nicht "bürokratisch und hierarchisch strukturiert". Bin Laden sei zwar eine Schlüsselfigur, aber "viele Knoten des Netzwerkes kommunizieren und operieren, ohne auf bin Laden zugreifen zu müssen". Statt Ressourcen zu binden, solle man lieber darauf warten, bis "bin Laden als freier Mann Kontakt mit Al Qaeda-Knoten" aufnimmt und diesen "Datenfluss" dann abfangen.

Weitere Themen: Auch die FR würdigt die verstorbene Luise Rinser. Ein weiterer Nachruf gilt dem Kabarettisten Wolfgang Gruner. Jochen Wagner berichtet von Plänen für ein Performing Arts Center auf dem ehrwürdigen Woodstock-Gelände. Jörg Hackmann informiert über einen Denkmalstreit in Riga, in dem es um den Umgang mit der vorsowjetischen Geschichte geht, und Helmut Höge setzt seine Recherche nach den "letzten Roten" fort. Berichtet wird von einer Veranstaltung der "Internationalen Frühjahrsbuchwoche" in München, wo man über die "geistige Topografie" Indiens debattierte, und von einer Gemeinschaftslesung von Philippe Djian und Michel Houellebecq auf der lit.Cologne. Klaus Bachmann beschreibt die Vorbereitungen in den Niederlanden zur Feier ihres 400 Jahre alten, "ersten Global Players": der Ost-Indien Kompanie (mehr dazu hier). Die Molukker finden das allerdings nicht zum Feiern. Gunnar Lützow berichtet vorläufig zum letzten Mal aus London, und in der Kolumne "Times mager" geht es um neumodische längliche Schlüsselanhänger.

Besprochen werden die Ausstellung "Art & Economy" in den Hamburger Deichtorhallen und die Uraufführung von Enjott Schneiders Oper "Das Salome-Prinzip" am Gelsenkirchener Musiktheater (mehr hier).

TAZ, 19.03.2002

Andre Meier ist nach Serbien gereist "um zu hören und zu sehen, was der Serbe so denkt, über uns und sich, die Schuld und Den Haag." Gisa Funck berichtet von der lit.Cologne, und Lilli Brand erzählt von einer Frau, die ein Doppelleben als Bankangestellte und Heroinabhängige führt.

Besprechungen gibt es heute ausschließlich zu Büchern, u.a. zu Julian Barnes' neuem Roman "Liebe usw." und Pedro Rosa Mendes' Reiseroman "Tigerbucht". Christian Semler widmet sich im Politischen Buch einem Band mit neuen Quellen zur Stalin-Note.

Schließlich Tom.

NZZ, 19.03.2002

Christiane Schott schreibt zum Tod der Schriftstellerin Luise Rinser. Marc Zitzmann erinnert an den Musikerzieher Emile Jaques-Dalcroze. Thomas Schacher teilt mit, dass das Luzerner Osterfestival auf drei Säulen beruhen wird ("den fünf Sinfoniekonzerten im Kultur- und Kongresszentrum (KKL), den vier Chorkonzerten im KKL, in der Franziskaner- und in der Hofkirche sowie den sechs kleineren Veranstaltungen an verschiedenen Orten"). Besprochen werden zwei Uraufführungen des Genfer Balletts, eine Ausstellung über russische Architektur der letzten Jahre in London, eine Helmut-Ferderle-Ausstellung in Nantes und einige Bücher, darunter Maria Rybakovas Roman "Die Reise der Anna Grom" (siehe unsere Bücherschau ab 14 Uhr).

FAZ, 19.03.2002

Der kosovoalbanische Schriftsteller Beqe Cufaj beschreibt die Wirkung von Slobodan Milosevic' Selbstverteidigung in seinem Haager Prozess auf die Öffentlichkeiten des ehemaligen Jugoslawien: "Die serbischen Medien in Belgrad ebenso wie die albanischen Medien im Kosovo stilisieren jede Zeugenaussage vor dem Tribunal zu einem Zweikampf zwischen dem Expräsidenten und den Albanern. Jeder kleine oder größere Sieg des Angeklagten wird genauestens registriert. In Belgrad und Prishtina, aber auch in Sarajevo und Zagreb werden in der Presse Spekulationen darüber angestellt, wer Milosevics Verteidigung in Den Haag so generalstabsmäßig vorbereitet haben könnte: Wer hat ihm eigentlich die präzisen Informationen über die Zeugen besorgt? Wer ist dafür verantwortlich, dass sich Milosevic so energisch und unerschütterlich geben kann und sich mittlerweile, den eigenen Ankündigungen zum Trotz, an der Verhandlung beteiligt, als sei er sein eigener, solide vorbereiteter Verteidiger?"

Weitere Artikel: Paul Ingendaay schreibt zum 150. Geburtstag des katalanischen Architekten Antonio Gaudi - an seiner Kathedrale Sagrada Familia (mehr hier) wird nach wie vor gebaut, und nur Optimisten nehmen an, dass sie in 20 Jahren vollendet sei. Joseph Hanimann berichtet über den Stand der Planungen und Arbeiten im Viertel um die neue Nationalbibliothek in Paris - ein neues Quartier latin mit Universitäten und kulturellem Leben soll hier entstehen. Johan Schloemann resümiert ein Kolloquium zum Asylrecht in der Antike, die im deutsch-italienischen Zentrum am Comer See stattfand. Walter Hinck schreibt zum Tod der Schriftstellerin Luise Rinser. Matthias Rüb teilt mit, dass Ungarn jetzt endlich ein Nationaltheater hat - am 15. März wurde es eröffnet. Ulrich Wanner hat einem Düsseldorfer Symposion über die Wirkung der Aufklärung zugehört. Auf der Bücher-und-Themen-Seite setzt sich Thomas Weber ganzseitig mit dem Kausalitätsbegriff in den Biowissenschaften auseinander, der offensichtlich noch der Klärung bedarf.

Auf der letzten Seite berichtet Andreas Rossmann von dem Festival lit.Cologne, das der Stadt Köln ein wenig literarisches Leben bescheren soll. Andreas Platthaus resümiert einen Kongress des Vereins der Redenschreiber deutscher Sprache in Dresden. Und Katja Gelinsky schreibt ein kleines Profil des republikanischen Politikers Bill Frist, der der einzige Mediziner im amerikanischen Senat ist.

Auf der Medienseite porträtiert Andreas Rosenfelder Manuel Andrack, den zweiten Mann in der Harald-Schmidt-Show und feiert seine "grandiosen Alltagsdialoge" mit dem Meister. Jürg Altwegg hat die erste NZZ am Sonntag gelesen: "Auch als Zwischentitel waren Überschriften wie 64 Liebesstellungen dem NZZ-Leser bislang kaum je zugemutet worden." (Im Internet hat der Artikel leider eine ganz andere Überschrift!) Und Jörg Thomann schreibt zum Tod des Kabarettisten Wolfgang Gruner. Auf der Gegenwartseite fordert der Germanist Horst Haider Munske einen Neuanfang in der Rechtschreibreform.

Besprochen werden die große Jan-van-Eyck-Ausstellung in Brügge, die "Antigone" des Sophokles in Köln, Torsten Fischers Kölner "Don Carlo", eine Ausstellung des Fluxus-Künstlers Ben Vautier in Koblenz und eine Ausstellung über Architektur in der Fotografie der Gegenwart in Karlsruhe.

Aber gekauft werden muss die FAZ heute so oder so, denn sie bringt die erste Literaturbeilage zur Leipziger Buchmesse: 36 Seiten. Hubert Spiegel eröffnet sie mit einer Besprechung von Andreas Maiers Roman "Klausen" . Besprochen werden außerdem Bücher von Philip Roth, Yasmina Khadra, Elke Schmitter, Andzrej Stasiuk, Karl-Heinz Bohrer, Giorgio Agamben und und und.