Post aus der Antarktis

Tourismus in der Antarktis

Von Isabel Köhler, Bernd Schuldt
11.09.2001. Keine Touristen in die Antarktis! Die menschliche Vernunft sollte erkennen, dass auf dieser Erde für Geld nicht alles zu haben ist. Es muss ein Gebiet geben, dass in seiner Einzigartigkeit allein der Erforschung tiefgreifender Zusammenhänge von Vorzeit und Zukunft für die Menschheit und damit für alle nachfolgenden Generationen erhalten bleibt.
Liebe Leserinnen und Leser,

schon wieder sind drei Wochen wie im Fluge ins Eis oder über das Land gestrichen. Das ist auf der Neumayer-Station nicht anders als an allen anderen Orten dieser Erde. Ganz besonders schnell verging diese Zeit sicher in den Urlaubsorten, in denen in diesen Wochen Hochbetrieb herrschte. So möchten wir uns nun wieder mit einem neuen Brief aus der Antarktis melden. Dabei ist Urlaub oder in diesem Falle besser Tourismus unser Stichwort.

Vor einigen Wochen flatterte nachfolgende Meldung in unseren "Postkasten":

To: The Bancroft Arnesen Explore Community
From: Liv Arnesen

Have you always been interested in setting foot on Antarctica? Would you like to make your New Year's holiday one to remember for a lifetime? I have the answer for you! Join me on one of two Antarctic voyages that are more expeditions than cruises (at least until dinnertime, when they become more cruise than expedition).On each cruise, I'll share stories about historic and present day explorers of Antarctica. It should be lots of fun!My husband Einar and I will join 96 guests for the outbound leg of their trip to the Antarctic Peninsula and the Polar Circle (which will run from December 28, 2001 through January 7, 2002). We'll cross the Drake Passage from Cape Horn and explore the South Shetland Islands and the Antarctic Peninsula. Plans include one to two Zodiac landings a day guided by naturalists with lots of firsthand Antarctic experience. Einar and I will stay on the continent for a few days and then we'll join the guests for the return leg of the Antarctic Peninsula Expedition Cruise (which will run from January 7 through January 15, 2002)...

... I hope to see you on one of the two terrific Antarctic cruises.
Sincerely,
Liv Arnesen


Diese Nachricht, oder besser Einladung, hat uns ziemlich betroffen und ratlos gemacht, so dass wir uns in diesem Brief ein wenig damit auseinandersetzen wollen.

Da hat Frau Arnesen gerade mal eine an sich schon schwachsinnige Aktion abbrechen müssen, weil sie sich mit ihrer amerikanischen Kollegin Bancroft zuviel zugemutet hatte. Sie hatte versucht, die Antarktis auf Skiern unter Einbeziehung des Windes mittels Lenkdrachen zu durchqueren. Aber sie schaffte es nicht rechtzeitig vor Einbruch des Winters. Durch den Einsatz eines Twin-Otter-Flugzeuges wurden beide in einer aufwendigen Aktion vom Schelfeis geborgen.

Über den Unsinn einer solchen Antarktis-Querung braucht man nicht viele Worte zu verlieren, denn einen Sinn ergibt so ein Marsch nicht. Er erhebt keinerlei Anspruch auf irgendeinen wissenschaftlichen Beitrag zur Erforschung des weißen Kontinents. Vielleicht vermag er, bei reichlich gutem Willen, zu zeigen, dass es unter bestimmten günstigen Begleitumständen auch Frauen möglich ist, die weiße Einöde auf Skiern zu bezwingen. Das hat nicht geklappt, also dürfte die profitable Seite der Geschichte umstritten sein. Und darum muss die Antarktis erneut herhalten - dieses Mal jedoch viel schlimmer als bei der Wanderung über den Südpol.

In dem biologisch wie ökologisch sensibelsten Gebiet der Antarktis, auf der Halbinsel, soll nun der Tourismus dank Frau Arnesens Mitwirken angekurbelt werden. Uns scheint, die junge Frau hat ein wenig zu viel Wind in die Ohren bekommen, als sie mit Frau Bancroft auf dem Weg über Eis und Schnee war. Ansonsten könnte man kaum auf die Idee kommen, eine Abenteuerkreuzfahrt zur Antarktischen Halbinsel und den Süd-Shetland-Inseln zu unterstützen.Diese Gebiete werden vor allem von antarktischen Vögeln als Brutplätze genutzt.

Einige Tage später erhielten wir ein Fax, in dem die von Frau Arnesen angekündigten Reisen durch die Norden Tours GmbH Hamburg detailliert angeboten werden. Wir haben dafür folgenden Zwischentitel gewählt:



Und die Pinguine stehen Spalier ...

... für die reich Begüterten, die sich die obskure Reise zur Antarktischen Halbinsel und deren Betreten leisten können. Hoffentlich tun die Pingis ihnen den Gefallen nicht und sind längst über alle Berge, wenn die Touris ankommen. Schöner wäre, sie würden einen undurchdringlichen Verteidigungswall errichten! Wir finden, es ist nahezu haarsträubend, was Sesselfurzprospektautoren mit Alpengletschermentalität von sich geben: Klassische Antarktis-Expedition... faszinierende Artenvielfalt der Antarktischen Halbinsel... Wie ein Empfangskomitee stehen die Pinguine am Strand, um sie als Besucher gebührend (!!!) zu begrüßen...

Da wird doch allen Ernstes etwas angeboten, das vielfältigen Bemühungen Hohn spricht, den antarktischen Kontinent als letztes Gebiet unberührter Natur zu belassen. Und wenn, gerade durch Messungen an unserer Station belegt (Forschungsprojekt von Christian Temme / Universität Jena / GKSS) , herausgefunden wurde, daß nach vorsichtiger Erhebung etwa 40 Tonnnen Quecksilber von August bis November 2000 über der Antarktis niedergegangen sind, so ist das schon sehr schlimm. Denn diese Verunreinigungen werden nirgendwo anders als in den hochindustrialisierten Gebieten der Nordhalbkugel produziert. Und vornehmlich aus Europa, so scheint es, sollen sich die Teilnehmer der Fahrten rekrutieren.

Was soll denn nun so eine 14tägige Tour kosten?

Schlappe 9 500 bis 12 500 DM (in Euro entsprechend ausgezeichnet). Preise, bei denen Du und ich jederzeit so eine Tour mitmachen können, um Pinguine Spalier stehen zu lassen - wenn man es ihnen vorher doch nur beibringen könnte. Aber das ist in dem Preis leider noch nicht enthalten. Wir möchten zu bedenken geben, dass einige Moose, Flechten und andere Pflanzen, die tausende von Tage benötigen, um sich gegen alle Naturunbilden zu behaupten, mit einem Fußtritt auf tausende von Tagen zerstört sein können, von Nestbeschädigungen und andere Störungen des Brutbetriebes der Vogelwelt gar nicht zu reden.

Wohlan und nur zu: Leute, zerlatscht das bisschen Grün, das auf weniger als zwei Prozent der Gesamtfläche der Antarktis zu überleben versucht und jagt den Pinguinen durch angemessene Kleidung (zum Beispiel Tirolerhut und Knickerbocker, Trachtenkleid und Wetterstiefel) solch einen Schrecken ein, dass sie glatt nach hinten umfallen.

Als besonderes Bonbon wird angekündigt, dass bei einer der Reisen Frau Arnesen höchstpersönlich an Bord der "Polar Star" sein wird. (Das Schiff trägt die Flagge von Barbados, das selbstredend nicht Mitgliedsstaat des Antarktis-Vertrages ist - bitte verwechseln Sie es nicht mit dem deutschen Forschungsschiff und Eisbrecher "Polarstern"!!!). Eine mehr als zweifelhafte PR.

Doch damit nicht genug.

Einige Tage später wird eine weitere Reise, wieder mit der "Polar Star" angeboten. Der Titel lautet diesmal: "Antarktis und Weddell See - auf den Spuren von Otto Nordenskjöld". Noch ein Werbe-Bonbon gefällig:

Dennoch übt die Antarktis eine magische Anziehungskraft aus. Noch heute ist eine Reise dorthin eine einzigartige Herausforderung für abenteuerlustige Naturfreunde (wenn Sie dann die paar Mark fünfzig locker haben und komfortabel mit einem umgebauten Eisbrecher anreisen.)

Man mag nun einwenden, daß die antarktischen Forschungsstationen ebenfalls Umweltverschmutzungen verursachen. Das ist bis zu einem geringen Maß durchaus der Fall. Aber wir wissen: Nirgendwo wird so sorgsam und aufopferungsvoll mit Abfällen und Rückständen umgegangen, wie auf den Forschungsstationen der in der Antarktis vertretenen Nationen. Das fordern die verbindlichen Verträge, die, so scheint es, den Tourismus nicht betreffen.

Wir möchten mit diesem Beitrag auf eine Problematik hinweisen, die zu einem ausufernden und profitablen Geschäft zum Nachteil der Antarktis werden könnte. Spätestens seit wir diesen Kontinent betreten haben, liegt uns sein Wohlergehen sehr am Herzen. Es ist eine einzigartige Umgebung, die unter allen Umständen erhalten werden muss. Es tut in der Seele weh, mit ansehen zu müssen, wie dieses letzte, fast unberührte Fleckchen "Erde" vom Tourismus "erschlossen" und früher oder später von "vielen Menschen guten Willens" zerstört werden wird.



Dieser Kontinent reagiert auf äußere Einflüsse äußerst sensibel. Wir haben gelernt, behutsam mit ihm umzugehen. Wir wollen mit diesem Brief unserer Angst um dieses beeindruckend farbenfrohe Weiß Ausdruck verleihen. Und wenn Entsetzen und Empörung mit anklingen, dann hören Sie richtig. Wenn wir die aufmerksame und geneigte Leserschar des "Perlentauchers" für diese einzigartige Perle Antarktis sensibilisieren können, würde uns dies sehr viel bedeuten. Es wird uns sicher nicht gelingen, die Entwicklung des Tourismus aufhalten zu können, aber es ist zuweilen wohltuend, sich Manches von der Seele zu schreiben und wir müssen später dann nicht sagen, dass "wir gar nichts getan haben".

Die menschliche Vernunft sollte nach den aus heutiger Sicht völlig sinnlosen barbarischen Abschlachtungen und fast vollständigen Ausrottungen von Walen, Robben und Pinguinen erkennen, dass auf dieser Erde, unserem einzigen Lebensraum, für Geld nicht alles zu haben ist. Es muss ein Gebiet geben, dass in seiner Einzigartigkeit für jetzt und alle Zeit einzig und allein der Erforschung tiefgreifender Zusammenhänge von Vorzeit und Zukunft für die Menschheit und damit für alle nachfolgenden Generationen erhalten bleibt, sozusagen Lebensfeindlichkeit als Quelle der Erkenntnis für die Zukunft. Wenn dies nicht gelingt, befürchten wir, dass sich für entsprechende Bezahlung bald die ersten touristischen Überwinterer auf den Antarktis-Stationen aufhalten werden.

Einer unser Träume ist: Immer mehr Menschen erkennen, dass Reisen wie die oben erwähnten, völlig unnötig sind und derartige "Expeditionen" ein für allemal in den Aktenschreddern der Reiseveranstalter verschwinden sollten...
Und immer mehr Menschen begreifen, wie gefährlich für diesen Teil der Erde der Tourismus ist, so dass irgendwann niemand mehr an solchen Reisen teilnehmen würde...

Quo vadis Antarktisvertrag?

Isabel Koehler & Bernd Schuldt
Stichwörter