Magazinrundschau

Sexy und intellektuell

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
04.10.2016. Die britische Klassengesellschaft lebt, ruft der Guardian, und sie ist nicht nach schwarz und weiß getrennt. Saudi-Arabien ist nicht so homogen, wie man glaubt, weiß die New York Review of Books. Der Marxismus zensiert die Sehnsucht, lernt die London Review of Books von Marguerite Duras. Der Merkur analysiert die psychosozialen Dynamiken von Literaturjurys. Der New Yorker will unsere Hirne in die Cloud hochladen.

Guardian (UK), 27.09.2016

Die Klassengesellschaft in Britannien ist so lebendig wie eh und je. Und sie wird geleugnet wie eh und je. Von rechts wie links, erklärt Lynsey Hanley in einem Auszug aus ihrem Buch "Respectable: The Experience of Class", den der Guardian abdruckt. Heute ist alles Mittelklasse. Arbeiterklasse gibt's nicht mehr, statt dessen gibt es jetzt die "weiße Arbeiterklasse", die sich angeblich um ihre Identität sorgt: "Betrachtet man die Berichterstattung über die Brexit-Abstimmung, so wird der Eindruck erweckt, man könne die Bevölkerung Britanniens leicht in Stämme einteilen. Die Stämme, zu denen die Journalisten gehören, müssen nicht benannt werden. Sie sind einfach 'Leute'. Jeder andere, der aus dem urbanen Mittelklassestamm herausfällt, ist eine 'community' - üblicherweise definiert durch Rasse und Religion. Menschen aus dieser Gruppe müssen 'verstanden' werden, statt dass sie sich selbst vertreten können."

Außerdem: Sam Knight porträtiert den britischen Politiker Daniel Hannan, der seit 20 Jahren für den Austritt seines Landes aus der EU arbeitet. Und Alexander Stille lässt in seiner Reportage keinen Zweifel daran, dass die ägyptische Regierung entgegen aller Beteuerungen verantwortlich ist für den Mord an dem italienischen Forscher Giulio Regeni.
Archiv: Guardian

Nepszabadsag (Ungarn), 04.10.2016

Kurz vor der Abstimmung in Ungarn über die von der EU vorgeschlagenen Flüchtlingsverteilungsquoten warnte die Redakteurin und Kulturjournalistin Judit N. Kósa vor den mittel- und langfristigen Folgen der Kampagne: "Wie auch immer das Ergebnis der Abstimmung ausfällt, am 3. Oktober wird unsere Heimat ein Land sein, in dem Solidarität keinen Wert mehr hat. (...) Das grundsätzliche Organisationselement der Wohlfahrtsdemokratien ist Solidarität. Darauf basierend funktioniert seit mehr als hundert Jahren die Rente, die Gesundheitsversorgung, die Bildung. Wer über lange Zeit die lügnerische Alternative in die Köpfe der Ungarn hämmert - entweder DU oder die aus ihrer Heimat geflohenen Flüchtlinge -, der wird bereits mittelfristig eine gesellschaftliche Katastrophe verursachen: er stellt das systemorganisatorische Prinzip der gesellschaftlichen Solidarität in Frage. Und was in diesem Lande in Frage gestellt werden kann, das wird auch in Frage gestellt. Der nächste Schritt ist vorprogrammiert."
Archiv: Nepszabadsag
Stichwörter: Flüchtlingspolitik, Rente, Ungarn

Slate.fr (Frankreich), 03.10.2016

Fanny Arlandis schildert in einer mehrteiligen Reportage die schwierige Rolle männlicher syrischer Flüchtlinge im Libanon, die dort– zum Teil schon jahrelang in Lagern leben. Sie können sich nicht frei bewegen, müssen sich anders verhalten als zu Hause und können sich nicht um ihre Familien kümmern. Ihre gesellschaftlich definierte Rolle, immer stark sein zu müssen, gerät damit ins Wanken. Arlandis war im Lager mit einem Psychologen unterwegs, der die Situation der Männer so einschätzt: "„Der Krieg definiert die Beziehung zwischen Vätern und Kindern neu, da die Familie in Syrien im erweiterten Sinne heilig ist. Auch Onkel und Großvater beteiligen sich an der Erziehung. Wenn also ein Mann ohne seine Familie in dieses Lager hier kommt, muss er all diese anderen Männer ersetzen und ihre Rolle übernehmen, wodurch sich der Druck auf ihn um ein Vielfaches verstärkt.“" Im zweiten Teil der Reportage geht es um „die Unmöglichkeit, Vater zu sein“, der dritte Teil wird morgen online gestellt.
Archiv: Slate.fr

New York Review of Books (USA), 13.10.2016

Nicolas Pelham, ein Kenner Saudi-Arabiens, liest einige neue Bücher über das düstere Land, das intern vielfältiger und gebrochener ist, als man es sich hier vorstellt - bis hin zu bürgerkriegsartigen Zuständen im Osten des Landes, wo das Öl ist und die Schiiten leben. Dabei hat sich die wahhabitische Fraktion des Königshauses erst 1979 vollends etabliert, nachdem Schiiten die Moschee in Mekka gestürmt hatten und der Klerus dem Königshaus die Rückeroberung des Gebäudes erlaubte "und im Gegenzug forderte, dass das Könighaus Macht an den Klerus abgibt, um das Privatleben der Bürger zu kontrollieren. Die letzten Kinos und Konzerthallen wurden geschlossen. Frauen waren verurteilt, sich schwarz zu verschleiern." Nun regiert Mohammed bin Salman, offiziell Verteidigungsminister, der einerseits einige zaghafte Liberalisierungen andeutet, andererseits "das Neujahrsfest 2015 durch die Hinrichtung von 47 Personen zelebrierte - darunter 43 Dschihadisten und vier Schiiten, die größte Hinrichtungswelle seit der Niederschlagung des Aufstands in der Moschee von Mekka 1979. Während unseres Treffens sah sich der junge Prinz Nachrichtenvideos von Hinrichtungen auf einem riesigen TV-Bildschirm an - und schien die in sozialen Netzen kursierende  Karikatur seiner selbst als einem Teenager, der Politik wie ein Videospiel betreibt, bestätigen zu wollen."

La regle du jeu (Frankreich), 03.10.2016

Europa und die USA können natürlich mit Blick auf Aleppo weiterhin nichts tun, schreibt Bernard-Henri Lévy, aber "dann willigen wir - nach den Worten des französischen UN-Botschafters François Delattre - in ein neues Sarajewo ein, uns droht ein arabisches Guernica mit den russischen Schwadronen - trotz aller Unterschiede - in der Rolle der deutschen Legion Condor... Wir werden nicht nur Schande, sondern auch die extreme Verschärfung aller aktuellen Gefahren ernten - zunächst natürlich die einer noch dramatischeren Steigerung des Flüchtlingsstroms, der zum großen Teil aus Syrien kommt und direkte Folge der Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft in einem totalen Krieg ist."
Archiv: La regle du jeu

New Yorker (USA), 04.10.2016

In der neuen Ausgabe des New Yorker dreht sich alles ums Geld und wie man es verdient. Tad Friend erkundigt sich bei Sam Altman vom Gründerzentrum Y Combinator, wie man ein Start-Up zum Milliarden-Unternehmen macht, und bekommt einen Blick in unsere Zukunft: "Viele im Silicon Valley sind fasziniert von der Simulationshypothese, dass all unsere Erfahrungen aus einem Rechner stammen. Ein paar Milliardäre haben sogar Wissenschaftler angeheuert, um uns aus der Simulation zu befreien. Laut Altman droht die Gefahr der Kontrolle nicht von unseren möglichen Schöpfern, sondern von unseren eigenen Geschöpfen, Smartphones etwa. Für Altman ist das verträglichste Szenario das einer Fusion. Das bedeutet weniger Konflikt, meint er, sonst heiße es: Entweder die Künstliche Intelligenz oder wir. Die ultimative Fusion sieht er gekommen, wenn wir unsere Gehirne in die Cloud hochladen. Wir müssen den Menschen entwickeln, sagt er. Unsere Nachfahren werden das Universum erobern oder alles Bewusstsein auslöschen … Und bezogen auf seine Firma: Bestenfalls wird es die Technik der Zukunft erlauben, dass wir nicht mehr zwischen den wenigen und den vielen wählen müssen. Wenm Künstliche Intelligenz die Wirtschaft verändert, so Altman, werden wir unerschöpflichen Reichtum haben und jede Menge Verdrängung auf dem Arbeitsmarkt. Ein Grundeinkommen wäre dann wirklich sinnvoll. Und es würde den einen unter einer Million dazu befähigen, das nächste Apple zu erschaffen."

Außerdem: Nathan Heller testet, wie es sich in Schweden (fast) ohne Bargeld lebt. Sheelah Kolhatkar berichtet über mit allen Mitteln konkurrierende Fahrdienste. Larissa MacFarquhar erkundet, was in West Virginia los ist, wo alle plötzlich Trump wählen. Und eine Handvoll Autoren erzählt über ihre ersten Joberfahrungen als Dogwalker, Nacktmodell, wandelnde Eistüte.
Archiv: New Yorker

Hospodarske noviny (Tschechien), 03.10.2016

Zum 80. Geburtstag des 2011 verstorbenen Václav Havel fragt sich David Klimeš, welches von Havels Vermächtnissen heute am wichtigsten sei. "Havel vergaß nie jene innere Freiheit, die er in der Zeit der Unfreiheit im Milieu der Dissidenten gefunden hatte. Nur in dieser - wie er selbst sagte - 'naturgemäß verrückten' Welt konnte er frei sein. Im Jahr 1985 schrieb er kategorisch, sobald ein Dissident nach der Macht greife, mache er sich lächerlich: er werde zum 'Minister ohne Ministerium, General ohne Heer, Präsidenten ohne Republik'. Diese Freiheit des Dissidenten gab er niemals ganz auf, selbst als er Präsident (mitsamt Republik) wurde. Niemals formulierte er eine eindeutige und langfristige politische Ideologie. Deshalb ist es für heutige Politiker so schwierig, an Havel anzuknüpfen, also für jene, denen zumindest etwas daran gelegen ist." Klimeš schließt am Ende seines Artikels, neben dem Revolutionär Havel und dem Dramatiker Havel sei zwar der Präsident Havel am bekanntesten, doch biete Havel für die heutige Politik keinen "keinen verlässlichen Kompass dafür, mit wem man sich abgeben sollte und mit wem nicht". Heutzutage sei der am wenigsten bekannte Havel der wichtigste: der "Zerstörer der heuchlerischen Sprache".
Stichwörter: Havel, Vaclav

Gentlemen's Quarterly (USA), 28.09.2016

Der Autor Michael Chabon begleitet seinen Sohn Abe zu den Männer-Modeschauen in Paris. Der Junge, der mit seinen 13 Jahren supergut Bescheid weiß und einen ganz eigenen Stil hat, fällt sofort auf, wie der stolze Vater bemerkt, der seinem einer unverständlichen Leidenschaft frönenden Sohn die Reverenz erweist: "Was Abe von dem Moment an, an dem er er selbst wurde, anders machte - anders als seine Geschwister, seine Klassenkameraden, die meisten Kinder, die je gelebt haben - das war sein Wohlbefinden mit diesem Anderssein. Jeder will aus der Menge herausstechen, aber nur wenige von uns haben den Dreh raus und noch weniger wirklich die Courage, dem Druck der Konformität standzuhalten. Es war immer schon Abes seltene Gabe nicht nur herauszustechen und standzuhalten, sondern das auch noch mit Feuer zu tun. Und die Art, wie er sein Anderssein am deutlichsten ausdrücken konnte, war durch seine schicke Kleidung."

El Gatopardo (Mexiko), 02.10.2016

Die argentinische Journalistin Leila Guerriero hat ein langes Interview mit der Geigerin Dorothea "Dolly" Muhr geführt, die über vierzig Jahre mit dem Schriftsteller Juan Carlos Onetti zusammenlebte: "Immer fragt man Sie nach Juan. - So ist es, wenn mich jemand interviewt, geht es immer um Juan, nicht um mich. - Stört Sie das nicht? - Nein, warum? Ich finde das großartig. - Würden Sie sagen, wichtig von Ihnen beiden war er? - Was für eine dumme Frage, natürlich, er war einzigartig. - Empfanden Sie es nie als eine Last, dass Sie sich immer um alles kümmern mussten? - Nein, mir hat das gut gefallen, ich war ein bisschen wie eine Mutter. Ich habe ihn auch gegen die Journalisten verteidigt. Einmal kam Godard zu uns. Er wolle einen von Juans Romanen verfilmen. Juan hat gefragt: 'Whisky?' Und Godard hat gesagt: 'Nein, Wasser.' Juan fand das furchtbar. Und es wurde dann auch nichts aus der Zusammenarbeit. Juan hatte eine kleine Glocke mit der Inschrift: 'Dumme Fragen beantworte ich nicht.' Sie lag immer neben seinem Bett. - Und nach wem hat er damit geklingelt? - Nach mir."
Archiv: El Gatopardo

London Review of Books (UK), 06.10.2016

Bei Marguerite Duras waren die Türen immer weit geöffnet, schreibt Joanna Biggs bewundernd, auch die italienische Journalistin Leopoldina Pallotta della Torre wurde eingelassen und durfte ein Interview mit der Autorin führen. Das Buch ist bereits 1989 erschienen, aber erst 2013 ins Französische und jetzt ins Englische übersetzt worden. Biggs kann gar nicht genug bekommen, wenn Duras schön erratisch über die Liebe, die Literatur und die Mandarine von Paris spricht: "Duras mochte andere Frauen, wenn sie Schauspielerinnen waren; Simone de Beauvoir konnte sie nicht leiden, Nathalie Sarraute war eine ihrer engsten Freundinnen. Dem Feminismus misstraute sie als einem 'blanken Aktivismus, der nicht zwangsläufig zur weiblichen Emanzipation führt'. Sie verließ die Kommunistische Partei in den späten Fünfzigern und sah im Marxismus ein Instrument, 'um Erfahrung und Sehnsucht zu zensieren'. Sie las meistens nachts bis drei oder vier Uhr früh - 'Tageslicht zerstreut die Intensität' - und zwar immer wieder 'Die Prinzessin von Clèves', 'Der Mann ohne Eigenschaften' und 'Moby Dick'. Zeitgenossen? 'Wer liest die denn? Ich glaube, die sind langweilig...'"

Weiteres: Adam Mars-Jones widmet sich ausführlichst Ian McEwan Roman "Nutshell", Jon Day liest Bücher über den tschechischen Langstreckenläufer Emil Zátopek. Außerdem schreibt Marina Warner über ihre Eltern.

Chicago Magazine (USA), 19.09.2016

Drill Rap ist die nochmal drastischere Version von Gangsta Rap unter Rückgriff auf die Eskalationspotenziale von Youtube und Social Media, die dann im echten Leben und zur Verteidigung vermeintlicher territorialer Ansprüche mit Waffengewalt in blutige Gewalt umgesetzt werden. Ein zentraler Hotspot der Szene ist Chicago, wie vor kurzem auch in Spike Lees Film "Chi-Raq" zu sehen. In einer immens lesenswerten und spannenden Reportage berichtet nun der Soziologe Forrest Stuart von seinen 18 Monaten, die er dort zur Feldforschung bei den Gangs verbracht hat. Er erzählt von Kids, die schon anhand der auf den Straßen aus Autos und Hinterhöfen heranwehenden Musik erkennen können, ob Gefahr besteht oder nicht. Aber er lernt auch Rapper kennen, die in ihren Videos zwar ein wüstes Image pflegen, sich im echten Leben aber rührend um ihre Kinder kümmern. "Ich fragte ihn, warum er in seinen Videos so eine gewalttätige Figur darstellt. Er drehte die Frage um: 'Würde ich das nicht tun, wärst Du dann überhaupt hier unten bei uns armen Schluckern? Würde es Dich überhaupt jucken, dass es mich gibt?' Er hat recht. Oder wie es ein anderer Rapper der CBE Gang ausdrückt: "Weißt Du, die Weißen, Mexikaner, die Bitches, die leben dieses Leben zwar nicht, aber sie lieben es, davon zu hören. Die Leute lechzen nach diesem Chiraq-Kram. Sie wollen den Superschurken-Ghettomann und genau den liefere ich ihnen. Ich spiele hier nur meine Rolle.' Diese Rolle besteht darin, im Mittelpunkt von CBE zu stehen. Für die Gang - und andere Gangs auch - sind die Rapper ein Ticket raus aus der Armut. Die anderen Gangmitglieder haben die Aufgabe, die Rapper zu unterstützen und zu schützen. Jeder Rapper hat ein oder zwei Shooters. Das sind die Leute, die die Drohungen handfest bekräftigen, die die Rapper über ihre Texte und die sozialen Medien in die Welt absetzen. Und, ja, das bedeutet tatsächliche Schusswechsel und Morde. ... Die Gegend um die Lincoln Homes ist umstellt von rivalisierenden Gangs. Je häufiger A.J. auf Instagram den starken Mann markiert, umso isolierter wird CBE - und umso gefährlicher wird es für die Gangmitglieder."

Merkur (Deutschland), 01.10.2016

Dirk Knipphals denkt grundsätzlich über die Arbeit von Jurys nach, die im Literaturbetrieb immer wichtiger werden. Knackpunkt, meint er, seien nicht Inkompetenz, Mauscheleien oder Ähnliches, sondern die ganz normalen psychosozialen Dynamiken, die einen bei jeder Sitzung herumwerfen "wie in schwerer See": "Man selbst sitzt innerlich bebend vor Hoffnung da, Gleichgesinnte zu finden, und stößt auf eine Wand leerer Gesichter. Die Prozesse, die in einem solchen Moment, manchmal in Hochgeschwindigkeit, ablaufen, sind komplex. Man selbst hat vielleicht noch ein paar Sekunden Zeit, einen Rückzieher zu machen, indem man etwa auflacht und so etwas sagt wie: 'Versuchen kann man es ja mal.' Oder man entscheidet sich dazu, jetzt eine Grundsatzdebatte vom Zaun zu brechen. Und die anderen Juroren können einen entweder auszugrenzen versuchen - möglicherweise hatte ein Juror mit einem noch eine Rechnung offen - oder einem signalisieren, dass man sich, wie es in der auswärtigen Kulturpolitik heißt, zumindest darüber einig ist, sich in diesem Punkt nicht einig zu sein, und dass man vielleicht am einfachsten zum nächsten Punkt kommen sollte. Wenn das gelingt, hat der Vorfall wiederum einigen Juroren Gelegenheit geboten, sich als Moderator zu profilieren - und wieder haben sich die Loyalitäten innerhalb der Jury ein Stück weit verschoben."

Elena Meilicke schreibt in ihrer neuen Filmkolumne über die neuen postpatriarchalen Fernsehserien, die mit den alten Frauen-Seiren mehr viel gemeinsam haben, und selbst mit modernen Serien wie "Girls". Die Amazon-Serie "Transparent" zum Beispiel funktioniere als Mischung aus Gender-Seminar, Identitätsdiskurs und Tearjerker: "Die Serie ist queer und jüdisch und sexy und intellektuell und Selbstverwirklichungs-Story und Familiensaga. Man kann auch sagen: 'Transparent' ist große amerikanische Erzählkunst der allergeschmeidigsten Art. Zusammengehalten werden die vielfältigen Interessen und weit auseinander liegenden Tonlagen von der flexiblen Passform des Melodrams, jener Gattung, die als 'Medienbastard' Handlung mit Musik verkoppelt (für Transparent extrem wichtig: viel sentimentaler Folk, mit Bedacht ausgewählt und präzise platziert) und dabei auf schnelle Glückswechsel und gesteigerte Affektivität setzt."
Archiv: Merkur

New York Times (USA), 02.10.2016

In der neuen Ausgabe des New York Times Magazine erklärt Robert Draper, wie geschickt Donald Trump die Medien nutzt: "Die konservativen Talk-Sender und Fox News erreichen zusammen ein 50-Millionen-Publikum; die meisten von ihnen sind ältere Republikaner, die in den Wahljahren aktiv werden. Die Online-Medien sind da noch gar nicht mitgerechnet … Trump war ein Fernsehstar lange bevor er Politiker wurde. Er sieht exzessiv Nachrichten und versteht das Medium genau. Er kennt die optimalen Zeitpunkte in den Morgen-Shows genauso wie die Wirkung der Beleuchtung im Studio. Er kennt nicht nur jeden Senderchef, sondern auch ihre Agenten. Er beobachtet und nutzt die Meinung der Gastgeber und ihrer regulären Gäste besser als jeder Medienkritiker … TV-Sender und Redakteure aller Couleur haben von Trumps Auftritten profitiert, doch einige schielen auf mehr als auf die Quote. Die Aussicht auf einen Platz in der Trump-Administration erscheint vielen als einmalige Gelegenheit. Indem Trump einige Medien-Vertreter in seine Debatten-Vorbereitungen miteinbezog, suggerierte er, die konservativen Medien wären längst Teil seines Wahlkampfteams."

Außerdem: Bruce Schoenfeld erläutert eine neue Messtechnik im Baseball, mit der es erstmals möglich ist, die defensive Leistung der Spieler zu valuieren. Und Wil S. Hylton erzählt, wie Baltimores Staatsanwältin Marilyn Mosby von Trump und seinen Wählern gehetzt wird, nachdem sie gegen fünf Polizisten wegen des Todes von Freddie Gray Anklage erhoben hatte und der Fall abgeschmettert wurde.
Archiv: New York Times