Heute in den Feuilletons

Die Kinder harrten mit Verlangen

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
21.12.2010. Spiegel Online berichtet über einen Plan der britischen Regierung zu rigoroser Internetzensur. In der Welt artikuliert  Riccardo Chailly seinen ganzen Frust über Sänger. Die SZ verteidigt das Regietheater gegen heute Abend zu erwartende Buhrufe in der Münchner Oper. Die FR sieht Gespenster des Bürgerkriegs in Italien.

Weitere Medien, 21.12.2010

Auf Spiegel Online berichtet Konrad Lischka über einen Plan der britischen Regierung, Internet-Provider zentral zur Sperrung von Seiten zu verpflichten, die Kinder nicht sehen sollen. "Wie dieses Kinder-Internet aussehen soll, hat die Tory-Abgeordnete Claire Perry, eine der engagiertesten Befürworterinnen einer zentralen Sperrliste, der Sunday Times etwas konkreter beschrieben: 'Wir wollen sichergehen, dass unsere Kinder nicht über Dinge stolpern, die wir sie nicht sehen lassen wollen.' Diese Maßgabe offenbart das größte Problem eines solchen Sperrvorhabens: Wenn die Sperrliste Kinder jeden Alters vor Dingen fernhalten soll, die ungeeignet für sie sind - einmal vorausgesetzt, es gäbe darüber einen Konsens unter allen Eltern -, wird diese Liste sehr viele Internetangebote sperren müssen, die völlig legal sind. Angebote, die für Erwachsene und vielleicht auch für Teenager keine Bedrohung darstellen."


Stichwörter: Lischka, Konrad

TAZ, 21.12.2010

Die taz-Redakteure haben noch schnell ein paar Ideen für späte Weihnachtsgeschenke gesammelt. Julia Grosse schickt einen Brief aus einer Gerichtskantine in London. Dirk Knipphals schildert seinen Lieblings-Kleist-Moment. Besprochen wird Sebastien Lifshitz' Film "Plein Sud".

Und Tom.
Stichwörter: Grosse, Julia

Welt, 21.12.2010

Im Interview mit Kai Luehrs-Kaiser erzählt Riccardo Chailly, warum er nur noch das Leipziger Gewandhausorchester, aber nicht mehr die Oper dirigiert: "Sänger binden sich heutzutage meist nur für eine sehr kurze Periode an ein Haus. Sie sind total uninteressiert an einer kontinuierlichen Arbeit. Sie sehen Oper als Business zum Geldverdienen an, nicht als Kunst. Ich finde das unsagbar deprimierend."

Weitere Artikel: Jan Küveler besucht die Stuttgarter Herta-Müller-Ausstellung, die um Securitate-Dokumente über Oskar Pastior ergänzt wurde. Ulf Poschardt schreibt einen Nachruf auf die früh verstorbene Kunstliebhaberin Celia von Bismarck. Hanns-Georg Rodek feiert Tom Tykwers "Drei" als "deutschen Film des Jahres". Eckhard Fuhr lobt Kulturstaatsminister Bernd Neumann, der nun den Schweizer Martin Heller als Projektleiter des Humboldt-Forums in der kommenden Berliner Schlossattrappe vorstellte.

NZZ, 21.12.2010

Ungarns neues Mediengesetz ist auf der Seite eins Thema, Charles E. Ritterband lässt keinen Zweifel: "Ministerpräsident Orban hat sich damit unmittelbar vor Übernahme des EU-Rats-Vorsitzes einen Hebel geschaffen, um künftig durch die neu ins Leben gerufene Medien-Aufsichtsbehörde (NMHH) und einen ausschließlich mit Angehörigen der Regierungspartei Fidesz (Jungdemokraten) besetzten Medienrat die öffentlichrechtlichen Medien des Landes zu kontrollieren."

Im Kulturteil bringt uns Joachim Güntner auf den neuesten Stand des Kölner Kunstfälscherskandals. Außerdem annonciert Güntner einen weiteren Jahrgang von Kürschners Deutschem Literatur-Kalender. Auf der Medienseite beobachtet Beatrice Uerding den neuen Trend zum Selftracking, der minuziösen Selbstbeobachtung. Claudia Blumer stellt deutschsprachige Websites aus Russland vor.

Besprochen werden Ausstellungen zu japanischer Kunst in Lugano, Jonas Hassen Khemiris Stück "Fünf Mal Gott" in Solothurn, Wojciech Kuczoks Roman "Lethargie" und Roberto Calassos Essay "Das Rosa Tiepolos" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

FR, 21.12.2010

Von hier aus erwecken die Italiener zwar den Eindruck, als würden sie Berlusconi immer wieder wählen, weil sie ihn so großartig finden, aber Aureliana Sorrento konstatiert Unmut in allen Bevölkerungsschichten: "Für heute und morgen sind neuerlich Demonstrationen geplant. Und in Italien geht das Gespenst eines zweiten Bürgerkriegs um. In manchen Kreisen der Bevölkerung hat sich aber der Glaube festgesetzt, Italiens Patron werde man auf dem 'normalen' Weg nicht mehr los."

Lothar Vossmeyer erinnert an das vor dreihundert Jahren in Berlin gestürzte Drei-Grafen-Kabinett: "Es war das korrupteste Ausbeutungsregime, das es je unter den Hohenzollern gegeben hat. Die leidgeprüften Untertanen nannten das Regime der drei Grafen mit bitterer Ironie 'Das dreifache W(eh)' - nach dem Anfangsbuchstaben ihrer Namen: Wartenberg, Wittgenstein und Wartensleben."

Weiteres: Harry Nutt stellt ein neues Projektteam für das Humboldtforum vor. Besprochen werden Tom Tykwers Dreiecksgeschichte aus dem Berliner Kulturbetrieb "Drei" und Mathias Binswangers Plädoyer gegen falsche Effizienz "Sinnlose Wettbewerbe" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

FAZ, 21.12.2010

Die Kerner-Show mit den Guttenbergs in Afghanistan war ein Flop, schreibt Patrick Bahners: "Von den sieben Kerner-Sendungen seit dem 30. September hatte die Guttenberg-Show die zweitniedrigste Quote." Andreas Kilb sieht langsame Forschritte beim Berliner Schloss. Joseph Croitoru wirft einen Blick in osteuropäische Zeitungen, die sich mit den Schwierigkeiten des jungen Films beschäftigen. Auf der Medienseite beschreibt Nina Rehfeld den amerikanischen Radiomarkt, auf dem Moderatoren wie Rush Limbaugh oder Howard Stern unglaubliche Gagen verdienen.

Besprochen werden eine Picasso-Ausstellung im Kunsthaus Zürich, Roland Schimmelpfennigs Stück "Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes" in Wien, die Napoleon-Ausstellung in Bonn und Bücher, darunter Ross Thomas' Thriller "Der Yellow-Dog-Kontrakt" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

SZ, 21.12.2010

Heute hat Beethovens "Fidelio" in München Premiere. Regie führt der Radikalregisseur Calixto Bieito, und Reinhard J. Brembeck arbeitet sich schon mal am zu erwartenden Buh-Konzert ab. Regietheater, auch in der Oper, ist für ihn eine "alternativlose Notwendigkeit": "Ihren Nährboden findet sie in dem Umstand, dass sich das Opernrepertoire fast ausschließlich auf einen Kanon zwischen Mozart und Puccini beschränkt. Die Voraussetzungen zum Verständnis dieser Werke aber verschwanden im Laufe der Zeit, die Operninhalte wurden zunehmend fremder, es blieb nur noch der schöne Schein einer Musik, deren einstige dramaturgische Funktion wie auch die gesellschaftliche Zielrichtung zunehmend vergessen wurden."

Weitere Artikel: In der "Zwischenzeit" erfahren wir von Gustav Seibt, dass Goethe zwar nicht so recht ans Christkind, aber durchaus ans Weihnachtsfest glaubte: "Die Kinder harrten mit Verlangen,/ Und das Ersehnte wird herangerückt,/ Das holde Fest wird glanzvoll früh begangen." Thomas Steinfeld erinnert an Frank Zappa, der heute siebzig Jahre alt geworden wäre. Klaus Kreiser erzählt noch einmal die Geschichte der ehemaligen Sommerresidenz der deutschen Botschaft in Tarabya am Bosporus, wo demnächst eine deuthsche Künstlerkolonie eröffnet werden soll. Peter Andre Alt, Autor einer "Ästhetik des Bösen" und Präsident der Freien Universität Berlin, plädiert gegen die Inflation interdisziplinärer Forschung. Volker Breidecker besucht die Herta-Müller-Ausstellung im Literaturhaus Stuttgart, die nach Stationen in München und Berlin um neue Dokumente aus Oskar Pastiors Opfer- und Täterakte der Securitate ergänzt wurde.

Besprochen werden "King Lear" und "Peer Gynt" in Frankfurt, eine große Mondrian-Schau im Pariser Centre Pompidou und Bücher, darunter Urs Faes' Roman "Paarbildung" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).