Don DeLillo

Falling Man

Roman
Cover: Falling Man
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2007
ISBN 9783462039207
Gebunden, 304 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Deutsch von Frank Heibert. Keith Neudecker, der im World Trade Center gearbeitet hat, kann sich am 11. 9. aus einem der brennenden Türme retten. Er sieht, was geschieht, ohne es zu begreifen, und schlägt sich wie in Trance zu seiner Ex-Frau Lianne und seinem kleinen Sohn Justin durch. In ihrer Verzweiflung klammern sich Keith und Lianne aneinander, sie wollen aus der Einsamkeit der Angst in ein gemeinsames Leben zurückfinden. Gespräche, vor allem in Liannes Familie, kreisen um den Schock, um den Terrorismus als ständige Bedrohung. Justin und seine Freunde versuchen im Spiel ihre Angst vor den Terroristen zu überwinden. Keith durchlebt immer wieder das Trauma der Flucht aus den Türmen, und Lianne irrt ziellos durch die Stadt. Und dann sieht sie voller Entsetzen Falling Man, einen Performance-Künstler. Nur mit einem Seil gesichert, stürzt er sich als Chronist des Zeitalters des Terrors hoch oben von den Wolkenkratzern in die Tiefe. Der Terror bestimmt die Realität, aus der sich Keith, letztlich unfähig zu lieben, in die glitzernde Scheinwelt von Las Vegas zurückzieht - als professioneller Pokerspieler. Lianne und Justin bleiben zurück in New York.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.11.2007

Richard Kämmerlings scheint von diesem Roman tief beeindruckt zu sein. Der "Falling Man" des Titels bezieht sich auf eines der Opfer des 11. September. AP-Fotograf Richard Drew hielt an diesem Tag mit seiner Kamera einen Mann fest, der aus dem World Trade Center sprang: Kopf voran, die Arme fest an den Körper gepresst, ein Bein angewinkelt - wie ein eleganter Turmspringer, meint Kämmerlings. Und diesen Moment - der den Anschlag voraussetzt, den Tod des Mannes aber für alle Zeit hinauszuzögern scheint - diesen Moment scheint DeLillo in seinem Buch erzählerisch festhalten zu wollen. Erzählt wird die Geschichte des Immobilienmaklers Neudecker, lesen wir, der dem Anschlag nur physisch entkommt. Das Geschehen prägt ihn, er wird ein "soziales Wrack", das dem Poker verfällt. Es ist, so Kämmerlings, die Geschichte einer "Deindividualisierung". Eine "tröstliche Katharsis" - wie sie der von Christopher Walken in "The Deer Hunter" gespielte Nick erfährt - gibt es nicht. Die Katastrophe ist vielmehr "auf Dauer" gestellt.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 03.11.2007

Hundertprozentig gelungen findet Frank Schäfer Don DeLillos 9/11-Roman nicht, aber selbst da, wo DeLillo scheitert, kann er ihm das nicht übelnehmen. "Sperrig" nennt er den Roman, über weite Teile findet er ihn sogar "erstaunlich unspannend", auch einige allzu symbolisch aufgeladene Einfälle stören den Rezensenten und eine gewisse Handlungsarmut. Aber dagegen steht die mal bildmächtige, mal extrem karge Sprache, die DeLillo an genau den richtigen Stellen anzuwenden weiß. Oder die Montagetechnik, mit der DeLillo das Leben seines verstörten Helden mit dem Theodizee-Problem und der sich "hochschaukelnden Paranoia" verbindet.  Hier zeigt sich dann DeLillo dem Rezensenten als der große Schriftsteller: Mit einer "bescheidenen Poetik", mit Gesten der "Resignation und Demut" und mit großem Können: "Die ersten und die letzten Seiten dieses Romans sind fulminant."

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 27.10.2007

Überwältigt scheint Rezensent Christian Thomas von Don DeLillos Roman zum 11. September "Falling Man", den er mal als "grandiosen", mal als "großen neoexistenzialistischen" Roman preist. Ganz schlau werden wir nicht aus Thomas' Darstellung des Inhalts, aber so weit wir ihr entnehmen können, folgen wir Keith Neudecker, der dem Aschesturm entkommen kann, um sich in seiner Orientierungslosigkeit zunächst in die alte Ehe, dann in eine neue Affäre zu stürzen. Viel, aber ein wenig vage schreibt Thomas vom "rasenden Stillstand" oder vom "Schwebezustand im freien Fall", in den wir als Leser geführt werden. Keine Klarheit vermissen lässt der Rezensent in seiner Begeisterung für die Stilprinzipien DeLillos, der wie üblich mit filmischen Techniken und "hart aneinander geschnittenen Szenen" operiert und durch die Horizotale irren lässt. In dem Bild des aus dem Turm stürzenden Mannes, der "Selbsttötung des Todgeweihten" erkennt Thomas schließlich die letzte Auflehnung und den "Mensch in der Revolte". Frank Heiberts Übersetzung findet der Rezensent übrigens "meisterlich lakonisch".

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 27.10.2007

Die Erwartungen der Rezensentin Angela Schader an Don DeLillos Roman über den 11. September waren sehr hoch. Ein wenig werden sie enttäuscht, ganz offensichtlich aber auf doch hohem Niveau. Gegen die Figur des Helden Keith Neudecker, Jurist ohne großen Ehrgeiz, gibt es gar nichts einzuwenden, mit Leuten wie ihm kenne der Autor sich aus. Neudecker arbeitet im World Trade Center und entkommt dem Anschlag mit knapper Not. Sein wenig aufregendes Leben, das bisher nicht zuletzt die regelmäßigen Pokerrunden mit Freunden zusammenhielten, gerät in Unordnung - und er sucht den Kontakt zu seiner Ex-Ehefrau. Sehr viel weniger überzeugend als diesen Erzählstrang findet Schader allerdings den ihr eher als "Pflichtübung" erscheinenden Versuch DeLillos, sich auch in die Gedanken- und Gefühlswelten der Terroristen hineinzuarbeiten. Die Titelfigur des Performance-Künstlers, der das berühmte Foto eines vom brennenden World Trade Center stürzenden Manns nachstellt, versteht sie als Allegorie auf den Roman selbst: Gerade die Perfektion dieser Performance werde dem Geschehen nicht gerecht. Insofern sei DeLillos "Mischung aus Stasis und Zerfahrenheit" womöglich durchaus angemessen.