Vom Nachttisch geräumt

Nationalismus, Revolution, Terrorismus

Von Arno Widmann
15.02.2016. Nation-building auf Baskisch: Wie das geht und was man dazu braucht, erzählt Ibon Zubiaur.
Wir haben seit ein paar Jahrzehnten begonnen zu begreifen, dass Nationalismus nichts "natürlicheres" ist als "Verfassungspatriotismus". Über letzteren machen sich immer wieder angebliche Realisten lustig. Das sei eine Erfindung linksliberaler Professoren. Aber Blut sei nun einmal dicker als Paragrafen. Die Verfassungspatrioten müssten sich nun einmal damit abfinden, dass die Vorstellung, zu einer Nation zu gehören, in den Menschen viel tiefer verwurzelt sei als die Begeisterung über eine noch so schöne Verfassung. Jeder, der sich ein wenig beschäftigt hat mit der Geschichte der Nationen, weiß, dass sie alle Konstruktionen sind. Manche zu einem guten Teil ebenfalls von linksliberalen Autoren. Freilich sind sie Konstruktionen nicht nur in den Köpfen ihrer Prediger, sondern auch im Fleisch ihrer Völker. Wer dazu gehört und wer nicht, wurde immer wieder neu definiert. Mit Worten, mit Schwertern und Raketen.

Um diese Definitionen wird fast überall in Europa weiter gekämpft: In Katalonien und Schottland, Mazedonien und Südtirol. Mal geschieht das mit Bomben, mal ohne, mal geht es um Trennung, mal nur um die Verbesserung des Status jener Gruppen, die sich nicht als Teil der Nation sehen. Gleichzeitig verändern sich die Nationen durch Immigration. Die Nachfolgestaaten des Dritten Reiches - Bundesrepublik und DDR - waren durch dessen Massenmorde ethnisch homogenisiert wie deutsche Landschaften es noch nie in ihrer Geschichte gewesen waren. Das ändert sich gerade - auch auf dem Boden der ehemaligen DDR - gewaltig. Die deutsche Nation besteht nicht mehr nur aus Menschen, die einen Ariernachweis haben. Es wird uns - wie auch den anderen Ländern in Europa - gar nichts anderes übrig bleiben als der Verfassungspatriotismus. Aus zu vielen unterschiedlichen Völkerschaften bilden sich die vor unseren Augen entstehenden neuen Nationen Europas.

Der Band "Histories of Nations - How their Identities were forged" erzählt auf 320 Seiten wie - mehr oder weniger erfolgreich - in der Vergangenheit Nationen gebildet wurden. Von Ägypten bis zu den USA. Dazwischen u.a. China, Indien, Israel und Mexiko, Russland und die Türkei, 28 insgesamt. Es sind kurze Artikel, in denen Historiker der jeweiligen Länder die Entstehungsgeschichte ihrer Nation skizzieren. Manchmal zeigen die Autoren, wie eine Nation gebildet wurde, manchmal zeigen sie, wie sie selbst dabei helfen, durch ihre Erzählung eine Nation zu bilden. Geschichtsschreibung spielt eine ganz wesentliche Rolle in dem Prozess, in dem eine Nation nicht nur auf dem Gelände, sondern auch in den Köpfen seiner Bewohner entsteht.



"Wie man Baske wird" ist der Titel des vielleicht wichtigsten Buches zum Thema Nationalismus. Der Autor heißt Ibon Zubiaur. Wer noch irgendwelche Illusionen hat darüber, wie ein Nationalbewusstsein, wie eine Nation entsteht, der lese das Buch. Es ist die Lebensgeschichte des 1971 in Getxo bei Bilbao geborenen Autors, der am eigenen Leibe erfuhr, wie ihm ein baskisches Nationalbewusstsein eingebläut wurde.

Es ist eine kleine klar gegliederte Abhandlung, die einem vorführt, wie Identität hergestellt wird. Das beginnt bei den richtigen Namen, die man bekommt, wenn man sie noch nicht hat. Das geht weiter über eine Sprache, die geschaffen wird, wenn sie noch nicht existiert. Der Nation wird eine eigene Geschichte auf den gleichzeitig rassistisch geschmiedeten Leib geschrieben. Das alles spielt sich im Fall der baskischen Nation nicht in dunkler Vorzeit ab, sondern im 20. Jahrhundert. Die Normierung des Baskischen fand erst in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts statt. Das führte zu so paradoxen Ergebnissen, dass der Autor, der - trotz seines Namens - aus einem Hause kam, in dem spanisch, nicht baskisch, gesprochen wurde, besser baskisch sprach als seine Mitschüler: Deren Muttersprache war nämlich einer der baskischen Dialekte und nicht das von nationalistischen Intellektuellen künstlich geschaffene - sagen wir mal - Hochbaskisch.

Wer beim Wort "rassistisch" aufschreckt und das für eine Übertreibung hält, den belehrt Ibon Zubiaur eines Besseren. Er zitiert ausgiebig Sabino Arana Goiri (1865 - 1903) einen der Cheftheoretiker des baskischen Nationalismus: "Der Baske taugt nicht zum Dienen, er ist zum Herrn geboren; der Spanier ist zu nichts als zum Vasallen und Leibeigenen geboren (…). Der Charakter des Basken entartet, wenn er mit dem Fremden in Berührung kommt; der Spanier braucht von Zeit zu Zeit eine fremde Invasion, die ihn zivilisiert. (…) Die Sauberkeit des Basken ist sprichwörtlich (…); der Spanier wäscht sich kaum einmal im Leben und wechselt einmal im Jahr die Unterwäsche."

Das ist kein satirischer Text, sondern ernst gemeinte Rassenkunde. Sabino, so schreibt Zubiaur, "macht unmissverständlich klar, dass es ihm nicht um die Rückforderung lokaler Kulturmerkmale, die im Zuge der Industrialisierung bedroht erschienen, ging, sondern um eine Art biologischen Schutz seiner vermeintlichen Rasse". Einen Schutz, für den ihm jedes Mittel recht war: "Jeder Sohn des Baskenlandes ist zum Widerstand gegen die Entnationalisierung verpflichtet, auch wenn dazu Revolution, Terrorismus und Krieg notwendig sind. Die Ausrottung der Schullehrer und Agenten der Nationalisierung ist eine Pflicht, die die Natur von jedem Mann verlangt."

Ibon Zubiaur: Wie man Baske wird - Über die Erfindung einer exotischen Nation, Berenberg, Berlin 2015, 94 Seiten, 20 Euro.