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Zadies Welt

Von Rüdiger Wischenbart
12.03.2003. "I saw the best minds of my generation / accept jobs on the fringes of the entertainment industry ..." Es liest doch noch jemand Allan Ginsberg. Doch die Diskussion um Zadie Smiths neuen Roman "The Autograph Man" wird vor allem in Internettagebüchern und Weblogs geführt.
Im grundsätzlichen Urteil ist sie sich mit ihren scharfzüngigsten Kritikern erstaunlich einig. Sie sagt, ihr Erstling sei das literarische Gegenstück zu einer "hyperaktiven, ingwer-haar-farbenen, Stepp-tanzenden Zehnjährigen". Und Literaturkritiker finden, ihr neues, zweites Buch gleiche einer "von einem Kindergarten entworfenen Zeitung". (James Wood in der London Review of Books.)

Sie selbst stellte sich ihren amerikanischen Lesern bei einer von der Ost- zur Westküste führenden Lesereise unter der Überschrift "Amerikanische Schriftsteller und deren Haar" sowohl als kenntnisreiche Ratgeberin in Sachen Style und als selbstbewusste Autorin vor: "Some of you may know me as an English writer of third-person comic fiction, a scribbler of epic narratives populated by a colourful crowd of zany characters battling with a range of cultural issues, all speaking in the ponderous dialects of a world far removed from your own.?

Die New Republic, um keine Pointe verlegen, stellte einem der so beschriebenen "zany" (also fremdartig witzigen) Charaktere die Diagnose, es handle sich offensichtlich um einen fortgeschrittenen Fall von vorzeitig angehaltener psychischer Entwicklung, dessen pubertäre Witze jedoch rasch altbacken würden.

Doch alle, alle schreiben und reden über Zadie Smith, die "erste publizistische Sensation des neuen Millenniums" (The Guardian, im Januar 2000).

Ihr neues Buch, "The Autograph Man" ("Der Autogramm Händler", Droemer Knaur) erschien dieser Tage auch auf deutsch und hat die Welt der Medien- und Unterhaltungskultur zum Thema.

Der Autogrammhändler Alex-Li macht genau das, was der Titel ihm unterstellt, und Zadie Smith verfolgt ihn mit der gleichen artistischen Begabung, Jargons und kauzige Figuren in kraftvolle Stimmen zu verwandeln, wie sie es in ihrem Erstling mit Immigranten und englischen Lower Class Helden getan hatte, nur ist dies im zweiten Buch viel schriller, weil es eben diesmal direkt um die Chargen der Pop-Kultur geht.

Dass wirklich alle über Zadie reden, hat mehrere Gründe. Es liegt natürlich an ihrem fulminanten Debütroman "White Teeth" ("Zähne zeigen", 2000), an den "perfekten demographischen Eigenheiten" der Autorin, die "jung, attraktiv, schwarz, weiblich - und sehr talentiert" ist (The Guardian), und natürlich auch an der Entstehungsgeschichte der Sensation, die nicht zuletzt dadurch in Fahrt kam, dass Salman Rushdie die ersten 100 Seiten von "White Teeth" zu Star-Agent Andrew Wylie trug und der das noch unfertige Manuskript in einer großen Auktion für eine sagenhafte Viertel Million Pfund Sterling losschlug.

Spannend am Streit um den neuen Roman "The Autograph Man" ist, dass der Riss zwischen Literaturkritik und Fans präzise den Graben zwischen traditioneller Kultur und Internetkultur entlang läuft. Es ist eindrucksvoll, wie scharf da zwei tektonische Kulturblöcke aneinander schrammen, obwohl man doch längst nicht mehr an den Fortbestand solcher Blöcke in der unübersichtlich aufgesplitterten Kultur der Gegenwart glaubte.

Zadie hat dies jedoch wohl vorhergesehen, denn ihr Hauptdarsteller Alex-Li, halb Chinese, halb Jude, ruft einmal aus: "I saw the best minds of my generation/accept jobs on the fringes of the entertainment industry" und parodiert in diesem Zitat eines der berühmtesten amerikanischen Gedichte des vergangenen Jahrhunderts, Allen Ginsbergs "Howl" (mehr hier), das mit der Zeile beginnt: "I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving hysterical naked...", ein Gedicht, das Ginsberg in den fünfziger Jahren übrigens eine Anklage wegen Obszönität eintrug. Der Vorwurf der Obszönität entspricht offenbar heute dem Verfall in der Medienwelt, was zwar nicht mehr strafrechtlich, aber immerhin durch heftiges gemeinschaftliches Kopfschütteln geahndet wird.

Heutige Beatniks (die übrigens, ebenfalls auf Grundlage von Ginsbergs "Howl", längst ein eigenes "Digital Howl" gedichtet haben) erkannten in Zadie Smith die verwandte Stimme natürlich sofort. Die Reaktionen gerade auf den "Autograph Man" ziehen sich durch obskure Zeitschriften abseits der literarischen Revuen und durch persönliche Internettagebücher und "Blogs".

Da ist das Lesen von Romanen - von "Literatur" - ein gleichrangiger Bestandteil des Lebens neben "einer Beziehung, einem Job, Videospielen, Einkaufen von Vogelfutter oder der neuen von Radiohead vorgestellten CD". Und Schreiber wie Leser teilen den Blick von "Alex und seiner Generation (...) auf die Welt durch einen Filter aus Slogans, berühmten Filmszenen und 'internationalen Gesten' (...). Die am stärksten realen Erfahrungen scheinen nur teilweise wirklich zu sein, und teilweise aus irgendwelchen Quellen der Popkultur zu stammen."

Nun, das alles ist auch aus Glossen um die deutschen Popliteraten gut bekannt, doch schreiben die kaum, so wie Zadie Smith, neben Pop, Hairstyling und dem Sammeln von Autogrammkarten gleichrangig und souverän über den sehr realen, vielstimmigen, von pakistanischen, karibischen, irischen, jüdischen, muslimischen Einwanderern nebst Zeugen Jehovas und anderen bevölkerten Kosmos eines Immigrantenviertels im Norden Londons (oder Berlins, nein, auch nicht Kaminer), oder wagen es, ironisch die Kabbala zu deklinieren, während wenige Seiten danach ein Liebes-Dialog als banales Chat-Transkript daherkommt.

Zadie Smith regt auf, weil sie alles macht: virtuose Schriftstellerei mit großen Themen (Einwanderung! Identitäten!) UND glatten, stimmigen Trash, weil sie ein Star ist (man kann anhand der Vorspänne zu ihren Interviews den Wechsel ihrer Frisuren - Afro, Nicht-Afro - verfolgen), UND sie hat das Ohr auf der Straße. Sie hat Leser UND sie hat (richtige) Fans. Das ging bislang nur in der Musik (Björk, okay, wenngleich ohne Straße) und im Film (den nächsten Harry Potter macht Alfonso Cuaron, der Regisseur von "Y Tu Mama Tambien"). Aber in der Literatur?

Warum aber findet Zadie Smiths schwer zu dechiffrierende Literatur überhaupt Gehör neben David Eggers und Radioheads "Kid. A"? Denn das dürfte es gemäß allgemein gängiger Literaturtheorie doch gar nicht geben. "The Autograph Man has no moral centre", notiert James Wood verärgert in der London Review of Books, "because that place is so neglected by Smith's uncertain wandering.?

Genau das ist es wohl. Wo sollte sie dieses Zentrum auch finden? Und vor allem, was sollte sie als Literatin in diesem frisch ausgebrochenen Jahrhundert sonst tun, als sich auf unsichere Streifzüge zu begeben, ohne Rücksicht auf schwankenden Untergrund, allerdings mit einem geradezu balzachaften Gusto für Tonlagen, Szenen, Figuren, die allesamt ohne Zentrum, von unsicherer Herkunft, aber immer gleich sofort präsent (und dann wieder verschwunden) sind.

Die "irrelevante Intensität" (James Wood) ist die perfekte Metapher für diese sich entziehende Literatur. Nur ist dies als Kompliment zu begreifen. Der Online-Dienst Eyeshot formuliert sein Ziel, dazu passend, übrigens so: "Online litter for the ill and literate".