Spätaffäre

Nur Sand

Vorschläge zum Hören, Sehen, Lesen. Wochentags um 17 Uhr
28.04.2014. Zum Gucken: Wie Berlusconi Italien ruinierte  Und weitere Mabuses. Zum Hören: Die Zukunft der Kritik. Und Breton in Québec. Zum Lesen: Russland, Deutschland, Ukraine. Und Wired über die seltsame Welt der Start Ups.

Für Sinn und Verstand

Umwerfend Gideon Lewis-Kraus große Wired-Reportage aus der fremden Welt der Start Ups im Silicon Valley. Dafür mietete er sich im Hacker House, einer Schlafstation für aufstrebende Hacker ein. Sie geben ihre Zeit, ihre Jugend, Ihren Verstand - aber wofür genau? "Eines Nachts ging ich mit einer Gruppe von Gründern aus verschiedenen Start Ups einen trinken, dabei waren eine Videochat App, eine Dating App, zwei Ernährungs-Apps, einer, der was mit Drohnen zu tun hat, und eine App, die uns helfen wollte, besser miteinander zu kommunizieren. Um halb elf kam die Kellnerin und fragte, ob wir eine zweite Runde wollen. Ich bestellte noch einen Whisky, aber alle anderen guckten mit verhohlener Angst in ihre Smartphones."

In La Règle du Jeu erklärt Philippe de Lara, inwiefern Putins Regime an das Stalins erinnert und sich Putins gegenwärtige Politik gegenüber der Ukraine durchaus mit der Deutschlandpolitik der UdSSR in der Nachkriegszeit vergleichen lässt. Zwar sei die aktuelle Situation natürlich anders, insofern das wirtschaftlich und demografisch geschwächte Russland keine siegreiche Macht mehr sei und in der Ukraine auf eine echte demokratische Revolution stoße: "Die Deutschlandpolitik der UdSSR nach 1945 legt zwei Lektionen nahe. Die erste ist die permanente Schwankung der Mittel der sowjetischen, später russischen Außenpolitik trotz der Konstanz ihrer Ziele: das Reich zu vergrößern. Sie pendelt immer zwischen Kontrolle und Beeinflussung, brutaler Eroberung und geschickter Hegemonie." Die zweite Lektion sei die entscheidende Rolle der deutsch-russischen Beziehungen. Seit dem Hitler-Stalin-Pakt sei die wirtschaftliche und militärische Kooperation beider Länder eine "unheilvolle Konstante in der Geschichte des Kontinents … Begreift Deutschland, dass eine russische Intervention in die Ukraine heute das gesamte europäische System bedroht?"

Für die Ohren

Ein besonders Klangkunst-Erlebnis bietet Deutschlandradio Kultur: "Arcanum 17 - frei nach André Breton" - Rocher Percé ist ein bogenförmiger Felsen vor der Küste von Québec, Heimat für zehntausende von Seevögeln und Lagerstätte von außergewöhnlichen Fossilien. 1944 besuchte André Breton das Naturdenkmal und ließ sich davon zu seinem Buch "Arcane 17" inspirieren. - Christopher Williams, Charlie Morrow und Robin Hayward übertragen seine surrealistischen Gedankenspiele in Klänge: Naturgeräusche mischen sich mit Instrumentaltönen und Textfragmenten von Breton. Bitte Kopfhörer bereithalten... (42 Minuten)

Wozu braucht man noch Literaturkritiker? Auf diese Frage versuchte Ijoma Mangold auf der Bühne autoren@leipzig auf der Leipziger Buchmesse im Gespräch mit Wolfgang Tischer von literaturcafe.de eine Antwort zu geben. "Die Stärke einer Zeitung sei ihre Selektionsautorität", meint Mangold, "und das Netz hingegen sei die Wüste der Selektion, in der es nur Sand gebe. (...) Allerdings gebe es auch dort "bereits Orte, in denen Themen gesetzt" würden, gibt Mangold nach zwanzigjährigem Studium des Internets dann doch noch zu. (23 Minuten)
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Für die Augen

Silvio Berlusconi will "mehr Italien, weniger Deutschland" - so verkünden es seine Wahlplakate bei der Europakampagne (siehe Dirk Schümer heute in der FAZ, unser Resümee). Da lohnt sich doch noch mal ein Blick auf das, was Berlusconi aus Italien gemacht hat: eine Société du spectacle, innerlich korrupt, moralisch ausgepowert, allein noch existierend, weil seine Bürger sich ihr Leben jenseits der Institutionen verwirklichen. Einen sehr guten Einblick in das Ausmaß der Verwilderung, die in den Nachbarländern gar nicht genug thematisiert wird, gibt Michael Busses und Rosa-Maria Bobbis
Dokumentation "Diktatur des Lächelns - Italien unter Silvio Berlusconi" aus dem Jahr 2009, die anhand mehrerr Themen - von den Polizeiausschreitungen In Genua bis hin zu Berlusconis Medienpolitik - den Untergang demokratischer Strukturen auslotet. Hier Teil 1, hier Teil 2, hier Teil 3, hier Teil 4, hier Teil 5, Gesamtlänge etwa 50 Minuten.



Vor 92 Jahren, am 27. und 28. April 1922, feierte der Stummfilm "Dr. Mabuse, der Spieler - Ein Bild der Zeit" von Fritz Lang und Thea von Harbou mit großem Erfolg in Berlin Premiere. "Mit vollendeter Anwendung aller Möglichkeiten moderner Aufnahmetechnik (manche in dieser Vollendung bisher noch kaum gesehene Aufnahme löste bei dem fachkundigen Premierenpublikum spontanen Beifall aus), mit einer ausgesprochenen Fähigkeit in der Milieuschilderung hat Fritz Lang hier eine wirkliche Spitzenleistung geschaffen", berichtete die Lichtbild-Bühne: "Daß hier durch hohe Könnerschaft, durch virtuose Technik im Verein mit künstlerischem Feingefühl etwas Großes und Starkes geschaffen ist, bewies der nachhaltige Eindruck, unter dem der Ufa-Palast an beiden Premierenabenden stand." Die beiden Teile sind hier und hier in der durch die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung restaurierten Fassung aus dem Jahr 2000 sehen (Musik: Aljoscha Zimmermann; Laufzeit: rund vier Stunden).
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