Post aus New York

Bill Clintons unendliche Skandalgeschichten

Von Ekkehard Knörer
07.03.2001. Pardongate, Clinton in Harlem, Don DeLillos Roman "The Body Artist", teure Kinopreise: Was New York im Frühjahr 2001 bewegt.
Mit einem nur exorzistisch zu nennenden Furor wird derzeit von allen Seiten auf Bill Clinton eingeprügelt. Ihm gelang nämlich das fragwürdige Kunststück, noch am allerletzten Tag im Weißen Haus einen der größten Skandale seiner Präsidentschaft auszulösen. Bei den von der Boulevardpresse flink "Pardongate" getauften Vorgängen um (unter anderen) die Begnadigung des steckbrieflich gesuchten Steuerflüchtlings mit dem schönen Namen Marc Rich ist bisher nicht bewiesen, dass viel Geld über Hillarys Bruder "Huge" Rodham an die Clintons geflossen ist. Nach den konservativen Kommentatoren kennen jetzt aber auch die Clinton einst gewogeneren Beobachter aus dem liberalen Lager kein Halten mehr. Letzte Woche hatte Time bereits "The Incredible Shrinking Ex-President" auf dem Titel, und vor wenigen Tagen empfahl Bob Herbert von der New York Times der demokratischen Partei in einem denkwürdigen Kommentar: "Kappt die Verbindung" und stellte fest: "Nun, da ein weiterer Skandal die politische Atmosphäre verpestet, erkennen einige der engsten Vertrauten und Unterstützer Clintons, was seine Gegner schon seit Jahren sagen: der Mann ist so ganz und gar korrupt, dass man Angst bekommen kann."

Die Jagdinstinkte der politischen Presse richten sich allerdings mehr noch auf die in ihrem gerade errungenen Senatorenamt viel verwundbarere Hillary Clinton. Herbert schließt sie in sein bitteres Resümee denn auch ein: "Die Clintons sind ein rettungslos unethisches und vulgäres Paar, sie haben alle verraten, die einmal an sie geglaubt haben." In direktem Bezug auf diesen Kommentar kann sich Alexander Cockburn in der New York Press den Hinweis auf Bob Herberts bisherige Loyalität nicht verkneifen und verteidigt Bill Clinton mit dem Hinweis darauf, dass erstens Bush Vater in seinem Amnestierungsverhalten keineswegs viel ethischer gehandelt habe und dass man zweitens über Bill Clintons moralische Verkommenheit doch von Anfang an Bescheid gewusst habe. Wer solche Freunde hat...

Sehr viel interessanter als der Fall Marc Rich ist im übrigen die Geschichte des von George H.W. Bush begnadigten und von Prinz Charles und Menachem Begin nach vorangegangener Lobbyarbeit für den Friedensnobelpreis (!) vorgeschlagenen Sowjetspions und Ölbanditen Armand Hammer, die Cockburn recht ausführlich erzählt. Das Republican National Committee erhielt 110.000 $ (Hammer hatte noch mehr als eine Million Dollar für Reagans Präsidenten-Bibliothek versprochen, aber nach der Begnadigung nicht gezahlt), den Nobelpreis bekam der Dalai Lama.

Mr. Clinton goes to HarlemZuletzt war es Bill "Slick Willie" Clinton noch gelungen, einen weiteren Skandal durch die ihm eigene Wendigkeit zu verhindern. Seine Pläne, das post-präsidentielle Büro auf Steuerkosten zu sündhaft teurer Miete im Carnegie Hall Tower mitten in Manhattan zu eröffnen, hat er nach heftigem Gegenwind aufgegeben - und mit der Entscheidung, stattdessen in den einstigen Problembezirk Harlem zu ziehen, für viel Wirbel und eine Belagerung der 125. Straße durch sämtliche Ü-Wagen der New Yorker Fernsehsender gesorgt. Pikanterie am Rande: Die "Harlem Renaissance" der letzten Jahre, die den Stadtteil von einem Zentrum des Verbrechens zu einem stellenweise prosperierenden Bezirk gemacht hat, verdankt sich zum großen Teil ausgerechnet der rigiden Verbrechensbekämpfungs- und Deregulierungspolitik des erzkonservativen republikanischen Bürgermeisters Giuliani. Er hatte den von den zuvor regierenden Demokraten initiierten städtischen Förderprojekten für Harlem Gelder gestrichen, strenge sozialpolitische Vorgaben gelockert und so den privaten Investoren freiere Hand gelassen.

Don DeLillos merkwürdiger Mr. TuttleMit seinem neuen Roman "The Body Artist" hat Don DeLillo einen radikalen Gegenentwurf zu seinem letzten Roman, dem voluminösen Geschichts- und Gegenwartsepos "Underworld" gewagt. Der schmale Band beschränkt sich fast ausschließlich auf die Perspektive der Titelheldin Lauren Hartke, die in ihren Performances erstaunliche Verwandlungskünste vorführt. Eigentlich geht es aber gar nicht darum, sondern um die merkwürdigen Erlebnisse oder Visionen, die Hartke nach dem Tod ihres Mannes in einem einsamen Landhaus hat: der Roman lässt den Leser im unklaren darüber, ob die Gespräche, die sie mit einem auf dem Dachboden aufgetauchten Mr. Tuttle zu führen beginnt, Wirklichkeit sind oder nur Halluzination.

Die Kritiken der US-Presse sind wohlwollend bis enthusiastisch, aber mitunter hat man den Eindruck, DeLillo kann mittlerweile schreiben, was er will, die Kritiker würden alles loben. Maria Russo vom Online-Magazin Salon argumentiert etwa: "Wie seine Heldin weiß DeLillo genau, dass die Form von Abstraktion, um die es ihm geht, schwierig und sogar langweilig ist, aber das ist gerade seine Pointe. Wenn irgend jemand sich das Recht erworben hat, uns zu unserem eigenen Besten zu langweilen, dann ist es DeLillo".

Auch das, was einem Adam Begley von der New York Times verspricht, klingt auf den ersten Blick auch nicht verlockend: "Wenn Sie ein Gespür für DeLillos sorgfältig gearbeitete Prosa haben, wird dieser Roman Sie zum Lächeln bringen; wenn Sie sich durch das thematische Puzzle, die verwickelten Ideen zur Grammatik der Sprache und den Gesetzen der Zeit durcharbeiten, wird er Sie dehnen und zerren; wenn Sie Ihren Weg an den scharfen Kanten eines massiven Verlusts entlang ahnen, wird er Sie aufwühlen. Stellen Sie sich das vor: Sie werden gezerrt und aufgewühlt und lächeln." John Leonard von der New York Review of Books setzt mit der harmlosen Frage: "Warum, nach einer Göttlichen Komödie, nicht ein Haiku?" ein und es folgen viele, viele, viele Seiten einer einzigen Hymne auf Don DeLillo unter ausführlicher Berücksichtigung seines Gesamtwerks.

Benjamin Kunkel von der Village Voice ist einer der wenigen, der es wagt, den Roman nicht so toll zu finden: "Das Buch ist eine Enttäuschung und ein Teil des Problems liegt darin, dass der Künstler DeLillo zu viel von seiner eigenen Arbeit seiner Figur der Künstlerin überantwortet hat, so dass sie nun in der Welt nicht mehr viel zu tun hat außer sie wahrzunehmen." Das erste Kapitel des Romans lässt sich übrigens bei Amazon nachlesen.

Überfall auf die MittelschichtSchon bisher war ein Kinobesuch in Manhattan eine sehr kostspielige Angelegenheit. In aller Regel muss man jedes Mal 9.50 $ berappen (also nach derzeitigem Wechselkurs etwa 20 DM), ohne Ausweichmöglichkeiten: es gibt keine Kinotage, keine billigeren Nachmittagsvorstellungen und Ermäßigungen nur für Kinder und Senioren. Loew's, eine der führenden Filmtheaterketten der USA, hat letzten Freitag mit ihrer Erhöhung der Eintrittspreise in New York auf nun 10 $ den Vorstoß in den zweistelligen Bereich gewagt - und es ist nach allgemeiner Einschätzung nur eine Frage der Zeit, bis alle anderen folgen werden. Peter Vallone, der Sprecher des Stadtrats von New York bezeichnete die Anhebung des Preises im Magazin indieWIRE als "Überfall auf unsere Mittelschicht" - bei der letzten Erhöhung vor zwei Jahren hatte er noch zum - freilich erfolglosen - Boykott aufgerufen. Es ist übrigens trotz der exorbitanten Preise keineswegs so, dass es den Multiplex-Ketten der USA besser ginge als den deutschen. Im Gegenteil: erst kürzlich hatte Loew's einen Insolvenzantrag gestellt und war von einem Konkurrenten übernommen worden.