Link des Tages

Literaturnobelpreis für Imre Kertesz

10.10.2002. Heute wurde der Nobelpreis für Literatur an den Schriftsteller Imre Kertesz verliehen. Hier erste Informationen im Netz zu dem ungarischen Autor.
Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften gab heute in Stockholm den diesjährigen Literatur-Nobelpreisträger bekannt - es ist der ungarische Autor Imre Kertesz.

Kertesz wurde 1929 als Kind einer jüdischen Familie in Budapest geboren. Mit fünfzehn Jahren wurde er nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Zehn Jahre arbeitete er an seinem "Roman eines Schicksallosen", einem der wichtigsten Zeugnisse des Holocausts. Als der Roman 1975 in Ungarn erschien, wurde er jedoch ignoriert. Erst die Neuausgabe 1985 brachte Kertesz die lange versagte Anerkennung. Seine nachfolgenden Roman "Fiasko" (1988), "Kaddisch für ein nicht geborenes Kind" (1989, deutsch 1992) ­ die "Trilogie der Schicksallosigkeit", "Galeerentagebuch (1992, deutsch 1993) und "Ich ein anderer" (1997, deutsch 1998) wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Kertesz hat auch als Journalist gearbeitet und neben Romanen auch Musicals und Unterhaltendes fürs Theater geschrieben (weitere Infos zu Leben und Werk hier). Zur Zeit ist Kertesz als Fellow am Wissenschaftskolleg Berlin zu Gast, um seinen Roman "Liquidation" fertigzustellen.

Die NZZ hat bereits ein ganzes Dossier zu Kertesz ins Netz gestellt. Hier haben wir auch den einzigen Essay von Kertesz im Netz gefunden. Es ist ein Text aus dem Jahr 2001, in dem er über die Einigung Europas nachdenkt: "Ich kann nichts dafür, aber vielleicht weil ich Schriftsteller bin, sehe ich die europäische Einigung immer in Gestalt eines Bildes, einer, mag sein, sentimentalen Szene: als stünden sich harte Männer, die seit langen, langen Zeiten unaufhörlich im Kampf miteinander standen, einander nach dem Leben trachteten, jetzt, auf der Höhe des reifen Alters, auf einmal nun von Angesicht zu Angesicht gegenüber, und anstatt dass sie die Pistolen ziehen, umarmen sie einander unerwartet, weil sie begriffen haben, dass ihr Schicksal sich erfüllt hat und bis zum Tod jetzt nur noch ein einziger würdiger Lebensabschnitt ihrer wartet, das tiefe Verständnis für den anderen, den einstigen Gegner, und die gemeinsame Arbeit." Andreas Breitenstein porträtiert den Nobelpreisträger als unglücklichen Menschen (auch wenn er am Ende das Gegenteil behauptet).

Auch die FAZ hat bereits ein kleines Dossier zusammengestellt. Die anglo-amerikanischen Medien und Universitäten, die sonst immer so zuverlässig Informationen liefern, haben zu Kertesz außer Pressemeldungen nichts zu bieten. Die New York Review of Books hat den Namen nicht einmal in ihrem Archiv!

Die Auszeichnung ist mit 10 Millionen schwedischen Kronen (1,1 Millionen Euro) dotiert und wird traditionsgemäß am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel, in Stockholm überreicht.

Im Internet finden sich weitere Informationen zum "Roman eines Schicksallosen" und zu "Ich - ein anderer" (hier). Wer einen kurzen Ausschnitt aus dem "Roman eines Schicksallosen" - vom Autor persönlich gelesen -, hören will, kann dies hier tun.

Im vergangenen Jahr ging der Nobelpreis für Literatur an den britisch-westindischen Schriftsteller V.S. Naipaul. Davor wurden Gao Xingjian (2000) und Günter Grass (1999) ausgezeichnet. (Einen Überblick aller bisherigen Preisträger gibt es hier). Als Favoriten für den diesjährigen Preis waren neben Kertesz der Südafrikaner J.M. Coetzee, der Somalier Nuruddin Farah und die amerikanischen Autoren Thomas Pynchon, Philip Roth und John Updike genannt.