Im Kino

Ökonomie und Libido

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Patrick Holzapfel
02.03.2016. Andrew Bujalskis bezaubernde Fitnesskomödie "Results" entwirft in mäandernden Dialogen ein Leben vor offenem Horizont. Aleksandr Sokurovs "Francofonia" erzählt die Geschichte eines Jahrhunderts - und wirkt dabei nicht ein bisschen anmaßend.


Danny (Kevin Corrigan) ist, nachdem er überraschend ein üppiges Erbe angetreten hat, der "worst rich guy ever". Er weiß einfach nicht, wie das geht: reich sein. Sitzt auf einem noch in Plastikfolie verschweißten Sofa in seinem neuen, fetten Haus (mit Pool! Und mit einer ausnehmend hässlich dekorierten Eingangstür...) herum, schrammelt gelegentlich auf seiner einsam in einem weitläufigen Zimmer herumliegenden E-Gitarre, die Mahlzeiten liefert auch weiterhin der Pizzadienst. Irgendwann kommt er dann, eher so aus einer Laune heraus, auf die Idee, abzunehmen.

Und zwar mithilfe des Fitnessunternehmens "Power 4 Life", das von Trevor (Guy Pearce) betrieben wird und das seine Firmenphilosophie via Youtubeclips bewirbt, in denen esoterisch angehauchtes Machertum auf steril pumpende Eurotrash-Beats trifft. Da der rundliche Danny, dessen Kopf bei der geringsten Anstrengung, und oft auch komplett ohne jede Anstrengung, tomatenrot anläuft, keine Lust hat, sich in einem Gym den Blicken der Hardbodies auszusetzen, wird ihm als persönliche Trainerin Kat (Cobie Smulders) zugeteilt. Nun ist Danny nicht nur neureich, sondern außerdem frisch geschieden, und das Single-Sein bekommt er kaum besser auf die Reihe als das Millionär-Sein. Jedenfalls sieht sich Kat bei einem ihrer Besuche plötzlich mit einem Candlelight-Dinner samt angeheuerter Jazzband konfrontiert. Bald darauf steht auch Trevor bei Danny auf der Matte. Der ist nämlich nicht nur Kats Boss, sondern auch ihr ehemaliger Liebhaber.

"Results" ist eine verschrobene, kaum einmal auf eindeutig identifizierbare Pointen zulaufende romantische Komödie zu dritt, die Danny zuerst als gleichzeitig trägen und unberechenbaren Störsender zwischen Kat und Trevor einsetzt, und anschließend jede Menge Spaß dabei hat, alle drei Protagonisten unter wechselnden Vorzeichen miteinander kollidieren zu lassen; und die von einem wunderbar freien, elastischen Tonfall getragen wird. Mal werden Szenen, in denen eigentlich gar nichts passiert, großzügig zerdehnt, mal handelt Andrew Bujalski zentrale Plotpoints in zwei, drei schnellen Schnitten ab. Gerade noch hat man hochtrabende Pläne für ein neues Fitnesscenter, gleich darauf werden einem 51 Prozent des Geschäfts unter der Nase weggekauft; für eineinhalb Dollar. Es gibt dann noch eine vage an "Rocky" angelegte Trainingssquenz. Einen mysteriösen russischen Investor (mitsamt blondem "trophy wife"; denkt man, bis sie den Mund aufmacht). Und vor allem gibt es jede Menge großartige, lange, mäandernde Dialoge. Bei denen man oft den Eindruck hat, zwei einander völlig fremden Spezies bei der ersten, neugierigen, von einer grundlegenden Sympathie getragenen Kontaktaufnahme zuzuschauen.



Bujalski hatte sich schon im exaltiert nerdigen Vorgänger "Computer Chess" vom Mumblecore-Kino und dessen gelegentlich allzu fluffig überschaubaren Milieustudien verabschiedet. "Results" verzichtet zwar auf die videotechnischen Extravaganzen des Vorgängerfilms (und ist der erste Film des Regisseurs mit prominenter Besetzung), wirkt aber insgesamt fast noch wagemutiger. Weil es diesmal an die leibliche Substanz geht. "Fitness" ist für Bujalski erst einmal nur eine Technik der grotesken Körperverformung. Ausgiebig zelebriert wird das in zwei Szenen zu Filmbeginn, wenn zunächst Kat vorführt, dass beim Kniebeugen der Hintern wie eine Abrissbirne einzusetzen ist; und wenn bald darauf Danny wundervoll derangiert durch seine Wohnung watschelt.

Aber auch der perfekt durchtrainierte Trevor weiß nicht so recht, wohin mit seinem Körper und klebt während eines Gesprächs mit Kat schon einmal an der Decke seiner Wohnung. Als sie ihn darauf hinweist, dass sie das nicht erotisch findet, meint er: "Das ist mir egal, das hier ist schließlich mein Zuhause". Heißt das, dass er in seinen eigenen vier Wänden selbst entscheiden möchte, was erotisch ist und was nicht? Derartige Ebenenwechsel gibt es andauernd in "Results". Trevor und Kat hatten ihr Verhältnis beendet, weil sie der konventionellen Alltagsweisheit, wonach romantische und geschäftliche Beziehungen strikt voneinander getrennt zu halten sind, Glauben schenkten. Andrew Bujalski interessiert sich in seinem neuen Film allerdings gerade für die Interferenzen von Ökonomie und Libido. Schräg steht "Results" dabei zu den Ideologemen neoliberaler Selbstoptimierung: Die Grenzen zwischen Arbeit und Alltag kollabieren zwar, aber nicht im Namen einer intensivierten Leistungsgesellschaft. Sondern, weil sich das als die einzig lebbare Perspektive für alle drei Protagonisten erweist: den doppelten Kontrollverlust akzeptieren. Ein Leben vor allseitig offenem Horizont.

Lukas Foerster

Results - USA 2015 - Regie: Andrew Bujalski - Darsteller: Guy Pierce, Cobie Smulders, Kevin Corrigan, Giovanni Ribisi, Elizabeth Berridge - Laufzeit: 105 Minuten.



In seinem neuen Film "Francofonia" führt der große russische Filmemacher Aleksandr Sokurov zwei seiner Lieblingsthemen eng: Eine didaktische Erzählung über Kunst und deren Geschichte auf der einen, eine ethische Auseinandersetzung mit Politik von oder hinter Kriegsführung auf der anderen Seite. Beide beginnen sich schnell zu überlappen, sodass Kunst und Krieg sich im konservativ-modernistischen Auge des Filmemachers zu einem explosiven Gemisch der Macht verdichten. Dabei geht es nicht nur um den Besitz und die Vernichtung aus Perspektive der Politik, sondern vor allem um die Bedeutung und das Überleben aus Sicht der Kunst.

Am ehesten lässt sich "Francofonia", der schon lange vor seiner Premiere vergangenes Jahr in Venedig als neuer Museums-Film von Sokurov die Runde machte, als filmischer Essay bezeichnen. Das liegt schlicht daran, dass der Film sehr viele unterschiedliche Stile kombiniert, die oft von einem Voice Over zusammengehalten werden: Gedankengänge, die sich durch die Bilder schlängeln, die manchen Bildern erst ihre Berechtigung geben. An manchen Stellen wird der Film gar zu einem der besten, bewegten Power-Point-Präsentationen, die man sich vorstellen kann. Ein schmaler Grat zwischen Zeigen und Erklären... Dazu gibt es manipuliertes Found Footage mit äußerst humorvollen Sequenzen, in denen Adolf Hitler sich in Paris über die geraden Straßen freut oder eine Art Reenactment der freundschaftlichen Begegnungen zwischen dem Louvredirektor der Nazi-Okkupationszeit, Jacques Jaujard und dem deutschen Offizier und Kunsthistoriker Franz Graf Wolff-Metternich, der den Kunstschutz der Wehrmacht in Paris leitete. Außerdem führt der Filmemacher in einem dunklen Zimmer ein Skype-Gespräch mit dem Kapitän eines sinkenden Schiffs und es gibt Geister wie Napoleon, die nachts durch das Museum rennen. Vergleiche mit Sokurovs "Russian Ark" bieten sich zwar aufgrund des Settings an, letztlich aber ist "Francofonia" ein völlig anderer Film.

Eines der Prinzipien von Sokurov, das sich durch seine gesamte Karriere zieht, ist das Hinterfragen von Repräsentation: Was man über jemanden oder etwas gehört hat, hat nichts mit dem zu tun, was man selbst sehen oder hören kann. Man denke an den Beginn seines "Spiritual Voices", in dem er abschätzige Aussagen über Mozart zu dessen Lebzeiten vorliest, während er uns dessen Musik hören lässt. Die Wahrnehmung von Krieg als Bedrohung für die Kunstschätze eines Landes kann daher nur ein Ausgangspunkt für den Film sein. Vielmehr lässt sich Sokurov godardgleich durch historische Zusammenhänge gleiten. So stehen plötzlich Napoleons Raubzüge im Nahen Osten in einer Verbindung zum Syrienkonflikt und in augenöffnenden Rückschlüssen wird die sowjetische Geschichte des vergangenen Jahrhunderts und die Belagerung Leningrads zum Gegenpol der relativen Unversehrtheit von Paris. Damit hinterfragt Sokurov unsere Wahrnehmung von Kunst beziehungsweise des westlichen Kunstkanons, der mit der Vernichtung tausender Menschen, aber auch zum Beispiel russischer Kunst einhergeht. Eigentlich ein größenwahnsinniger Film, denn Sokurov erzählt die Geschichte eines Jahrhunderts. Es spricht für ihn, dass man das kaum anmaßend finden kann.



Zu keiner Zeit macht der Filmemacher den Fehler, in eine emotionale oder blinde Argumentation zu fallen. Er geht sogar einen Schritt weiter, indem er seine eigene Repräsentation der Geschichte zum Beispiel durch Formatwechsel oder eine sehr eigenwillige, nahe Art, Gemälde und Kunstwerke zu filmen, als solche offenlegt. Die Kamera will nicht den gleichen Fehler begehen wie die Menschheit. Sie gewährt uns keinen freien Blick auf die Kunst, sondern interessiert sich für deren in die Geschichte/das Bild ragenden Fragmente. Auch in seinem Voice Over stellt Sokurov diesen anderen Blick auf Kunst zur Debatte. Es ginge darum, aus der Kunst jene Schatten zu filtern, die ein Zeugnis über die dunklen Seiten unserer Existenz ablegen.

Man könnte fast eine Kehrtwende des Magiers erkennen, der sonst oft Bilder macht, deren Herstellung sich nur schwer nachvollziehen lässt. In "Francofonia" ist zumindest auf den ersten Blick das ethische Anliegen größer und so wählt Sokurov Aufnahmen, die entweder ironisieren oder sich selbst befragen. Natürlich kann man bei genauerer Betrachtung viele Feinheiten und technische Großtaten entdecken, die jene argumentative Transparenz erst ermöglichen. So bewegt sich die Rhetorik des Films auf höchstem Niveau, denn immer wenn man das, was einem in philosophischen, polemischen und todernst-verspielten Assoziationen vermittelt wird, hinterfragen möchte, übernimmt der Film die Frage selbst. Was bleibt ist ein Gedankenstrom, der einen so schnell nicht loslassen wird.

Patrick Holzapfel

Francofonia - Frankreich 2015 - Regie: Aleksandr Sokurov - Darsteller: Louis-Do de Lencquesaing, Banjamin Utzerath, Vincent Nemeth, Johanna Korthals Altes - Laufzeit: 88 Minuten.