Im Kino

Die große Endverschrottung

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
28.06.2007. In "Stirb Langsam 4.0" hat der alte Kämpe John McClane diesmal die Endverschrottung von Körpern und Computern im Sinn. Leider mangelt es der Inszenierung dabei an Konsequenz. Ein Action-Held des Gedankens ist der slowenische Philosoph Slavoj Zizek - ein vergnüglicher Dokumentarfilm zeigt ihn beim Denken, Reden und Flirten.
"Wetware" oder "Meatware" ist der nicht immer ironische Hacker-Ausdruck für das Mängelwesen Mensch, besonders dann, wenn es der Hard- und Software in die Quere kommt. "Meatware" war, vom Anfang seines Heldendaseins an, John McClane (Bruce Willis), der Cop, der es mit der ganzen Welt aufnimmt, mit den eher altmodischen Mitteln von Witz, Vorwärtsverteidigung und Kanone. Bei der Frage danach, wie man einen wie ihn, der einer von gestern ist, ins Heute versetzt, ohne sich mit dem schieren Anachronismus zu begnügen, hatten die Macher eine Idee. Sie verdankte sich der Lektüre eines Wired-Artikels zur Cyberkriminalität und sie ist so einfach wie genial: Die einzige Stelle, an der ein Action-Held wie McClane heute noch Sinn machen könnte, ist der Raum des Postdigitalen. Und wie stellt man den her? Indem man terroristische Hacker die gesamte digitale Infrastruktur lahmlegen lässt. Erst wenn alle Netze dysfunktional geworden sind, wird das in den Netzen dysfunktionale "Meatware"-Mängelwesen wieder heldentauglich.

"Stirb Langsam 4.0" malt sich diesen Zustand eines zivilisationsbedrohenden Datenstromausfalls genüsslich aus, eine ganze Weile. Dafür Bilder zu finden, ist gar nicht schwer, denn die Auswirkungen der digitalen Lähmung und Manipulation sind natürlich analog: Es wird einfach ein anderer Strom eindrucksvoll stillgestellt, nämlich der des Großstadtstraßenverkehrs, es wird, später, per sadistischer Ampelschaltung in einem Tunnel Blech auf Blech gehetzt: schöne alte Welt des Materiellen, in der alles so herrlich Krach macht, wenn es kaputtgeht. Und am Materiellen hängt, versteht sich, das Herz nicht nur von McClane, sondern auch des Films. Schließlich setzt er mit einer rabiat buchstäblichen Datenlöschung schon ein: ein von außen auf Hacker-Rechner geschleuster Virus bringt Rechner, Wohnung, Hacker heftig zur Explosion. Das ist die Welt von McClane, hier kennt er sich aus, hier zeigt er noch mal, was er kann.

Entsprechend transformiert der Film, je länger er dauert, seinen Cyber-Plot immer konsequenter in Action von altem Schrot und Korn. Als Schurke besetzt ist ein gewisser Thomas Gabriel (Timothy Olyphant), ein vom Glauben abgefallener Erzengel, Regierungsbeamter einst, gekränkter Hacker jetzt, der mit seinem international besetzten Team alle Räder stillstellt, um erstens Recht zu behalten und zweitens ans große Geld zu kommen. Als großer Unterbrecher von Netz, Strom, Verkehr ist er selbst immer unterwegs, die Einsatzzentrale ist ein großer Sattelschlepper, der freilich später, als jede Menge Material, in dem, was man Action-Sequenzen nennt, sehr aufwendig in Schrott verwandelt wird. Die heroische Verschrottung des Materiellen war stets das Prinzip der "Stirb Langsam"-Filme, überdeutlich sichtbar gemacht am zusehends stigmatisierten Körper McClanes, der Wunde um Wunde sich zuzieht, schwitzt und blutet, und doch, von nichts als dem Willen zum Weitermachen und Weiterverschrotten getrieben, aushält und durchhält bis zur Auslöschung des Gegners, der großen Endverschrottung, die endlich die Ordnung wiederherstellt, die totale Entropie aufhält. So geht es auch hier zu und es bleiben Autos, Kraftwerke, Hubschrauber, Rechneranlagen, Kampfbomber, Sattelschlepper, eine Kungfukämpferin und ein supergelenkiger Kampfturner auf der Strecke. McClane macht alles kaputt, damit es ihn nicht kaputtmacht. Viel explosiver Krach, der Spaß macht, also auf der Habenseite des Films, eher dümmliche Dialoge und der eine oder andere patriotische Ausfall im Soll.

Woran es zuletzt dann aber doch ganz entschieden mangelt, ist Konsequenz. Alles Digitale ist einerseits nicht mehr als hübsch flimmernde Fassade und sogar darauf noch, an digitalen Effekten gespart zu haben, wo es ging, wollen die Macher des Films stolz sein. Auf einen jungen, den Willen McClanes zum Kampf großäugig bewundernden Hacker-Sidekick (Justin Long) hat man trotzdem nicht verzichtet, so wenig wie auf Clerks-Regisseur Kevin Smith als verfetteten Superhacker ohne weitere Plot-Funktion. Das eigentliche Problem sind aber nicht diese oberflächlichen Kompromisse; das eigentliche Problem ist die stilistische Wurstigkeit des Regisseurs Len Wiseman. Weil er nicht in der Lage ist, Räume so inszenieren, dass ihnen irgendeine Materialität anzumerken wäre, weil noch der heftigste Zusammenprall von Blech und Beton in eine bedenkenlos herumspringende Beliebigkeit von Schnittfolgen und Raumauflösungen zerfällt, bleibt das zentrale Anliegen der Macht des Materiellen bloße Behauptung und Fassade. Wir spüren und erleben in diesen zusammengestoppelten Bildern Wucht und Blut gerade nicht. Die Wahrheit dieses Films ist, dass er sich von einem Videospiel in seinen Wirkungen wenig unterscheidet. Weil "Stirb Langsam 4.0" sich mit Leichtigkeit über die schweren Fragen der Raum- und Körperinszenierung hinwegsetzt, ist der darin vorgeführte Sieg anachronistischer Meatware über die ungreifbaren Netze und Ströme des Digitalen nicht mehr und nicht weniger als eine reaktionäre Ideologie, an die der Film selber nicht im mindesten glaubt.

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Er hat was von Rumpelstilzchen, schließlich hat er der verschreckten Müllerstochter Philosophie beigebracht, wie man aus Scheiße Theorie macht. Er weiß aber auch, wie man mit Hitchcock die Welt erklärt. Und aus Lacan eine Denkmaschine baut, in die man oben irgendwas reintut - und unten kommt eine Analyse der Gegenwart raus. Er hat Marx aktualisiert, mit dem radikalen Franzosen Badiou fraternisiert, Derrida karikiert und immer gerne sich selbst applaudiert. Die Oper liebt er, Präsident Sloweniens wollte er werden, später hat er Lenin wiederentdeckt und dann mit der Demokratie abgeschlossen. Bei ihm zuhause im Flur hängt ein - allerdings kleines - Stalin-Poster zum Kindererschrecken. Er ist ein Tausendsassa der Theorie, der jeden Knochen, den man ihm zuwirft, apportiert, nur weiß man nicht, in welchem Zustand man ihn zurückbekommt. Aber letztlich ist nicht so wichtig, was hinten oder unten oder überhaupt rauskommt, wenn er sich mit einem Gegenstand befasst: Ihm zuzusehen beim Denken, das ist die eigentliche Schau.

Die Rede ist natürlich von the one and only Slavoj Zizek. Vielmehr: Zizek!, denn das Ausrufezeichen trägt der gleichnamige Film, der heute in den Kinos startet, im Titel. Gemacht hat ihn eine junge Kanadierin mit Namen Astra Taylor, über die auf der Website zum Film nachzulesen ist, dass sie selbst Soziologie studiert hat und auch unterrichtet. Sie ist noch keine dreißig und ihr erstes Buch - eine Studie über den Aufbruch der sechziger Jahre und seine Folgen - kommt auch bald raus. Astra Taylor ist nicht nur jung, sie sieht auch gut aus. Sowas schreibt man ja normalerweise nicht dazu in einer Kritik, hier muss man es aber sagen, denn je länger der Film dauert, desto öfter kommt auch seine Regisseurin an der Seite ihres Gegenstands Slavoj Zizek (Zizek!TM) ins Bild. So ganz nüchtern bleibt dieses Porträt des wilden Philosophen nämlich nicht. Zizek ist sichtlich charmiert und so wird der Dokumentarfilm zum Flirt. Was vor allem heißt: Er setzt bei seinen Selbstinszenierungen halt immer noch mal einen drauf. Der Schauplatz der heißesten Szene ist passenderweise "Kim's Video" in New York, der Himmel für die Film-Nerds der Erde, wo Zizek seine Regisseurin mit der Begeisterung für die Ayn-Rand-Verfilmung "The Fountainhead" und Veit Harlans "Opfergang" beeindrucken will.

Wo das Selbst endet und die Inszenierung beginnt, das ist freilich von vorneherein die Frage - und zwar sehr grundlegend schon in Zizeks psychoanalytisch inspirierter Philosophie, die sowieso immer schon unterstellt, dass wir gar nicht wissen können, wer wir sind. Das Selbst ist Inszenierung, oder auch andersherum: in unseren Inszenierung nur sind wir wir, und darum macht Zizek das beste draus. Nichts verabscheut er mehr - wie er durchaus glaubhaft versichert und demonstriert - als die Ideologie eines wahren Selbst, eines persönlichen Kerns, der hinter den Fassaden einer inszenierten Persona erst zu entdecken wäre. "Ich bin ein Monster", sagt Zizek, aber er ist, schon gar wenn er wie hier zum Flirten aufgelegt ist, doch ein augenrollendes, lispelndes Monster zum Knuddeln. Ein Knuddel-Monster mit Theorieobsession.

Zizek redet und redet, provoziert und belehrt und der Film zeigt ihn dabei. In Argentinien und New York vor vollen Sälen, allein auf der Couch beim Betrachten eines uralten Fernsehauftritts von Jacques Lacan (er findet den Auftritt abscheulich), nackt im Bett (aber halbwegs bedeckt), bedrängt und angeschwärmt von ihm lästigen Groupies, dann auch in seiner Wohnung in Ljubljana, wo er stolz zeigt, dass seine Unterwäsche in einer Küchenschublade steckt. Und immer weiter redet er und provoziert und flirtet, mit der Kamera, mit der Regisseurin, vielleicht sogar mit sich selbst; nur ganz gelegentlich erwischt die Regisseurin Momente der Stille, bevor die Kamera läuft. Aber dann geht es gleich los, dann geht es weiter, die nächste Theorie, der nächste Auftritt, der nächste Kontinent, die nächste Inszenierung. Zizek ist hyperaktiv, der Film aber ist nicht lang, nur siebzig Minuten, ist auch nicht dumm und verzichtet auf allzu ehrgeizige Regieeinfälle und Mätzchen. Und ist auf seine etwas andere Art dann auch ein Nonstop-Actionfilm.


Stirb Langsam 4.0 USA 2007 - Originaltitel: Live Free or Die Hard - Regie: Len Wiseman - Darsteller: Bruce Willis, Justin Long, Timothy Olyphant, Cliff Curtis, Maggie Q, Mary Elizabeth Winstead, Jeffrey Wright, Jonathan Sadowski - Länge: 129 min.

Zizek! USA 2005 - Regie: Astra Taylor - Darsteller: (Mitwirkende) Slavoj Zizek - Länge: 71 min.