Essenzen

Du riechst nach Macchia

Die Duftkolumne Von Claus Brunner
21.08.2020. Auf Korsika scheint die Immortelle derart präsent zu sein, dass sie für die Insel zu einer Art Duftstempel wurde, vergleichbar dem Lavendel für den Süden Frankreichs. Der aus Korsika stammende und in Marokko aufgewachsene Parfumeur Marc-Antoine Corticchiato kombiniert in "Immortelle Corse" die krautige Würze dieser Blume mit der Aprikose und ein paar anderen Noten und schafft damit etwas ganz eigenes, das doch auch an das berühmte Parfum "Mitsouko" von Guerlain erinnert.
Vor vielen Jahren, als ich meinen Freund kennenlernte, trug ich hin und wieder einen Duft von Annick Goutal, namens "Sables". Ich fand ihn großartig, aber auch ein wenig speziell, weshalb ich ihn nicht täglich tragen konnte. Selten bin ich auf einen Duft so oft angesprochen worden, wie auf diesen. Dabei wusste ich gar nicht so genau, welche Note ihn so auffallend und offenbar auch attraktiv machte. Damals trug ich zwar verschiedene Düfte, aber ich beschäftigte mich noch nicht so intensiv mit ihnen. Das hatte zur Folge dass ich selbst für die auffallendsten Besonderheiten eines Duftes manchmal keine Worte fand und meine Auswahl rein zufällig, allenfalls meinem Instinkt gehorchend, traf.

"Du riechst nach Macchia", sagte er.

Wie immer, wenn man mich auf das Parfum, das ich gerade trage, anspricht, werde ich unsicher. Natürlich möchte ich, dass der Duft Gefallen findet, und fürchte nichts so sehr wie das Missfallen, auch wenn ich mittlerweile gelernt habe, negativen Bemerkungen standzuhalten. Aber sie irritieren mich, immer noch, und zwar nachhaltig. Einen Duft, der mit folgender Bemerkung quittiert wurde konnte ich lange nicht mehr tragen: "hier riecht's nach Kabelbrand, da schmort doch was durch...".

Ich ahnte, dass mein Freund mit "Macchia" genau die Note ansprach, die "Sables" so charakteristisch machte und für die ich keinen Namen hatte.

"Macchia" also.

"Findest du, das riecht gut?"

"Oh ja, sehr!".

Es war noch nicht lange her, da wanderte mein Freund mit seiner Schwester über die Insel Korsika. Typisch für Korsika ist die sogenannte "Macchia", oder auch "Macchie" (französisch "maquis", ein Wort, das seit der deutschen Besatzung übrigens auch synonym für die "Résistance" verwendet wird, der korsischen Bezeichnung für die Zistrose entstammend: "mucchiu"). Die Macchia ist eine durch übermäßige Nutzung  und Abholzung von Wäldern entstandene Landschaft, die geprägt ist von niedrigen, immergrünen Gebüschen, mit Einsprengseln bunter Blüten und Kräutern. Besonders die gelbblühende "Immortelle", eine Strohblume, die deshalb "unsterblich" genannt wird, da sie selbst in knochentrockenen Zustand, und auch nach Jahren noch ihr intensives Aroma verbreitet, gibt der Macchia ihren eigenwilligen Geruch.
Die Immortelle, fotografiert von Sandrine Rouja unter CC-Lizenz, gefunden bei Flickr.

Dass Strohblumen überhaupt dufteten, war mir neu, habe ich während meiner Allgäuer Kindertage doch so manchen Strohblumensträußchen in diversen Hergottswinkeln vor sich hin stauben sehen. Einen Wohlgeruch verströmten sie, jedenfalls in meiner Erinnerung, nie.

Diesem krautig-würzigen Aroma seien sie während ihrer Wanderungen immer wieder begegnet, erzählte er, und ich erinnerte mich, dass ich es früher in der Provence auch manchmal wahrnahm, allerdings im Gegensatz zu Thymian oder Lavendel nicht benennen konnte.

Auf Korsika aber scheint die Immortelle derart präsent zu sein, dass sie für die Insel zu einer Art Duftstempel wurde, vergleichbar dem Lavendel für den Süden Frankreichs. Und so lag es auf der Hand, dass Annick Goutal, die mit ihrem Mann, dem Cellisten Alain Meunier einige Urlaube auf Korsika verbrachte, sich von der allgegenwärtigen Strohblume zu ihrem ungewöhnlichen Parfum inspirieren ließ. 

"Sables" ist bis heute in meiner Sammlung. Für mich hat der Duft nichts von seiner Besonderheit verloren, und meine Vorliebe für die zentrale, botanisch "Helichrysum" genannte Note hält unvermindert an. Als Annick Goutal ihn 1985 auf den Markt brachte, war er ein wahres Unikat. Mit einer derartigen Überdosis dieser komplexen Note, die zwischen Curry-artig, malzig, floral, strohig und säuerlich changiert, wartete bis dato noch kein Parfum auf - "Sables" war einzigartig und sollte es für viele Jahre bleiben. Gefällig, wie Annick Goutals berühmter Erstlingsduft "Eau d"Hadrien", dem so illustre Träger wie Leonardo di Caprio, Prinz Charles, und Trägerinnen wie Madonna und Catherine Deneuve nachgesagt werden, war "Sables" allerdings nie. Er polarisiert bis heute: die einen lieben ihn, finden ihn aufregend anders, eine harsche Zumutung schelten ihn die, die keine kräftigen Duftfarben mögen, sondern zarte Pastelltöne bevorzugen. 

Erst zu Beginn der "nuller" Jahre begegnete ich der charakterstarken Note wieder, wenn auch nicht so prominent herausgearbeitet wie in "Sables": in Diors tiefdunklem "Eau Noire". Diesmal kombiniert mit aromatischem Lavendel und erneut unterlegt - wie schon im Duft von Annick Goutal - mit malziger Karamell-Süße. Seither treffe ich die Immortelle häufiger an. Sie wurde zu einem festen Bestandteil der Nischen-Parfümerie, erreichte allerdings nie die Beliebtheit anderer für dieses Segment typischer Duftnoten - allen voran: "Oud". Dieses Räucherharz, beziehungsweise dessen synthetische Rekonstruktion, da das natürlich gewonnene Harz unglaublich teuer ist, wurde jahrelang derart inflationär verwendet, dass nicht wenige heute erschöpft abwinken. Der Strohblume blieb dieser übermäßige Einsatz zum Glück erspart, was eine Begegnung mit ihr auch heute noch zu einer willkommenen Abwechslung macht.

So geschehen nun mit "Immortelle Corse" von Parfum d'Empire.

Obwohl in Marokko geboren, stammt die Familie des Parfümeurs Marc-Antoine Corticchiato aus Korsika, wo er während seiner Kindheit und Jugend viel Zeit in der Macchia und den Wäldern der Insel verbrachte. Sein gesamtes Schaffen wurde maßgeblich von diesen beiden mediterranen Duftwelten geprägt, wobei keine Duftnote so sehr für sein korsisches Erbe steht, wie die Immortelle. Nun hat er sie zum ersten Mal in den Mittelpunkt gerückt.

"Die Immortelle fasziniert mich. In der korsischen Macchie verbringe ich so viel Zeit wie möglich. Ich wollte ihr Leuchten während der Sommersonnenwende wiedergeben. Ein befreundeter Koch gab mir unwissentlich den Schlüssel zu dieser Komposition: die Kombination von Zutaten nach Farbe. Es funktioniert immer, behauptete er. Sobald ich meine Safran-Aprikose-Zitrone-Kombination perfektioniert hatte, wusste ich, dass ich den Anfang meiner Geschichte hatte. Da ich eine samtige Textur erreichen wollte, wählte ich eine natürliche, saftige Aprikose, die auch ein weiches oranges Licht in sich trägt. Eine meiner kürzesten Formeln. Ich wollte, dass sie eindrucksvoll und klar ist und zugleich elegant bleibt." - Marc-Antoine Corticchiato.

Die Kombination von Aprikose und Immortelle funktioniert bestens - zumindest für meine Nase. Ähnlich wie malziges Karamell die krautigen Schärfen der Immortelle in "Sables" und "Eau Noire" abzumildern vermag, gelingt es der fruchtigen Aprikosennote das Spröde und Sperrige der Strohblume zu umgarnen und ein schönes Kontrastpaar zu bilden, das sich nicht gegenseitig zudeckt, sondern ergänzt. Eine Prise Safran verstärkt  die Curry-Nuancen der Immortelle, während ein Spritzer Zitrone die Aprikose vor Überreife bewahrt. Etwas Eichenmoos (vermutlich ein synthetisch rekonstruiertes, da nicht als Allergen gelistet) erdet die Protagonisten, gibt ihnen Halt und Stabilität.

Die Kombination von Eichenmoos und Steinobst hat es in der Parfumgeschichte ja zu einer gewisse Berühmtheit gebracht - man denke nur an "Mitsouko". Tatsächlich knüpft "Immortelle Corse" ein bisschen  an den Guerlain-Duft an: die bitteren Facetten der samtig-rauen Fruchtschalen, die sich im feucht-bitteren Grundton des Eichenmooses spiegeln, kann man auch hier erleben, nur etwas dezenter, zurückgenommener. Statt dem üppigen Guerlainschen Blütenbouquet tritt nun aber die Strohblume auf den Plan, in der sich erneut die Bitterkeit spiegelt, ebenso wie im Safran. Einem roten Faden gleich ziehen sich diese bitteren Nuancen durch den Duft, von weichen Fruchtaromen umspielt.

Vor einigen Jahren hat der Parfümeur Ralf Schwieger die Immortelle schon einmal in ein Chypre-Gerüst eingefügt, damals ohne fruchtigen Gegenpart, dafür mit einer deftigen Rose als Co-Partnerin. "The Afternoon of a faun" gab dem darbenden Chypre-Genre (die Verwendung von Eichenmoos wurde aus Verbraucherschutz-Gründen stark reglementiert) zwar einen neuen Kick, aber die strenge Würze der Immortelle machte den ohnehin schon dunkel getönten Duft so düster, dass einige nach Licht und Luft japsten.

Marc-Antoine Corticchiato sucht nun aber das Licht und orientiert sich weniger an Schwieger, als an Jacques Guerlain und Edmond Roudnitska, die ihren berühmten Chypres ganze Körbe sonnengereifter Früchte mitgaben, und so der waldbodigen Strenge des klassischen Chypre-Fonds saftige Sinnlichkeit einträufelten. Eine Sinnlichkeit, die diese Düfte auf ein völlig neues Level an Raffinesse hob. Auch "Immortelle Corse" erreicht dieses Level, zumindest empfinde ich das so, aber verglichen mit den Werken der Altmeister, die ein großes Duftnoten-Orchester anklingen lassen, schrieb Marc-Antoine Corticchiato eine Art Kammerduft für eine Solo- und vier Begleitnoten. Sind aber nur wenige, und noch dazu gut identifizierbare Noten beteiligt, ist eine gute Balance besonders gefragt, und die hat der Parfümeur gefunden: der Duft wirkt wie aus einem Guss und in sich ruhend, aller spannungsgeladenen Kontraste zum Trotz. Als Extrait-de-Parfum entwickelt er Volumen und Tiefe, bleibt dicht und versammelt, und behält über Stunden - vernünftig dos
iert - eine angenehme, unaufdringliche Präsenz. Und was seine Grundfarbe angeht - ich assoziiere Düfte gerne mit Farben - strahlt "Immortelle Corse" tatsächlich in einem satten dunklen Gelb, mit leichter Tendenz in ein helles Orange. 

Gemeinsam mit "Corsica Furiosa", "Eau de Gloire", "Salute!" und "Acqua di Scandola" bildet der Immortellen-Duft die "Héritage Corse", das korsische Erbe. Alle fünf Düfte sind jeder auf seine Art eine duftende Hommage an Corticchiatos Heimat, und wenn ich mich so durch sie hindurch rieche überkommt mich wildes Fernweh: wenn es dort so facettenreich, so charakterstark und aromatisch duftet, dann nichts wie weg, und auf nach Korsika!

Ich war da noch nie, und mein Freund liegt mir seit Jahren in den Ohren, dass wir da unbedingt mal hin müssen.

Eh bien, allons-y!

Claus Brunner