Essay

Selbst ist der Autor

Von Cora Stephan
08.02.2012. Die entscheidenden Akteure im Buchmarkt sind die Leser und die Autoren. Sie können nun direkt zueinander finden. Weitere Regulierungen braucht es nicht. Eine Antwort auf Jürgen Neffe
Jürgen Neffe ist ein Pionier, was das eBook betrifft. Sein Beitrag für den Perlentaucher hat mich allerdings irritiert. Er hat ja recht: Verlage haben kein Konzept, was eBooks und damit ihre Zukunft betrifft. eBooks sind hierzulange viel zu teuer, was man nur damit erklären kann, dass man ihren Siegeszug dringend verhindern möchte. Und von den Fehlern der Musikindustrie hätte man lernen können.

Doch was schließt er daraus? Dass die Verlage sich durch ihr Nichtstun "dem Diktat eines technischen Fortschritts" beugten, "den anderen definieren". Und was empfiehlt er? "Heimatschutz" für Bücher und Verlage, eine Art Cordon sanitaire, "einen geschützten Binnenmarkt."

Ich mag das gar nicht als "Protektionismus" beschimpfen, auch nicht als blauäugig. Es fällt nur auf, dass Neffe mit zwei Figuren im Spiel und deren Interessen nicht rechnet, jedenfalls erwähnt er die einen nicht, die anderen erklärt er für schutzbedürftig. Oder wie soll ich das verstehen, wenn er sich wünscht: "Kunden dürften sich - von Fachberatern empfohlene - Werke im Laden für eine begrenzte Zeit gratis auf ihr Lesengerät laden und beim Kaffee anschauen..." - statt? Statt ohne Aufsicht durch Fachpersonal einfach im Netz zu stöbern und zuhause auf der Couch bei Amazon in die Bücher zu schauen, die sie interessieren könnten? Und sie womöglich auch noch zu kaufen, ganz ohne an die Gewinnmargen der "kleinen Buchhandlung um die Ecke" zu denken? Nur, damit die Leser beim deutschen Kulturgut bleiben statt in die Ferne zu schweifen, womöglich zu den leichtlebigen Amerikanern mit ihren trojanischen Gäulen (Kindle!) und ihren Algorithmen, "die treffsicher seelenlose Empfehlungen" abgeben?

Und dafür, fragt Neffe, sollen Verlage "bis zur Hälfte des Verkaufserlöses abtreten, wo doch sie allein das Risiko der Herstellung tragen"?

Da stutz' ich schon. "Seelenlose Empfehlungen" beherrschen längst schon manche Verlagsstrategie und auch der normale Buchhändler verlangt "bis zur Hälfte des Verkaufserlöses" für eine Ware, die er übrigens jederzeit ohne Kosten zurückgeben darf, wenn sie niemand (meist völlig beratungsfern) aus dem Regal geholt hat, in der sie gleich nach Lieferung verschwunden ist. Ganz zu schweigen von den Rabattschlachten der großen Buchhandelsketten, die allerdings, siehe Thalia und Weltbild, längst eingesehen haben, dass ihr "seelenloses" Geschäft von Amazon weit effizienter erledigt wird.

Aber vor allem: was soll eigentlich der Autor sagen, der in diesem ganzen Geschäft mit 6 bis 10 Prozent dabei ist, auch wenn doch er am "Risiko der Herstellung" mit mehr als dem, nämlich oft mit Leib und Seele beteiligt ist? Die Herstellung eines eBooks ist im übrigen gänzlich Autorensache, er liefert ja heutzutage bereits alles Nötige dafür frei Haus, und sorgt oft noch selbst fürs Lektorat, indem er einen Kollegen beschäftigt. Ganz zu schweigen von Werbung per Website oder allerhand Aktivitäten in den Social Media.

Richtig: die Vorschüsse für Autoren sind in den letzten Jahren im Schnitt gesunken, weil sich nur noch wenige Blockbuster richtig gut verkaufen. Dank Amazon, dem großen Kraken, der uns mit seelenlosen Bestsellern überzieht? Oder müssen an diesem Zustand nicht, zumindest in Deutschland, wo eBooks noch keine wirklich große Rolle spielen und man seine Buchhandlungen liebt, nicht auch eben diese Buchhandlungen beteiligt gewesen sein?

Wenn Verlage weder Vorschüsse bieten noch ein gutes Lektorat, wenn Buchhandlungen trotz bester Konditionen nur noch verkaufen, was "von allein" geht, ist der Gedanke nicht fern, als Autor das Bündnis mit dem Leser auch ohne Vermittlungsinstanzen zu suchen. Selbst ist der Autor. Dass er auch bei besseren Gewinnmargen - Amazon bietet 70 Prozent vom Erlös - damit nicht gleich reich und berühmt wird, mag er verschmerzen, wenn er es vorher auch nicht wurde.

Und damit sind wir beim wichtigsten Punkt überhaupt, beim Leser, vor allem: bei der Leserin. Gemeint ist die Frau jenseits der vierzig oder fünfzig, das Segment, auf das Verlage und Buchhandlungen setzen. Die hat Geld, Geschmack, liest viel und wird neuerdings häufiger mit einem eleganten iPad gesehen. (Übrigens: selbstredend kann man auf Apples iPad alle digitalen Bücher lesen, nicht nur die aus dem eigenen eBook-Format, es gibt ja auch eine Kindle-App fürs iPad, also: keine Rede von einem geschlossenen Markt). Und diese Leserin und ihr männliches Pendant lassen sich weder von den Eigenheiten des deutschen Buchmarkts noch von "Fachberatern" den Spaß an einem globalen Markt vermiesen, auf dem es nun mal nicht nur deutsches Kulturgut gibt.

Rüdiger Wischenbart beschreibt es präzise: Der Leser ist längst von der Kette, lässt sich weder von seiner Buchhändlerin an die Kandare nehmen ("Nein! So einen Schund führen wir nicht!" sagte mal eine auf die Frage nach Thilo Sarrazin) noch vom deutschen Feuilleton oder dem deutschen Buchmarkt. Er grast weltweit, greift den Literaturkanon kostenlos beim Gutenberg-Projekt ab und kauft das amerikanische Original im Kindle-Shop, bevor die oft nicht wirklich gute, dafür teure deutsche Übersetzung erscheint. Weil er nicht an ein wichtiges Kulturgut namens gute deutsche Übersetzer denkt? Ja. Aber das ist auch nicht seine Aufgabe.

Für die Zukunft des Buchmarkts sind Leser und Autoren das Wichtigste. Und entscheidend wird sein, wie beide zusammenfinden. Mithilfe von Verlagen und Buchhandlungen? Gern. Doch zur Not, wenn die nicht tun, was sie tun sollen, auch ohne sie.

Cora Stephan

Cora Stephan, geboren 1951 in Strang bei Bad Rothenfelde, ist eine Publizistin und (unter dem Pseudonym Anne Chaplet) Krimiautorin. Sie arbeitete als Journalistin, Radiomoderatorin, Dozentin und veröffentlichte viele Sachbücher, darunter "Der Betroffenheitskult" (1985). Sie lebt auf dem Land und liebt Katzen. Zur Zeit arbeitet sie an der Digitalisierung ihrer vergriffenen Bücher.

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