Außer Atem: Das Berlinale Blog

Aus der Vintage-Boutique: Benoit Jacquots "Eva" (Wettbewerb)

Von Thierry Chervel
17.02.2018.


Einen solchen Film hätte man zuletzt vielleicht Anfang der Siebziger drehen können, zur Zeit der Chabrols und Sautets. Es gab ihn ja auch schon mal, Joseph Losey hat James Hadley Chases Roman zum ersten Mal im Jahr 1962 verfilmt. Jeanne Moreau spielte seinerzeit die Luxusnutte. Und damals, als noch nicht alles, was wir über Sex nicht mehr hören wollen, längst ausgesprochen war, lag er noch richtig in seiner Zeit.

Isabelle Huppert hätte damals noch nicht mitspielen können. Aber sie ist das eigentliche kleine Ereignis dieses Films. Sie debütierte - in meiner Erinnerung zumindest - 1977 in Claude Gorettas "Spitzenklöpplerin", und auch damals war sie selbstverständlich das Ereignis. Vierzig Jahre später wirkt sie als Prostituierte in "Eva" zwar nicht jung, aber schockierend alterslos. Und immer noch ist verblüffend, wie präsent sie in einem Kinofilm ist. Eine hinreißende kleine Szene hat sie in einem Luxusrestaurant, als sie sich auf Kosten ihres Gegenspielers in dem Film, des Schriftstellers Bertrand (der nur so tut, als wäre er Schriftsteller), ein bisschen gehen lässt. Sie berauschen sich an Charmes-Chambertin, einem sehr teuren Burgunder, und es ist unglaublich, wie unter ihrem Porzellanteint die eigentliche Eva hervorblitzt, eine, die Schlager trällert, die glamouröse Lügen über ihren Mann erzählt, ein durchaus ordinäres und eigentlich liebes Mädchen. Ihren Mann vergöttert sie wirklich, aber der ist im Gefängnis.

Aber warum heute so ein Film? Eine Luxusnutte, ein Schriftsteller, der nur fingiert, Luxushotels, eine Geliebte, die Tochter eines berühmten Chirurgen ist (die sehr charmante Julia Roy in hellgrauem Kaschmir), Champagner und plüschige Kasinos: Das sind Requisiten aus der Vintage-Boutique des französischen Kinos, aus der Art Theater, die dort oder auch in London noch gespielt wird, ein bisschen Agatha Christie, ein bisschen Boulevard mit ein bisschen Bourgeoisiekritik. Die einzige, die heute so etwas vielleicht noch kann, ist Yasmina Réza.

Gaspard Ulliel als verkrachter junger Autor, der nur zu Ruhm kommt, weil er einem Booker-Preisträger ein unveröffentlichtes Stück von seinem Totenbett klaut, hat das Charisma einer Thermoskanne, nach außen glatt, ob's innen warm oder kalt ist, war nicht herauszufinden. Von Chabrol stammt die Weisheit, dass es immer das Verdienst des Schauspielers sei, wenn er gut spielt und immer die Schuld des Regisseurs, wenn er versagt. Benoit Jacquot hat Ulliel für das Drama der Mediokrität nicht das Talent verliehen.

Eva. Regie: Benoit Jacquot. Isabelle Huppert, Gaspard Ulliel, Julia Roy, Richard Berry. Frankreich 2018, 102 Minuten. (Vorführtermine)