Bücher der Saison

Romane und erzählende Literatur

Eine Auswahl der interessantesten, umstrittensten und meist besprochenen Bücher der Saison.
09.11.2020. Mit Khaled Alesmael durch das schwule Damaskus, mit Jan Koneffkes Schrumpfkopf durch die europäische Geschichte, mit Iris Wolff ins Banat.  Ayad Akthar stimmt die Homeland Elegien an und Stefanie Sargnagel besingt Wiener Räusche und Ben Lerner besucht die Topeka Schule.
Saison im Ausnahmezustand

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Was für eine eigenartige Saison! Die Frankfurter Buchmesse haben wir vor dem Bildschirm verbracht, die Coronakrise zwang viele Verlage geplante Veröffentlichungen auf das kommende Jahr zu verschieben. Schmerzlich vermissen wir diese Saison die großen französischen, italienischen oder osteuropäischen Romane, auch das Gastland Kanada kam zu kurz - und darf sich deshalb 2021 erneut und dann hoffentlich auch physisch präsentieren. Wir haben dennoch alles gegeben und die laut Kritik besten, bizarrsten und bewegendsten Romane der Saison herausgesiebt: Sie führen uns ins zerbombte Syrien, nach Israel und Mumbai, ins Frankfurter Industrieproletariat und an amerikanische Highschools, in Schrumpfköpfe, Puppenkisten, zu Wiener Punks und quer durch die Jahrhunderte. Genug Stoff für lange Winterabende also!

Auf zwei kanadische Bücher, die uns aufgefallen sind, wollen wir trotzdem unbedingt hinweisen: Marie-Claire Blais' Roman "Drei Nächte, drei Tage" (bestellen), im Original bereits 1959 erschienen. SZ-Rezensent Ulrich Rüdenauer stürzt sich hinein in diese famose göttliche Komödie und den "fiebrigen" Figurenreigen aus Künstlern, Drag-Queens, Ku-Klux-Klan-Mitgliedern und Verlorenen, die Blais Ende des 20. Jahrhunderts auf einer Karibikinsel zusammenkommen lässt. Unerhört modern, staunt, Rüdenauer, und von Nicola Denis brillant ins Deutsche übertragen. Sehr gut besprochen wurde auch Eric Plamondons Krimi "Taqawan" (bestellen), der nicht nur die Vergewaltigung eines Mi'gmaq-Mädchens thematisiert, sondern mit Exkursen zum Lachsfang und zum Umgang mit den First Nations eine packende Mischung aus Soziogramm, Abenteuergeschichte, Bildungsroman, Nature Writing und Thriller bietet, wie Ulrich Noller im Dlf-Kultur versichert.


Im Niemandsland der Sehnsüchte

Es ist schade, dass solche Bücher nicht häufiger besprochen werden. Gerade an das Thema "Islam und Homosexualität" traut sich ja kaum jemand heran. Schon allein deshalb ist es interessant, Khaled Alesmaels autobiografisch grundierten Roman "Selamlik" (bestellen) zu lesen, in dem uns der in Syrien geborene Journalist, der auch als Kolumnist für die taz schrieb und heute in Schweden lebt, vom verborgenen Leben homosexueller Männer in Damaskus, vom Terror des Bürgerkriegs, aber auch der Homophobie seiner arabischen Landsleute im schwedischen Asylantenheim erzählt. Mehr noch: In "diesem mit geradezu verblüffend ruhiger Stimme erzählten" Debütroman, wie Marko Martin schreibt, der im Dlf-Kultur das Buch bisher als einziger deutscher Kritiker besprochen hat, lernen wir die vielen unterschiedlichen Realitäten des Lebens unter dem Assad-Regime und die Bedrohung durch den IS kennen. Nach der Lektüre wird niemand mehr von "den Flüchtlingen" sprechen, hofft Martin.

Überhaupt sind es die Geschichten junger MigrantInnen, die diese Büchersaison bestimmen. Anna Pritzkau, 1986 in Moskau geboren und seit den Neunzigern in Deutschland lebend, erzählt uns in "Fast ein neues Leben" (bestellen) in zwölf Erzählungen vom Fremdsein, vom Aufwachsen zwischen den Kulturen, von der Scham und den Lügen. "Kurz, hart und geschliffen" wie Diamanten sind Pritzkaus Geschichten, schreibt Ulrich Gutmair in der taz. SZ-Kritikerin Dana von Suffrin schätzt den unsentimentalen, unironischen Ton und bewundert nicht nur wie die Autorin ihre Figuren in knappen, scharfen Umrissen zeichnet, sondern auch, wie sie große Dramen in wenigen Sätzen erfasst. Sandra Gugic, Wienerin mit serbischen Wurzeln, erzählt in "Zorn und Stille" (bestellen) indes vom Leben auf dem Balkan: Wir folgen hier der Fotografin Billy Bana, die mit ihrer Mutter nach dem Tod des Vaters nach Belgrad fliegt, um dessen letzten Wunsch zu erfüllen: ein Begräbnis in der Heimat. In Rückblicken verwebt Gugic die Geschichte der Eltern, die Flucht nach Wien, den Zerfall Jugoslawiens und das Leben im "Niemandsland der Sehnsüchte" zu einem großen Familienroman - ganz ohne Verklärungen, lobt Paul Jandl in der NZZ. In der FAZ erliegt Jörg Plath vor allem dem "düsteren Leuchten" von Gugics Heldin.

Hymnische Besprechungen erhielt der Debütroman - der auch Essay und Memoir ist - des als Sohn pakistanischer Einwanderer in Milwaukee aufgewachsenen Dramatikers Ayad Akhtar. In "Homeland Elegien" (bestellen) schildert er literarisch frei, wie er in Amerika zum Intellektuellen aufstieg, durch Börsengeschäfte zu Reichtum kam und sich vor allem nach dem 11. September dennoch nie dazugehörig fühlte. Für Zeit-Kritiker Peter Kümmel ist das Buch auch Dokument einer "kollektiven Niederlage" und eines Amerikas, das aus "selbstempfundener Rückständigkeit" längst so "aggressiv und larmoyant" wie Pakistan geworden sei. FAZ-Kritiker Paul Ingendaay liest das Buch als eine Mischung aus "Einwanderungssaga, Bildungsroman, Sozialdrama und Selbstentblößungs-Comedy". "Virtuos und gallenbitter" nennt Eva Behrendt in der taz den Roman.

Bereits in unseren Bücherbriefen empfohlen haben wir Ronya Othmanns von der Kritik hochgelobten Roman "Die Sommer" (bestellen), der von der Tochter eines jesidischen Kurden und einer Deutschen erzählt, die ihre Sommerferien bei den Großeltern in einem jesidischen Dorf in Nordsyrien verbrachte und während des Studiums in Leipzig vom syrischen Bürgerkrieg und der Ermordung der Jesiden durch den IS erfährt. Hingewiesen sei auch noch einmal auf Cemile Sahins zweiten Roman "Alle Hunde sterben" (bestellen) über neun Menschen, die in einem Hochhaus im Westen der Türkei kurz Zuflucht vor Terror und Gewalt finden: Eines der beeindruckendsten und dunkelsten Bücher des Jahres, meint etwa FAS-Kritiker Niklas Maak.


Pralle Gegenwart

Monika Maron sorgte diese Saison gleich zweifach für Kontroversen: Während die Feuilletons die Entscheidung des Fischer-Verlags, sich nach vierzig Jahren von Maron zu trennen, überwiegend kritisierten (Unsere Resümees), arbeiteten sie sich an "Artur Lanz" (bestellen) ganz schön ab: FAS-Feuilletonchefin Julia Encke sucht denn auch sofort die "rechten" Muster in der Geschichte um eine alternde Ich-Erzählerin, die an der postheroischen Gesellschaft krankt und auf einer Parkbank den wenig heldenhaften Artur kennenlernt. Zu viele Thesen zu "Genderwahn", Klimawandel und Männlichkeitskrise kreidet taz-Kritikerin Marlen Hobrack dem Roman an. Im Dlf-Kultur zieht Jörg Magenau allerdings den Hut: Maron kann so gut schreiben, dass am Ende doch ein "vergnüglicher Gesinnungsroman von angemessener Boshaftigkeit" entstanden ist, meint er. Sehr fair wurde über den Roman im Literarischen Quartett des ZDF diskutiert.

Für beste Unterhaltung sorgt diese Saison Stefanie Sargnagel, wie die KritikerInnen versichern. Wenn uns die junge Österreicherin in ihrem tagebuchartigen Coming-of-Age-Roman "Dicht" (bestellen) ins Wien der nuller Jahre mitnimmt, hinein in allerlei Spelunken, holländische Kiffershops, aber auch in Supermärkte und Parks, fühlt sich FAZ-Kritikerin Elena Witzeck, als würde sie bekifften auf einem WG-Sofa sitzen. Auch Zeit-Kritiker Martin Eimermacher erliegt der "warmen Melodie" des Sargnagel-Sounds. In der NZZ kann sich auch Paul Jandl de Rausch dieses rasanten Trips zwischen "Depression und Dullijöh" nicht entziehen. Auch die Wienerin Mercedes Spannagel legt diese Saison mit "Das Palais muss brennen" (bestellen) einen wunderbar bösen österreichischen Debütroman vor: Die Geschichte um Luise, die ihre Mutter mit der Anschaffung eines Mopses namens Marx provoziert, ebenso viel trinkt und kokst wie ihre Schwester Yara - und dann doch nur so lange Sozialistin bleibt, wie sie dabei ihre Saint-Laurent-Cateye-Sonnenbrille tragen darf, besticht laut SZ-Kritikerin Theresa Hein durch feinfühlige Beobachtungen und eine Prise Wiener "Lakonie".

Unbedingt lesenswert fanden die KritikerInnen Laura Lichtblaus Debütroman "Schwarzpulver" (bestellen) der von drei Widerständigen erzählt, die im Berlin einer nahen Zukunft gegen eine von Bürgerwehren gestützte rechte Regierungsmacht antreten. Schon der surrealen, zugleich lebendigen und poetischen Sprache wegen lohnt die Lektüre, versichert etwa Marlen Hobrack in der Welt. Und dann ist da noch Deniz Ohdes "Streulicht" (bestellen), auf das wir auch schon im Bücherbrief verwiesen hatten, das in "trotziger Schiefheit" und dennoch grausam klar vom Aufwachsen im und Ausbruch aus dem Industrieproletariat erzählt.

Ins Amerika des Jahres 2022 führt uns derweil Don DeLillo in seinem schmalen Roman "Die Stille"(bestellen): Sechs Freunde sitzen zur Zeit des Lockdowns in einem Apartment in Manhattan fest und plaudern über Einstein, Abgründe und die ausgefallene Übertragung des Super Bowl. Die KritikerInnen bewundern die Erzählökonomie und Subtilität dieses Kammerspiels, das die Katastrophe nur andeutet. Ben Lerners "Die Topeka Schule" (bestellen) über die Orientierungslosigkeit weißer, privilegierter US-Männer in den Neunzigern haben wir bereits in unserem Bücherbrief des Monats Oktober empfohlen. Die KritikerInnen lobten den Roman als so politisch hellsichtige wie poetisch erzählte Vorgeschichte des gesellschaftlichen Bruchs unter Trump.


Traum, Magie, Dystopie

Diese Zeiten laden ja gerade dazu ein, sich hinwegzuträumen in ferne Länder, vergangene Epochen, an magische Orte. Vielleicht an der Hand eines Schrumpfkopfes? Diesen mit Sicherheit kuriosesten Erzähler der Saison hat sich nämlich Jan Koneffke für seinen neuen Roman "Die Tsantsa-Memoiren" (bestellen) ausgedacht: Durch die letzten 240 Jahre führt uns jener Tsantsa, durch Rom, Paris, Frankfurt, London, Wien und Bukarest, stets mit seinem eigenem Blick auf die Geschichte der Revolutionen, aber auch auf den Kolonialismus, den Holocaust - bis er schließlich zum Börsenstar der 1990er Jahre avanciert. Im Dlf-Kultur liest Michael Braun das Buch als Schelmenroman der besonderen Art, voll Erfindungsgabe, opulenter Ausmalung, bizarrer Details, sprachbegeistert und komisch; historische Genauigkeit und Originalität lobt Peter Körte in der FAS. FAZ-Kritiker Jan Wiele ist zwar mitunter genervt vom Dauergeplapper des Schrumpfkopfes, dem Humor und barbarischen Genuss des Romans kann er sich dennoch nicht entziehen.

Ganz neue Welten erschließt auch der haitianische Schriftsteller Dany Laferriere in seiner autofiktionalen Satire "Ich bin ein japanischer Schriftsteller" (bestellen). Laferriere lässt sich seinen Erzähler, einen haitianischen Exilautor mit starkem Hang zur Kontemplation, in die Haut eines japanischen Schriftstellers hineinfantasieren - eine rasante und groteske Komödie, die wunderbar mit Identitätsklischees spielt, freut sich Holger Heimann im Dlf. Hoch artistisch im Umgang mit Metaebenen und Subtexten findet auch Marko Martin im Dlf Kultur Laferrieres Vexierspiel mit nationalen (japanischen) und kulturellen Stereotypen. Großes Lob bekam der Däne Jonas Eika für sein literarisches Debüt "Nach der Sonne" (bestellen), in dem er mit allerhand Science-Fiction-Elementen von IT-Beratern im Untergrund, nach Aliens suchenden Esoterikern in der Wüste Nevadas oder Männern, die zu Sendemasten mutieren, erzählt. taz-Kritiker Stefan Hochgesand fühlt sich wie auf einem Heroin-Trip am Strand bei der Lektüre der Short Stories. Härte und Poesie der utopisch-dystopischen Texte loben auch die KritikerInnen in Zeit, SZ, FAS und Dlf-Kultur.

Aus den bequemen Denkzonen heraus scheucht uns auch Olga Tokarczuk in ihrem neuen Erzählband "Die grünen Kinder" (bestellen). Wenn uns die Literatur-Nobelpreisträgerin hier von Naturwissenschaftlern, die sich vor Natur ekeln, von neurotischen Professoren oder grünen Waldkindern erzählt, erkennt Zeit-Kritiker Benedikt Herber das Eigenartige, immer Kluge der zehn Texte über Vernunftmenschen, die für wenige Momente ins Unbekannte vordringen. Hin zu einer Gruppe Aussteigern und Abenteurern, aber auch Milizionären, Künstlern und Professoren, die sich nach dem Untergang der Malediven auf "Malé" (bestellen) wiederfinden, treibt uns Roman Ehrlich in seinem anspielungsreichen Roman, der jede Lektüre-Mühe lohnt, wie die KritikerInnen versichern: Selten wurde die "Schweigsamkeit der Dinge" so anziehend verhandelt, findet im Dlf-Kultur Marten Hahn, bei dem der Roman noch lange nachhallt. In eine ganz andere untergehende Welt nimmt uns Philipp Winkler mit in seinem neuen Roman "Carnival" (bestellen), den die RezensentInnen als poetisch-märchenhaften Abgesang auf die Kirmes lesen. Und dennoch knallen Winklers Sätze "wie Peitschenhiebe", verspricht Oliver Jungen in der FAZ.


Einsichten

Dass es dieser Roman auf die Longlist des Buchpreises geschafft hat, war für Dlf-Kritiker Jörg Magenau wahrlich keine Überraschung. Der österreichische Autor Stephan Roiss erzählt in seinem Roman "Triceratops" (bestellen) von einem kleinen Jungen, der in einer Borderliner-Familie aufwächst, sich zwanghaft kratzt und sich in seine Zeichnungen von Monstern und Dinosauriern zurückzieht. Beklemmend, bedrückend, lesenswert, meint der Kritiker. Auch taz-Rezensentin Marlen Hobrack ist sich sicher, dass es großes schriftstellerisches Talent braucht, um Verzweiflung so eindringlich darzustellen. Dass Roiss seinen jungen Helden aus der Wir-Perspektive erzählen lässt, wirft laut Hobrack zudem interessante Fragen über Erzählinstanzen in der Literatur auf. Die "kurzen, trocken erzählten" Szenen aus dem Österreich der Achtziger und Neunziger üben auch auf András Szigetvari im Standard einen Sog aus, bei ihm hallt das Buch noch lange nach.

Von einer Familie und den ihr zugrunde liegenden Traumata erzählt uns auch David Grossman in seinem neuen Roman "Was Nina wusste" (bestellen). Hauptfiguren sind drei Frauen, die wir zwischen Israel und Kroatien durch die Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts begleiten. Für FAS-Kritikerin Julia Encke ist der israelische Autor nach der Lektüre der "größte lebende Schriftsteller", hymnisch fallen auch die meisten anderen Kritiken aus: In der FAZ lobt Andreas Platthaus Grossmans Vermögen, seine Figuren mit "liebender Härte" zu erfassen - nach der Lektüre weiß er nicht, wem er mehr danken soll: Dem Autor oder der Übersetzerin Anna Birkenhauer. Auf das Leben nur einer Frau konzentriert sich indes die israelische Autorin Liat Elkayam, die uns in "Aber die Nacht ist noch jung" (bestellen) den Überlebenskampf ihrer Heldin zwischen Muttersein und krassen Ausbruchsfantasien schildert. Was wie eine Satire beginnt, endet laut FAZ-Kritiker Fridtjof Küchemann ziemlich gnadenlos in Kontrollverlust, Seitensprung, Absturz. Ein "unerbittliches Mahlwerk" von einem Buch, schließt er.

Eine der kraftvollsten neuen Stimmen Lateinamerikas nennt Dlf-Kultur Kritiker Dirk Fuhrig die kolumbianische Autorin Pilar Quintana, die in ihrem Debütroman "Hündin" (bestellen) von Damaris, einer schwarzen Frau in ihren Vierzigern erzählt, die keine Kinder bekommen kann und sich einen Hundewelpen anschafft, der nach einem Ausflug trächtig aus dem Dschungel zurückkehrt. Fuhrig lobt Intimität, Andeutungsreichtum und Lakonie des Romans, in der SZ hebt Kathleen Hildebrand Quintanas Subtilität hervor. Sehr gut besprochen wurde auch Judith Zanders Roman "Johnny Ohneland" (bestellen), der in einem Mix aus Selbstgespräch, Rilke-Versen, DDR-Kinderliedern, Songtexten, finnischem Idiom und Platt - und vor allem im Verzicht auf "Genderdiskurs-Vokabular" herrlich komisch von einer in der DDR geborenen jungen Frau erzählt, die sich der konventionellen Geschlechterzuordnung entziehen will, wie ein begeisterter Frank Meyer im Dlf-Kultur resümiert. "Schillernd und fein" erscheint auch SZ-Kritiker Nico Bleutge der Roman.


Blick zurück

Als "Zauberkunststück der Imagination" preist SZ-Kritikerin Meike Fessmann Iris Wolffs neuen Roman "Die Unschärfe der Welt" (bestellen), der uns in sieben Kapiteln aus sieben Perspektiven einer jeweils anderen Generation ein Jahrhundert Familiengeschichte aus dem Banat erzählt. Im Dlf-Kultur staunt Carsten Hueck, wie Politik, Krieg, Securitate, Flucht und Ende des kommunistischen Systems in Osteuropa im Text nicht als Sensationen, sondern sinnlich, ernst und als intime Ereignisse verhandelt werden. Auch Cornelia Geissler bemerkt in der FR: "An vielen Sätzen kann man eine Weile kauen und schmecken." Auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises schaffte es derweil Christine Wunnickes Roman "Die Dame mit der bemalten Hand" (bestellen), den Ekkehard Knörer in der taz als graziles "Präzisionsinstrument" bezeichnet. "Fast federnd" erzähle Wunnicke von der Arabien-Reise des deutschen Mathematikers Carsten Niebuhr und seinem Zusammentreffen mit dem indischen Astrolabienbauer Musa al-Lahuri, staunt er. Für FAZ-Kritiker Andreas Platthaus ist der Roman gar ein Festschmaus aus 1001 Nacht.

Es ist schon bemerkenswert, dass sich Heinz Bude, Bettina Munk und Karin Wieland zusammengefunden haben, um anhand ihrer Vergangenheit in der Kreuzberger Hausbesetzerszene der Achtziger gemeinsam diesen Roman zu schreiben, findet Zeit-Kritiker Alexander Cammann, der "Aufprall" (bestellen) als Generationenporträt, Milieustudie, existenzielles Panoptikum auch über Abtreibungen, Drogentod und Aids liest. Dieser Roman fügt den vielen Retrospektiven über das Westberlin der 80er-Jahre eine wichtige Perspektive hinzu, ergänzt Jens Uthoff in der taz, der hier auch einiges über die Sünden vieler Linker, wie deren teilweise offenen Antisemitismus erfährt. Und trotzdem verspricht der Roman großes Lesevergnügen, fügt Christoph Bartmann in der SZ hinzu. Einen ganz neuen Blick auf deutsche Nazi- und Nachkriegsgeschichte wirft Thomas Hettche in seinem Roman "Herzfaden" (bestellen), der uns fantasiereich, ernsthaft und doch "sprühend albern" und mit eine Prise "Alice im Wunderland" die Entstehungsgeschichte der Augsburger Puppenkiste erzählt, wie Wiebke Porombka im Dlf-Kultur versichert. In der Zeit staunt Christoph Schröder, wie Hettche unter der "nostalgisch angehauchten" Oberfläche "tief in den Urgrund" der Nazivergangenheit abtaucht.