Im Kino

Berühmt und berüchtigt

Die Filmkolumne. Von Nicolai Bühnemann, Rajko Burchardt
14.09.2022. Sabine Derflingers Doku über Alice Schwarzer macht Laune, wenn seine Protagonistin mit Witz und sehr klaren Worten das bundesrepublikanische Spießer-Machotum eines Augstein, Nannen oder Löwitsch aufs Korn nimmt. Bei den jüngeren Konflikten - Russland, Steueraffäre, neuer Feminismus - hält sich der Film eher bedeckt. Brian Goodmans Film "Chase" zeigt am Beispiel einer Ehekrise, wohin der Verlust der Sprache führt.


Das Buch habe sie "mit einem Schlag berühmt und berüchtigt" gemacht, resümiert Deutschlands vermutlich immer noch populärste Frauenrechtlerin nicht ohne Stolz: "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen", Alice Schwarzers in mehrere Sprachen übersetzte Sammlung weiblicher Erfahrungsberichte, erschien 1975. Einige Monate zuvor hatte sich die Autorin mit der antifeministischen Schriftstellerin Esther Vilar ("Der dressierte Mann") zum TV-Schlagabtausch verabredet und bezeichnete ihr Gegenüber vor laufenden Kameras als "Faschistin", deren Texte "reif für den Stürmer" seien. Die Presse schlachtete das Gezänk genüsslich aus. So "hasserfüllt waren im Deutschen Fernsehen noch nie zwei aufeinander losgegangen", schrieb Der Spiegel. In den lokalen Ruhr Nachrichten hieß es ungleich offenherziger: "O Graus, Frauen wurden losgelassen". Bundesdeutsche Sexismusrelikte, noch keine 50 Jahre her.

Mit Ausschnitten des ziemlich bizarren Duells beginnt "Alice Schwarzer". Was eine interessante, möglicherweise angemessen grobe Setzung ist: Der Dokumentarfilm von Sabine Derflinger datiert die Entstehung des Medienphänomens Alice Schwarzer ausgerechnet auf den Moment der Konfrontation mit einer anderen Frau. Als öffentlichkeitswirksame Repräsentantin der feministischen Sache tritt die Gründerin der Publikumszeitschrift Emma nicht nur meinungsstark und durchsetzungsfähig auf, sondern verteidigt ihre Anliegen insbesondere auch gegenüber jenen, die keine Mitstreiterinnen sind. Im Fernsehen, ihrem wohl zweitliebsten Kommunikationsmedium, machte Schwarzer dann Jahre später Verona Feldbusch die Hölle heiß. Auch diese Fehde wurde zum Quotenhit, der Frauenrechte als Primetime-Diskursattrappen von diesmal Johannes B. Kerners Gnaden nutzte - ein vorgefertigter Klassiker der Erregungsfernsehgeschichte.

Regisseurin Derflinger lässt die Titelfigur gewissermaßen in deren eigenes Porträt rumpeln, und schon der zusammengestellten Archivaufnahmen wegen versprüht das einigen Reiz: Alice Schwarzer, die im Blitzlichtgewitter Henri Nannens Stern verklagt, vor laufenden Kameras Rudolf Augstein runterputzt oder den breitbeinigen Machismo des Schauspielers Klaus Löwitsch offenlegt: Das macht schlicht und ergreifend Laune. Zu sehen, wie eine exponierte Frau mit größter Selbstsicherheit an Widerspruchsfreiheit gewöhnte Herrenrunden aufmischt, ist auch Jahrzehnte später ein Vergnügen. Zumal Schwarzer sich immer wieder mit Humor durch den bundesdeutschen Männermief manövrieren konnte. Je aufgeregter ihrer Kritik am Patriarchat mit misogynen Sprachbildern begegnet wurde, desto süffisanter konterte die als "Männerschreck" und "Buhfrau Nummer 1" betitelte Feministin solche Attacken. Schwarzers spielerische, eher störend, denn gefährlich wirkende Bloßstellung von Chauvinismus dürfte für ihre Popularität mitentscheidend gewesen sein.



Umrahmt werden die historischen TV-Dokumente von Gegenwartsschnipseln. Der Film befragt seine Protagonistin am Emma-Redaktionstisch im sogenannten FrauenMediaTurm, begleitet sie in die Heimatstadt Wuppertal und bis nach Paris, wo es ihr zu Beginn der 1970er als Teil der MLF-Frauenbewegung gelang, emanzipatorische Forderungen auf die Straße zu tragen. Über diese widerständige Zeit gibt Alice Schwarzer rege Auskunft, schwärmt von Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre und Romy Schneider. In der 100-minütigen Kinofassung (auf Festivals lief zuvor eine deutlich längere Version) hinterlassen die Berichte von Befreiungskämpfen im Schnelldurchlauf zwar einen unsortierten Eindruck, weil es dem erratisch montierten Archiv- und Interviewmaterial merklich an Struktur fehlt. Andererseits bekommt der Film Alice Schwarzer dadurch um so besser zu fassen als eine widersprüchliche, gelegentlich fahrige Persönlichkeit: Als eine Figur nämlich, die im selben Moment erfrischend scharfsinnig und beeindruckend ungenau sein kann.

Der oft genug auch validen Kritik an ihren Positionen räumt das Schwarzer erkennbar zugeneigte Porträt eher pflichtschuldig Raum ein. Stichpunktartig blättert es durch den Kontroversenkatalog (Prostitutionsdebatte, Kopftuchverbot, Silvesternacht 2015 in Köln), ohne damit einhergehende Reibungen - etwa das Spannungsverhältnis zwischen der mittlerweile fast 80-jährigen Emma-Chefredakteurin und Vertreterinnen jüngerer feministischer Denkarten - zu vertiefen. Überraschend ist allein manche Einschätzung der Protagonistin selbst. Von der vorurteilsbehafteten Bild-Berichterstattung im Kachelmann-Prozess, für die sie abgemahnt wurde, rückt Schwarzer auch heute keinen Millimeter ab ("auf wenig in meinem Leben bin ich so stolz"). Themen wie ihre Steueraffäre oder die Diskussion um Grenzen der Selbstbestimmung werden dagegen genauso ausgespart wie das schon vor dem aktuellen Krieg in der Ukraine fragwürdige Verhältnis zu Russland. "Warum ich trotz allem Putin verstehe!", titelte Schwarzer am Tag der Annexion der Krim auf ihrer Website. Thema wird das in der Doku leider nicht.

Zugute halten kann man Derflinger die Kontextualisierung einige dieser Standpunkte. Geht es um Schwarzers persönliche Verbindungen nach Algerien oder ihre Reisen in den Iran während der Islamischen Revolution, erscheint manche Diskursverhärtung zumindest biografisch plausibel. Die dahingehend interessantesten Stellen des Films lenken den Blick auf Unsicherheiten, in denen Alice Schwarzer aus der Rolle der Medienfigur heraustritt. Einmal blockt sie während eines mitgefilmten Interviews die Frage nach ihrem späten Coming-Out ab ("ich würde sagen, hier machen wir Halt"). Es bleibt der einzige Moment, der das Thema überhaupt anreißt. Zum Ende hin sehen wir intime Privataufnahmen aus Schwarzers Münchener Wohnung. Sie werde als "Alphatier" wahrgenommen und "mit Kriterien gemessen, die bei einer Frau nicht sein dürfen", beklagt sie vor dem Badezimmerspiegel stehend. Gefilmt hat diese Szenen Bettina Flitner, Schwarzers langjährige Lebensgefährtin.

Rajko Burchardt

Alice Schwarzer - Österreich 2022 - Regie: Sabine Derflinger - Laufzeit: 100 Minuten.

***



Eine Frau verschwindet. Eben noch saß Lisa Spann (Jaimie Alexander) mit ihrem Mann Will (Gerard Butler) im Auto auf dem Weg zu ihren Eltern. Ihre Beziehung steckt in einer Krise. Er spricht davon, ihr einen vergangenen Fehltritt zu verzeihen. Sie braucht dennoch eine Auszeit. Die Spannung zwischen den beiden ist mit Händen zu greifen. Während er noch um Worte ringt, die das Unvermeidbare abwenden könnten, scheint das Paar doch am Ende des gemeinsamen Weges angekommen. Dann geht sie an einer Tankstelle auf die Toilette - und kommt nicht wieder.

Der zunehmend panische Will ruft die Polizei. Während Detective Paterson (Russell Hornsby) die Ermittlungen aufnimmt, macht sich Will selbst auf die Suche, die ihn schließlich auf die Schliche eines nicht sonderlich ausgeklügelten Entführungs-Komplotts und in ein tief in den Wäldern verstecktes Crystal Meth-Labor führt.

Auf den ersten Blick geht es Regisseur Brian Goodman und Drehbuchautor Marc Frydman in "Chase" (Originaltitel: "Last Seen Alive") darum, mit solidem Genre-Handwerk eine denkbar generische Geschichte möglichst routiniert zu erzählen. Allein das Licht, in die die ersten Einstellungen getaucht sind, mag dazu nicht passen. Einerseits unterstreicht der Film das Archetypische, Americana-hafte an der endlosen Überlandstraße und der Tankstelle. Andererseits schimmern die Bilder doch so fahl und unwirtlich, erscheinen so durchdrungen von Entfremdung und Melancholie, dass den allzu bekannten Orten etwas Unheimliches anhaftet.

Das hat System; so fremd wie den Menschen ihre Umgebung geworden ist, so wenig scheinen sie auch in der Geschichte, in die der Film sie setzt, jemals ganz anzukommen. Im Genre ist es für den "gewöhnlichen" Mann oft insgeheim eine Befreiung, durch ein traumatisches Verlusterlebnis zum Action(anti)Helden zu werden, seine zivilisatorischen Fesseln zu sprengen, um den archaischen Impulsen, seinem Zerstörungstrieb freien Lauf zu lassen. Bei dem Immobilien-Entwickler Will Spann, der sich in brachialen Faustkämpfen, mit dem Brecheisen und schließlich der Pistole den Weg zu seiner Frau ebnet, ist das nicht mehr so; nichts deutet darauf hin, dass ihm die Erfüllung seiner Mission irgendeine Genugtuung bereitet. Der Mann, der immer noch tun muss, was ein Mann tun muss, leidet zunehmend an seiner Rolle.

Rückblenden zeigen den Verfall der Beziehung von Will und Lisa als Verlust der Sprache: Sie findet keine Worte, um zu sagen, was mit ihr nicht stimmt. Er hat irgendwann das Gefühl, dass jede erneute Aussprache unausweichlich weiter in den Abgrund führt. Als Paterson ihn im Verhör fragt, wie es um seine Ehe stehe, reagiert Will aggressiv. Im Genre-Plot spitzt sich die Hilflosigkeit des Protagonisten, dem seine Frau langsam entgleitet, zu, um ihm dann scheinbar den Weg zur Katharsis zu eröffnen.

Will sagt einmal, Lisa habe eine "Dunkelheit in sich". Vielleicht liegt der Schlüssel zum letztlich opak bleibenden Ehekonflikt, der das Zentrum des Films bildet, darin, diesen Satz als reine Projektion zu entlarven. Das Dilemma des müden Actionhelden, dem Gerard Butler mit der faltigen Stirn, dem angegrauten Bart und den immer leicht herabhängenden Schultern eine denkwürdige Präsenz verleiht, scheint darin zu liegen, dass er in einer Welt lebt, in der die Sprache versagt, ohne dass noch jemand ernsthaft an die reinigende Wirkung des Gewaltausbruchs glauben könnte.

"Chase" bemüht sich darum, diese Widersprüche mit dick aufgetragenem versöhnlichem Pathos aufzulösen. Doch der Status Quo, nach dessen Wiederherstellung von Anfang an alles strebt, bleibt beim finalen Blick in den verregneten Himmel merklich prekär.

Nicolai Bühnemann

Chase - USA 2022 - OT: Last Seen Alive - Regie: Brian Goodman - Darsteller: Gerard Butler, Jaimie Alexander, Russell Hornsby, Ethan Embry, Michael Irby - Laufzeit: 95 Minuten.