Angelika Klüssendorf

Risse

Romanhafter Lebensrückblick
Cover: Risse
Piper Verlag, München 2023
ISBN 9783492059916
Gebunden, 176 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Das Mädchen ist zurück: In zehn Geschichten entfaltet Angelika Klüssendorf ein Kinderleben in der DDR in den 60ern und 70ern, geprägt von Ungeborgenheit und Sehnsucht. Nach dem Tod der geliebten Großmutter muss das Mädchen Übergriffen und Teilnahmslosigkeit begegnen. Es ringt darum, seine Eltern auszuhalten und zu verstehen und die Schwester zu beschützen. Lichtblicke liefern Bücher, das Lesen bietet selbst im Kinderheim noch einen Ausweg.Die Kaschnitz-Preisträgerin erzählt die Vorgeschichten zum Erfolgsroman "Das Mädchen" neu, die vor zwanzig Jahren erschienen und nicht mehr lieferbar sind. Und sie überprüft schonungslos, was nicht erzählt wurde und warum. Ist Wahrhaftigkeit im Erzählen von sich möglich? Autofiktion, radikal und bewegend!"Wenn ein Buch die Axt für das gefrorene Meer in uns sein muss, wie Kafka sagt, dann ist für mich eines davon "Risse" von Angelika Klüssendorf.  Warum? Weil sie ihren Figuren und uns eine Suche nach dem Abgrund in sich selbst zumutet - eine Suche, die schmerzt und Mitgefühl ermöglicht. Ich bewundere sie dafür." Corinna Harfouch

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.11.2023

Als "bedrückenden Reigen" empfindet Rezensent Nils Kahlefendt die Geschichten, die Angelika Klüssendorf jetzt als Roman herausbringt, nachdem sie 2004 zunächst als Erzählungsband erschienen sind: Von Trauma und Schmerz handeln die Geschichten um ein junges Mädchen, das kaum einmal beim Namen genannt wird, im Heim Schreckliches erlebt und Zuhause dem Vater bei seinen zahlreichen Suizidversuchen assistieren muss. Das ist so schmerzhaft wie autobiografisch fundiert, erfahren wir, und in der Neuausgabe nun leicht modifiziert, um der Roman-Gattung gerecht zu werden. Klüssendorf bekundet in einem Vorwort, sich einem "schmerzhaften Selbstbefragungprozess" unterzogen zu haben, der auch die Änderungen bedingte und es den LeserInnen zudem ermöglicht, noch einmal nachzuschlagen, woher einige Motive ihres weiteren Werks kommen, gibt Kahlefendt wieder, der hier eine "große Selbstermächtigungs-Erzählung" liest.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 05.10.2023

Geschichten einer harten Kindheit in der DDR enthält Angelika Klüssendorfs neues Buch, warnt Rezensentin Maike Albath. Die Erzählungen, die sich oft um das von Gewalt geprägte Verhältnis der Erzählerin zu ihren Eltern dreht, entstammen ursprünglich einer früheren Veröffentlichung. Für dieses neue Buch wurden sie leicht überarbeitet, mit Kommentaren in Kursivschrift versehen und in eine Chronologie eingeordnet, so Albath. Erhalten geblieben ist die Kraft dieser Geschichten, freut sie sich. Unter anderem geht es um einen mutmaßlichen sexuellen Übergriff des Vaters auf eine Freundin der Erzählerin, der Albath in der neuen Fassung noch etwas verstörender anmutet. Die kursivierten Passagen sollen laut Rezensentin die Lebensgeschichte neu perspektivieren und Verdrängtes ans Tageslicht befördern. Ob man das Ergebnis allerdings einen Roman nennen sollte? Albath ist eher skeptisch und vermutet, dass es dem Verlag darum geht, auf den "Autofiktions"-Zug (Annie Ernaux u.a.) aufzuspringen. Für diejenigen, die die Originale dieser immer noch beeindruckenden Geschichten nicht kennen, werden solche Überlegungen einem intensiven Leseerlebnis allerdings keinen Abbruch tun, versichert die Kritikerin.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 14.09.2023

Ein Fall von Etikettenschwindel: So lautet das harsche Urteil der Rezensentin Meike Feßmann über Angelika Klüssendorfs neues Buch, bei dem es sich ihrer Ansicht nach nicht wie vom Verlag insinuiert um einen Roman handelt. Autofiktion ist ja in, meint Feßmann, und in diesem Stil setzt, auch das Buch ein, das mit Reflexionen über den Tod der Mutter der Autorin beginnt, erklärt sie. Danach allerdings ändern sich Tonfall und Schriftbild: Was folgt, ist laut Feßmann zu weiten Teilen Klüssendorfs Erzählband "Aus allen Himmeln" entnommen, die das neue Buch lediglich mit einer knappen Rahmenerzählung versieht. Noch dazu mit einer, ärgert sich die Rezensentin, die die alten Texte eher schwächer als stärker macht. Feßmanns Fazit ist unmissverständlich: bitte keinen Deutschen Buchpreis für dieses Werk.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.09.2023

Glaubt man Gustav Seibt, dann hat man es hier mit einem der besten Werke deutscher Literatur der letzten Zeit zu tun. Dabei gab es das Buch schon mal: Klüssendorf hat bereits existierende Episoden durch einen neuen Rahmen zu einem Episodenroman verbunden - oder besser in die Schwebe gebracht. Klüssendorf schafft es hier laut Seibt, die Knappheitsästhetik von Short Stories in einen größeren fiktional-autobiografischen Kontext einzubauen, zu dem auch die drei vorher erschienenen Romane "Das Mädchen", "April", "Jahre später" gehören. So präzise und Karg seien Klüssendorfs Schilderungen der Armut, dass sie für Seibt fast etwas Märchenhaftes bekommen. Und die Armut, die hier geschildert wird, so der Rezensent, ist "konkret Schmutz", nichts Abstraktes oder Sentimentalisiertes. Seibt fühlt sich an Annie Ernaux und Tove Ditlevsen erinnert, aber nicht als Vorbilder, denn Klüssendorf kannte sie nicht, als sie schrieb, sondern in der Radikalität, die sie aber noch übertreffe: Denn die von Klüssendorf geschilderte Armut steht nicht in klassenkämpferischem Gegensatz zum Komfort der Privilegierten:in der DDR waren eben alle arm. Diese Ausweglosigkeit hebe Klüssendorf über die anklägerische Schärfe Ernaux', der eben eine moralische Harmlosigkeit korrespondiere, noch hinaus.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 01.09.2023

Rezensentin Judith von Sternburg stellt klar, dass auch Angelika Klüssendorfs neues Buch "selbstverständlich" Literatur ist, auch wenn die Autorin hier so etwas wie eine Kommentierung des eigenen Erzählens, vor allem ihrer Erzählungen in "Aus allen Himmeln" von 2004, vornimmt, wie Sternburg erläutert. Sternburg staunt, dass diese Revision wiederum hoch spannend ist. Wie Klüssendorf Einzelheiten zu den Themen Armut, Gewalt, Alkohol in ihrer eigenen Familie neu einschätzt und korrigiert führt laut Rezensentin nicht zu etwas Versöhnlichem oder Belehrendem, sondern in tiefere bzw. höhere Schichten der Autofiktion.