Fotolot

Schönen Sommer wünscht

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
01.07.2021. Nachdem das Festival letztes Jahr pandemiebedingt ausgefallen ist, schlägt das sommerliche Herz des Foto-Kunstbetriebs wieder in Arles. Seit Wochen schon hat sich fiebrige Vorfreude breit gemacht, sich bei persönlichen Treffen oder in Form von Emails Luft verschafft, und wer wie ich nicht hinfährt, trifft auf verständnisloses Erstaunen. Ein Streifzug durch die Ausstellung - und zu ein paar anderen FotografInnen, von Jessica Backhaus über Désirée von Trotha bis zu Gundula Schulze Eldowy.
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Der Sommer ist da, der bei dreißig Grad im Schatten genossene Aperol-Spritz benebelt oder berauscht die Sinne, und wer noch nicht abends in einem schönen Fischrestaurant am Hafen mit Blick aufs offene Meer sitzt, vor sich auf dem Tisch wunderbare Triglia all'arancia oder ein Fileto di sogliola delizia, träumt zumindest davon.

Da es mir nicht anders geht, gibt es in diesem Fotolot statt der üblichen ästhetischen Tiefenbohrung nur ein paar Streiflichter, die für Fotofreunde (m/w/d) von Interesse sein können, für die, die zu Hause bleiben und vielleicht doch noch aufbrechen ebenso wie für die, die bereits unterwegs sind und wieder zurück kommen.

Nachdem das Festival letztes Jahr Pandemie bedingt ausgefallen ist, schlägt das sommerliche Herz des Foto-Kunstbetriebs wieder in Arles. Seit Wochen schon hat sich fiebrige Vorfreude breit gemacht, sich bei persönlichen Treffen oder in Form von Emails Luft verschafft, und wer wie ich nicht hinfährt, trifft auf verständnisloses Erstaunen.

Die deutsche Fotoszene wird wie immer zahlreich vertreten sein. Ein kleiner Fixpunkt stellt dabei die Manuel Rivera Ortiz-Foundation dar, in deren Räumlichkeiten etwa der Kehrer Verlag mit einer Ausstellung von Nina Vatanen oder das Fotohaus Berlin Quartier bezogen haben (das Adressen wie Chaussee 36 und die Paris Berlin Fotogroup unter seinem Dach vereint).

Die Berliner Galerie Robert Morat zeigt im Art Space "The Eye Sees" Jessica Backhaus' verspielte und zugleich minimalistische Arbeiten mit farbigem Papier. Eine raffinierte, dabei fast kindliche Harmlosigkeit, an der Klee und Arp ihre Freude gehabt hätten. Das schön gemachte Buch bei Kehrer ist auf der Shorlist für den Fotobuchpreis Rencontres Arles.

Was ganz anderes, Hybrides, gibt's im "Bisous", einem Geschäft gegenüber dem Espace Vincent von Gogh: Oszillierend zwischen Fotografie, Video, Animation und Science Fiction hat der in Berlin lebende Multimedia-Künstler Boris Eldagsen zu einer ganz eigenen, farbintensiven Position innerhalb des relativ überschaubaren Betriebs-Spektrums gefunden. Sollte man auf jeden Fall mal gesehen haben, wenn man schon da ist.

© Jessica Backhaus, Kehrer Verlag


Die größeren Ausstellungen in Arles sind heuer eher so lala.

"Masculinities" gab's schon ohne besondere Vorkommnisse in London und Berlin (und hier im Fotolot). Auch ansonsten das Übliche, ohne dessen explizite und affirmative Zurschaustellung es im Kunstbetrieb nicht mehr geht. Ein Auszug aus dem Pressematerial zur Ausstellung "Rethinking Everything", und man weiß Bescheid: "pandemic time", "concept of humanity", "rethink everything", "feminism", "rhizomatic", "post-human", "biosphere", "transformation", "social relationships", "new economic policy", "global capitalism", "anthropocentric breakdown", "artworks".

Würde man noch "postcolonial" und "diversity" hinzufügen, könnte man sich aktuell den aufwändigen Druck vieler Ausstellungs-Kataloge und ihrer dazugehörigen 08/15-Texte sparen und stattdessen diese Begriffssammlung umweltschonend auf einer App zur Verfügung stellen. Mehr muss man als NormalverbraucherIn meist nicht wissen (und auch nicht verstehen, warum ausgerechnet die sicherheitsbedürftige, wohlständige Bourgeoisie sich ganz selbstverständlich als Außenstelle von Human Rights Watch begreift).

Die Ausstellung "Desideration" ist nicht wirklich schlimm, hat gute Momente und Fotos, was vor allem dem Umstand zu verdanken ist, dass sie von KünstlerInnen der Pariser Galerie Les Filles du Calvaire produziert wird, die Antoine d'Agata, Mari Katayama, Todd Hido und Laia Abril in ihren Reihen hat, was glücklicher Weise für eine grundsätzliche Qualität sorgt.

Trotzdem ist die Ausstellung teils arg stylish und leitet damit perfekt über zur Ausstellung "The New Black Vanguard - Photography between Art und Fashion", die ihre eher öden Magazin-Fotos gegen Kritik zu immunisieren hofft, indem sie nach eigenen Angaben "collectively celebrate Black creativity, Black bodies and Black lives as subject matter". Na, da wird doch wohl hoffentlich niemand was dagegen sagen!

Egal. Mittelpunkt dieser Veranstaltung ist und bleibt ohnehin das am nördlichen Ausläufer der Camargue gelegene Arles selbst, das nun mit dem gerade eröffneten LUMA-Turm ein neues touristisches Highlight hat, das der Architekt Frank O. Gehry für die Sammlung der Pharma-Milliardärin Maja Hoffmann gebaut hat, und in dem Bilder von Cy Twombly mit Fotografien von Diane Arbus kommunizieren (und sich Hans Ulrich Obrist wieder mal produzieren darf).

Übrigens: Wer zum ersten Mal in der Gegend ist und normaler Weise im Sommer Grünen Veltliner aus Niederösterreich oder Riesling von der Mosel trinkt, sollte auf jeden Fall den dortigen "Gris des Sables" probieren, ein sogenannter "Blanc de Noirs" und Rosé ganz anderer, wunderbarer Art. Vorsicht: Suchtgefahr!

© Désirée von Trotha, Stadthaus Ulm





























Apropos Black Lives: Die interessantere Ausstellung zu diesem Thema gibt es - ja, im Ernst - im Stadthaus Ulm.

Seit 1991 reist Désirée von Trotha jedes Jahr rund sechs Monate in die Sahara-Sahel-Regionen Algeriens, Malis, Mauretaniens, Nigers und Tschads. Vor allem die Kulturen der Nomadenvölker haben es ihr angetan, die von vielen Seiten bedroht sind: Terror, organisierte Kriminalität, Grenzkonflikte, Dürre, Hunger, die Jagd nach Rohstoffen und Flüchtlingswellen. "Die Hoffnung liegt in der Verzweiflung", sagt ein Tuareg.

Ich selbst habe es nicht weiter als bis an den Rand des Atlas gebracht, ins Berber-Gebiet des Tafilalet, einer Oase in der marokkanischen Sahara. Denn: "Die Wüste ist Ja oder Nein", sagt von Trotha in einem Interview. Der Reiz, der davon ausgeht, aber auch das Gruseln, die Schönheit, die ständig präsent, aber in Stolz und Entbehrung gekleidet ist (nicht zuletzt auch in Stillstand und Geduld), ist in von Trothas Fotografien sicht- und spürbar.

Leider Gottes haben die MacherInnen der Ausstellung um Katharina Menzel-Ahr nicht die Courage, klar zu benennen, was die Traditionen der Nomadenvölker mit am meisten bedroht: der Islam in seiner radikalen, autoritären Ausprägung, der vor allem in der West-Sahara Tod und Schrecken verbreitet. Stattdessen ist vage von "radikal-religiösen Strömungen" die Rede. Peinlich.

Die Parallelausstellung zeigt Anne Christine Woehrls "Witches in Exile: Die Hexen von Ghana".

Es handelt sich dabei um ein älteres Projekt, das bereits vor Jahren in der Brigitte und im Vice Magazine ausführlich dargestellt und auf diversen Foto-Festivals gezeigt wurde. Nun reiten alle auf der "Black Lives"-Welle, und Woehrl - die immer schon das Leben von Außenseiterinnen dokumentiert - hat ihr Material von 2013 zu einem Film und einem Buch gemacht, das bei Kehrer erscheinen wird.

Als Erklärung für jede Form von Unglück - ob der Tod eines Angehörigen oder Krankheiten, Epidemien und Dürren im Allgemeinen - werden noch heute Frauen in Westafrika der Hexerei bezichtigt. Nicht selten kommt das einem Todesurteil gleich.
Woehrl hat die vom Leben gezeichneten Gesichter und Körper der Frauen respektvoll fotografiert. Als Ergänzung dazu empfehle ich die Bilder von Gwen Dubourthoumieu, der in seiner legendären Foto-Reportage "Child Witches of Kinshasa" (2014) das Leben kongolesischer Kinder fotografiert hat, die teils noch als Baby als Hexen stigmatisiert wurden und später aus ihren Dörfern fliehen mussten.

Für die zu Hause gebliebenen gibt es noch die Retrospektive von Erwin Olaf in der Kunsthalle München. Ein kühler, berechnender, die teils raffinierten, teils plakativen Effekte der Werbe- und Mode-Fotografie bewusst und reflektiert integrierender, visueller Manierismus der Körper. Theatralisch und affektiert, dabei handwerklich perfekt, ist Olaf weniger ein Nachfahre Rembrandts, der ihn als junger Mann inspiriert hat, als von Böcklin, Stuck oder Lenbach. Ob Olaf, dieser einst allgegenwärtige fotografische Gourmet-Happen der Nuller Jahre, immer noch fasziniert oder inzwischen so einiges an Strahlkraft verloren hat wie so manch andere/r Starkünstler/in dieser Ära, davon kann sich jede/r noch bis zum 26. September selbst ein Bild machen. Den Katalog dazu gibt's bei Hatje Cantz.

© Erwin Olaf, Hatje Cantz





















In München gibt es bei Erwin Olaf vorm zweiten Saal den Hinweis, dass sich darin Bilder befinden, "die Kinder verstören könnten".

Daher nun etwas für (beinah) die ganze Familie - ohne dabei aber in irgendeiner Weise flach zu sein. Im Deutschen Technikmuseum Berlin gibt es noch bis 5. September die Ausstellung "Cosmic Culture - Weltraum-Ästhetk im Alltag des Ostens", die Fotografien von Dieter Seitz anlässlich des sechzigsten Jubiläums des Weltraum-Flugs von Juri Gagarin zeigt. Neben Porträts von VeteranInnen des sowjetischen Raumfahrt-Programms sind es vor allem die nicht selten skurrilen Zeugnisse des politisch beförderten Raumfahrt-Kults, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen: von Wandfresken in öffentlichen Gebäuden über Zigarettenpackungen bis zu Teeglas-Haltern in der Form gekrümmter Raketen.

Etwas Besonderes zum Schluss: Am 3. und 4. Juli zeigt das Albertinum Museum für Moderne Kunst in Dresden den Film "Die Frau am Kreuz" von Gundula Schulze Eldowy. Sechsundzwanzig Jahre schlummerte das Filmmaterial in ihrem Archiv, das den Dialog der Anfang der neunziger Jahre in New York weilenden Schulze Eldowy mit einer über achtzigjährigen Frau thematisiert, die am Ende ihres Lebens angekommen ist und verbittert Bilanz zieht. Intensiv, kompromisslos, definitiv nichts für empfindsame Gemüter. Eine der vielen Perlen in Schulze Eldowys umfangreichem, bisher nur in Auszügen bekanntem Oeuvre - was nicht zuletzt daran liegt, dass sie die Hälfte des Jahres in Peru lebt und in Bezug auf die Präsentation ihrer Arbeiten nur zu wenigen Kompromissen bereit ist.

Eine umfassende Retrospektive dieser bedeutenden, wahrscheinlich facettenreichsten deutschen Fotografin an namhaften Ort ist längst überfällig.

© Gundula Schulze Eldowy





























Ich selbst verabschiede mich hiermit auch in den Sommer, zuerst an einen österreichischen See, dann zum Umbau ins Wiener Atelier (gut ausgerüstet mit Veltliner aus Niederösterreich und Gris aus der Provence), danach noch mal ans Meer, bevor es dann im September im Atelier zur Sache geht. Zwischendurch gibt's natürlich wie gewohnt die eine oder andere Flaschenpost namens "Fotolot".

Schönen Sommer wünscht

Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de