9punkt - Die Debattenrundschau

Das bessere Feuilleton

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
16.01.2016. Die Debatte über Köln flaut nicht ab: Die Welt bringt ein ganzes Dossier zum Thema. Im Deutschlandfunk ruft Necla Kelek zur Reform des Islam auf. Die taz plädiert eher für eine Reform der Sexualerziehung, die religiös eingebunden sein müsse. In der Literarischen Welt gibt die Bestatterin Caitlin Doughty einige Lektionen aus dem Krematorium. Die Universität von Oxford steht zu ihrer Geschichte, auch wenn Kolonialisten dabei mitmischten, lernt die FAZ. Im Tagesspiegel möchte Klaus Dieter Lehmann das Humboldt-Forum gern mit Ideen versorgen. Die Basler Zeitung fragt: Quo vadis, FAZ?
Efeu - Die Kulturrundschau vom 16.01.2016 finden Sie hier

Gesellschaft

Schwerpunkt Köln und die Folgen:

Die Welt bringt ein ganzes Dossier mit Texten zu Köln. Auch Peter Schneider kritisiert hier noch mal die Sprachregelungen, die von vielen Autoren und Autorinnen im Fall Köln so dringlich herbeigesehnt werden - und er macht eine wichtige Nebenbemerkung: "Ich halte die deutsche Gewohnheit, alle Menschen, die aus dem Kulturkreis des Islam stammen, als Muslime zu bezeichnen, für absurd. Ich wäre empört, wenn jemand mich, einen gläubigen Atheisten, in Kairo oder Teheran als einen deutschen Christen vorstellen würde, weil ich nun einmal unstreitig im christlichen Deutschland geboren wurde."

Außerdem in der Welt: Die ehemalige Femen-Aktivistin Zana Ramadani beklagt im Gespräch mit Kathrin Spoerr die Kollaboration muslimischer Frauen bei der Aufrechterhaltung des islamischen Frauenbilds. Alice Schwarzer erinnert sich im Gepräch mit Ulf Poschardt an ihre Iran-Reise im Jahr 1979, die ihr sehr früh die Augen öffnete. Und Güner Balci weist im Gespräch mit Andrea Seibel (schon vor einigen Tagen) auf den Unterschied zwischen der Türkei und arabischen Ländern hin: "Auch wenn sich das Land heute unter Erdogan islamisiert, war die Türkei lange laizistisch geprägt. Die Präsenz von Frauen im öffentlichen Raum ist eine völlig andere als in der arabischen Welt."

Necla Kelek ruft im Gespräch mit Jasper Barenberg vom Deutschlandfunk zur Reform des Islam auf: "Es sind Regeln und Gesetze, die im Koran festgeschrieben sind, die bestimmten, dass der Mann die Pflicht hat, Herr über seiner Frau zu sein, und wenn nicht, ist er kein richtiger Mann. Wenn wir das nicht miteinander verknüpfen, dann können wir überhaupt nichts innerhalb des Islams erreichen, dass dieser Islam auch eine Religion im friedlichen Sinne sein kann, dass er in einem säkularen Land etwas Privates, Spirituelles sein kann."

In der taz überlegen Qusay Amer und Catarina von Wedemeyer, wie man die Täter von Köln ("Es ist quasi die Pegida-Bewegung derjenigen, die per definitionem nicht bei Pegida mitmachen dürfen") sexuell aufklären kann, ohne sie "umzukrempeln". Ihr Vorschlag: Ein Kurs, der arabischen Jugendlichen die Basics vermittelt. "Damit man die Muslime unter den Arabern nicht verschreckt, müsste diese Aufklärung religiös eingebunden sein. Am besten wäre ein zutraulicher Imam, der mitkommt und erklärt: Wer mit einer Frau schlafen will, sollte nicht Gott fragen, sondern die Frau. Wenn sie nicht will, dann ist jeder Versuch in dieser Richtung haram - egal ob es eine Unbekannte ist oder die eigene Ehefrau."

In der NZZ warnt der Soziologe Gunnar Heinsohn in unangenehm zackigem Ton vor der Einwanderung von immer mehr Muslimen aus den unteren Schichten, die in Deutschland nie Jobs und darum auch keine Frau finden werden: "Einstellen aber muss man sich auf viele aggressive Jünglinge mit passabler Grundversorgung und Zeit ohne Ende, um bestens vernetzt über Smartphones in ihren Gegenden Bürgerinnen nachzustellen, die sich nicht wehren können und ohne Schutz gelassen werden."

Weiteres: "Mannometer, jetzt vergreifen sie sich auch noch unseren Weibern! So in etwa läuft ja gerade der Diskurs in Deutschland, nicht wahr?" Nein, Mely Kiyak, so läuft sie nicht. Aber wer diesen Popanz braucht, wird an ihrer Kolumne seine Freude haben. Im Merkur-Blog sieht Florian Sprenger die Idee der Öffentlichkeit selbst durch die Kölner Vorfälle in Frage gestellt. Gerade das anfängliche Weggucken und Verschweigen in Köln hat dazu geführt, dass genau die Vorurteile bestätigt wurden, die man bekämpfen wollte, meint Petra Sorge in Cicero. Bei Politco.eu beschreiben Nicholas Vinocur und Sofia Melo, wie Marine Le Pen von den Kölner Vorfällen mit scheinfeministischen Argumenten zu profitieren versucht.

Weitere Themen:

In der Literarischen Welt unterhält sich Peter Praschl mit der Bestatterin Caitlin Doughty, die ein Buch mit "Lektionen aus dem Krematorium" vorlegt und die das Bestattungswesen verändern will: "In der Forschung wird mehr Geld für Präparate ausgegeben, die die Effekte des Alterns - sexuelle Dysfunktionen, Haarausfall, das Erschlaffen der Haut - bekämpfen sollen, als für Medikamente, die chronische Krankheiten erträglicher machen. Das sagt mir, dass wir eher sterben als alt werden wollen. Wir schätzen den Verfall nicht, obwohl er etwas Natürliches ist und die Natur von ihm profitiert."
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Europa

In Oxford gibt es eine heftige Debatte über eine Statue von Cecil Rhodes, Kolonialist, aber auch großzügige Stifter für die Universität, berichtet Gina Thomas in der FAZ. Mit der Statue zeige Oxford seinen institutionellen Rassismus, behaupten die Kritiker und wollen die Statue entfernen. Die Leitung der Universität hat ihnen jetzt jedoch eine überraschend deutliche Absage erteilt, so Thomas. "Lord Patten, der letzte Gouverneur von Hongkong und jetzt Kanzler von Oxford, sagte, britische Städte seien voller Gebäude, die dank des Ertrags von heute unannehmbaren Tätigkeiten wie etwa dem Sklavenhandel errichtet worden seien. Man könne sie nicht einfach alle abreißen. Die Geschichte sei kein leeres Blatt, auf das man im Einklang mit unseren zeitgenössischen Meinungen und Vorurteilen seine eigene Version dessen schreibe, was hätte sein sollen." (mehr dazu im Guardian)
Archiv: Europa

Kulturpolitik

Nicht sehr gut nimmt Rüdiger Schaper im Tagesspiegel den vorzeitigen Abgang von Schloss-Bauherr Manfred Rettig auf. Schon die Begründung - bis jetzt sei man im Zeit- und Kostenplan geblieben, das könnte sich mit dem Hinzukommen Neil MacGregors ändern - findet Schaper fragwürdig. Schließlich gebe es seit 2014 Hinweise auf Verzögerungen und Kostensteigerungen: "Unklar ist, ob die Mängel bis heute abgearbeitet und welche Zusatzkosten tatsächlich entstanden sind. Zweifel an der Kompetenz des Architekten und Wettbewerbssiegers Franco Stella gab es von Anfang an. Manfred Rettig hat intern stets auf die Probleme und Risiken am Schlossbau hingewiesen: Das kann man sagen. Dass es sowieso teurer wird, liegt bei der Größe des Projekts auf der Hand. Doch Rettig kann dafür nicht die Museumsplaner angreifen und sich aus dem Staub machen - in dem Moment, da die Geschichte von Schloss Sorglos zerbröselt."

Klaus Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts und ehemals der Preußen-Stiftung, plädiert im Tagesspiegel dafür, dass das Humboldt-Forum eng mit den Goethe-Instituten zusammenarbeiten möge: "Voraussetzung für eine solche kontinuierliche Beteiligung und ein partnerschaftliches Engagement von Humboldt-Forum und Goethe-Netz ist die vertragliche Regelung der Aufgaben im Rahmen des Humboldt-Forums. Vorstellbar ist eine Übereinkunft der Staatsministerin für Kultur und Medien und des Außenministers, um Innen-Kulturpolitik und Außen-Kulturpolitik zu verknüpfen."

In der FR beschreibt Jan Opielka, wie die neue polnische Regierung künftig eine "andere", ihr genehme Kultur fördern will: "Was dies genau bedeutet, hat der Minister in dieser Woche in einer Stellungnahme vor einer Parlamentskommission umrissen. Zu den Prioritäten des Ressorts zählt künftig der Bau des Museums der Geschichte Polens, die Stärkung der 'Geschichtspolitik' und die Förderung 'von ein bis zwei Film-Großproduktionen, die das Wissen um die polnische Geschichte befördern sollen'."
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Kulturmarkt

Lena Niethammer erzählt in der taz über mehrere illustrierte Seiten hinweg, wie Künstler - darunter der Schriftsteller Tilman Rammstedt - ihre Projekte per Crowdfunding finanzieren: "Allein auf der Onlineplattform Kickstarter kamen seit 2009 rund 615 Millionen Dollar für über 138.000 Projekte in den Bereichen Film, Musik, Kunst, Theater, Fotografie und Tanz zusammen. Künstler stellen ihre Konzepte vor, per Klick können Nutzer sie mit unterschiedlichen Beträgen unterstützen. Je nach Summe bekommen sie dafür eine Gegenleistung. Wer sich bei Tilman Rammstedts Projekt für die 50-Euro-Variante entscheidet, dem wird am Ende eine E-Book-Version zugesandt, in der eine der Hauptfiguren den eigenen Namen trägt."
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Medien

Herta Müller soll Ende des Jahres ihr FAZ-Abo gekündigt haben, weil ihr die politischen Kommentare zu weit in CSU-Nähe gerückt sind, schreibt Hansjörg Müller - offenbar durch ein Leak in der FAZ informiert - in der Basler Zeitung. Das Feuilleton wiederum hat seit dem Tod Frank Schirrmachers an Gewicht und Profil verloren, meint Müller: "Nun finden Debatten an anderer Stelle statt, etwa im Wirtschaftsteil der Sonntagsausgabe, wo Ressortleiter Rainer Hank in den Augen mancher Stammleser mittlerweile das bessere Feuilleton verantwortet. Oder im ersten Bund der Werktagsausgabe, wo diese Woche der frühere Fernsehkorrespondent Samuel Schirmbeck mit einem Debattenbeitrag Aufsehen erregte [...] Ein Beitrag des Konstanzer Soziologen Hans-Georg Soeffner im Feuilleton ('Vergesst eure Leitkultur!') ging daneben beinahe unter. Ansonsten handelte der Kulturteil von 'Star Wars', dem Dirigenten Christian Thielemann und Franz Xaver Winterhalter, einem Porträtmaler des 19. Jahrhunderts."

Sean Penn hat sich laut CBS News in einem Interview, das am Sonntag ausgestrahlt wird, erstmals zu seinem Flop mit dem Guzman-Interview (unsere Resümees) geäußert: "I have a terrible regret", wird er zitiert: "Ich bedaure, dass die ganze Diskussion über den Artikel überhaupt nicht auf seine Absicht eingeht, die Drogenpolitik in Frage zu stellen."

Auf irights.info denkt Anatol Stefanowitsch über das Phänomen der Hassrede im Internet nach und wie ihm zu begegnen sei. Man kann eigentlich nur wenig tun, das Erfolg dagegen verspricht, meint er. "Der unkontrollierbare Wildwuchs von Hassrede ist einer der Gründe, warum man bei aller Begeisterung für das Potenzial dieser Begegnungen daran zweifeln muss, dass wir als Gesellschaft schon reif für dieses Potenzial sind."

Außerdem: Die Financial Times meldet, dass der Guardian nach großen Verlusten im letzten Jahr (nämlich 70 Millionen Pfund) einen massiven Stellenabbau vorbereit. Jonathan Freedland kritisiert im Guardian Riss' umstrittene Karikatur aus der letzten Nummer von Charlie Hebdo.
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