Literatur

Katharina Mevissen: Ich kann dich hören. Roman

Mit "Ich kann dich hören" hat die 1991 geborene Autorin Katharina Mevissen einen schmalen, leisen Debütroman vorgelegt, der die KritikerInnen begeistert. Sie erzählt die Geschichte des türkischstämmigen Cellisten Osman, der, aufgewachsen im Ruhrgebiet, mit seiner gehörlosen Mitbewohnerin Luise in einer Hamburger WG lebt, sich in Musik und Sprachlosigkeit zurückzieht, bis er zufällig ein Diktiergerät findet, dass ihn zum Ohrenzeugen einer fremden Beziehung macht. FR-Kritikerin Cornelia Geißler ist ganz betört von dieser komplexen "Komposition für Kammerorchester", in der es Mevissen gelinge, nur Hörbares in Schrift und eine rhythmisch facettenreiche Sprache zu übersetzen. Insbesondere die Dissonanzen hallen bei der Kritikerin lange nach. SZ-Kritikerin Ekaterina Kel preist das Buch als unversalistischen, tiefsinnigen Roman, der mit spielerischer Sprache, allerlei reizvollen Abweichungen und Frische von migrantischen Identitäten und der Überwindung einer problematischen Kommunikation erzählt. Ein starkes Buch, das "die Kunst des Zuhörens feiert" und nur am Rande von Migration erzählt, meint Anne Kohlick im Dlf-Kultur. Im WDR-Gespräch mit Elif Senel spricht die Autorin über ihr Buch.
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Clemens J. Setz: Der Trost runder Dinge. Erzählungen

Ganz außer sich sind die Kritikerinnen nach der Lektüre dieses Erzählbandes, der offenbar viel mehr als Trost spendet: "Verzweifelt lebendig", voller Witz, Tragik und Trost, beschreibt etwa Zeit-Kritikerin Juliane Liebert dieses "feuerfreudige neuronale Prosanetzwerk", das sie angesichts der überdrehten Sätze und "heißgelaufenen" Alltagsgrotesken zwar nur Lesern mit soliden Nerven empfehlen kann. Diese aber werden viel Freude daran haben, zu erfahren wie Spinnen schmecken oder Kinder zu Automaten transformiert werden. Bei aller Exzentrik attestiert sie den Erzählungen Klarsicht und "akustische Sensibilität". Beglückt ist auch SZ-Kritikerin Birthe Mühlhoff, wenn sie liest, wie Setz das Faszinierende am Gewöhnlichen und nicht allzu Gewöhnlichen, etwa Sex mit Komatösen, herauspräpariert. Auch FR-Kritikerin Judith von Sternburg freut sich über Setz' wohlvertrautes Spiel mit Synästhesie und sein ruhiges Betrachten bizarrer Vorgänge, durch die sie in die Tiefen des Menschseins gelangt. Nur in der NZZ erkennt Paul Jandl hinter der Poetologie des Autors inzwischen Methode, der Komik und großen Zartheit der Texte kann er sich dennoch nicht entziehen. Im MDR bespricht Kais Harrabi das Buch.
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Günter Kunert: Die zweite Frau. Roman

Eine kleine Sensation ist das schon: Vor 45 Jahren verfasste Günter Kunert das Manuskript zu seinem zweiten Roman, hielt es, damals noch in der DDR lebend, für "absolut undruckbar" - bis er es vor zwei Jahren im Keller wiederentdeckte und nun pünktlich zu seinem Neunzigsten veröffentlicht. Die von uns ausgewerteten Zeitungen haben das Buch bisher übersehen, im Dlf-Kultur ist Elke Schlinsog aber ganz hingerissen von diesem abenteuerlichen und tragikomischen Kurztrip durch die DDR der Siebziger, die sie selten so authentisch, unterhaltsam, spannend und witzig geschildert bekommen hat. Wenn ihr Kunert keck, ironisch und unerhört kritisch von Albtraum-Begegnungen mit Walter Ulbricht und den gefährlichen Seiten des Lebens im SED-Staat erzählt, erkennt Schlinsog auch die Brisanz des Textes. Umso dringender fällt ihre Leseempfehlung aus. Dieser an philosophischen und politischen Anspielungen, Traumsequenzen und Elementen einer Liebes- und Verwechslungskomödie reiche Roman hat über die Jahre nichts an "literarischer Intensität" verloren, meint auch Cornelia Geissler in der Berliner Zeitung. Im MDR-Kultur spricht Wallstein-Lektor Thorsten Ahrend über das Buch.
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Cesar Aira: Was habe ich gelacht

In einem Punkt sind sich die KritikerInnen einig: Cesar Aira schreibt noch richtige Literatur. Oder "Literatur-Literatur", wie Richard Kämmerlings in der Welt in seiner Gratulation zum Siebzigsten des argentinischen Autors schreibt, die er ganz nebenbei auch zur Abrechnung mit dem Literaturbetrieb und dessen Konventionalität nutzt. Vorhersehbar ist bei Aira gar nichts, meint Kämmerlings, der in dessen schmalen Romanen gespannt verfolgt, "wie weit eine Erzählung das Gerüst von zeitlicher, kausaler oder motivischer Kontinuität verlassen kann, ohne komplett unverständlich oder sinnlos zu werden". "Kafka war schon lange nicht mehr so lustig", schließt er. Große Literatur entdeckt auch SZ-Kritikerin Karin Janker und ist glücklich, dass Matthes & Seitz seine "Bibliothek Cesar Aira" mit "Was habe ich gelacht" und "Das Testament des Zauberers" um gleich zwei neue, frisch ins Deutsche übertragene Romane erweitert. Tempo, Witz und Einfallsreichtum attestiert sie den Texten, in denen der Autor Erlebtes, Gelesenes und Fantastisches zu "Assemblagen" anordnet. Einen kunstvoll gefalteten Essay über Bücher und das Lachen, in dem Aira geschmeidig zwischen Fiktion und Fakten, Theorie und Realität wechselt, bis das Erzählte eine völlig neue, unerwartete Gestalt annimmt, liest FAZ-Kritiker Christian Metz, der den Roman nicht zuletzt aufgrund seiner magischen Schönheit und der dichten Beschreibungskunst empfiehlt.
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Barbara Zeman: Immerjahn. Roman

Ein "wahres Fest des Schauens" und eine "literarische Schneekugel" lobt Paul Jandl in der NZZ dieses Debüt der österreichischen Autorin Barbara Zeman, die uns hier von einem exzentrischen Zementfabrikanten-Erben erzählt, der, in seiner Mies-van-der-Rohe-Villa hausend, allerhand Kunst und Krempel, darunter Käfer, Waffen, einen Bacon, einen Malewitsch und weitere Schätze hortet, gemeinsam mit einer Reihe exaltierter Figuren eine Museumseröffnung plant, vor allem aber der Melancholie verfällt. Für Jandl ist diese sinnlich-groteske Assemblage die reinste Party. Als "saukomisches" und "hervorragendes Schelmenstück", preist Christian Schachinger im Standard das Buch, das er vor allem für die "prächtig im betulichen, unendlich distinguierten Jargon der gebildeten Stände aus den Jahren des deutschen Wirtschaftswunders umherschweifende Sprache" lobt. Im Spiegel allerdings verreißt Björn Hayer den Roman als ambitions- und fantasielos.
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Sachbuch

Tobias Arand: 1870/71. Die Geschichte des Deutsch-Französischen Krieges erzählt in Einzelschicksalen

Im kollektiven historischen Gedächtnis der Deutschen ist der Krieg von 70/71 von der Erinnerung an die Weltkriege beinahe vollständig überlagert worden, konstatiert schon der Klappentext des Buches. Vor diesem Hintergrund leuchtet es ein, dass sich der Autor nicht im Rahmen einer üblichen politischen Geschichte, sondern über Zeitzeugnisse wie Briefe und Tagebücher diesem Krieg nähert. So erfährt man sehr viel anschaulicher, was der Krieg für die Zeitgenossen bedeutete. Arand schildert historischen Prozess und das Tun und Leiden der Akteure derart plastisch, dass FAZ-Rezensent Stephan Speicher mitunter fast schlucken muss. Allein die Szenen aus den Lazaretten, wo es an Betäubungsmitteln mangelte, dürften an Anschaulichkeit nichts zu wünschen übrig lassen. Ähnlich positiv (mit leichten Einschränkungen) ist der Eindruck bei Dlf-Kritiker Peter Kapern. "Dieser Krieg wurde von beiden Seiten mit großer Brutalität geführt; in vielen Punkten verweist er schon auf den technisierten und nationalistisch aufgeladenen Horror des Ersten Weltkriegs", ergänzt Christoph Arens in einer Kritik für Welt online.
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Johannes Krause, Thomas Trappe: Die Reise unserer Gene. Eine Geschichte über uns und unsere Vorfahren

Archäogenetik, also die Anwendung medizinisch entwickelter Methoden der Genanalyse an archäologischen Funden, nennt sich das Gebiet, auf dem der Biochemiker Johannes Krause tätig ist und von dem dieses gemeinsam mit dem Journalisten Thomas Trappe verfasste Buch handelt. Und das ist spannender und aktueller als man auf den ersten Blick meinen möchte - vor allem, wenn darüber so "eingängig" geschrieben wird wie hier, versichert NZZ-Kritiker Markus Schär: In erster Linie wollten die Autoren mit ihrem Buch über die Wanderungsbewegungen in der Urgeschichte einen Beitrag zur Flüchtlingskrise 2015 leisten, weiß der Kritiker und staunt, wie "lustvoll" die Autoren aktuelle Ressentiments gegen Flüchtlinge aufspießen, indem sie archäogenetisch nachweisen, dass es Europäer mit "reinen" Wurzeln gar nicht gibt und wir alle Migranten sind. Dass Europa ohne Migration ein Ding der Unmöglichkeit wäre, machen die Autoren ihm ebenfalls klar, ohne allerdings zu behaupten, es gäbe keine Eigenheiten im Erbgut von Bevölkerungsgruppen. Im Wiener Kurier spricht Johannes Krause über das Buch. Und in der RRB-Mediathek steht ein Beitrag zum Buch online.
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Christopher Kemp: Die verlorenen Arten. Große Expeditionen in die Sammlungen naturkundlicher Museen

Nur eine kurze Kritik im Dlf-Kultur hat dieses Buch des Epidemiologen Christopher Kemp bisher bekommen, aber das Thema scheint in Zeiten des Artensterbens (Bienen!) so brisant wie interessant. Der amerikanische Autor nimmt uns mit auf einen abenteuerlichen Streifzug durch die Archive in Naturkundemuseen in aller Welt, in denen bisher unerforschte Arten lagern, etwa ein lungenloser Salamander, ein puscheliger Kleinbär aus den Anden oder Darwins Kurzflügelkäfer und macht deutlich, wie wichtig die Untersuchung und Auswertung dieses Materials für unser Verständnis des biologischen Systems und der Evolution der Arten ist. Dass wir von den etwa zwölf Millionen biologischen Arten gerade mal knapp zwei Millionen erkennen und benennen können, erfährt Dlf-Kultur-Kritiker Johannes Kaiser in dem instruktiven Buch, das ihm eine Welt unbekannter Pflanzen und Tierarten erschließt. Die Leidenschaft des Autors ist auf jeder Seite spürbar und auch wenn der Kritiker das Grundprinzip - "Taxonomen entdecken bislang unbekannte Arten" - schnell erkennt, reißt ihn Kemp mit spannenden Geschichten über Sammler und Entdecker wieder mit.
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Daniel Beer: Das Totenhaus. Sibirisches Exil unter den Zaren

Russland hätte ohne seine Strafgefangenen nicht gebaut werden können. Unter Stalin waren es die Gulag-Insassen, die unter zahllosen Opfern Schwerindustrie und Infrastrukturen aufbauten. Und Stalin und Lenin hatten ihr Vorbild im Zarenreich, wo ebenfalls bereits Zehntausende von Russen als Ressource in die Kälte und den Tod geschickt wurden. In der FAZ hat der Historiker Jörg Baberowski das Buch empfohlen, der als Autor eines Buchs über Stalins Gewaltherrschaft Kenntnis mitbringt. Für die im Deutschlandfunk rezensierende Sabine Adler liegt die finstere Pointe dieser zynischen Kolonisierungspolitik darin, dass sie nicht einmal funktioniert hat, ein Befund von dem Beer, den sie an dieser Stelle zitiert, selbst überrascht war: "Ich hatte nicht erwartet, dass es sich um ein nicht funktionierendes System handelte. Es hatte desaströse Auswirkungen für Sibirien selbst und für die Kolonialbestrebungen Russlands in Sibirien." Und dabei war die Überlebensrate der Zwangsverschickten unter den Zaren sogar noch höher als unter Lenin und Stalin, informiert der Guardian in seiner Rezension.
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Michael Pollan: Verändere dein Bewusstsein. Was uns die neue Psychedelik-Forschung über Sucht, Depression, Todesfurcht und Transzendenz lehrt

Während uns T.C. Boyle gerade mit seinem neuen Roman "Das Licht" über den LSD-Forscher Timothy Leary mit auf psychedelische Drogen- und Partyexzesse der Sechziger nimmt, schaut sich der amerikanische Wissenschaftsjournalist Michael Pollan die Psychedelik-Forschung hinsichtlich ihrer Wirkungs- und Kulturgeschichte von den Fünfzigern bis in die Gegenwart an. Und zwar mit gänzlich ideologiefreier Nüchternheit, wie Dlf-Kultur-Kritiker Michael Lange versichert: Wenn Pollan mit LSD-Jüngern und Wissenschaftlern spricht, LSD-Entdecker Albert Hofmann, Leary, drogenaffine Literaten und aktuelle Forschungsergebnisse einbezieht, die Heil- und Therapiewirkung von Drogen beleuchtet und auch den Selbstversuch nicht scheut, freut sich der Kritiker über ein Buch, das Drogen weder verherrlicht noch dämonisiert, stattdessen aber "Erkenntnis und Lesegenuss" verspricht. Als "intellektuelles und literarisches Fest" würdigt auch Standard-Kritiker Michael Freund das Buch, das er in einer sehr lesenswerten Besprechung einem Vergleich mit Boyles Roman unterzieht. Im ARD-Beitrag von Titel Thesen Temperamente spricht Pollan über sein Buch.
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