Mord und Ratschlag

Setzen Sie auf Krise!

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
25.06.2018. Dominique Manotti erzählt in ihrem hochaufgeladenen Wirtschaftsthriller "Kesseltreiben", wie ein französischer Großkonzern kleingekocht wurde.  In "Kalter Frieden" versetzt Philip Kerr den alten Berliner Bullen Bernie Gunther an die französische Riviera und lässt ihn mit echtem Savoir-faire die Probleme der britischen Geheimdienste lösen.
Francois Lamblin ist ein fast vorbildlicher Manager, kompetent, erfolgreich, mit strategischem Geschick, bei seinen Mitarbeitern angesehen. Er will in den USA die neue Kraftwerksgeneration des Konzerns präsentieren. Als er in New York landet, wird er verhaftet, das FBI legt ihm Handschellen an und führt ihn ab. Die Szene ruft sofort die Bilder von Dominique Strauss-Kahn in Erinnerung, wie er dem Richter und der Weltöffentlichkeit vorgeführt wurde, ein verstörter, eingesunkener Titan. Gestürzte Macht.

Handelt es sich bei der Verhaftung Lamblins um ein "robustes Einschüchterungsmanöver", als das arglose Manager des Konzern sie quittieren? Oder wurde er gezielt in die Falle geschickt? Die Konzernführung hatte erst in einem Rundschreiben an die führenden Manager von Reisen in die USA abgeraten, doch die Rechtsabteilung wieder Entwarnung gegeben. Das FBI wirft Lamblin Korruption vor. Bei einem Geschäft mit Indonesien sind einige Jahre zuvor Schmiergelder geflossen, 200 Millionen Dollar. Und damit Lamblin gleich weiß, dass er nicht den Hauch einer Chance bekommt, knallt das FBI auch noch Fotos auf den Tisch, die ihn auf einer wilden Party mit Minderjährigen und jeder Menge Koks zeigen. Francois Lamblin arbeitet für den Konzern Orstam, der natürlich als der einstige Energieriese Alstom zu erkennen ist.

Dominique Manotti erzählt in "Kesseltreiben" ihre Version von der brutalen Übernahmeschlacht, durch die sich der amerikanische Multi General Electric 2015 seinen französischen Konkurrenten einverleibte. "Kesseltreiben" ist eine hervorragende Studie in komplexem Denken. Und ein grandioser Wirtschaftsthriller.

Manotti läuft stets zu Hochform auf, wenn sie wütend ist. Und wie hier ein französischer Großkonzern kleingekocht wurde, erzählt die linke Wirtschaftshistorikerin als konzertierte amerikanische Staatsaktion, als epochale Affäre im Voltaire'schen Sinne: Die CIA schleuste Agenten in den Konzern ein, die amerikanische Hausbank des Konzerns streute an den Börsen falsche Gerüchte über die finanzielle Lage des Konzern, das FBI war mit Verhaftungen zu Diensten, und die NSA hatte schon - Edward Snowdens Enthüllungen standen erst noch bevor - den gesamten internen E-Mail-Verkehr der Konzernleitung abgefischt. Auf französischer Seite gaben die Manager, solange ihr eigener Vorteil gewahrt blieb, ihren Konzern preis, die Regierung nahm es klaglos hin, die Spionageabwehr schaltet sich selbst aus. Schließlich braucht man Allianzen in der Wirtschaft. Und bitte keine antiamerikanischen Ressentiments! (Mehr zu den realen Hintergründen hier, hier und hier.)

Manotti erzählt die Geschichte des einstigen Energieriesen in dem ihr eigenen hochangereicherten Hyperrealismus, faktisch, schnell und trocken. Emotionen packt sie in ein einziges Wort: "Erdbeben." Schauplätze und Szenerien skizziert sie stichwortartig: die Konzernzentrale in Levallois-Pervet, den alten Justizpalast, den Betriebsschutz. Das Plaza Athenée, das Bristol, das Sofitel an der Porte Maillot. Das Café de la Jatte, das Bistrot Marguerite, die Brasserie de Deux Palais. Den Transenstrich im Bois de Boulogne. "Das ist der Reiz der Großstadt, man weiß nie wirklich, mit wem man es zu tun hat." Das ist die literarische Version der Nukleartechnik: Jeder Satz strahlt.

Auf die Personen des Dramas wirft sie teils grelle Schlaglichter. Manche spielen ihre Rolle hervorragend, andere werden gespielt. Wie der junge Assistent des Konzernchefs: "Ein junger Kerl, Mädchen für alles, ohne besondere Kompetenz und voller Ehrgeiz." Die smarte Bankerin macht ihn sofort als ideale Angriffsfläche aus und stachelt ihn auf: "Seien Sie kein Angsthase, setzen Sie auf Krise."

Nahezu chancenlos ermittelt in der Affäre Noria Ghozali, Manottis wunderbar spröde Heldin aus "Roter Glamour" und "Einschlägig bekannt". "Ein Gesicht wie aus Stein, nichts als Flächen und Kanten", schwärmt ein Fotograf von ihr, "reine Schärfe und Kontraste". Sie, die einst ihrem Vater eine heiße Bratpfanne an den Kopf geworfen hatte und aus dem Fenster in die Freiheit gesprungen war, hat nun fünfundzwanzig Jahre Polizeidienst hinter sich. Noria ist mittlerweile Commandante, doch noch immer glauben die Herren, ihre Spielchen mit ihr treiben zu können. Der Inlandsgeheimdienst warf sie raus, weil sich einer ihrer Brüder, mit denen sie schon seit Jahrzehnten nicht mehr in Kontakt steht, dem IS in Syrien angeschlossen hat. Jetzt ist sie beim Pariser Dienst DRPP, zuständig für Wirtschaftsfragen, von denen sie keine Ahnung hat. Wenn sie von der politischen Perfidie die Nase voll hat, sieht sie sich im Kino Noir-Filme an oder Anurag Kashyaps Gangster-Epen aus Bollywood.

Dafür stehen ihr zwei tolle Kollegen zur Seite, freundliche, engagierte und intelligente Männer, auf die man sich verlassen kann. So beißend Manotti über den Hunger nach Geld und Macht schreibt, so zärtlich schreibt sie über die Polizei. Ihre Helden waren noch nie die privaten Ermittler, die als einsame Wölfe against all odds agierten. Ihre Helden sind allesamt Staatsbeamte, die kollegial, wenn nicht kameradschaftlich handeln. Wie sie in einem Interview mit Libération sagte: "Die meisten Polizisten kommen aus einfachen Verhältnissen, und sie sind es, die mit dem ganzen Scheiß zu tun haben, von morgens bis abends."

Am Ende wird Noria, wie auch schon Manottis anderer großer Ermittler, Daquin, ihren Job resigniert an den Nagel hängen. Während Daquin an die Universität geht, wird Noria an einer Krimiserie mitarbeiten. Die Autorin lässt ihre beiden Ermittler den gleichen Weg einschlagen wie sie selbst. Manottis Flucht aus der Politik in die Fiktion zeitigt erstklassige Kriminalromane. Und doch, denkt man, sind manche Geschichten so brisant, dass man ihnen in der Realität beikommen muss. Aber kann man ihr vorwerfen, dass Politik, Polizei und Journalismus ihren Job nicht gemacht haben?

Genützt hat das ganze Manöver General Electric übrigens wenig: Vorige Woche ist der Konzern aus dem Dow Jones geflogen. Welches Spiel da wohl getrieben wurde?

Dominique Manotti: Kesseltreiben. Roman. Aus dem Französischen von Iris Konopik. Ariadne im Argument Verlag, Hamburg 2018. 400 Seiten, 20 Euro

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Verglichen mit Dominique Manottis aufgeladenen Wirtschaftsthrillern rangieren Philipp Kerrs Romane am anderen Ende der emotionalen Richterskala. Bei Kerr ist alles Nonchalance und kühle Brillanz. Der gerade erst verstorbene britische Autor schrieb über die schlimmsten Ereignisse der Weltgeschichte mit verblüffender Nüchternheit. Absolut unvoreingenommen, stets bestens informiert, emotional total unbeteiligt. Nur so ist natürlich eine charakterlich so komplexe Figur wie sein Ermittler Bernie Gunther überhaupt denkbar, der erst bei der Berliner Kriminalpolizei, dann beim Sicherheitsdienst der Gestapo gedient hat und trotzdem durch alle Romane hindurch Sympathieträger geblieben ist.

In "Kalter Frieden" erreicht Bernie Gunther das Jahr 1956. Er lebt mittlerweile unter dem Namen Walter Wolf an der französischen Riviera und arbeitet als Concierge im Grand Hotel von Cap Ferrat. Mit seiner neuen Identität hat der einstige Berliner Bulle auch Savoir-faire bekommen, er ist sogar gern gesehen bei den Bridge-Partien der gehobenen Kreisen. Aber schließlich findet Bernie Südfrankreich nicht so verschieden von der preußischen Pampa: "Die Riviera erinnert mich oft an Berlin unmittelbar nach dem Krieg, nur dass weibliche Begleitung hier eine ganze Menge mehr kostet als einen Riegel Schokolade oder ein paar Zigaretten. Hier unten ist es Geld, das redet." Kein guter Ort also, um den Schweinehunden der Welt aus dem Weg zu gehen. Und es dauert nicht lange, da überstürzen sich die Probleme: Im Grand Hotel quartiert sich Harold Henning ein, einst Hauptmann beim Sicherheitsdienst der SS und Bernie besonders verhasst aus den letzten Kriegsmonaten, in denen beide gemeinsam in Königsberg dienten. Dann wird Bernies Bridge-Partner erschossen, der Casino-Chef des Voile d'Or, Und schließlich bittet ihn niemand Geringeres als Somerset Maugham, ihm aus einer misslichen Angelegenheit zu helfen.

Der britische Schriftsteller, der einst zu den bestbezahlten der Welt gehörte, residiert in der grandiosen Villa La Mauresque, die einst der belgische König Leopold II. bauen ließ. Maugham, bei dem man wie bei so vielen englischen Upperclass-Namen gut die Hälfte der Konsonanten weglassen muss (sprich: Mɔ:m), war eine schillernde Figur, ganz Aristokraten-Zögling: Hochgebildet, steinreich, schwul und voller Verachtung für Frauen. Und während der Oktoberrevolution war er Agent in Russland. Jetzt wird er erpresst. Alte Fotos zeigen ihn auf inkriminierende Weise mit anderen Größen des britischen Geheimdienstes: Anthony Blunt zum Beispiel. Maugham ist inzwischen zweiundachtzig Jahre alt, doch auf seinen Ruf und den von MI5 und MI6 möchte er lieber nichts kommen lassen.

Kerr bürdet seinen Protagonisten mehr auf, als jede literarische Figur aushalten kann. Bernie Gunther muss nicht nur die aktuellen Kalamitäten der britischen Geheimdienste schultern, sondern auch noch die ungelösten der Vergangenheit: Den Untergang der Wilhelm Gustloff mit 9.000 Toten, das Verschwinden des Bernsteinzimmers, außerdem spitzt sich die Lage am Suez-Kanal bedrohlich zu. Hier muss man sagen: Vorstellbar bleiben Typen, die in zwei Weltkriegen kämpften, bei Polizei, Militär und Geheimdienst dienten und schließlich Seiten, Länder und Kontinenten wechselten, höchstens in der Realität.

Nicht immer gelingt es Kerr, alle Übergänge zu glätten. Hin und wieder gerät die Erzählmaschinerie kurz ins Stocken, doch kaum ist sie neu justiert, schnurrt sie wieder wie ein Präzisionswerk. Intelligent und gut recherchiert und gekonnt arbeitet. Aber auch irritierend unterhaltsam: Selbst den finstersten Schlachten des Zweiten Weltkriegs kann Kerr noch ein Bonmot abgewinnen. "Ich hatte die Engländer noch nie gemocht", lässt er Bernie Gunther durch den Kopf gehen: "Ich hatte in zwei Kriegen gegen Deutschland miterlebt, wie sie imstande waren, bis zum letzten Amerikaner kämpfen zu lassen." Das ist ziemlich geistreich, aber auch ganz schön kalt. Glauben die Amerikaner deshalb, dass bei den Engländern der Humor da sitzt, wo andere Gefühle haben?

Philip Kerr: Kalter Frieden. Roman. Aus dem Englischen von Axel Metz. Rowohlt Verlag, Reinbek 2018, 400 Seiten, 22,95 Euro