Mord und Ratschlag

Der Tod ist ein Meister aus Schottland

Die Krimikolumne. Von Ekkehard Knörer
25.02.2009. Kräfte des Widerspruchs messen sich in "Das Zeichen des Widders", dem gemeinsamen Werk von Krimiautorin Fred Vargas und Comiczeichner Edmond Baudoin. Und Kommissar Adamsberg ist auch dabei. Kate Atkinsons zeigt in "Lebenslügen" ihre schwarze Seele.
Keine Büchse der Pandora, aber doch eine Tasche, deren Inhalt sie schaudern macht, stehlen die Gelegenheitsdiebe Gregoire und Vincent. Der Mann, dem sie abhanden kommt, hat mehr als eine Schraube locker und kennt kein Pardon. Für Vincent geht die Geschichte, früh schon im Buch, nicht gut aus und Gregoire ist sich fortan seines Lebens nicht mehr sicher. Fred Vargas bringt im weiteren Verlauf, wie man es von ihr kennt, den tagträumend ermittelnden Kommissar Adamsberg, das Übersinnliche und damit verbundene Tiersymbole ins Spiel. (Widderköpfe, aber auch ein Huhn mit Namen Calamity.)

Von Gregoire aus zieht das Buch Kreise zur Familie seines Protagonisten. Da ist ein braver, für die Bank arbeitender Bruder. Und ein ziemlich verrückter Vater, der an einer riesigen übergeschnappten Kronkorken-Skulptur arbeitet, die nicht nur an das idiosynkratische Miniversum des Facteur Cheval und seines "Palais Ideal" erinnert, sondern gut und gern auch als Monument seiner eigenen Familien-Dysfunktionalität herhalten kann. Individualistisch bis zum Spinnerten sind eigentlich alle Vargas-Heldenfiguren, da machen Gregoire und sein Vater keine Ausnahme. Das gutartig Verrückte findet sich gespiegelt im aus der Bahn Geratenen der mordenden Gegenüber. Der große Irrationalist Adamsberg ist der Mittler zwischen den Werten, dem Guten und dem Bösen, das er, als A- und Paranormales auf seine a- und paralogische Art bestens versteht.

Alles wie gewohnt also, nur dass hier alles anders ist. "Das Zeichen des Widders" ist nicht, wie der Verlag aus ganz gewiss unguten Gründen die Leserschaft glauben machen möchte, ein Romen "mit Zeichnungen von Baudoin", sondern ganz klar: eine "graphic novel". Ein Comic, dessen Autorschaft, wie es in der Regel der Fall ist, sich teilt. Fred Vargas fungiert, mit anderen Worten, als Szenaristin und die Bilder stammen vom hierzulande weit weniger als in seiner Heimat bekannten französischen Comic-Künstler Baudoin.

Scharf in Bilder gefasst wird die Vargas-Welt nicht. Baudoin tuscht eine Welt aus Schwarzflächen und in die weißen Gründe hinein schwarz-weiß sich schuppenden Strichverläufen. Schroff ist das, alles andere als in lieblicher Weise dekorativ, manchmal rutscht es ganz hinüber ins bloß Grafisch-Ornamentale. Wie aus der umgebenden Welt freigestellt sind Gesichter und die für Handlung und Bedeutung wichtigen Gegenstände und Bauten. Ein Bild-Universum ohne Zwischenstufen, der brutalen Übergänge vom Schwarzen ins Weiße, das manchmal aussieht wie ein Loch im Bild. Die manchmal etwas geschmäcklerische Realismus-Verweigerung von Fred Vargas trifft hier auf ihren nicht sonderlich kongenialen Widerpart - und es hat dieser Zusammenstoß unterschiedlicher Ästhetiken durchaus sein Gutes.

Zumal das Zusammenspiel von Sprache und Bild immer wieder auf hoch interessante Weise von der Comic-Norm abweicht und in allen gefundenen Lösungen sehr überzeugt. So springt die "graphic novel" gelegentlich von der Bild-Schriftblasen-Üblichkeit um in ganzseitigen Text, der aber nicht gedruckt, sondern in der Schrift der Textblasen gelettert ist. Überhaupt scheinen die Rahmen der Panels nur dazu da, öfter gesprengt als beibehalten zu werden. Köpfe verselbständigen und vervielfachen sich als Personal-Index in Dialogpassagen. Text quillt auf der Seite nach oben und unten und drückt auf das Bild in der Mitte. Dazwischen aber wieder verselbständigte Bild-Porträts, sogar fast wortlos-mangaeske Action-Passagen.

Kurzum: Die Begegnung der Welten, der Clash von Roman und Comic, gelingt, gerade weil hier Kräfte walten, die auch Kräfte des Widerspruchs und des Kampfs um Hoheiten sind. Der deutsche Verlag hat lange gezögert, diesen Band, der im Original bereits im Jahr 2000 erschien, zu veröffentlichen. Unbegreiflich ist das, vom grundsätzlichen Fremdeln des breiteren Publikums mit dem Comic sogar mal abgesehen, nicht. Zur Verstörung der Krimiserien-LeserInnen taugt das Buch nämlich durchaus. Was, versteht sich, eine Stärke und keine Schwäche ist.

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Gut aufgehoben ist die Autorin Kate Atkinson beim Verlag Droemer nicht. Die Cover versprechen eine Art gehobener Hausfrauenliteratur und die Umschlagtexte ganz gewöhnliche Krimis und diesmal sogar "Jackson Brodies persönlichsten Fall!" Auch die Übersetzung von Anette Grube ist dem Anspielungsreichtum und der Präzision und den abgrundtiefen Gemeinheiten Atkinsons oft nicht gewachsen. Darum vorneweg gleich der dringende Rat an alle, die mit gutem Grund Bücher, die aussehen, wie die deutschen Atkinson-Übersetzungen, hassen: Lassen Sie sich davon nicht täuschen! Schwarz ist die Seele dieser Autorin, finster ihr Blick auf die Welt.

Jackson Brodie, den der Umschlag als Protagonisten des Romans handelt, taucht darin lange gar nicht und später dann keineswegs als Haupthandelnder auf. Wie es überhaupt hier wie schon in Atkinsons Vorgänger "Liebesdienste" keine einzige Zentralfigur gibt. Wichtig sind in "Lebenslügen" (Originaltitel, viel ironischer: "When Will There Be Good News") Reggie, die als Schülerin und Mädchen für alles bei einer ehemaligen Lehrerin lebt, die gerade an einem Hirntumor stirbt. Reggie ist als Kindermädchen außerdem in Diensten bei Joanna Hunter, die in ihrer Kindheit einen Vergewaltigungs- und Mordanschlag überlebt hat, bei dem ihre Schwester und ihre Mutter brutal ums Leben kamen.

Jetzt lebt sie, unglücklich genug, mit einem Mann, dessen Firma gerade den Bach runter geht. Jackson Brodie, der durch einen unerwarteten Geldsegen in einen dauernden Unzufriedenheitszustand überführte Ex-Polizist, kommt bei einem Zugunfall beinahe um, hat eine Nahtoderfahrung, überlebt nur ums Haar und denkt über seine gescheiterten Beziehungen zwischendurch Dinge wie diese: "War für eine Ironie, dass sowohl Julia als auch Louise, die beiden Frauen, denen er sich in den letzten Jahren am nächsten gefühlt hatte, ganz plötzlich geheiratet hatten, und keine von beiden ihn."

So heiter also geht es zu im jüngsten Roman der Kate Atkinson. Der Tod ist darin ein Meister aus Schottland und die Autorin lässt ihn mit grimmiger Lust umgehen unter den bedauernswerten Kreaturen, die die von ihr erschaffene Welt bevölkern. Man darf aber auch keinen falschen Eindruck erwecken, denn in der Tat herrscht in "Lebenslügen" trotz allem eine gewisse, mitunter, aber nicht ausschließlich, verzweifelte Heiterkeit. Atkinson ist eine Demiurgin, die es liebt, Schicksal zu spielen. Sie meint es mit ihren Geschöpfen jedoch im Grunde nicht böse. Sie prüft sie - und lässt sie bestehen. Sie gönnt ihnen, wenn sie genug gebeutelt sind, auch mal ein Glück. Und sie begibt sich immer wieder nicht nur auf Augenhöhe mit ihnen, sondern verzichtet in langen Passagen auf jeden Außenblick. Darin, dass sie sich ganz ihrer Perspektive überlässt, den Figuren - Reggie vor allem - ihre Gedanken, ihren Eigensinn, ihre sehr spezifische Subjektivität gewährt, liegt die Gerechtigkeit, die sie anstrebt. Das Böse, so die unmissverständliche Botschaft Atkinsons, existiert. Der Tod wird kommen. Die Pläne, die man macht, gehen selten genug auf.

Aber es gibt doch einen Einspruch, Trost wäre das falsche Wort, Hoffnung auch. Was bleibt, sind Dialogzeilen wie diese, zwischen Brodie und Reggie: "'Eigentlich wohne ich nicht hier', sagte Reggie. 'Wer wohnt dann hier?' 'Ms MacDonald, aber jetzt nicht mehr, weil sie tot ist. Alle sind tot.' 'Ich nicht', sagte Jackson. 'Du auch nicht.'"

Na also.

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Fred Vargas, Edmond Baudoin: Das Zeichen des Widders. Mit zahlreichen Illustrationen. Übersetzt von Julia Schoch. Aufbau Verlag. 222 Seiten. 22,95 Euro.

Kate Atkinson: Lebenslügen. Roman. Übersetzt von Anette Grube. Droemer Knaur Verlag. 426 Seiten. 18,95 Euro.