Mord und Ratschlag

Ein Pakt mit dem Marquis

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
06.01.2020. Kettly Mars setzt in ihrem furiosen Voodoo-Thriller "Der Engel des Patriarchen" eine Rebellion der Lichtgestalten gegen die Monarchie der Dämonen in Gang. Ahmed Saadawis erzählt in seinem Schauerroman "Frankenstein in Bagdad", wie der Irak eine unmenschliche Gestalt bekam.
CoverDas Leben der gut vierzigjährigen Emmanuela könnte ein Musterbeispiel an Modernität und Eigenständigkeit sein. Sie lebt mit ihrem Sohn in Port-au-Prince, leitet eine Bankfiliale in Bon Repos und hat sich auch als Mätresse des vermögenden Serge eine einträgliche Stellung gesichert. Ein sorgenfreies Leben ist ihr dennoch nicht beschieden, wie ihre ältere Cousine Paula, genannt Couz, ihr eines Tages eröffnen muss: Ein Engel hadert mit der Familie. In Haiti weiß man, was ein solcher Fluch bedeutet, und auch Emmanuela kann die Zeichen deuten: Der Geruch von angesengten Haaren liegt in der Luft, Schatten ziehen über die Dächer, Silhouetten huschen über die Magnolienbäume. Im fernen Nantes stirbt der mittlerweile alt gewordene Jacquot genau an seinem Geburtstag und wird nur drei Stunden später eingeäschert. In Philadelphia wird eine Großtante von ihrem eigenen Sohn angegriffen. Der jungen Nichte in Chicago schreibt sich wie von selbst der berühmte Borges-Satz: "Gelobt sei der Albtraum, der uns enthüllt, dass wir die Hölle erschaffen können." Mit ein paar seltsamen Erscheinungen, Vorhangflattern und verrückten Bildern wird es nicht getan sein. Horror bedeutet in Haiti Grausamkeit, Lust und dämonischer Synkretismus. In ihrem Voodoo-Thriller "Der Engel des Patriarchen" braut Kettly Mars daraus ein fantastisches Gift.

Wie Emmanuela erfährt, hatte ihr Urgroßvater, der reiche Großgrundbesitzer Horacius Melfort, einst im Verbund mit den anderen Honoratioren des Ortes einen Pakt mit dem Marquis de Truitier geschlossen, wie die Männer jener Gegend aus Diskretion den Engel Yvo nannten. Dem Marquis sollte ein Lamm geopfert werden, der Junge Jacquot. Doch weil Urgroßvater Horacius es nicht übers Herz brachte, den Jungen zu töten, fordert der Engel nun das ihm versprochene Blut ein.

Yvo, das muss man wissen, gehört einer teuflischer Monarchie an, er ist ein "blutschänderischer Geist", der mit einer ganzen Kohorte von bösen Geistern und negativen Mächten an sein finsteres Werk geht. Zu ihnen gehört auch Marinette, ein paradoxer, aber tief in Haitis Mythologie verwurzelter Geist. Sie befreit von der Angst und bringt den Sieg, bestraft aber auch mit entsetzlicher Grausamkeit. Sie ist eine und viele zugleich. Marinette hat, wie die historische Überlieferung es will, in der Zeremonie im Bois Caiman das schwarze Schwein geopfert, es war der Ausgangspunkt der Sklavenrevolte von 1791 unter dem Anführer Boukman.

Eines der ersten Opfer wird daher auch Serge sein, der rationale Mann, der weder an den christlichen Gott noch an die Geister des Voodoo glaubt, der Spiritualität für Charakterschwäche hält und sich immer gegen die kolonialistische Erzählung sperrte, Haiti hätte einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, als hätten sich Haitis Sklaven nicht aus eigener Kraft befreit: "Der Teufel wäre nicht ausreichend gewesen. Es mussten die Umstände sein."

Die Vernunft ist in diesem Roman maskulin und schnell ausgeschaltet. Emmanuela muss sich Yvo mit ihrer alten Cousine und ihrer Freundin Patricia entgegenstellen. Couz rät zu Weihwasser und den Psalmen 23, 46 und 91. Patricia bringt Emmanuela dagegen zum lavé tèt: Der Frau muss der Kopf gewaschen werden! Patricia dient dem Voodoo, wie man sagt, genauer Ogou, "dem kriegerischen Geist, dem Verteidiger mit der Machete". Sie entstammt einer Familie von Priestern aus Noailles, die seit Generationen den lwa dienen, den Geistern des Voodoo. Aber als ehrenwerte fran ginen, lehnen sie schwarze Magie natürlich strikt ab.

Kettly Mars gehört zu den beliebtesten Schriftstellerinnen Haitis, die in ihren Romanen manchmal etwas unsubtil, aber einnehmend von Diktatur, Ausbeutung oder den Folgen des Erdbebens erzählt. Während allerdings ihr Landsmann Gary Victor in seinen Krimis den Voodoo in Maßen einsetzt, lässt Mars alle Leinen los. Ihre Geschichte verbindet Haitis Geschichte, den Glaube an Dämonen und Voodoo, sie strotzt vor Spiritualität, auratischen Persönlichkeiten und verführerischen Menschen. Mitunter überdreht Mars ihren Reigen bis zum Hokuspokus, und wenn es um Geschlechterrollen geht, macht sie auch vor alten Klischees nicht halt. Aber die Sinnlichkeit ihres Erzählens ist umwerfend. Alles ist Traum, Körper, Fluidum. Irre Energien durchströmen den Roman, Vibrationen und ein Rhythmus, den man auch in der Racine-Musik erlebt, etwa bei Boukman Eksperyans. Oder sind es doch Flügelschläge?

Kettly Mars: Der Engel des Patriarchen. Roman. Aus dem Französischen von Ingeborg Schmutte. Litradukt Literaturedition, Trier 2019, 256 Seiten, 15 Euro (Bestellen)

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Cover: Frankenstein in BagdadDie Assoziation A ist eine verlässliche Adresse für antikapitalistische Literatur aller Gattungen. Mit Ahmed Saadawis "Frankenstein in Bagdad" legt sie einen fantastischen Roman vor, einen Schauerroman, der mit Witz und Fantasie erzählt, wie der Irak seine unmenschliche Gestalt bekam. Von Mary Shelley übernimmt er die Idee des selbstgeschaffenen Monstrums, die Ungeheuerlichkeit des irakischen Alltags entwickelt er jedoch in ganz eigenen Motiven.

Der Roman spielt in Bagdad im Jahr 2005, zwei Jahre nach der Besatzung durch die Amerikaner. Auf allen Seiten herrschen Kurzsichtigkeit und Borniertheit. Wer klug ist, hat die Stadt verlassen. Wer geblieben ist, lebt in permanenter Angst vor den Attentaten. Sunnitische und schiitische Milizen liefern sich einen grausamen Bürgerkrieg. Tag für Tag erschüttern Explosionen die Stadt, töten Hunderte von Menschen noch Stunden später hängt der Geruch von verschmortem Plastik und verbrannten Leichen in der Luft: "Ein Gestank, den man nie wieder vergisst."

Im Stadtviertel Batawin lebt der Trödler Hadi davon, die Möbel der Fortgezogenen zu verhökern. Er ist ein wenig aus der Spur geraten, ein Trinker und Fantast. Er trägt in seiner Ruine nicht nur den alten Plunder der Weggezogenen zusammen, sondern auch die menschlichen Überreste von Getöteten. Ein Bein, einen Arm, eine Nase. Er will ihnen das ordentliche Begräbnis verschaffen, um das die zerfetzten Leiber gebracht wurden. Als bei einer weiteren Explosion eine Seele in die Luft gefegt wird, findet diese ihren Weg in den leblosen Körper, den Hadi in seiner Ruine mehr schlecht als recht zusammengenäht hat. Die Kreatur erwacht zum Leben, zusammengesetzt aus Körperteilen der verschiedensten Opfer, von Sunniten und Schiiten, unschuldigen Zivilisten, Milizionären und Terroristen. "Er war ein Zusammenstellung aus Opfern, die nach Rache für ihren Tod verlangten, um Frieden zu finden. Er war geschaffen, um Vergeltung für sie zu üben."

Hadi nennt sein Monstrum den Soundso, dieser selbst hält sich für den ersten "wahrlich irakischen Bürger". Vor allem ist der Soundso eine in jeder Hinsicht abstoßende Kreatur: Die Nähte halten kaum, alles tropft und schmiert. Sobald der Soundso einen Tod gerächt hat, fällt jener Teil von ihm ab, der dem gesühnten Opfer gehörte. Andererseits fällt er auch ab, wenn er sich mit seiner Rache zu viel Zeit lässt. Das Ungeheuer braucht ständig neue Tote.

Der Soundso findet zunächst Unterschlupf bei Elischwa, einer alten assyrischen Christin, die allein in Batawin ausharrt und seit zwanzig Jahren auf die Rückkehr ihres im Krieg gefallenen Sohnes hofft. Ihre Töchter haben schon lange das Land verlassen. Elischwa spricht mit ihrer Katze und dem Heiligen Georg und erkennt - blind, aber voller Liebe - im Soundso ihren verlorenen Sohn. Sie päppelt ihn auf, bis er mit einer Schar von Anhängern weiterziehen kann, darunter ein Zauberer, ein Sophist, ein Feind und drei Verrückte. Sie alle gehen ihm bei seinem schrecklichen Werk zur Hand. Ihr Meister verkündet: "Man bezichtigt mich, ein Verbrecher zu sein, und niemand will verstehen, dass ich die einzige Verkörperung der Gerechtigkeit in diesem Land bin."

Doch die Untaten des Soundso rufen auch das etwas ominöse Amt für Beobachtung und Beurteilung auf den Plan. Es arbeitet im Auftrag der Streitkräfte der internationalen Koalition und wird von Brigadier Surur Madschid geleitet, der einst Oberst beim militärischen Geheimdienst war. Nicht alle glauben, dass es sich bei diesem Trupp aus babylonischen Geheimastrologen, Hellsehern und Parapsychologen um eine Informationssondereinheit handelt. Einige halten den Trupp für ein Mordkommando, der auf der Straße ein Gleichgewicht des Schreckens herstellen soll, damit hinterher auch bei den Verhandlungen Ausgeglichenheit herrscht.

Zwischen den Fronten steht, ebenso überfordert wie unwillig, Mahmud Sawadi, Journalist bei der Zeitschrift al-Hakika, die Wahrheit. Er soll Klarheit in die Angelegenheit bringen, interessiert sich aber vielmehr für die schöne Geliebte seines undurchsichtigen Chefredakteurs, der sich als Autor und Oppositioneller einen Namen gemacht hat und über beste Kontakte verfügt. Doch noch bevor jemand herausfinden kann, wofür und wogegen er eigentlich opponiert, setzt er sich mit einem Koffer voller Geld nach Beirut ab.

Ahmed Saadawi erzählt seine Parabel über den Horror in Bagdad mit Tempo, und feinsinniger Ironie. Drastik und Zynismus sind ihm fremd. Saadawi treibt keine Scherze mit dem Ungeheuerlichen, er will es mit seiner gewissenhaften Erzählung bannen. Für die Profiteure des Krieges, für die Agitatoren und Opportunisten, mag er daher Spott übrig haben. Die Menschen jedoch, die sich in Batawin zusammentun, um ihr klägliches Leben zu behaupten, zeichnet er ausgesprochen liebevoll. Ob sie in ihrer Verzweiflung nun dem Arrak verfallen, an Dschinns glauben oder mit dem Heiligen Georg sprechen. Ein großer Wurf.

Ahmed Saadawi: Frankenstein in Bagdad. Roman. Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich. Assoziation A, Berlin/Hamburg 2019, 287 Seiten, 22 Euro (Bestellen).