Mord und Ratschlag

Roter Amboss 5

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
22.12.2017. Ross Thomas inszeniert in seinem abgebrühten Politthriller "Der Mordida-Mann" Weltpolitik als eine besonders fiese Form der Kampfkunst. Ross Macdonald folgt in "Unterwegs im Leichenwagen" Kaliforniens rebellischer Jugend auf der Flucht vor dem Gesetz der Väter.
Jeder neue Band in der von Jochen Stremmel übersetzten Ross-Thomas-Reihe des Alexander Verlags ist Grund zur Freude. Auch "Mordida-Mann" aus dem Jahr 1981. Der Roman ist von einer so kalten Brillanz, dass man sich beim Umblättern die Finger verbrennt.

Gleich zu Beginn steht ein Mord, der dem "extravaganten Ruf" der CIA zur Ehre gereicht: Eine etwas tuntige Type im dreiteiligen Anzug verfolgt auf den Straßen Londons einen Mann und jagt ihm mit der Spitze eines Regenschirms einen Pfeil in den Rücken, der mit einem starken Beruhigungsmittel getränkt ist. Die Tunte und ihre Kompagnons verfrachten den Mann in eine Boeing 727, aber da der Entführte offensichtlich nicht kräftig genug für die verabreichte Dosis war, können sie ihm nur noch zwei Finger abschneiden und seine Leiche aus dem Flugzeug in den Atlantik werfen.

Bei dem Entführten handelte es sich um Gustavo Berrio-Brito, genannt Felix, er ist der berüchtigte Kopf der international agierenden Terror-Truppe Roter Amboss 5 (Wer bei Felix nicht sofort an Carlos denkt, sollte sich unbedingt Olivier Assays' grandiose Miniserie ansehen, die den Schakal als Auftragskiller in irakischen und syrischen Diensten decouvriert.) Die Frau wiederum, die Felix für zwanzigtausend Dollar an die Amerikaner verraten hat, wird von ihren Kampfgefährten gefoltert, hingerichtet und in einem halb verfallenen Haus im Norden Londons verscharrt.

Doch obwohl bei der Verschleppung alles auf ein typisches amerikanisch-britisches Joint Venture hindeutet, stecken dahinter weder CIA noch MI6. Die CIA-Leute in diesem Roman morden natürlich auch, aber viel, viel übler: Unvorhersehbar und schockierend. Noch Tage später knackt einem das Brechen der Knochen in den Ohren.

Hinter der Entführung steckt ein amerikanischer Millionär, der von einem karibischen Inselstaat aus mithilfe einer kleinen, aber schlagkräftigen Söldnertruppe seine kriminellen Geschäfte tätigt, und von den Libyern und den Israelis jeweils zehn Millionen Dollar erpressen will. Doch die verrückten Libyer fackeln nicht lange. Sie nehmen prompt Bingo McKay als Gegen-Geisel, den Bruder des amerikanischen Präsidenten Jerome McKay.

Das ist nicht der Plot, das ist die Ausgangslage dieses verrückten Romans, in dem Ross Thomas mit sardonischem Vergnügen die internationale Ränkespiele der frühen achtziger Jahre auf die Spitze treibt. Die USA stecken in der Rezession fest, der Präsident hatte seinen Wahlkampf gegen die Ölkonzerne, die Opec und die Russen geführt und ist jetzt auf Öllieferungen aus dem neureichen Libyen angewiesen. Nach dem fiktiven Tod des cholerischen Muammar Gaddafi will der neue, nicht minder bizarre Oberst Youssef Mourabet dafür Kampfflugzeuge. Die Malteser wollen wie immer das Geld der neuen Herren. Als eitle Marionetten müssen sich die Afrikaner spielen lassen. Und über den karibischen Dissidenten lästern sie alle nur als den "lokalen Solschenizyn" oder die "ortsansässige Heulsuse".

Das ist böse, auch etwas chauvinistisch. Dennoch muss man sehr lachen. Herrlich sind die Szenen, in denen Ross Thomas den Pomp der UN-Diplomatie aufspießt: Im Gucci-Schächtelchen wird dem nigerianischen Botschafter ein abgeschnittenes Ohr präsentiert, während der Vertreter Gambias in vollen Zügen sein Ansehen genießt, das niederträchtigste Klatschmaul der UN zu sein: "Ein gemeiner kleiner Scheißer", findet auch der CIA-Chef, der damit genau den Richtigen für seine Intrige gefunden hat. Wenn diese Typen lächeln, dann grausam.

Politik war für Ross Thomas schon immer eine Mischung aus Skrupellosigkeit und Theater. In "Mordida-Man" inszeniert er Weltpolitik als eine besonders fiese Form der Kampfkunst. Clever, elegant und abgebrüht. Aber auch sehr routiniert. Fehlt noch Chubb Dundee, der "Mordida-Mann", in der alten Übersetzung hieß er "Bakschisch-Mann". Er war Kongressabgeordneter, bis seine Frau mit den Weathermen durchbrannte und er unwählbar wurde. Seitdem ist es sein Job, "Dinge zu regeln". Dundee kombiniert Intelligenz und Einfallsreichtum mit einem gewissen Maß an Rücksichtslosigkeit. So sieht bei Ross Thomas ein Held aus.

Ross Thomas: Der Mordida-Mann. Thriller. Aus dem Amerikanischen von Jochen Stremmel. Alexander Verlag, Berlin 2017, 327 Seiten


In den klassizistischen Romanen des amerikanischen Literaturwissenschaftlers Ross Macdonald ist der Held noch - ganz wie bei Raymond Chandler - ein moralisch unbestechlicher armer Detektiv. Doch das Düstere, Misanthropische geht ihm völlig ab. "Ehrlichkeit, Neugier und Menschenliebe" machen für Macdonald den guten Detektiv aus, und seinen Schnüffler hat er damit ebenso reichlich ausgestattet wie die dafür eigentlich weniger berühmten Polizisten von Los Angeles.

Auch in "Unterwegs im Leichenwagen" ermittelt sein Serienheld, Privatdetektiv Lew Archer, im sonnigen Südkalifornien, und selbstverständlich wird er gleich zu Beginn des Romans von einer attraktiven Frau aufgesucht, die ihn bittet, nicht den Auftrag ihres Mannes anzunehmen, der bald darauf bei ihm aufkreuzen werde. Doch sie ist keine femme fatale, keine Frau, für die Männer morden: "Sie besaß die Art von Stil, der nicht mit dem Make-up aufgetragen wurde, und war etwa in meinem Alter. Wenn ein Mann älter wird und weiß, was gut für ihn ist, dann werden auch die Frauen, die ihm gefallen, älter. Leider sind die meisten von ihnen verheiratet." Sie ist mit anderen Worten eine Frau, über die Frauen gern lesen.

Isobel Blackwell will ihre Stieftochter Harriet vor dem Vater bewahren, Colonel Blackwell, einem Mann, der "erste Rückschläge im Kampf mit dem Alter hatte hinnehmen müssen" und für den Selbstbeherrschung ein erkennbares Probleme darstellt. Harriet hat sich einem jungen Maler an den Hals geworfen, der nach Ansicht des Vaters nur hinter dem Erbe her ist, das Harriet in einem Jahr ausgezahlt werden wird. Harriet ist keine Schönheit, emotional etwas haltlos und furchtbar eigensinnig. Suspekt macht den jungen Künstler nicht nur seine tiefsitzende Aversion gegen alle Autoritäten, sondern vor allem seine ungeklärte Identität. Der Name Burke Damis ist niemandem ein Begriff, aber seinen Stil erkennt die Fachwelt sofort: Die Kunstkritiker verehren ihn als Bruce Champion, einen Vertreter der Tragischen Malerei. Die Polizei sucht den "Nichtsnutz, der Farbe an die Wand schmeißt", als den Mörder seiner Frau.

Lew Archer setzt sich auf die Spur der beiden Durchgebrannten. Im Buick geht es schön von den Stränden Malibus, durch die etwas schäbigen Ausläufer von Pacific Palisades, über den Sunset Boulevard hoch nach Bel Air. Abstecher führen ihn nach Guadalajara, nach San Francisco und an den Lake Tahoe, immer entlang an den seelischen Abgründen der kalifornischen Bourgeoisie.

Man hat sich oft und gern lustig gemacht über Ross Macdonald, den einzigen Schriftsteller, der als "Mann von" in die Literaturgeschichte eingegangen ist, nämlich als Mann von Margaret Millar. Das hat gute und schlechte Gründe: Die leicht durchschaubaren Plots etwa oder den etwas schlichten Stil, über den auch nicht Karsten Singelmanns Neuübersetzung hinwegtäuschen kann. Auch über seine mitunter etwas seichten Psychologisierungen kann man sich ebenso gut lustig machen wie über seinen Hang zum Witwentrösten und Frauenverstehen. Doch Lew Archers Interesse an den Menschen, an ihren Biografien, ihren Verletzungen und Narben ist so aufrichtig wie seine Freundlichkeit. Darf Sensibilität im Genre keinen Platz beanspruchen? Lew Archer hat immerhin schon 1961 gespürt, dass Kaliforniens Jugend rebelliert, um dem Kriegsrecht im eigenen Elternhaus zu entkommen. Wie die arme Harriet.

Ross Macdonald: Unterwegs im Leichenwagen. Roman. Aus dem Amerikanischen von Karsten Singelmann. Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2017, 418 Seiten, 16 Euro