Mord und Ratschlag

Sex und Reinfall

Die Krimikolumne. Von Ekkehard Knörer
08.05.2008. Der Rotbuch-Verlag übernimmt eine der aufregendsten amerikanischen Krimireihen - die Pulp Fiction Revival-Unternehmung "Hard Case Crime". Dazu gehört Mut, denn der deutsche Buchmarkt liebt das Hartgesottene in der Regel eher nicht. Leider sind die ersten drei Bände qualitativ eher gemischt, immerhin "Abschied ohne Küsse" des Schotten Allan Guthrie kann überzeugen.
Ungeschriebenes Gesetz des deutschen Krimibuchmarkts: Die harte, die finstere, die weder gehäkelte noch literarisch bzw. meist pseudoliterarisch hochgetunte Sorte Kriminalliteratur kommt über ein sehr überschaubares Nischenpublikum nicht hinaus. Zuletzt wollte vor ein paar Jahren Martin Compart bei Dumont (Reihe "Dumont Noir") mit dem Kopf durch die schwarze Wand und holte sich, dem Verlag und dem Genre eine blutige Nase. Frank Nowatzkis "Pulp Master"-Reihe erhält seit vielen Jahren hervorragende Kritiken, wird für ihre Ausgrabungen und Entdeckungen von Kennern sehr zu Recht hoch gelobt - die Auflagen übersteigen kaum die von Lyrikbänden.

Es gehört deshalb Mut zum jüngsten Projekt des Rotbuch-Verlags: Er übernimmt, unter der qualitätssichernden Aufsicht der Expertin Lisa Kuppler, die Reihe "Hard Case Crime", die seit einigen Jahren in den USA Furore macht (hier die Website der Original-Reihe, hier die der deutschen Version). Deren Konzept: Zum einen werden alte, teils völlig vergessene Autoren, Klassiker und Sub-Klassiker der Pulp-Literatur neu aufgelegt und bekommen dafür neue Cover, die als Pastiche alter Cover im drastischen Stil daherkommen. Zum anderen schreiben mal schon ziemlich oder sehr bekannte - Stephen King! -, mal im Genre bestens eingeführte - Max Allan Collins -, mal bisher eher Kennern vertraute - Domenic Stansberry - Autoren (und ganz gelegentlich sogar eine weibliche Autorin) neue Texte aus dem Geist und Ungeist der ganz hartgesottenen alten Meister. Erfinder und Herausgeber der Reihe ist Charles Ardai, der als Internet-Unternehmer zu sehr viel Geld kam, von dem er dies Herzensprojekt mitfinanzieren konnte. Unter dem anagrammatischen Alias Richard Aleas - neuerdings auch unter seinem richtigen Namen - schreibt Ardai selbst preisgekrönte harte Kriminal-Romane für "Hard Case Crime".

Mit drei Übersetzungen startet nun die deutsche Version. Sie sind geschickt gewählt, jedenfalls auf den ersten Blick, da sie die Bandbreite der Reihe bestens demonstrieren. Da ist, mit Lawrence Blocks erstmals 1961 erschienenem "Abzocker", ein Frühwerk eines der wichtigen lebenden Autoren der Kriminalliteratur erschienen, eine, wie in diesem Genre üblich, das Generische variierende Geschichte um eine schöne junge Frau, eine Menge Geld bzw. hier geldwerten Heroins, einen hässlichen alten Gatten, Verführung, Lust, Sex und Reinfall. Oder, in Blocks Worten: "Der fette, hässliche, alte Gatte, der außerdem reich war. Die hübsche Frau, die mehr wollte, als ihr alter Mann ihr geben konnte. Es war geradezu eine Standardsituation."

Standardsituationen sind die Grundherausforderung des Genres. Alles ist schon dagewesen, die Regeln sind ebenso bekannt wie die möglichen Regelverstöße. Tausendundeinmal wurde der Held von der Falschen verführt, tausendundeinmal ist er dem Lockruf des Geldes gefolgt, tausendundeinmal hat er am Abgrund gestanden, tausendundeinmal gemordet und tausendundeinmal ist er Zeuge oder beinahe Opfer von Morden geworden. Das alles ist nachzuschlagen schon bei den großen Alten Cain, Hammett, Chandler & Co. und dann erst recht bei den Groschenroman-Serientätern der vierziger- und fünfziger Jahre. Da können einem, gerade als nachgeborenem Helden einer solchen Geschichte, schon mal Zweifel kommen: "Warum in aller Welt wollte ich eigentlich die Frau noch und das Geld? Eine gute Frage. Ich wusste es nicht genau, aber auf jeden Fall wollte ich sie, und das war die einzige Frage, auf die es ankam."

Oder auch nicht. Ein bisschen hilfloslos nämlich wirkt "Abzocker" schon. Es geht nicht - wie etwa beim großen Charles Willeford - gerade um die Absurdität des eigenen Handelns als dessen eigentlichen Motor. Vielmehr passiert hier, was passieren muss, der Ton bleibt naiv, die Sprache - naja, um Finessen der Sprache geht es bei dieser Sorte Literatur ohnehin nicht. Es läuft dafür alles auf ein Finale hinaus, das an Sadismus schwer zu übertreffen ist, ein Strafszenario, in dem das Opfer so schuldig wird, wie es die Täterin zuvor kaum war.

Leider ist auch die Zusammenarbeit von Ken Bruen & Jason Starr unter dem Titel "Flop" nur um ein Weniges überzeugender. Die beiden eigentlich recht unterschiedlichen Autoren haben sich von vorneherein darauf verständigt, etwas anderes als ein als solches sogleich erkennbares Pastiche gar nicht anzustreben. Sie mischen die ihnen vertrauten Welten - New York im Falle Starrs, Irland für Bruen -, indem sie einen ehemaligen IRA-Mann namens Dillon als selbsterklärten Auftragskiller über den Atlantik schicken, wo er, wie anders nicht zu erwarten, gewaltiges Unheil anrichtet. Der Leidtragende ist ein Geschäftsmann namens Max Fisher, ein Widerling vor dem Herrn, der in der ganzen Angelegenheit von der Frau, die er für seine Geliebte hält, gelinkt wird. Das ist, einerseits, eine der für Jason Starr so typischen Geschichten vom selbstverschuldeten Untergang eines männlichen Anti-Helden. Andererseits aber ist es auch ein ziemliches Durcheinander, das sich zwischen grober Komik und fröhlicher Epigonalität schnell ins Beliebige manövriert. (Das Buch hat, muss man hinzufügen, viele Fans. So viele, dass es bereits zwei Fortsetzungen gibt.)

Bleibt Nummer drei, der beste Band dieses ersten Schwungs. Der Schotte Allan Guthrie ist eine der großen Hoffnungen der harten Kriminalliteratur und mit "Abschied ohne Küsse" zeigt er durchaus, warum. Ein Mann mit dem (ironisch) sprechenden Namen Joe Hope, der sein Geld als den Baseballschläger schwingender Gehilfe eines Gangsters in Edinburgh verdient, verliert in rascher Folge seine geliebte Tochter, seine weitaus weniger geliebte Ehefrau und, wie sich dann zeigt, auch seinen besten Freund. Damit nicht genug. Er wird des Missbrauchs seiner Tochter, des Mordes an seiner Frau verdächtigt - und setzt alles daran, seine Unschuld zu beweisen.

Guthrie findet für diese Geschichte einen Ton, dem das Wissen um die Künstlichkeit dieser Sorte Literatur anzumerken ist, der das ganze dennoch nicht - wie letztlich Starr & Bruen - verjuxt. Um nicht mehr und nicht weniger als den richtigen Umgang mit dem Haarsträubenden geht es schließlich in dieser Sorte Literatur. Darum, den blutigen Konventionen des Genres ein paar Wahrheiten abzugewinnen darüber, wie finstere Zeitgenossen ticken bzw. wie jedermanns finstere, kleinliche und brutale Seiten aussehen. Pulp Fiction ist auch die Einübung in die Fähigkeit, menschlichen Abgründen weder hysterisch noch sentimental noch verlogen voyeuristisch ins Auge zu blicken. Der Grat zwischen schierem Zynismus, bloßer Drastik des Effekts und dem Unernst des Pastiche ist da arg schmal. Nicht nur muss die Wut, die einen so etwas schreiben lässt, echt sein. Es muss eine/r darüber hinaus ein Könner des Kruden sein, damit man diese Wut beim Lesen auch zu spüren bekommt.

Manchmal liegen selbst Könner wie Block, Starr und Bruen ein wenig daneben. Das ist kein Grund, "Hard Case Crime", diesem mutigen Vorstoß ins Grobe, nicht den Erfolg zu wünschen, den die Serie ihres Konzepts und manchen noch zu erwartenden Highlights wegen sehr wohl verdient.

Lawrence Block: Abzocker. Übersetzt von Ludwig Nagel (ergänzt und bearbeitet von Lisa Kuppler). Rotbuch Verlag 2008. 221 Seiten. 9,90 Euro.

Ken Bruen & Jason Starr: Flop. Übersetzt von Richard Betzenbichler. Rotbuch Verlag 2008. 287 Seiten. 9,90 Euro.

Allan Guthrie: Abschied ohne Küsse. Übersetzt von Gerold Hens. Rotbuch Verlag 2008. 286 Seiten. 9,90 Euro.