Mord und Ratschlag

Starke türkische Männer

Die Krimikolumne. Von Michael Schweizer
14.01.2004. In Esmahan Aykols "Hotel Bosporus" versucht eine Istanbuler Buchhändlerin, den schönen Hals ihrer unter Mordverdacht stehenden Freundin zu retten. In Feridun Zaimoglu "Leinwand" muss sich der Kieler Kriminalbeamte Seyfeddin Karasu mit Halbstarken und Freibeutern herumschlagen. Beide kämpfen gegen alle Regeln.
Kati Hirschel, 43, betreibt eine Krimibuchhandlung in Istanbul. Ersteres, weil sie Krimis, letzteres, weil sie die Stadt liebt und sich nirgendwo anders so zugehörig fühlt. Studiert hat sie aber in Berlin, zusammen mit Petra Vogel, die es mittlerweile zur berühmten Filmschauspielerin gebracht hat. Als Petra zu Dreharbeiten nach Istanbul kommt, treffen sich die Freundinnen. Petra erzählt, dass ihr kleiner Sohn vor Jahren missbraucht und ermordet worden ist. In der Nacht nach diesem Gespräch wird der Regisseur Kurt Müller umgebracht. Gerüchte kursieren: Er soll sich von Petra getrennt, er soll ihr die Hauptrolle weggenommen haben. Von seinem Tod profitiert die Assistentin Annette Bauer, die nun Regie führen darf. Doch wieso hat der erfolglose Müller überhaupt den Auftrag bekommen, mit einem internationalen Star einen Bestseller zu verfilmen?

Als Krimi ist "Hotel Bosporus", der erste Roman der 1970 in Edirne, Türkei, geborenen Esmahan Aykol, nicht recht ernst zu nehmen. Das liegt an ihrer Haltung zum Genre. Kati Hirschel hat zwei Gründe, mit dem erregenden Kommissar Batuhan zu kooperieren und zu konkurrieren: Sie möchte ihrer verdächtigten Freundin helfen, und sie will endlich ihr Leserinnen-Wissen anwenden, um "von der Krimiverkäuferin zur Amateurdetektivin zu werden". Das erste Motiv wäre auch im wirklichen Leben plausibel, das zweite dagegen ist binnenliterarische Ironie, Spott im Krimi über den Krimi. Eine symptomatische Unverträglichkeit, denn Esmahan Aykol kann sich nicht entscheiden: Sie parodiert gängige Krimimuster und will doch ihre Regeln erfüllen. Konkret: Ihre Lösung des Mordfalls ist realistisch gemeint, sowohl das Verbrechen als auch seine Aufklärung sind aber auf unglaubhafte Zufälle angewiesen.

Kati muss 1960 oder kurz davor geboren sein und hat einen türkischen Pass. Ihr Vater war ein deutsch-jüdischer Strafrechtler, der vor den Nazis in die Türkei geflohen ist. Kati ist also die richtige Hauptfigur für einen Roman, der in zwei Ländern spielt. Was sie aber im Einzelnen erlebt, wirkt quotiert: die Beinahe-Liebschaft mit einem Polizisten, die alternde Mutter, der schwule, wenn verliebt, dann unzuverlässige Buchladen-Mitarbeiter, peinliche deutsche Touristen, die Filmwirtschaft, die Mafia, die anstrengende Freundschaft mit einer Chefredakteurin, Kleider-, Schmink- und Handy-Fragen, das wilde Kurdistan. Das klingt wie das Inhaltsverzeichnis einer Frauenzeitschrift für selbstbewusste Midlife-Singles.

Aber eines ist doch schön - Istanbul. Esmahan Aykol schafft es, dass man ihr glaubt: Für eine Frau, die ihren Beruf, ihre Unabhängigkeit und männliche Männer liebt, ist diese Stadt genau richtig.

"Hotel Bosporus" ist kein richtiger Krimi. Und Feridun Zaimoglus "Leinwand" ist, anders als der Verlag behauptet, kein Roman, sondern ein Bühnenstück oder Drehbuch. Man kann hineinblättern, wo man will: überall Dialoge. Der karge Rest sind getarnte Regieanweisungen.

Dergleichen kann Zaimoglu seit langem. Er ist ein Meister des gesprochenen Worts. Die "Kanak Sprak" (1995) erfand er, indem er sich stellte, als protokolliere er sie: Die 24 jungen türkischstämmigen Männer, die er in diesem Buch ihr Leben erzählen lässt, reden so ähnlich, wie er es aufgeschrieben hat. Aber eben nicht genauso - das tut niemand. Zaimoglu hat dem Türkendeutsch eine Kraft und derbe Schönheit anpoliert, wie sie die mündliche Sprache über längere Strecken, auf denen sie immer auch blubberig und redundant ist, nicht durchhält. Er hat, was er hörte, zur Kenntlichkeit entstellt.

In "Leinwand" macht er das mit allen. Nicht nur mit dem Kieler Kriminalbeamten Seyfeddin Karasu - Zaimoglu, Jahrgang 1964, lebt seit über 30 Jahren in Deutschland und hat in Kiel Kunst und Medizin studiert -, sondern etwa auch mit den Halbstarken Remzi und Kemal, den Pennern Ulli und Freibeuter, der angehenden forensischen Psychologin Claudia Preetz und einem politisch korrekten Bundeswehrsoldaten. Sie alle reden nicht ganz so wie in Wirklichkeit, sondern um die Nuance anders, die einen meinen lässt, wie jemand spreche, sage alles über ihn. Das ist lustig (Seyfeddin zu Remzi: "Beamtenbeleidigung ist strafbar. Du Bimsmichel."), weil es nicht seicht, sondern der Abgrund stets in Sicht ist: "Beim Totschlagen hast du Rhythmus im Blut", sagt der Freibeuter

Einen klassischen Krimi mit Verbrechen und Aufklärung, vielleicht auch mit Rätselcharakter für den detektivischen Leser, schreibt Zaimoglu nicht. Erster Krimi-Handlungsfaden: Seyfeddin verhaftet den Dealer Remzi, dafür hassen ihn die jungen Türken als Volksverräter. Zweiter: Jugendliche haben einen Obdachlosen verbrannt - dieser Fall wird geklärt, ohne dass Seyfeddin etwas dafür tun muss. Dritter: In einem See bei Lütjenburg wird eine tote Frau gefunden, um die fünfundzwanzig und "im Ostblock aufgewachsen". Sie ist in eine mit wasserunlöslichen Farben künstlerisch bemalte Leinwand eingewickelt. Das wäre das Rätsel, aber bevor die Polizisten einen Schritt vorangekommen sind, hört das Buch auf.

Am schönsten lesen sich die Wortgefechte zwischen Seyfeddin und seiner Praktikantin Claudia. Es sind, lange ohne Wissen der Kombattanten, liebesvorbereitende Sprachscharmützel wie bei Shakespeare, den Zaimoglu, der mit Günter Senkel für die Münchner Kammerspiele wunderbar den "Othello" nachgedichtet hat, vorsichtshalber gleich auf der zweiten Seite nennt: "Viel Lärm um nichts" klingt an, "Was ihr wollt" und "Der Widerspenstigen Zähmung". Auch dort kämpfen Frauen und Männer gegen ihre Lust, um ihr wonnig zu erliegen. Das beruht immer auf einem: Beide sind stark.


Esmahan Aykol: "Hotel Bosporus". Roman. Aus dem Türkischen von Carl Koß. Diogenes Verlag, Zürich 2003, 288 Seiten, gebunden, 19,90 Euro. Bestellen.

Feridun Zaimoglu: "Leinwand". Roman. Rotbuch Verlag, Hamburg 2003, 159 Seiten, Taschenbuch, 13,80 Euro