Mord und Ratschlag

Logik der Assoziationen

Die Krimikolumne. Von Ekkehard Knörer
15.08.2003. Die Krimikolumne. Heute: Zwei Krimis des brasilianischen Autors Rubem Fonseca untersuchen das Verhältnis von Künstler, Tod und Frau. Vorgestellt von Ekkehard Knörer
Die Romane "Bufo & Spallanzani" und "Grenzenlose Gefühle, unvollendete Gedanken", von dem brasilianischen Erzähler Rubem Fonseca 1986 und 1989 geschrieben und vom Unionsverlag soeben wieder veröffentlicht, gleichen einander nicht wie ein Ei dem anderen, jedoch sind sie unverkennbar, könnte man sagen, des selben Geistes zweieiige Zwillinge. Erst einmal springt dem Leser, liest er sie hintereinander, die Ähnlichkeit ihrer Struktur ins Auge. Ein Ich-Erzähler - Schriftsteller der eine, Regisseur der andere, moralisch etwas fragwürdige Frauenhelden beide - sieht sich mit dem Tod einer Frau konfrontiert, die er geliebt hat. In "Bufo & Spallanzani" wird daraus der Kriminalfall, der im Verlauf der Geschichten, die schlingernd der Ermittlung dazwischenkommen, zuletzt seiner Auflösung zugeführt wird. Im zweiten Fall liegt, der Titel deutet das schon an, das Verhältnis von Künstler, Tod und Frau ein wenig komplizierter. Der Ich-Erzähler rückt mit der Sprache erst nach einer Reihe von Verwicklungen heraus, die mit anderen Frauen, darunter auch eine, die ganz zu Beginn ermordet wird, einem geheimnisvollen russischen Text und wertvollen Diamanten zu tun haben. Die Verhältnisse sind, das wird schon in der Andeutung klar, einigermaßen unübersichtlich, also der Reihe nach.

Die Frau, die zu Beginn von "Bufo & Spallanzani" getötet wird, ist Delfina Delamare, schön und auch reich, dank ihres Mannes. Gustavo Flavio, der Schriftsteller, der hier seine Geschichte erzählt - eine Geschichte, die er seine Memoiren nennt, die, auch, eine Art Beichte ist -, hatte ein leidenschaftliches Verhältnis mit ihr. Er gerät unter Verdacht, aber es findet sich ein anderer, der die Tat gesteht. In einer der ganz typischen Verschiebungen in Fonsecas Romanen folgt darauf jedoch Flavios eigenes Geständnis. Er gesteht, im rückblickenden Erzählen, eine Tat, die Jahre zurückliegt, mit einem Versicherungsbetrug und dem Gift einer Kröte zu tun hat. Die Kröte trägt den zoologischen Namen "Bufo" und wird später noch wichtig, in einer der weiteren Erzählstränge des Romans. Flavio nämlich fährt in die Berge - jetzt wieder in der Gegenwart -, um endlich mit seinem Roman, dessen Titel natürlich "Bufo & Spallanzani" lautet, voranzukommen. Dort, im Berg-Refugium, geschieht ein Mord in einem Setting, das in gespenstischer Manier an Agatha Christies genau abgezirkelte Szenarien erinnert. Es entspricht Fonsecas respektlosem (aber niemals herablassendem) Umgang mit den Formen der Kriminalliteratur, dass er dieses Christie-Szenario erst ganz überzeugend entwirft und dann mit leichter Hand wieder zerstreut, um zur ursprünglichen Geschichte um zu dem Mord an Delfina Delamare zurückzukehren. In einer letzten Geste wird der Roman im Roman, das ist bei all diesen Bewegungen des Vor und Zurück, des Aufbauens und Zurücknehmens, nur konsequent: gelöscht.

Auch in "Grenzenlose Gefühle, unvollendete Gedanken" folgt auf die Exposition des Kriminalfalls (wie gesagt: Juwelen, eine ermordete Frau) eine Abschweifung unerwarteter Art. Der Ich-Erzähler, ein Regisseur, der eine Erzählung Isaak Babels verfilmen will, fährt, um seinen deutschen Produzenten zu treffen, nach Berlin. Zweite Hälfte der achtziger Jahre, die Mauer steht noch und wird zum Zentrum eines Plots, der nun nicht a la Christie gebaut ist, sondern, dem Ort ganz gemäß, als Agentengeschichte. Verquickt werden die politische Situation - nämlich die Perestroika in der Sowjetunion - und die Obsession des Produzenten, die auch die des Regisseurs ist, nämlich die mit Isaak Babel. Aufgetaucht aus den Archiven sei, heißt es, das verschollene Manuskript des einzigen Romans, den Babel geschrieben hat, nicht lang vor seinem Tod in einem sowjetischen Lager. Es kommt zu einem Katz-und-Maus-Spiel zwischen Pergamon-Museum und Alexanderplatz, zum Austausch von Geld und Manuskript und eh' man sich's versieht, ist man zurück in Brasilien, zurück auch im Plot um die Juwelen, der nun allerdings eine Wendung zur Gewalttätigkeit nimmt, die den Roman noch einmal Tempo aufnehmen lässt. (Nicht, dass er das nötig hätte.)

Mancherlei verschränkt sich in Fonsecas Texten. Es wimmelt von literarischen, aber - im zweiten Roman - auch filmgeschichtlichen Anspielungen, die mitunter direkt den Text kommentieren. So gibt es in "Bufo & Spallanzani" kurz vor dem noch einmal mehrere Volten drehenden Schluss Überlegungen zu Romanenden, die, als Auflösungen, notwendig fade seien, gefolgt von einer Liste berühmter erster Sätze der Weltliteratur. Vom Ende zum Anfang ist es für den Erzähler ein kleiner Sprung, einer von vielen. Die Logik des Erzählens ist keine der Stringenz, sondern eine der Assoziation. Hals über Kopf wird hier, scheint es, Einfällen gefolgt, die sich durchaus zu zusammenhängenden Geschichten entfalten, um dann aber von einem anderen Einfall unterbrochen zu werden. Es entsteht so ein Hin und Her von Spannungs- und Entspannungs-, von Überraschungs- und Aufschubmomenten, das den Romanen im Verhältnis zur in der Regel auf Geschlossenheit zielenden Kriminalliteratur ungewöhnliches Tempo, einen Rhythmus ganz eigener Art verleiht. Keineswegs fransen die Stränge ins Beliebige aus. Was die Bücher zusammenhält, ist aber nicht ein durchgehender Spannungsbogen, der Drang zur Auflösung eines Falls, sondern die große Kunst des Autors, eine Vielzahl von Motiven und Subplots in Balance zu halten, bis zum Schluss, an dem der Sack voller Geschichten zugeschnürt wird, ohne dass das Ende die Brechungen und Brüche im resümierenden Abschluss vergessen machen wollte. Vielmehr bekommt man auf der Stelle Lust weiterzulesen, zum nächsten Buch des großartigen Erzählers Fonseca zu greifen - man kann nur hoffen, dass der Unionsverlag diesem Doppelschlag der Wiederveröffentlichung weitere Bände folgen lässt.


Rubem Fonseca: "Bufo & Spallanzani". Roman. Taschenbuch, 256 Seiten, 10,90 Euro
ders.: "Grenzenlose Gefühle, unvollendete Gedanken". Roman. Taschenbuch, 320 Seiten, 9,90 Euro

Beide Unionsverlag, Zürich 2003, beide aus dem brasilianischen Portugiesisch übersetzt von Karin von Schweder-Schreiner.