Mord und Ratschlag

Detektivinnen

Die Krimikolumne. Von Ekkehard Knörer
25.10.2002. Die Krimikolumne. Heute: Laura Lippman schickt ihre herzensgut liberale Privatdektektivin Tess Monaghan auf die Jagd nach Poe-Memorabilia. SJ Rozans Lydia Chin ermittelt in New Yorks Chinatown. Von Ekkehard Knörer
Es war eine Revolution, Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre, als die Frauen das Kommando übernahmen im Private-Eye-Roman, einem, wie es damals aussah, eigentlich dem Tod geweihten Genre. Philip Marlowe hatte weibliche Nachfolger gefunden, sie hießen Sharon McCone, Vic Warshawski oder Kinsey Millhone und waren angetreten zu beweisen, dass sie es allemal aufnehmen konnten mit den Männern, die bis dato, im Guten wie im Bösen, die Welt des Hardboiled-Romans regiert hatten. Bei allen Unterschieden in den Konzepten, im literarischen Können, auch im feministischen Hintergrund der Autorinnen, erfüllten all diese Heldinnen doch eine politische Mission, erschlossen dem Genre, nicht zuletzt, auch eine ganz neue, weibliche Leserschaft.

Je umfangreicher Sara Paretskys Warshawski-Romane wurden - und je mehr sich die Heldin in Richtung Sozialarbeiterin entwickelte -, je weiter sich Sue Grafton durch ihre Alphabetserie fräste (mittlerweile ist sie bei Q angelangt) und Kinsey Millhone als weitgehend ambivalenzfreie Projektions- und Identifikationsfläche für ihre Leserinnen freigab, desto deutlicher wurden freilich auch die eher unerwünschten Nebeneffekte der neuen Weiblichkeit. Längst haben sich neue Konventionen eingestellt oder die alten Versatzstücke als nur ein wenig vom Männlichen ins Weibliche umgefärbt erwiesen: das Genre mit dem toughen Helden und der robusten Heldin ist und bleibt bei allen Ansätzen zur Gesellschaftskritik strukturell konservativ - und in gewisser Weise auch strukturell us-amerikanisch - im Beharren auf eben dieser, wohl gebrochenen, selten im alten Sinne heroischen, aber doch stets gegen konkrete Missstände oder das Unrecht der Welt anrennenden, fast immer in Serie gehenden Heldenfigur.

Keine der Autorinnen, die seit den achtziger Jahren mit neuen Heldinnen Furore gemacht haben, hat das Genre neu erfunden - und wahrscheinlich lässt es sich neu erfinden nur dadurch, dass man, wie etwa die Britin Liza Cody (mehr hier) mit ihrer Catcher-Heldin Eva Wylie, auf einigermaßen radikale Weise daraus ausbricht. Um nur drei der besten zu nennen: Karen Kijewski (mehr hier) hatte mit Kat Colorado eine zynischere Millhone-Version geschaffen (wo ist sie eigentlich hin?), Linda Barnes lässt ihre Detektivin Carlotta Carlyle selbstbewusst in Boston ermitteln, mithin auf dem Terrain von Robert B. Parkers Spenser (mehr hier) und im "Triangle" von North Carolina sorgt Katy Mungers Casey Jones mit viel Verve und Witz für Ordnung. Das Feld ist freilich längst unübersichtlich - und nur die erfolgreichsten US-Autorinnen gelangen überhaupt mit Übersetzungen auf den deutschen Markt und somit an die deutschen Leserinnen - und natürlich auch Leser. Umso größere Bedeutung kommt der aufmerksamkeitssteuerenden Funktion der wichtigsten amerikanischen Krimipreise (das sind: Edgar, Anthony und Shamus Award) zu, der Shamus-Award etwa wird alljährlich ausschließlich an AutorInnen von PI-Romanen vergeben (und zwar von ihren KollegInnen).

Sieht man sich die Preislisten der letzten Jahre an, so sind es vor allem zwei Autorinnen, die mit schöner Regelmäßigkeit darin auftauchen. Die eine ist SJ Rozan (mehr hier), eine New Yorker Architektin, die - das gab es noch nicht - eine Kippfigur-Serie entworfen hat und von den Schicksalen ihres männlich-weiblichen Detektivpaars von Roman zu Roman abwechselnd aus ihrer und aus seiner Perspektive erzählt. Ihre Heldin ist, auch das eine Premiere, eine chinesischstämmige Amerikanerin, ihr Arbeitsgebiet, von einem Ausflug nach Hongkong mal abgesehen, Chinatown in New York City. Rozan ist eine der auch stilistisch brillantesten Autorinnen der Kriminalliteratur der letzten Jahre, eine wachsende Leserschaft, Juroren und Kollegen wie Robert Crais und Dennis Lehane haben es gemerkt, nur die größeren deutschen Verlage scheinen gewillt, mal wieder auf ihrem - zum Leidwesen des Publikums - gern geübten Recht auf Ignoranz zu bestehen. Der erste Band der Serie - mit dem vieldeutigen Titel "China Trade" - erschien letztes Jahr in einem winzigen, damals kurz vor dem Konkurs stehenden Verlag, ohne jeden Werbeaufwand, ohne einen Hinweis der Kritik in den größeren Zeitungen und folglich ohne jede Resonanz. Zur Fortsetzung wird es, versteht sich, nicht kommen.

Anders ergeht es der anderen mit Preisen überhäuften US-Autorin, Laura Lippman. Ein erster ins Deutsche übersetzter Roman, mit dem Titel "In einer seltsamen Stadt", ist gerade im Hardcover erschienen, Laura Lippman wird außerdem auf einer Lesereise in deutschen Städten unterwegs sein. Lippmans Romane, könnte man sagen, haben zwei Heldinnen. Die eine ist Tess Monaghan, wie Lippman einstmals Zeitungsreporterin, jetzt halblegal operierende Privatdetektivin, die, das weiß sie selbst, bei der Lösung ihrer Fälle mitunter mehr Glück als Verstand hat und den meisten ihrer Kolleginnen an Rauhbeinigkeit wie Schlagfertigkeit unterlegen ist. Die andere Heldin, wenn man so will, ist die Stadt, in der Monaghan ebenso wie Lippman lebt, die beide lieben wie man nur das Missratene lieben kann, nämlich: Baltimore, eine eher kleine Großstadt in Maryland, im Einzugsbereich von Washington D.C., Sitz der berühmten Johns Hopkins Universität, aber auch die Stadt, über die Randy Newman - in seinem Song "Baltimore" - einst, wenig schmeichelhaft, sang: "Hard times in the city / In a hard town by the sea / Ain't nowhere to run to / There ain't nothin' here for free."

Mehr denn je steht in "In einer seltsamen Stadt" Baltimore im Mittelpunkt, entwirft Lippman eine Karte der Sehenswürdigkeiten der Stadt, macht den Leser, als wäre das ganze eine Art Reiseführer mit Krimielementen, mit einzelnen Stadtteilen und Straßenzügen, mit Cafes und der Stadtbibliothek vertraut, vor allem aber mit dem berühmtesten Sohn der Stadt: Edgar Allan Poe. Die Morde, die geschehen, haben mit der Jagd nach diversen echten oder falschen Poe-Memorabilia zu tun und alles beginnt mit einem - offenbar authentischen, aber um nichts weniger skurrilen - Ritual, das alljährlich an Poes Grab stattfindet. Und auch Poes Werk wird geplündert, einzelne Motive verpflanzt Lippman, allerdings auf nicht gerade subtile Weise, in ihre sehr viel behaglichere Welt hinein: das des Doppelgängers, auch der "stibitzte Brief" spielt seine Rolle und zuletzt wird jemand lebendig begraben.

Sehr ungewöhnlich fürs Genre ist die gewählte Erzählperspektive der dritten Person, die Regel sind Ich-ErzählerInnen, deren Blick ganz ungefiltert und subjektiv auf die Welt von kriminellen Widerständen fällt, an der sie sich abmühen, zu der sie, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, ihren Senf geben. Zu Beginn der Serie, als Monaghan noch nicht in die eingefahrenen Gleise der PI-Tätigkeit gerutscht war, schien das sinnvoll zu sein, der Horizont des Erstlings "Baltimore Blues" ging immer wieder über den Bauchnabel Tess Monaghans hinaus. Davon ist jetzt, im sechsten Band der Serie (die Übersetzungen der ersten fünf werden, wie der Verlag verspricht, bis Herbst 2005 folgen), nur noch wenig übrig. Ganz im Gegenteil: auf Schritt und Tritt verfolgt einen Monaghan mit ihren herzensgut liberalen Kommentaren zu Gott und der Welt, grundiert ist das ganze von windelweicher und ergreifend schlichter Kapitalismus- und Medienkritik, die Besitzgier und Geltungssucht zu den beiden im Menschen verankerten Grundübeln erklärt, ohne sich an irgendeiner Form von genauerer Analyse oder Beschreibung die Finger schmutzig machen zu wollen. Der große Erfolg Lippmans in den USA erklärt sich vermutlich genau aus dem guten Gewissen, das diese Form von ideologischer Vereinfachung der Zustände gerade dem liberalen Milieu bereitet.

Keineswegs ist es dagegen so, dass Lippman eine große Autorin wäre: ihre Dialoge sind papieren und enervierend ist ihre Eigenart, jeden Scherz für die ganz Langsamen mit ein zwei Sätzen hinterher noch mal zu erläutern. Es bestätigt sich die verhängnisvolle Regel, dass gerade die Kriminalromane, in denen es um "große" Literatur geht, jede Strenge der Form ebenso wie stilistische Präzision und Eleganz vermissen lassen, als hätten sie einen dunkel gefühlten Mangel durch blindes name dropping zu kompensieren. Erschwerend kommt hinzu, dass die zwei Übersetzer des Buches nicht nur ein Faible für umständliche Formulierungen haben, sondern mit einigen Grundsachverhalten der deutschen Wortverwendung dauerhaft auf Kriegsfuß stehen (Highlights: "Was nützt es, wie clever man ist..."; "eine Tatsache, die verschiedene andere Leute vielleicht auch wußten"). Liebend gerne würde ich das beträchtliche Engagement des Verlags für eine neue, in Deutschland noch unbekannte Autorin preisen. Allein, es geht nicht. Dieser Roman ist ein Ärgernis. Und umso ärgerlicher, als es doch großartige neue Serien im Privatdetektivinnen-Genre gibt. Ich kann nur dringend empfehlen: Lesen Sie lieber SJ Rozan.


Laura Lippman: "In einer seltsamen Stadt". Aus dem Amerikanischen von Gerhard Falkner und Nora Matocza. Rotbuch Verlag, Hamburg 2002. 396 Seiten, gebunden, 19,90 Euro.

Website Laura Lippman.

SJ Rozan: "China Trade". Aus dem Amerikanischen von Christine Spindler. KBV 2001, 266 Seiten, Taschenbuch, 9,50 Euro

Website SJ Rozan.