Magazinrundschau - Archiv

Telerama

71 Presseschau-Absätze - Seite 2 von 8

Magazinrundschau vom 26.01.2016 - Telerama

Die "Kulturrevolution", die die gegenwärtige polnische Regierung mit ihrer restriktiven Gesetzespolitik betreibt, erinnert den Journalisten Tadeusz Sobolewski an die Paranoia der kommunistischen Ära. In einem Gespräch äußert er die Befürchtung, Polen könne unter Jaroslaw Kaczynski zur Diktatur zu werden. "Der Wille dieses Mannes ist es, Kontrolle über die staatlichen Institutionen, das oberste Gericht und die öffentlichen Medien zu erlangen. Polen droht deshalb die Gefahr einer 'Demokratur', einer im Namen der Demokratie eingeführten Diktatur. Kaczynski ist kein Siegertyp, eher ein ständiger Opponent, der eine belagerte Festung verteidigt. Er betreibt eine Politik der Angst. Eine Politik, die sich ihre eigenen Feinde schafft."

Magazinrundschau vom 12.01.2016 - Telerama

Die junge Politikwissenschaftlerin Anastasia Colosimo erläutert im Gespräch die Wahrnehmung des zunehmend religiös motivierten Drucks auf die Meinungsfreiheit in ihrer Generation und erklärt: "Meine Generation befindet sich schon von klein auf in der Wirklichkeit, und diese Wirklichkeit nervt uns ... Denn jene Generation, die das Phänomen der Religion in Frankreich wieder aufsteigen sah, war mitnichten dazu bereit, es mit Bedacht zu analysieren. Sie stand immer noch unter dem Einfluss der marxistischen Lehre und war davon überzeugt, die Religionen hätten sich ein für alle Mal erledigt. Angesichts ihrer Rückkehr stellte sich heraus, dass sie wehrlos war. Und sich zu lange damit begnügte zu behaupten, die Terroristen wären 'Amokläufer'."

Magazinrundschau vom 05.01.2016 - Telerama

Wegen Bildern wurde in Paris 2015 gemordet. Darum stoßen die Forschungen des Bildwissenschaftlers Horst Bredekamp in Frankreich auf großes Interesse. Im Gespräch mit Juliette Cerf erklärt er, was unter "Bildaktivität" zu verstehen ist: "Schon Aristoteles sprach von der in der Form enthaltenen Energie. Nehmen wir als Beispiel die Pläne für den Petersdom in Rom, die von Bramante gezeichnet wurden. Sie trafen die Vorstellungen des Papstes Julius II. so genau, dass er die alte Basilika des Konstantin abreißen ließ, um die Pläne Bramantes zu verwirklichen. Seine Zeichnungen hatten eine verschwindende Materialität, und doch haben sie Geschichte gemacht. Und der Bau der neuen Basilika, der vom Ablasshandel finanziert wurde, hat die protestantische Reformation ausgelöst."

Magazinrundschau vom 15.12.2015 - Telerama

Michel Abescat unterhält sich mit dem Philosophen Alain Deneault über dessen Buch zum Begriff der "Mittelmäßigkeit". Seine These: Die Mittelmäßigkeit hat in der Politik wie in Unternehmen "die Macht übernommen", der Durchschnitt wurde zur Norm, es dominiert der Kompromiss, Ideen wie Menschen werden austauschbar und wir leben in einer "betäubenden Revolution". Vor allem im politischen Denken regieren Mittelweg und Durchschnittlichkeit. "Die Unterschiede zwischen den Ansichten der einen und der anderen Seite sind minimal, unter dem Anschein von Uneinigkeit divergieren eher die Symbole als die Grundeinstellungen. 'Augewogene Maßnahmen', 'goldener Mittelweg' oder 'Kompromiss' sind zu Fetischbegriffen erhoben. Das ist die politische Ordnung der extremen Mitte, in der die jeweilige Position weniger mit einem Punkt auf der Rechts-Links-Achse korrespondiert, sondern - zugunsten einer einzigen Herangehensweise und einer einzigen Logik - mit dem Verschwinden dieser Achse. In diesem mittelmäßigen Kontext regiert die Schwindelei."

Magazinrundschau vom 08.12.2015 - Telerama

Französische Politiker haben die Tendenz, nach den Anschlägen in Paris jegliche sozialwissenschaftlichen Erklärungsversuche zurückzuweisen, behauptet der Soziologe Bernard Lahire in einem Gespräch. Wissenschaftler, die es versuchen, würden sofort der "Einfühlsamkeit" gegenüber den Gewalttätern verdächtigt. "Indem man die Soziologen, deren Tätigkeit darin besteht zu verstehen, was passiert, wenn es zu Straftaten oder Verbrechen kommt, beschuldigt, diese Verbrechen zu 'entschuldigen', tut man so, als befänden sie sich in einem Gericht und forderten den Freispruch der Täter. Wir arbeiten aber nicht in einem Gericht."

Magazinrundschau vom 01.12.2015 - Telerama

In einem Gepräch mit dem Philosophen Marc Crépon, Autor eines Buchs über die "Kultur der Angst", geht es um die psychischen Folgen der Terroranschläge von Paris. Wie kann man Angst akzeptieren, ohne in generelles Misstrauen zu verfallen, wie mehr Sicherheit einfordern, ohne Grundrechte aufzugeben? "Angst ist legitim angesichts dieses Traumas der Wiederholung, das Ereignis selbst beinhaltet bereits die Möglichkeit, dass es sich wiederholt. Der Angst nicht nachgeben soll nicht heißen, sie nicht zu empfinden, sondern sie nicht Besitz von uns ergreifen zu lassen. Die Terrorgewalt ist in unser Leben eingedrungen, hat unser natürliches Grundvertrauen in unser Transportsystem, in die öffentlichen Räume, die wir durchqueren, in die Menschen, die uns begegnen, zerstört. Die Zerstörung dieses Vertrauens ist die furchtbarste Waffe der Terroristen. Jeder muss nun versuchen, es wiederherzustellen, in sich selbst und in andere. Und auch das liegt in dem Satz 'Der Angst nicht nachgeben', der vielleicht etwas Beschwörendes hat, aber auch etwas Schönes, weil Widerständiges."

Magazinrundschau vom 24.11.2015 - Telerama

Im Interview versucht der französisch-iranische Soziologe Farhad Khosrokhavar zu erklären, weshalb so viele junge Franzosen unter den neuen Dschihadisten sind. Angetrieben durch eine "tödliche Religiosität" sowie einen Selbsthass, der zum Hass auf andere wird, ziehe sie besonders die Verbotsmentalität des IS an. "Vor allem sind sie über alle Maßen in repressive Regeln verliebt. Sie wollen feste Rahmen. Die Umkehrung des Mai 68 ist unübersehbar: Vergessen Sie 'verbieten ist verboten', das Verbot ist zu einer absoluten Komponente und Sehnsucht ihrer Psyche geworden. Je mehr der IS verbietet, desto attraktiver wird er! Im Mai 68 hieß es auch 'Macht Liebe, nicht Krieg', der IS schlägt genau das Gegenteil vor: 'Macht erst Krieg, und was die Liebe betrifft, muss sie von den strengsten Normen des Islam umrahmt sein.'"

Magazinrundschau vom 13.10.2015 - Telerama

Olivier Pascal-Mousselard unterhält sich mit dem Ethnologen David Graeber, Galionsfigur von Occupy Wall Street, unter anderem über dessen neues Buch, in dem er sich die Bürokratie vornimmt, diese "Geißel des Kapitalismus". Zum Glück, so Graeber, stehe jener aber kurz vor dem Zusammenbruch. Auf die Frage, was darauf folgt, antwortet er: "Ich frage mich weniger, wie man zu seinem Sturz beitragen kann, als vielmehr, wie man sicherstellen kann, dass was ihn ersetzt, besser ist ... In den Achtzigern zerfleischten sich Marxisten aller Couleur über folgendes Problem: Man weiß, dass die Geburt des Kapitalismus mit der Urbanisierung und der Entwicklung des Handels mehr oder weniger auf das Jahr 1500 festgelegt ist, allerdings gibt es vor 1750 eigentlich keine Industrialisierung und Lohnarbeit. Wie hat man zwischen diesen beiden Daten gelebt? Die Antwort scheint mir eindeutig: In diesen 250 Jahren (also 50 Prozent der Lebenszeit des Kapitalismus) wussten die Menschen nicht, dass sie das Modell gewechselt hatten. Folgt man dieser Logik, könnten wir dem Kapitalismus heute entwachsen sein, ohne uns dessen bewusst zu sein. Immer noch dabei, ein neues Modell aufzubauen, ohne zu wissen, worum es sich dabei handelt."

Ein weiteres Gespräch mit Graeber ist auf Rue89 zu lesen.

Magazinrundschau vom 28.04.2015 - Telerama

Frankreich hält sich ja einiges auf seine revolutionäre Geschichte zugute. Gilles Heuré unterhält sich mit dem Historiker Jean-Claude Caron über den von ihm herausgegebenen Band "Paris, l"insurrection capitale", in dem der Bogen vom Sturm auf die Bastille bis zu den Krawallen in den Banlieus 2005 gespannt wird und die Komponenten dieses sehr französischen Phänomens untersucht werden. Caron erklärt darin aber auch die Gründe für das voraussichtliche Verschwinden der Revolte in der gegenwärtigen politischen Landschaft: "Der klassische Aufstand, bei dem man auf die Barrikaden geht, ist heutzutage archaisch. Protest erfordert in Zukunft große Mobilität, man muss seinen Standort wechseln, sich verteilen und schnell wieder neu formieren, um sich der Logistik der Polizeikräfte zu entziehen, auch wenn diese über sehr raffinierte repressive Techniken verfügt und die sozialen Netze zu nutzen weiß. Ebenfalls zu bedenken: Die Regierung muss gegen Gewaltakte vorgehen, eine Aufgabe, die heute aber durchgeführt werden muss, ohne dass es Opfer gibt."

Magazinrundschau vom 31.03.2015 - Telerama

Yohav Oremiatzki erinnert an das Schweigen über die Shoah in der Gründungsphase Israels. Damals, so die Überschrift seines Artikels, hätten "Taube zu Stummen gesprochen": "Im unter Verwaltung stehenden Palästina fragt sich die Presse, wie nach dem Genozid die Zukunft zu gestalten sei. Und sie unterstützt die Aufnahme der Überlebenden im Schoße der Jischuw, indem sie sich auf die Zeitzeugen stützt. Dennoch "betrachtete man die Shoah immer aus einem lokalen Blickwinkel, sie machte nie die großen Schlagzeilen", betont der Historiker Tom Segev nach seiner Sichtung der Archive der Tageszeitung Haaretz." Man habe sie Ende 1942, als die ersten Überlebenden ins Land kamen und von den Gräueln berichteten, nicht als "nationale Katastrophe" aufgefasst, meint die Historikerin Hanna Yablonka und beschreibt die unmittelbare Reaktion darauf so: "Schock, Trauer, Ungläubigkeit. Dieser Schock ereignete sich jedoch, als die Bildung eines jüdischen Staats möglich wurde. Die Alternative war simpel: alles wieder aufwärmen und den Unabhängigkeitskampf möglicherweises verlieren oder verdrängen und sich der Zukunft zuwenden.""
Stichwörter: Israel, Segev, Tom, Shoah, Genozide