Magazinrundschau - Archiv

Der Spiegel

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Magazinrundschau vom 29.08.2006 - Spiegel

Der Schriftsteller Salman Rushdie ruft im Interview dazu auf, dem Terrorismus zu trotzen, dem er nicht zubilligen will, "legitime Ziele durch irgendwelche illegitimen Mittel" zu verfolgen. "Lenin hat Terrorismus einmal als 'bourgeoises Abenteurertum' beschrieben. Ich glaube, an diesem Punkt lag er einmal nicht falsch: Das trifft's. Man darf den Grundgedanken jeglicher Moral nicht negieren: dass Individuen für ihre Handlungen selbst verantwortlich sind. Und individuell sind wohl auch die Auslöser. Dabei spielt sicher die Erziehung eine große Rolle, die Vermittlung eines falsch verstandenen Sendungsbewusstseins, das zu 'Aktionen' drängt. Dazu kommt eine Herdenmentalität, wenn man einmal in eine Gruppe integriert ist und jeder den anderen immer weiter in eine Zwangssituation hineintreibt. Es gibt den Typ, der glaubt, seine Tat würde die Menschheit aufhorchen lassen und ihn zu einer historischen Gestalt machen. Dann gibt es den, der sich einfach zur Gewalt hingezogen fühlt. Und ja, ich denke, auch Glamour spielt eine Rolle." Klingt - bis auf den letzten Satz - wie eine Beschreibung der Nichtraucher-Brigade. Das Interview darf man online lesen - aber nur auf Englisch!

Alexander Smoltczyk erzählt eine moderne Tragödie "aus den dunklen Nischen der Weltpolitik" - die Geschichte Äquatorialguineas, dass sich binnen zehn Jahren von einem malariaverpesteten Schurkenstaat zum guten Freund der USA entwickelt hat: "Staatspräsident Teodoro Obiang Nguema Mbasogo ist ein hagerer Mensch. Er sei ein ausgezeichneter Tennisspieler und wird von Menschen, die ihn kennen und im Land bleiben wollen, als bescheiden und auskömmlich beschrieben. Menschrechtsorganisationen führen ihn in der Liga von Idi Amin und Pol Pot. Er gibt einige Möglichkeiten, von der US-Liste der Schurkenstaaten gestrichen zu werden. Regimewechsel, runde Tische, Verschrottung von Waffen und Folterbänken sind denkbar, aber der einfachste Weg, als ehrenwert zu gelten, ist, Öl zu finden. Viel Öl. Denn Autofahren wollen sie alle." (Die CIA ist da politisch korrekter als die Bush-Regierung.)

Magazinrundschau vom 15.08.2006 - Spiegel

"Es reicht!", meint die deutsch-amerikanische Schriftstellerin Irene Dische in einem Kommentar zu Jostein Gaarder (mehr hier) und anderen Kritikern Israels, die sich nur höchst ungern über israelische Kriegsopfer, Menschenrechtsverletzungen in den palästinensischen Gebieten oder den vulgären Antisemitismus im Libanon empören und nicht sehen wollen, dass Israel von Staaten umgeben ist, die ihm das Existenzrecht absprechen: "Kein anderes Land, das um sein Überleben kämpft, würde so beurteilt werden. Es ist gut möglich, dass der gegenwärtige Konflikt nur der Auftakt zu einem großen Drama ist, das mit dem Erlöschen des jüdischen Staates endet, der, wie in einer griechischen Tragödie, genau das heraufbeschwört, was er vermeiden will: den Untergang. Und wenn Israel schließlich ins Meer gestoßen ist, gibt es eine zugegebenermaßen krankhafte Genugtuung für mich: Leute wie Jostein Gaarder müssen sich andere Objekte für ihren Hass suchen."

Weiteres: Der Titel ist den jüngsten Attentatsplänen der al-Qaida gewidmet, die, so Yassin Musharbash, ihre früheren Ausbildungscamps längst durch Schulungskurse im Internet ersetzt hat. Zu lesen ist auch ein Vorabdruck aus Henryk M. Broders neuem Buch "Hurra, wir kapitulieren", eine Abrechnung mit der Appeasement-Politik des Westens gegenüber dem militanten Islam. Hans-Michael Kloth und Klaus Wiegrefe haben beim Blick in die Archive festgestellt, dass die Führungsspitze des Bundes der Vertrieben stärker mit Ex-Nazis besetzt war als bisher angenommen: Bis in die achtziger Jahre waren demnach von etwa 200 Funktionäre ein Drittel Mitglied der NSDAP oder anderweitig belastet.

Magazinrundschau vom 20.06.2006 - Spiegel

Vierzig Jahre lang hat sich der Schriftsteller Günter Grass an den Springer-Boykott gehalten, nun hat er sich mit Vorstandschef Mathias Döpfner zu einem Gespräch getroffen: Politisch sind sich beide immer noch nicht grün, Döpfner räumt allerdings ein, dass die Auseinandersetzungen um 68, Rudi Dutschke und Heinrich Böll dem Land und dem Verlag geschadet haben: "Bis heute. Durch Fehlwahrnehmungen und Fehlentwicklungen der Bundesrepublik. Durch eine Wagenburg- und Bunkermentalität in unserem Verlag. Und durch Klischees, die bis heute wirken. Es gab Vorwürfe, die grotesk sind. Axel Springer als Faschisten zu bezeichnen, ist einfach zutiefst ungerecht. Er war Antifaschist." Aber weiter geht er nicht! "Grass: 'Was das Springer-Haus mit Böll angestellt hat, ist eine Schande für Ihre Zeitungen. Ich möchte Sie eigentlich bitten, lieber Herr Döpfner, doch die Größe aufzubringen, sich in aller Form und deutlich lesbar an exponierter Stelle zu entschuldigen.' Döpfner: 'Herr Grass, wenn man die frühen 68er-Schlüsseltexte liest, dann kann ich nur sagen, eine Entschuldigung müsste dort anfangen.'"

In einem Debattenbeitrag äußert sich auch Joachim Gauck ehemaliger Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, zu der Forderung der so genannten Sabrow-Kommission, bei der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit stärker den Alltag miteinzubeziehen (hier der Kommissionsbericht): "Die Aufarbeitung der DDR-Diktatur wird scheitern, wenn wir nur über die Stasi-Gräuel sprechen. Denn bei der Fixierung auf den Geheimdienst kommen wesentliche Bereiche des Lebens in der 'sozialistischen' Gesellschaft nicht vor: weder die führende Rolle der SED noch die differenzierten Anpassungs- und Karrieremuster. Denn die DDR-Bevölkerung ist in großen Teilen geprägt durch ein Angst-Anpassungssysndrom, das keineswegs vom Polizei- und Geheimdienst allein geschaffen war."

Weiteres: Der Titel ist der derzeitigen "Deutschland-Party" gewidmet, die Cordt Schnibben hymnisch besingt: "Die Menschheit feiert sich selbst in solchen Momenten, sie feiert ihre Kreativität, sie feiert ihre Vielfalt, sie feiert ihr Miteinander." Im Interview mit Moritz von Uslar antwortet Simon Rattle Kritikern, die ihm vorwerfen, er habe den Klang der Berliner Philharmoniker verflacht: "Es hat für mich wenig Sinn, zu sagen: Gebt mir euren alten Karajan-Sound! Die große Mehrheit der Philharmoniker hat ihn nie gehört." Wichtig sei vielmehr, "dass der Ton sich vom Boden abhebt, Flügel bekommt und hoch hinausgeht".

Magazinrundschau vom 09.05.2006 - Spiegel

"Es gibt ein paar große Männer in Deutschland, die machen sich große Sorgen. Wir sterben aus, sagt die Angst." Elke Schmitter (mehr hier) hat auch über den Geburtenrückgang nachgedacht und kann - "so als Frau" - nur sagen: "Entspannt euch, Jungs." Denn: "Seit über Geburtenraten nachgedacht wird, sind es die falschen, die Kinder bekommen. Das Bürgertum hat sich immer 'von unten' bedroht gefühlt. Und kam damit am besten zurecht, wenn Wirtschaft und Gesellschaft den Kindern der Armen und Ungebildeten Aufstieg und Teilhabe versprachen. Das ist derzeit nicht der Fall. Die alte Angst vor den Pauperisierten nimmt zu; so ist es kein Wunder, dass die warnenden Apelle vor allem an die akademisch gebildeten Frauen ergehen: 'Wir', die guten deutschen Mittelständler, sollten uns stärker reproduzieren. Darüber auf diese Weise zu reden ist wohl das Prickelndste seit dem Slogan: 'Wir schenken dem Führer ein Kind'."

Abgedruckt wird auch Durs Grünbeins Dankesrede zur Verleihung des Berliner Literaturpreises, in der er eine Eloge auf die Hauptstadt hält: "Einmal quallige Kapitale eines aufquellenden Reiches, später ein Trümmerhaufen für verlorene Seelen, heute ihr föderales Rückzugsgebiet, ein Mottensofa am Straßenrand und ein ausgeweideter Kulturpalast, etwas tief Unterirdisches immer, Labyrinth aus Bunkern und U-Bahn-Tunneln, zuletzt Hort bummernder Techno-Parties, doch kaum tritt man ans Licht hinaus auf eine der gewaltigen Brachflächen, fallen die Mauern, man sieht die sternklare Nacht und andertags das seltsamste Blau unter Deutschlands Himmeln."

Weiteres: Das Titeldossier ist der Koalition der Reform-Unwilligen gewidmet. Georg Mascolo und Jan Puhl porträtieren den polnischen Verteidigungsminister Radoslaw Sikorski, der in Oxford studiert hat, für den Spectator über die sowjetische Invasion in Afghanistan berichtete und mit der amerikanischen Kolumnistin und Historikerin Anne Applebaum verheiratet ist. Und Lars-Olav Beier und Martin Wolf beklagen, dass deutsche Schauspieler der Rolle des Stars nicht gewachsen sind.

Magazinrundschau vom 02.05.2006 - Spiegel

Im Interview mit Alexander Osang spricht der amerikanische Autor Phillip Longman über die Rückkehr des Patriarchats, die er kürzlich in einem Essay in Foreign Policy prophezeit hat. Um es klar zu stellen: Dies ist für ihn keine unbedingt positive Vision: "Die Europäer bekommen immer einen Schreck, wenn sie das Wort Patriarchat hören, sie denken wohl an ein muslimisches Modell, eine Art importiertes Patriarchat, in der Ehebrecherinnen gesteinigt werden. Aber die Form, die ich meine, entwickelt sich aus der Gesellschaft heraus, nur durch die Bevölkerungsdynamik. Es hängt alles davon ab, wer die Kinder bekommt. Und das sind bei uns die Konservativen." Und: "Ich glaube, dass wir in einer Patriarchalischen Welt viele individuelle Freiheiten verlieren werden. Aber wir sind ja selbst schuld. Seit den sechziger Jahren beschäftigt sich die amerikanische Linke vor allem mit Selbsterforschung, Selbstverwirklichung, Selbstbefreiung, Homosexualität, Abtreibung und vernachlässigt eine ihrer ältesten Traditionen: den Familien- und Mutterschutz."

Und in einem Gespräch mit Erich Follath und Hans-Jürgen Schlamp erklärt der Soziologe Lord Ralf Dahrendorf, warum ihm die Rede vom Kampf der Kulturen zuwider ist und warum die derzeitigen Auseinandersetzungen kein Anzeichen für ein gesteigertes Selbstbewusstsein der islamischen Welt sind: "Wenn man 10.000 Demonstranten, die irgendwo gerade gegen die USA polemisieren, amerikanische Einwanderungsvisa anbieten würde, dann würden die alle jubeln und zugreifen. Wir haben es mit einem Teil der Welt zu tun, der in den letzten Jahren nicht richtig mitgekommen ist - auch im Vergleich zu Indien und China. Daher gibt es dort viele Menschen, deren Frustrationen man ausnutzen kann. Das ist kein Kampf der Kulturen."

Magazinrundschau vom 21.03.2006 - Spiegel

In Spiegel online spricht Henryk M. Broder mit Feridun Zaimoglu über Shakespeare, die Väter seiner Freundinnen, Gott und Ehrenmorde: "... sie ziehen alle Aufmerksamkeit auf sich. Die Leute reden dann von der Islamisierung Europas und übersehen dabei, dass es auch eine Europäisierung der Muslime gibt, die hier leben. Das sind inzwischen gute Deutsche, die von ihrer Umgebung beeinflusst worden sind. Auf dem Höhepunkt des Streits um die Mohammed-Karikaturen rief mich ein Bekannter an, ein gläubiger Muslim, und sagt: 'Ist das nicht ekelhaft?' Und ich denke, er meint die Karikaturen, frage aber vorsichtshalber: 'Was meinst du?' Und er sagt: 'Mach' das Fernsehen an und schau dir diese Idioten an!' Er meinte die Demonstrationen gegen die Karikaturen!"

Magazinrundschau vom 07.02.2006 - Spiegel

Die niederländische Politikerin Ayaan Hirsi Ali fordert im Interview den Westen auf, die Mohammed-Karikaturen "überall" zu zeigen. Für eine Entschuldigung gebe es keinen Grund. Es "vergeht kein Tag, an dem nicht radikale Imame in ihren Moscheen Hass predigen. Sie nennen Juden und Christen minderwertig, und wir gesetehen ihnen dies als Meinungsfreiheit zu. Wann erkennen die Europäer, dass die Islamisten dieses Recht ihren Kritikern nicht zubilligen?"

Magazinrundschau vom 03.01.2006 - Spiegel

In einem Essay beschreibt Cordt Schnibben das Dilemma der bürgerlichen Parteien, konservativ sein zu wollen und neoliberal sein zu müssen: "Das bürgerliche Lager fordert von seinen Anhängern und Wählern, schizophren zu sein. Vertraue dem Markt, aber rechne mit seiner Willkür; plane weitsichtig, aber riskiere alles; konsumiere aus vollen Händen, aber sorge fürs Alter; such das Neue, aber schätze die Tradition; denke global, aber liebe deine Heimat; misstraue dem Staat, aber gehorche ihm."

In einem Interview erklärt der Historiker Karl Schlögel, warum der kulturelle Geist Europas in den Städten des Osten wiedererwachen wird: "Ich ärgere mich schon lange darüber, dass immer so getan wird, als entstehe das neue Europa bei den Konferenzen in Straßburg und Brüssel. Natürlich blicken alle nach Westen, aber Europa ist nicht an der Oder zu Ende. Europas Karte wird neu gezeichnet. Ich glaube, dass es langfristig zu einer Verschiebung der Zentren nach Osten kommen wird. Man wird sehen, welches Potenzial in den Städten des Ostens steckt. Es gibt unzählige Menschen, die im Pendelverkehr zwischen Ost und West unterwegs sind, die täglich an der Einheit Europas arbeiten."

Außerdem: Die Titelgeschichte lüftet das Geheimnis um die erste, von Pharao Snofru erbaute vollkommene Pyramide. Und in einem weiteren Interview spricht die Psychologin Kay Jamison über ein bisher unterschätztes Problem: Menschen mit notorisch guter Laune.

Magazinrundschau vom 29.11.2005 - Spiegel

Alexander Smoltczyk war mit Giuliano Ferrara (Bild) essen. Der frühere Kommunist ist heute der intellektuelle Kopf der römischen Neokonservativen. Und er gibt die "spannendste Zeitung Italiens" heraus, meint Smoltczyk. "Il Foglio ist ein Journal des journalistischen Luxus und der intellektuellen Moden. Eine anregende Mischung aus taz, FAZ-Feuilleton und Osservatore Romano, wo ebenso zwei engbedruckte Seiten über das fußballerische Genie des Stürmerstars Roberto Mancini stehen können wie das Lehrschreiben 'Dominus Jesus' der Glaubenskongregation. Es gibt eine Knastseite und die beste Kriminalchronik des Landes." Verheiratet ist der Abtreibungsgegner Ferrara mit einer italo-amerikanischen Feministin. Zu den USA hat er schon lange gute Beziehungen. In den Achtzigern "begann er, der CIA regelmäßig politische Analysen zuzuspielen. 'Geld hat es nicht viel gebracht. Aber mir gefiel das Unmoralische daran. Und es war gut für meinen Narzissmus.'"

Magazinrundschau vom 15.11.2005 - Spiegel

Erich Follath und Romain Leick nehmen den einflussreichen, aber umstrittenen Islamwissenschaftler Tariq Ramadan in die Zange, der im Interview über seine Vorstellung vom europäischen Islam und die Aufstände in den französischen Vorstädten spricht ("Der Islam hat mit dieser Revolte nichts zu tun"). Auf die Frage, warum er nur ein Moratorium für die Steinigung von Ehebrecherinnen verlangt hat, aber kein Ende ("Tariq Ramadan, sind Sie ein Heuchler?") antwort er: "Der Islam kann sich nur von innen heraus modernisieren. Wenn ich mich hinstelle und sage, ich verurteile Steinigungen, diese Strafe ist abscheulich, ändert das gar nichts. Meine Glaubensbrüder werden sagen: Bruder Tariq, du bist Europäer und Schweizer geworden, du gehörst nicht mehr zu uns. Ich will einen Besinnungs- und Denkprozess in der islamischen Gemeinschaft in Gang bringen. Kritik und Attacken von außen tragen nur zur Verkrampfung bei."

Marcel Rosenbach bereitet uns auf den Internet-Gipfel WSIS vor, auf dem diese Woche in Tunis darüber verhandelt wird, wer das Internet kontrolliert. "Für die USA ist der Fall klar, sie votieren, schon aus Tradition, für die einzige Macht, der sie wirklich vertrauen: sich selbst - und erklärten diese Position im Oktober zur Sicherheit schon mal als 'nicht verhandelbar'. Dies wiederum findet eine große und recht heterogene Allianz absolut nicht akzeptabel. Sie reicht von China und Iran über Brasilien und Südafrika bis zur EU, und das ist neu. Vor zwei Jahren stärkten die Europäer ihren amerikanischen Freunden noch den Rücken. Nun verlangt auch Brüssel mehr Mitspracherechte für die internationale Staatengemeinschaft und ein Ende der amerikanischen Hegemonie über den Cyberspace."

In der reichlich aufgemotzten, aber nicht uninteressanten Titelgeschichte geht es um die studentische Opposition in den letzten Autokratien Osteuropas und ihre internationale Vernetzung.