Magazinrundschau - Archiv

Magyar Narancs

287 Presseschau-Absätze - Seite 7 von 29

Magazinrundschau vom 10.12.2019 - Magyar Narancs

Der Dichter und Literaturwissenschaftler Dániel Varró spricht im Interview mit Orsolya Karafiáth u.a. über die Herausforderung für Intellektuelle, sich bei Fragen zu positionieren, die beinahe ausschließlich nach der politischen Zugehörigkeit beantwortet werden. "Ich habe immer mehr das Gefühl, dass man der Frage nach der politischen Einstellung nicht mehr ausweichen kann. Die eingestellten oder existentiell bedrohten Zeitschriften, die Theater, all dies betrifft mich unmittelbar. Viele meiner Freunde und Bekannte haben ihre Jobs verloren oder bekamen Arbeiten und Aufträge nicht, weil sie öffentlich Position bezogen haben. Ich spüre, dass dies wie ein Schirm immer mehr unser ganzes Leben überdeckt. Es vergiftet auch vollkommen unschuldige Situationen. Sagen wir mal, ich werde gefragt - und ich werde oft gefragt - nach meinem zeitgenössischen Lieblingsdichter, dann antworte ich auf diese offensichtliche Frage mit zunehmend schlechtem Geschmack im Mund. Denn meine zwei Lieblingsdichter sind - wie ich es in einem Interview las - dieselben, wie die von János Dénes Orbán (der Beauftragte der gegenwärtigen Regierung für Literatur - Anm. d. Red.): Lajos Parti Nagy und Géza Szőcs. Soll ich künftig nur den einen nennen?"
Stichwörter: Varro, Daniel, Ungarn

Magazinrundschau vom 19.11.2019 - Magyar Narancs

Im Interview mit Tamas Soos setzt der Filmemacher und Theaterregisseur Szabolcs Hajdu ("Bibliotheque Pascal", 2010 und "It's not the time of my life", 2016) keine Hoffnungen mehr in das Filmfinanzierungssystem Ungarns: "Ohne Konsultation, arrogant zwang man uns ein System auf, so wie es gegenwärtig in allen Bereichen des Lebens hierzulande passiert. Später wollte sich der Filmfonds mäßigen, doch die Zerstörung der Autonomie der Branche und damit der Verlust der Würde der Mitwirkenden war irreparabel. (...) Es gab große Debatten, ob Gegenwehr eine Chance hätte. Ich denke, dass sie am Anfang sinnvoll gewesen wäre, denn es gab noch kein System, es gab eine Gemeinschaft, eine Art Kraft und eine kritische Masse, doch das drehte sich ziemlich schnell und alles zerstreute sich. Die meisten glitten wie Metallspäne zum Magnet. Heute denke ich, dass es vollkommen sinnlos ist, mit den Vertretern der Macht Armdrücken zu veranstalten. ... Wenn es keine Partner gibt, dann muss man es alleine machen. So sieht es jetzt aus. Wir machen unabhängigen Film und unabhängiges Theater."

Magazinrundschau vom 17.12.2019 - Magyar Narancs

Stefano Bottoni, ein Historiker mit italienischen und ungarischen Vorfahren, war bis Mitte des Jahres wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ungarischen Akademie der Wissenschaften (MTA). Nach der Ausgliederung der kritischen wissenschaftlichen Kollegien der Akademie durch die Regierung nahm Bottoni einen Ruf der Universität Florenz in Italien an. Dort erschien vor kurzem seine historisch-soziologische Abhandlung über die Entstehung von Viktor Orbans sogenanntem "System der nationalen Kooperation": "Orbán - Un despota in Europa" (mehr hier). Im Gespräch mit Ferenc M. László sagt er: "Wenn wir anerkennen, dass wir es mit einem regionalen Phänomen nach 1990 zu tun haben, dann wurde in gewisser Hinsicht tatsächlich die Idee aufgegeben, dass Ungarns Platz im Westen ist. ... Orban hat verstanden, wie er gleichzeitig drinnen und draußen sein kann. Er weiß, dass die ungarische Gesellschaft westliche Sehnsüchte und Attitüden hat und er erkannte frühzeitig - was man im Westen jetzt erst langsam begreift -, dass er sein System ohne EU-Gelder nicht aufrechterhalten kann. Darauf baut das ganze wirtschaftliche Hinterland seiner Partei. Pfauentanz, könnten wir sagen. Aber es wäre ein Fehler zu glauben, dass dies die Essenz seines Systems sei: die Unterordnung der Prinzipien unter die Interessen. Es wird immer öfter darüber gesprochen, dass die Ungarn ein halb-asiatisches Volk seien. Auf der Ebene der Rhetorik entfernen wir uns immer weiter vom Westen."

Magazinrundschau vom 12.11.2019 - Magyar Narancs

Der Schriftsteller László Krasznahorkai spricht im Interview mit Imre Körizs u.a. über das Schreiben als zwanghafter Schaffungsprozess. "Dass durch Ausblendung ein Charakter stärker wird, ist eine sehr alte Wahrheit und wenn ich Züge weglasse, egal ob ich visueller Künstler bin oder mit Wörtern arbeite, dann übergebe ich diese Lücke in jenem Augenblick dem Zuschauer und er füllt sie dann aus. Diese Gegenseitigkeit ist das, was die künstlerische Distanz in einem Punkt verdichtet. (…) Ich habe gar nicht die Absicht zu schreiben. Ich spüre keinen romantischen Zwang. Es ist eher so, dass Figuren erscheinen und sich Ereignisse ereignen in Bereichen, die von der realen Welt unberührt sind, von deren Existenz ich aber überzeugt bin, weil ich sie erfahre. Ich verstehe das nicht so wie jemand, der mit der Stimme eines Wahnsinnigen spricht, oder das ganze mystifizieren will, aber das Festhalten dieser Wesen und ihrer Geschichten, ihre Einbettung in einen wirklichen Raum, was in meiner Situation ein fiktiver Raum ist, wird nach einer gewissen Zeit unausweichlich. (…) Ich kann nichts machen (...) denn diese mich erdrückenden oder stärkenden Gestalten, mit ihren Schicksalen sind nicht in der Lage durch musikalische Töne oder mathematische Formeln in der Wirklichkeit zu erscheinen; sie brauchen meine Worte. Ich bin gefangen."

Magazinrundschau vom 22.10.2019 - Magyar Narancs

Der Musiker, Musikwissenschaftler und Hochschullehrer Csaba Hajnóczy organisierte an der Kunstuniversität Moholy-Nagy in Budapest die Gründungskonferenz des Central European Network for Sonic Ecologies. Im Interview erklärt Hajnóczy, auch Gründungsmitglied von "Kontroll Csoport", einer legendären Band der alternativen ungarischen Underground-Szene der 80er Jahre, was es mit diesem Netzwerk für akustische Ökologie auf sich hat: "Meine Vorstellung war, dass man diejenigen in dieser Region, die an akustischer Ökologie und an der Untersuchung von Klanglandschaften interessiert sind, zusammenbringen könnte. Die Mehrheit der Teilnehmer waren Künstler, die sich mit Klängen beschäftigen, aber es gab auch Wissenschaftler von Feldern jenseits der Künste. (…) Lautstärke kann an sich schon störend, ja gar gesundheitszerstörend sein. Trotzdem ist das Geräusch kein einfacher Begriff, denn seine wahre Wirkung kann schlecht in Ziffern ausgedrückt werden. Der 'nicht gewünschte Ton' bedeutet nicht unbedingt eine hohe Dezibel-Zahl. Eine psychoakustische Wirkung kann auch ohne Betäubung ausgesprochen negativ sein. Eine weitere negative Wirkung von Geräuschen ist, dass es andere wichtige, mit Informationen gefüllte Töne verdeckt. (…) Es wäre sehr wichtig mit so vielen Experten zusammenzuwirken, wie nur möglich; mit Städtebauern, mit Nationalparkbetreibern, mit Biologen, die nicht aus dem Bereich der Musik kommen, sondern aus der sozialen Sphäre oder aus der Natur."

Magazinrundschau vom 05.11.2019 - Magyar Narancs

Nachdem die bisherige Opposition die Kommunalwahlen in Budapest gewonnen hat, denkt Viktória Rozgonyi-Kulcsár, geschäftsführende Direktorin des unabhängigen Theaters Jurányi, über eine gerechte Kulturförderung nach: "Ich glaube daran, dass man selbstversorgend, nicht profitorientiert, aber doch rentabel funktionieren muss und nicht nur mit dem Geld wirtschaften darf, was wir vom Staat bekommen. In dieser Hinsicht stehen wir ganz gut da, wir können die staatlichen Gelder vervielfachen. Doch ganz ohne staatliches Geld gibt es keine Kultur. (…) Ich würde auch das schwerer rezipierbare Experimentaltheater fördern, das kleinere Zielgruppen erreicht, weil es ein ganz wichtiger Teil der Theaterkultur und im Bereich der unabhängigen Theater unerlässlich ist. Aber man sollte auch jene nicht bestrafen, die jeden Abend für 600 Menschen spielen. Das ist schwierig, weil es einer strengen, fachlich-professionellen Kontrolle bedürfte. Das ganze Fördersystem kann nur dann funktionieren, wenn wir neben der Kontrolle seriöse, fachliche Informationen haben: Wer bekommt wie viel, warum und wofür, welche Vorgaben müssen erfüllt werden. Gerne gebe ich hier Einblick in unsere Dokumente, mich stören die Kontrollen nicht, obwohl sie unglaublich viel Zeit, Papier und Geld in Anspruch nehmen. Es soll ein starkes Monitoring geben, wenn dies im Einklang mit fachlichen Entscheidungen steht und ersichtlich ist, dass diese konsequent sind."

Magazinrundschau vom 28.10.2019 - Magyar Narancs

Im Interview mit Szilárd Teczár spricht der Philosoph Gáspár Miklós Tamás u.a. über die innere Dynamik des seit 2010 entstanden Regimes in Ungarn sowie über ihre politische Rezeption außerhalb des Landes. "Das Orbán-System ist das Flaggschiff der europäischen Rechtsradikalen. Es braucht keine Gewalt oder totalitäre Methoden, wir sitzen nicht im Gefängnis, unter anderem deshalb nicht, weil es keinen Widerstand gibt. Das System ist populär, aber nicht so, wie anfänglich faschistische Systeme populär waren, die auf riesige Massenbewegungen, Begeisterung, Charisma und kollektiven Wahnsinn fußten. In Ungarn gibt es keinerlei Massenbewegung, Viktor Orbán selbst löste die Partei Fidesz mit den Bürgerkreisen vor einigen Jahren auf. Anstatt von charismatischer Herrschaft und Übermobilisierung gibt es Demobilisierung und Atomisierung. Entgegen der geltenden Ordnung hält die Regierung das Gefühl der äußeren Bedrohung aufrecht: Flüchtlinge, NGOs, 'Genderfaschisten', 'Klimakommunisten', der Soros-Papst, jüdische und arabische Weltverschwörung, europäische Föderalisten, Verfassungsverteidiger, Migranten-Beförderer, 'Feminazis' und Illuminaten. Diese Themen garantieren die Popularität des Regimes, obwohl selbst die Orbán-Wähler wissen, in welch miserablen Zustand der öffentliche Nahverkehr, das Gesundheitswesen oder die ganze öffentliche Verwaltung sind. Doch die Menschen halten diese nicht für entscheidend, sondern ob sie vor den gefürchteten biopolitischen Konkurrenten, vor den 'Zigeunern', vor Arabern, vor 'Negern', vor Homosexuellen oder vor selbstbewussten, emanzipierten, Gleichheit einfordernden Frauen beschützt werden. Diese Politik ist ein donnernder Erfolg auf der ganzen Welt, nur dass Viktor Orbán es geschickter macht als die anderen."

Magazinrundschau vom 15.10.2019 - Magyar Narancs

In seinem Nachruf auf die im Juli verstorbene Ágnes Heller ließ der Philosoph (und Weggefährte von Heller) Mihály Vajda die Frage offen, warum Vertreter der Budapester Schule (zu der auch er gehörte) um den Philosophen György Lukács zunächst Marxisten waren, sich dann kritisch gegenüber dem Marxismus positionierten, bis sie sich gänzlich vom Marxismus lossagten. Einige Wochen später nur geht er dieser Frage nach. "Ich wollte nicht darüber sprechen, ob wir Marxisten waren oder nicht, sondern darüber, warum wir Marxisten waren. Und hier kann auch ich den Zusammenhang mit unserem Jüdischsein nicht ignorieren. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wollten die meisten jüdischen Jugendlichen - auch solche Kinder wie ich - daran glauben, dass sich etwas wie der Holocaust nicht wiederholen würde. Dass es nie wieder möglich sein sollte, dass die Gesellschaft den ANDEREN ausschließt: den Juden, den Zigeuner, den mit körperlicher oder geistiger Behinderung Lebenden etc. So suchten wir eine Ideologie, die eine Welt versprach, in der so etwas nicht mehr möglich sein würde. Und der Marxismus mit seiner Utopie versprach genau dies. (…) Dass die Kommunisten nicht wirklich eine solche Welt aufbauten, haben wir früh erkannt. Aber zu verstehen, dass nicht einfach nur der Versuch schlecht umgesetzt wurde, sondern dass der ganze Plan unverwirklichbar ist, das war ein ziemlich langer Prozess: Zu verstehen, dass der Plan nicht für Menschen, sondern für Engel gefertigt war. Der Marxismus hatte den Menschen vergessen."

Magazinrundschau vom 10.09.2019 - Magyar Narancs

Im Interview mit Tibor Legát spricht der Filmregisseur Béla Tarr über Bedingungen künstlerischen Schaffens im heutigen Ungarn: "Ich müsste Kompromisse schließen, weil für meine Tätigkeit grundsätzlich Geld nötig ist. Wir können sehen, dass es in Ungarn für vieles Geld gibt und es ist offensichtlich, dass auch ich Geld bekäme, wenn ich darum bitten würde, doch dafür müsste ich einige Spielregeln akzeptieren, wozu ich allerdings nicht fähig bin. Wenn ich es schaffte, mein bisheriges Leben ohne Kompromisse zu leben, dann soll es auch so bleiben. (...) Selbst wenn die Erfolge - zwei Oscars, sowie der Goldene Bär und die Silbernen Bären - aufgrund des Vajna-Systems entstanden wären, würden sie das antidemokratische System nicht legitimieren; so wie Rubiks Zauberwürfel Kádár und sein Regime nicht legitimierte. Diese Filme sind persönliche Erfolge, sie wurden von talentierten Menschen gemacht, die selbst wissen, welche Kompromisse sie dafür eingegangen sind. Aber es ist ausschließlich ihr Erfolg und nicht der des Systems. Kultur kann nicht zentral gelenkt werden. (...) (Darum) bin ich auch nicht um die ungarische Kultur besorgt, denn sie entsteht autonom und nicht auf Bestellung. Das Petőfi Literaturmuseum kann enthauptet werden, sie können über Esterházy sagen, dass er 'kulturfeindlich' sei, sie werden trotzdem nicht gewinnen. Seit 1978 kenne ich das Kulturleben, seitdem gab es um die 30 Kultusminister und ich weiß gar nicht wie viele 'Zuständige'. Wer erinnert sich an sie? Wir haben uns nicht mal ihren Namen gemerkt. Und mit den jetzigen wird genau dasselbe passieren, während wir uns an Esterházy erinnern werden, solange es ein geschriebenes ungarisches Wort gibt."
Stichwörter: Tarr, Bela, Ungarn, Lega

Magazinrundschau vom 24.09.2019 - Magyar Narancs

Der Theaterregisseur Árpád Schilling verließ mit seiner Familie vor einem Jahr Ungarn und wanderte nach Frankreich aus. Er führte in dieser Zeit in Zagreb, in Stuttgart, in Leipzig und in Berlin Regie. Im Interview mit Gabor Köves spricht er u.a. über die Unmöglichkeit, Ungarn loszulassen. "Eines meiner Ziele war, dass ich mich zurückhalte und Facebook nicht mit meinen wuterfüllten Attacken flute. Das ist mir auch irgendwie gelungen, doch dass ich mich gar nicht mit den Ereignissen in Ungarn befasse, kann ich nicht durchhalten. Einen derartigen Großbetrieb des Wahnsinns und des moralischen und seelischen Abbaus kann der Mensch, wenn er eine Seele hat, nicht ohne Leiden über sich entgehen lassen. Wenn ich Pole wäre, dann würde mich unglaublich stark der Amoklauf von Kaczyński beschäftigen: wie kann aus einem Zirkusaffen der Anführer eines Vierzigmillionen-Landes werden? Aber eigentlich ist es gar nicht die Person Orbáns, sondern die durch das System verursachte Verdummung und Infantilisierung, die mich nicht loslässt. Immer wieder kommt bei mir die Frage auf: Warum kann das so leicht passieren? Personen wie ein Mihály Takaró ("Verantwortlicher für die Patriotisierung der Literatur im Nationalen Curriculum" - Anm.d.Red.) verursachen physische Schmerzen, kein gesund denkender Mensch und alle normalen Eltern würden ihn nicht Mal in die Nähe einer öffentlichen Bildungseinrichtung lassen, aber was passiert...? Ich würde mich liebend gerne nicht damit beschäftigen, denn die Welt ist tausendmal größer und komplizierter, als Ungarn, aber ich schaffe es trotzdem nicht."
Stichwörter: Schilling, Arpad, Ungarn, Zagreb