Magazinrundschau - Archiv

Harper's Magazine

50 Presseschau-Absätze - Seite 2 von 5

Magazinrundschau vom 27.09.2022 - Harper's Magazine

Verfassungsrecht soll den Staat in Schach halten. Das kann zum Problem werden, wenn am Ende die Verfassungsrichter Politik machen und nicht mehr das gewählte Parlament. Auch Amerika braucht keinen liberaleren Obersten Gerichtshof, sondern schlicht weniger Verfassungsrechtsprechung, empfiehlt Ian MacDougall. Er plädiert für eine Reform, die die Politik wieder mehr ins Recht setzt und es Gerichten zumindest schwerer macht nationale Gesetze einfach aufzuheben: "Dies ist kein risikoloses Unterfangen. Manche mögen das Gespenst des 'Liberalismus der Angst' der politischen Philosophin Judith Shklar heraufbeschwören: die richterliche Oberhoheit als Kontrolle gegen die schlechten Dinge, die ein ungezügelter Staat tun kann. Aber die Gerichte werden einen fähigen Autokraten nicht aufhalten. In Ländern, die in jüngster Zeit in den Autoritarismus abgerutscht sind, haben die Gerichte entweder gelernt, den Tyrannen zu lieben, oder sie wurden von ihm unterdrückt. Wenn Verfassungsrecht ein effektives Regieren verhindert, schafft es zudem ideale Bedingungen für den Aufstieg populistischer Autokraten. Das größere Risiko besteht heute nicht darin, dass der Kongress gelegentlich Gesetze verabschiedet, die vielen von uns nicht gefallen. Es besteht darin, dass fünf wohlhabende Anwälte den Kongress daran hindern, auf die Bedürfnisse des Landes zu reagieren. Andere mögen sich fragen, wer, wenn nicht der Oberste Gerichtshof, die Rechte von Minderheiten gegen die Tyrannei der Mehrheit sichern wird. In Wahrheit erkennen die Gerichte nur relativ wenige Rechte an; die meisten der Rechte, die wir genießen, ergeben sich nicht aus der Verfassung, sondern aus Bundesgesetzen. Um nur einige wenige zu nennen: Wahlrecht, Arbeitsrecht, Behindertenrecht, Rechte gegen Diskriminierung bei der Arbeit, bei der Wohnungssuche und bei der Vermittlung von Sozialwohnungen. Wie der Rechtswissenschaftler Jamal Greene in 'How Rights Went Wrong' darlegt, hat der Kongress die institutionelle Fähigkeit, verschiedene Werte und Interessen abzuwägen und miteinander in Einklang zu bringen, und nicht nur zu entscheiden, welche Interessen alle anderen übertrumpfen sollen. Wenn es um gesetzlich verankerte Rechte geht, besteht die Hauptaufgabe der Gerichte seit den achtziger Jahren darin, diese zu untergraben, indem sie die Befugnisse des Kongresses beschneiden und manchmal sogar an sich reißen."

Magazinrundschau vom 02.08.2022 - Harper's Magazine

Im Augenblick wird die amerikanische Demokratie zwar von Kräften auseinandergerissen, die ihren Ursprung maßgeblich in Religion haben, aber der berühmten Autorin und Essayistin Marilynne Robinson liegt daran, den "religiösen Ursprung des amerikanischen Liberalismus darzulegen". Ihr Artikel in Harper's - ursprünglich ein Vortrag - ist im Grunde eine Ehrenrettung der Puritaner, deren Beitrag zum Entstehen der amerikanischen Verfassung sie als total unterschätzt ansieht. Ihr Artikel ist auch eine Hommage auf den Priester und Politiker Hugh Peters, der nur den einzigen Fehler machte, von Massachusetts nach England zurückzukehren, wo er zum Berater Cromwells ernannt wurde - und dafür später "halb" gehängt (damit es lange dauert), verbrannt und gevierteilt wurde. Von ihm stammen Texte von einer Liberalität, die auch Jefferson die Schamesröte ins Gesicht hätte treiben können. Armen soll geholfen werden, statt sie in die Fron zu zwingen, die Gefängnisse sollen menschlicher gestaltet werden, Künstler sollen Förderung bekommen, Religion soll frei sein, Juden sollen nicht diskriminiert werden, zitiert sie seine wunderbare aufklärerische Prosa. Ein Punkt ist Robinson dabei besonders wichtig: "In seinem gesamten Werk beruft sich Peters auf die Heilige Schrift, um seine Reformen zu unterstützen. Dass die Bibel in der frühneuzeitlichen und insbesondere in der revolutionären Kultur Englands einen liberalisierenden Einfluss hatte, liegt uns ebenso fern wie die Vorstellung, dass Cromwell und sein Parlament einen Geistlichen engagieren würden, dessen politische Ansichten so fortschrittlich waren, dass sie uns im unvorstellbar wohlhabenden und vergleichsweise stabilen 21. Jahrhundert in Verlegenheit bringen." Über Cromwells eigene Gewaltexzesse verliert Robinson leider kein Wort.

Außerdem: Lauren Markham erzählt, wie man Baumdieben mittels Baum-DNA auf die Spur kommt.

Magazinrundschau vom 26.07.2022 - Harper's Magazine

Was bleibt von Christopher Hitchens zehn Jahre nach seinem Tod, fragt Christian Lorentzen in einem Essay über den großen Intellektuellen, Polemiker und Trinker. Hitchens verfügte über Witz, Stil und Bildung, versichert Lorentzen, auch wenn er nach dem 11. September nicht mehr die imperialen Machtzentren ins Visier seiner Essays nahm, sondern "Provinzdespoten" wie Slobodan Milosevic oder Saddam Hussein: "In den Abteilungen Theologie und Zauber ist Hitchens' Vermächtnis schwer zu entwirren, da seine atheistischen Brandreden letztlich zu einem Werk hochkarätiger Performance-Kunst wurden, um es großzügig auszudrücken oder weniger wohlwollend, zu einer Stand-up-Nummer. Es ist auch einfach nicht der herausragendste Teil seines Werks, weder auf Video noch auf Papier. Wie bei seiner Polemik gegen den Krieg gegen den Terror setzt er Ironie auf falsche Weise ein. Sie war für Hitchens schon immer ein Hammer, aber jetzt benutzt er ihn, um Nägel einzuschlagen, anstatt sie herauszuziehen. Hitchens' Werk selbst hat etwas mit einem Hammer gemeinsam: Es ist ziemlich kopflastig. Sein Ruf rührt heute von der Arbeit seines letzten Jahrzehnts - dem Rechtsruck, der Gottesverachtung und dem öffentliche Sterben an Krebs. In dieser Zeit wurde er zu einer Berühmtheit. In kommerzieller Hinsicht - und nur in diesem Sinne - könnte man ihn als Spätzünder bezeichnen, aber seine besten Arbeiten stammen aus den Achtzigern und Neunzigern." Aus dieser Zeit stammen die Essays des Bandes "A Hitch in Time". Lorentzen nennt sie die "rechtschaffen-ironisch-zynisch-idealistische-Störenfried-Phase".

Magazinrundschau vom 03.05.2022 - Harper's Magazine

Sam Lipsyte findet in Las Vegas die Zukunft der sexuellen Erfüllung - sie nennt sich "Digisexualität" und gegenüber dem, was uns da blüht, wirkt der Boom der Online-Pornografie in den letzten 20 Jahren in etwa so beschaulich wie heute Erotikheftchen aus den 60ern: Sex mit Robotern, Eintauchen in die erotischen Sphären der Virtual-Reality im Ganzkörperanzug - J.G. Ballard und David Cronenberg hätten es sich nicht schöner ausdenken können. Für Menschen, denen aus verschiedensten Gründen ein aktives sexuelles Leben verwehrt bleibt, könnte dies zwar einer Erlösung gleichkommen, schreibt Lipsyte in seiner launigen Reportage. Aber aus der Utopie könnte rasch eine Dystopie werden:  "Ich werde diese dunkle Vorahnung einfach nicht los, wenn ich mir ein Zuckerbergsches Pornoversum vorstelle. Die großen Social-Media- und Tech-Firmen haben bereits erheblichen Anteil daran, den öffentlichen Diskurs zu pervertieren, den allgemeinen Grundkonsens zu erschüttern und die Vernunft zu strangulieren. Wartet bloß ab, was erst geschieht, wenn die auf Sex abfahren. Abgeschottet in unseren Helmen und beim Kuscheln mit den Bots - so werden wir leichte Ziele für alle möglichen Arten von Manipulation. Und selbst wenn wir den Eindruck haben, dass unsere exquisitesten individuellen Sehnsüchte mit der Präzision einer lernenden Maschine erfüllt werden, werden wir doch einsamer sein als je zuvor."

Magazinrundschau vom 25.01.2022 - Harper's Magazine

Mit der Covid-Pandemie ist in Amerika was angestiegen? Der Waffenverkauf selbstverständlich. "Die Amerikaner neigen dazu, Schusswaffen als Bollwerk gegen die Angst vor dem Zusammenbruch des Staates zu kaufen, und 2020 fühlte sich wie ein einziger langer Notfall an. Im Laufe des Jahres wurden in den Vereinigten Staaten fast dreiundzwanzig Millionen Schusswaffen gekauft, neun Millionen mehr als 2019. Vierzig Prozent wurden von Erstbesitzern gekauft, derselbe Anteil von Frauen", erklärt Rachel Monroe in ihrem Brief aus Texas, für den sie sich u.a. mit dem schwulen schwarzen Waffenverkäufer Michael Cargill unterhalten hat. Hintergrund ist ein neues Gesetz, das eigentlich nicht einmal die Mehrheit der waffentragenden Texaner wollte: Es erlaubt jedem das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit, ohne Genehmigung. Die Vorstellung, dass jeder, der einem auf der Straße entgegenkommt, eine Waffe tragen könnte, macht etwas mit den Leuten. Selbst die, die das eigentlich ablehnen, fangen an Waffen zu kaufen. Auch die Polizei rüstet auf: "In dem Maße, in dem Privatpersonen schwerer bewaffnet sind, hat die Polizei ihre Feuerkraft erhöht - von Revolvern mit sechs Schuss Kaliber .38 zu halbautomatischen Glocks in den 1990er Jahren und AR-15s in den 2000er Jahren -, was für die libertäre Position, dass liberale Waffengesetze ein staatliches Gewaltmonopol verhindern, unangenehm ist. Die allgegenwärtige Präsenz von Waffen im öffentlichen Raum scheint das ängstliche Gefühl der Polizisten zu verstärken, auf feindlichem Gebiet zu patrouillieren. Robert Shockey, der Exekutivdirektor der Police Chiefs Association für den Bundesstaat Missouri, wo das genehmigungslose Tragen von Waffen seit 2017 legal ist, sagte mir, er glaube, dass die meisten Polizisten die meisten Menschen bei Verkehrskontrollen für bewaffnet halten."

Magazinrundschau vom 11.01.2022 - Harper's Magazine

Nebenbei erfährt man in Andrew Cockburns Artikel gegen den neuen Glauben an Atomkraft, dass die amerikanische Linke sich mit der deutschen doch nochmal länger zum Diskutieren in ein Hinterzimmer setzen sollte - denn Protagonistinnen wie Alexandria Ocasio-Cortez sind glatt pro! Aber natürlich auch Bill Gates, der eine laut Cockburn uralte und hundertmal gescheiterte Technologie mit seiner Firma TerraPower als den neuesten heißen Scheiß verkaufen will. Cockburns Argumente gegen Atomkraft sind im wesentlichen die bekannten und die unbekannten Havarien, der Lobbydruck der Industrien und die Tatsache, dass offizielle Stellen schlimme Ereignisse systematisch herunterspielen. Er bezieht sich auf das Buch "Manual for Survival - An Environmental History of the Chernobyl Disaster" von Kate Brown, die in Tschernobyl nach der wahren Zahl der Toten recherchiert hat. "Brown verbrachte zehn Jahre in Archiven in der Ukraine, Weißrussland und Russland, wo sie Aufzeichnungen über die Millionen von Menschen ausgrub, die nicht nur der unsichtbaren Wolke ausgesetzt waren, sondern auch deren Rückständen in der Landschaft, aus der sie ihre Nahrung bezogen. (…) Auf ihren Reisen durch die betroffenen Gebiete, die zum Teil weit von der Anlage selbst entfernt waren, traf Brown Gemeinden, die durch die Strahlung zerstört wurden, und zum Beispiel auch auf Frauen, die Wolle von Schafen geschoren hatten, die in der Strahlungszone geschlachtet worden waren. Das Tragen von Ballen radioaktiver Wolle, so Brown, 'war, als würde man ein Röntgengerät umarmen, während es immer wieder eingeschaltet wurde'. Viele wurden krank und starben. Doch unter den Zehntausenden von Seiten, die Brown durchforstete, fand sich nur ein einziges obskures offizielles Dokument, das eine konkrete Zahl für die Todesfälle im Zusammenhang mit Tschernobyl nannte: 36.525. Das war die Zahl der Frauen in der Ukraine, die eine Rente erhielten, weil ihre Ehemänner an den Folgen der Katastrophe gestorben waren - eine Zahl, die weit über den Angaben westlicher Behörden lag."

Magazinrundschau vom 02.11.2021 - Harper's Magazine

Wem gehört der Weltraum? Rachel Riederer stellt fest, dass der Weltraumvertrag von 1967 hoffnungslos veraltet ist, um die Aspirationen der Weltmächte im All im Zaum zu halten: "Mehr als ein halbes Jahrhundert später bleibt dieses Dokument des Kalten Krieges die Grundlage für alle außerirdischen Gesetze. Es verbietet, Atomwaffen und Massenvernichtungswaffen in die Umlaufbahn zu bringen, aber weder sagt es etwas über Erde-zu-Weltraum-, Weltraum-zu-Weltraum-Waffen noch über kinetische Waffen oder die mannigfachen subtileren Angriffsformen aus, die seit seiner Ausarbeitung entwickelt wurden. Das Abkommen schweigt darüber, was feindseliges Verhalten ausmacht, und obwohl es besagt, dass sich das Völkerrecht in den Weltraum erstreckt, gibt es keine einfache Übersetzung irdischer Regeln in einen Bereich ohne nationale Grenzen oder Schwerkraft und mit grenzenlosen Konfliktebenen. Im Lauf der Jahre ist die Unzulänglichkeit des Weltraumvertrags zu einer erheblichen Gefahr geworden, da sich neben den USA und Russland längst andere Nationen im Weltraum tummeln und die Technologien immer ausgefeilter wurden … Seit 2015 haben Russland, China, Indien, Iran, Israel, Frankreich und Nordkorea militärische Raumfahrtprogramme etabliert. China und Russland sind den USA dicht auf den Fersen. Laut Secure World Foundation haben die USA einige ihrer offensiven Technologieprogramme stillgelegt, während China und Russland die gleichen Fähigkeiten aktiv testen. Im Laufe der letzten zwei Jahre ist jenseits unserer Atmosphäre die kriegerische Aktivität explodiert, und Weltraum- und Sicherheitsexperten erklären, dass der Druck steigt. 'Wir beobachten, dass sich die Spannungen verstärken', sagt Jack Beard, ein ehemaliger Anwalt des Verteidigungsministeriums und Professor für Rechtswissenschaften mit Spezialisierung auf den Weltraum."

Magazinrundschau vom 07.09.2021 - Harper's Magazine

Garret Keizer erkennt in der Dummheit eine Macht, gerade so mächtig wie das Gute und das Böse, und fragt sich, wie ihr zu begegnen sei: "Die weit verbreitete Dummheit, die der Populismus und COVID-19 in den Vordergrund gerückt haben, geht weit über die seit der Gründung der USA bekannte Verachtung für Intellektuelle hinaus … Was bringt Menschen dazu, die Dummheit zu umarmen, auch wenn es sie umbringt? Jeder, der an eine Volksregierung glaubt, sollte sich die Frage stellen. Als natürlicher Verbündeter autoritärer Regime bedroht die Dummheit die Demokratie doppelt: indem sie ihre Initiativen behindert und indem sie den Glauben untergräbt, dass diese Initiativen möglich und sinnvoll sind. Wozu 'alle Macht dem Volk', wenn das Volk dumm ist? Möglich, dass einige die Dummheit anbeten, weil sie nicht alleine sein wollen. Idiotie liebt Gesellschaft. Als ich an der Schule unterrichtete, verstand ich die rührende Inklusivität des Drogendaseins. Aussehen, Noten, Fitness spielten keine Rolle, Hauptsache du warst drauf. Wer von uns hat sich noch nie in der Gemeinschaft Gleichgesinnter gesonnt. Nachdenklichkeit dagegen kann eine sehr einsame Sache sein, umso mehr, wenn sie mit Mut gepaart ist (Nietzsche gegen Twitter: 'Du suchst Follower? Suche Nullen!'). Wenn COVID-19 irgendwas so deutlich ans Licht gebracht hat wie die sinnlose Missachtung wissenschaftlicher Beweise und die Gleichgültigkeit gegenüber der Gesundheit anderer, dann ist es die ergreifende Unfähigkeit mancher Menschen, allein zu sein und Menschenmengen zu meiden. Nicht in einer vollen Bar, Fitnessstudio, Restaurant sein zu können, bedeutet für diese Leute quasi das Ende … Wenn wir akzeptieren, dass Dummheit aus einem Realitätsverlust resultiert, und anerkennen, dass Realität am besten durch das kreative Zusammenspiel von Geist und Materie behauptet, das wir Arbeit nennen, dann könnte ein Schritt zur Befreiung von kollektiver Dummheit sein, Vollbeschäftigung zu erreichen."
Stichwörter: Populismus, Covid-19, Behinderte

Magazinrundschau vom 24.08.2021 - Harper's Magazine

Joseph Bernstein erzählt die Geschichte der Nachrichten. Es war einmal, da knippste der amerikanische Mann nach Feierabend die Glotze an, und er wusste, wo sein Platz war zwischen Frau und Kindern und den Nachbarn, in seiner Stadt, seinem Land, in der Welt: "Heute sind wir verloren. Die Medien begreifen wir mit Hilfe einer Metapher ('Informations-Ökosystem'), die dem US-Bürger suggeriert, in einem hoffnungslos denaturierten Habitat zu leben. Immer wenn er sich bei Facebook oder Twitter einloggt, begegnet er den toxischen Nebenprodukten der Moderne: Hassrede, Trollen, Interventionen fremder Nationen. Es gibt Lügen über die Größe von Inaugurationsfeiern, über den Ursprung von Pandemien und über Wahlergebnisse … Was anfangen mit all dem miesen Content? Im März kündigte das Aspen Institute an, unter dem Vorsitz von Katie Couric eine unparteiische Kommission für Informationsstörungen einzuberufen, die 'Empfehlungen liefern soll, wie auf den Verlust des Vertrauens in wichtige Institutionen reagiert werden soll'. Zu den fünfzehn Kommissaren gehören Yasmin Green, die Direktorin für Forschung und Entwicklung bei Jigsaw, einem Technologie-Inkubator von Google, der 'Bedrohungen für offene Gesellschaften erforscht'; Garry Kasparov, Schachgroßmeister und Kreml-Kritiker; Alex Stamos, Ex-Sicherheitschef von Facebook und jetzt Direktor des Stanford Internet Observatory; Kathryn Murdoch, Rupert Murdochs entfremdete Schwiegertochter, sowie Prinz Harry, entfremdeter Sohn von Prinz Charles. Zu den Zielen der Kommission gehört es zu bestimmen, 'wie Regierung, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten können, um eine Gesellschaft der Unzufriedenen anzusprechen, die den Glauben an die evidenzbasierte Realität verloren hat'." Seit der Pandemie aber scheint genau das noch schwieriger geworden zu sein, wie Bernstein im weiteren festhält: "Mit dem Virus bot sich eine epidemiologische Metapher für schlechte Informationen an. Des- und Fehlinformationen waren keine exogenen Toxine mehr, sondern ansteckende Organismen, die bei Exposition so unweigerlich Überzeugungskraft entfalteten wie Husten oder Fieber. In perfekter Umkehrung der Sprache des Digital-Media-Hypes war 'going viral' plötzlich eine schlechte Sache. Im Oktober verkündete Anne Applebaum in The Atlantic, Trump sei ein Superspreader von Desinformation'. Eine Studie von Cornell-Forschern von Anfang des Monats ergab, dass 38 Prozent der englischsprachigen 'Desinformations-Narrative' über COVID-19 Trump erwähnten, was ihn laut New York Times zum 'größten Treiber der Infodemie' macht." Trump war damit so erfolgreich, dass ihn jetzt seine Fans in Alabama ausbuhten, als er sie zum Impfen aufforderte, berichtete vor zwei Tagen der Guardian.

Magazinrundschau vom 20.07.2021 - Harper's Magazine

Bevor Gewerkschaften in einem amerikanischen Betrieb tätig werden dürfen, muss die Mehrheit der Belegschaft dem zugestimmt haben. Vor diesen Abstimmungen finden in den jeweilen Betrieben heftige Wahlkämpfe statt: Gewerkschaften schicken Organiser in die Stadt, die Konzerne halten mit Überwachungskameras, "Fortbildungskursen" und Kampagnen ("Unions can't, we can.") dagegen. Daniel Brook erzählt in einer lehrreichen Reportage von dem fast schon historischen Kampf in Bessemer in Alabama aus diesem Frühjahr, mit einem bewundernswert vielschichtigen Protagonisten und bitteren Pointen: "Als Amazon 2018 beschloss, auf einem Gelände in Bessemer, das einst U.S. Steel gehört hatte, ein Logistikzentrum zu errichten, war die Stadt am Boden. Die Armutsrate lag bei 30 Prozent, der Median für Häuserpreise stand bei 86.500 Dollar. Um den Handel perfekt zu machen, ließ sich die Stadt auf große Konzessionen ein: Sie würde in dem Lager die einprozentige Einkommenssteuer erheben, davon aber 50 bis 65 Prozent an Amazon zurückzahlen, je nach dem wie viele Menschen das Unternehmen einstellte. Das Lieferzentrum nahm im März 2020 den Betrieb auf, genau zu dem Zeitpunkt also, da die Pandemie den Online-Handel in ungeahnte Höhen schnellen ließ. Um schnell expandieren zu können, stellte Amazon eine Belegschaft zusammen, die in großer Mehrheit schwarz war, obwohl eine solche Homogenität nach Einschätzung des Konzerns selbst die Wahrscheinlichkeit der Gewerkschaftsbildung erhöhen könnte. Wie der Business Insider berichtet hatte, zeigten Dokumente von Amazons Biokette 'Whole Foods', dass das Unternehmen das Potenzial zur gewerkschaftlichen Organisierung in seinen Läden mit einer Heatmap-App einschätzt, die unter anderem das Maß der Diversität am Arbeitsplatz misst. Arbeitsstätten, die einen hohen Diversitätsindex aufweisen werden als weniger gewerkschaftsanfällig eingeschätzt, vermutlich weil Solidarität oft an ethnischen Grenzen oder bei der Hautfarbe aufhört."