Und was, wenn gar nicht die Nachrichten, Donald Trump oder der Brexit so total verrückt wären, sondern die Dominanz, mit der sie
unser Leben beherrschen? Oliver Burkemann
überlegt, ob es für das demokratische Miteinander nicht förderlicher wäre, wenn wir uns
online weniger engagierten: "Sich aus den aktuellen Angelegenheiten herauszuhalten, wird oft mit dem Vorwurf der Selbstbezogenheit quittiert. Vor einem Jahr
porträtierte die
New York Times Erik Hagerman, einen Mann aus Ohio, der sich nach der Wahl von 2016 total aus den Nachrichten ausklinkte und sogar Weißes Rauschen auf seine Ohren spielt, wenn er in den örtlichen Coffeeshop ging, um nicht das Gerede über Donald Trump hören zu müssen. Der Artikel ging - natürlich - viral, und Hagerman traf der geballte Zorn der Leser, oder hätte es getan, wenn er online gegangen wäre. 'Nicht jeder schafft es, ignorant zu werden',
schäumte Kellen Beck auf
Mashable und sprach vielen aus der Seele, als er Hagerman 'den selbstbezogensten Mann in Amerika' nannte. 'Menschen, deren Familien von den Einwanderungsbehörden auseinandergerissen werden, schaffen es nicht. Menschen, die von Waffengewalt bedroht sind, schaffen es nicht. Aber ein weißer Mann, der die Möglichkeit hatte, viel Geld zu verdienen und zu sparen, ist natürlich auch nicht betroffen von den Dingen, die in diesem Land seinen Mitmenschen geschehen. Doch ist die Annahme, dass es ein verwerflicher Luxus sei, den Nachrichten
weniger Aufmerksamkeit zu schenken, ein Überbleibsel aus einer Zeit
als Informationen rar waren. Wenn Nachrichten schwer zu bekommen sind, ist es eine Tugend, sie auszugraben, denn es kostet Mühe. Aber wenn sie allgegenwärtig sind und es die Dinge eher verschlimmert, dass sich
alle in ihnen suhlen, dann erfordert es mehr Mühe, sie zu vermeiden... Ob der Rückzug selbstsüchtig ist oder nicht, hängt davon ab, was man mit der frei gewordenen Zeit und Energie anfängt. Hagerman kaufte 18 Hektar Land neben einer früheren Kohlemine, berichtete die
Times, und will sie renaturieren, bevor er sie der Öffentlichkeit überlässt: ein Projekt, das ihn den Rest seines Lebens und den Großteil seiner Ersparnisse kosten wird."
Tina Rosenberg
erzählt, wie der Psychiater
Vikram Patel nach Simbabwe ging, um zu beweisen, dass die
Depression eine westliche Wohlstandserkrankung sei und
Niedergeschlagenheit in armen Ländern eine Folge von Ausbeutung und Kolonialisierung: "Die Medizin, glaubte Platel, sei nicht Psychotherapie, sondern
soziale Gerechtigkeit. Er begann seine Arbeit, indem er erst traditionelle Heiler befragte, dann die Patienten selbst. Er fragte, was seelische Krankheit sei, woher sie rührte und wie sie zu behandeln sei. Die häufigste Erkrankung hatte einen Namen:
Kufungisisa, ein Wort in der örtlichen Sprache Shona, das übertriebene Sorgen bedeutete. Viele Heiler sagten, Kufungisisa sei keine Krankheit, sondern eine Reaktion auf die Beschwernisse des Lebens, auf Armut oder Krankheit. Aha, dachte Patel, genau wie er erwartet hatte: In Simbabwe wurde seelisches Leiden hervorgerufen durch soziale Ungerechtigkeit. Aber als Patel die Patienten befragte, wie sich Kufungisisa anfühlte, waren die Antworten vertraut: Egal, wie es genannt und was dafür verantwortlich gemacht wurde: Alle beschrieben
Hoffnungslosigkeit,
Erschöpfung, die Unfähigkeit, ihre Probleme anzugehen und ein fehlendes Interesse am Leben um einen herum - klassische Zeichen einer Depression."