Nahezu unbemerkt haben die amerikanischen Streamingdienste einen großen Gegenspieler auf dem internationalen Fernsehmarkt bekommen: Die Türkei.
Türkische Serien verkaufen sich wie verrückt,
berichtet Fatima Bhutto, von Russland über China und Saudi-Arabien bis nach Lateinamerika. Auf keinen Fall darf man sie Seifenopern nennen. Es sind
Dizi: "In Dizi geht es um alles, von Gruppenvergewaltigungen bis zu den
Intrigen osmanischer Königinnen, sie sind Dickens und die Bronte-Schwester in einem, sagt Eset, ein junger Istanbuler Drehbuchautor und Regisseur: 'Pro Jahr erzählen wir im türkischen Fernsehen mindestens zwei Aschenputtel-Versionen. Mal ist Aschenputtel eine 35 Jahre alte alleinerziehende Mutter, mal ist sie eine 22-jährige verhungernde Schauspielerin.' Eset arbeitet für die vielleicht berühmteste Dizi, 'Das osmanische Imperium', und er fasst die immer befolgten Grundzüge der Geschichten so zusammen: Der Held darf keine Waffe in die Hand bekommen. Der Mittelpunkt des Dramas ist die Familie. Ein Außenseiter betritt ein gesellschaftliches Setting, das seinem eigenen entgegengesetzt ist, jemand kommt zum Beispiel vom Land in die Stadt. Der Schwarm hat
ein gebrochenes Herz und will nichts mehr von der Liebe wissen. Nichts geht über ein Beziehungsdreieck." Aber warum trägt eigentlich
keine einzige Frau Kopftuch? "'Es wurde versucht', sagt Eset, 'aber nicht einmal die Konservativen wollen konservative Frauen im Fernsehen. Sie dürfen
nicht küssen, nicht
gegen ihren Vater aufbegehren, nicht weglaufen, nichts von dem tun, was ein Drama ausmacht.'"
Ian Urbina
führt uns am Beispiel der koreanischen Reederei Sajo die ungeheure
Rechtlosigkeit auf hoher See vor Augen. Er erzählt die Geschichte des Trawlers Oyang 70, eines
wahren Seelenverkäufers, der von seinem betrunkenen Kapitän zum Kentern gebracht wurde: Fünf Seeleute ertranken, die Überlebenden berichteten von systematischer
Ausbeutung und Misshandlung durch die tyrannischen Offizieren. "An Land hätte ein solches Desaster das Ende des Unternehmens bedeutet, nicht so auf hoher See", berichtet Urbina weiter. Die berüchtigte Reederei schickte einfach die
Oyang 75 los, als neues Modellschiff. In Neuseeland gelang 32 Seeleuten die Flucht: "Als die Indonesier morgens um vier Uhr aufwachten, schlichen sie von Bord, während der Kapitän noch schlief. Weil sie Muslime waren, zogen die Männer durch die Straßen auf der Suche nach einer Moschee; weil sie keine fanden, nahmen sie stattdessen Zuflucht zu einer Kirche. Einer nach dem anderen beschrieben sie den Kirchenmitarbeitern und später Regierungsvertretern ihre Gefangenschaft auf dem Horrorschiff. Ein Chefingenieur brach einem Deckmann die Nase, weil dieser versehentlich mit ihm zusammengestoßen war. Ein anderer Offizier schlug ein Besatzungsmitglied so heftig, dass dieser einen Teil seines Augenlichts verlor. Wer Befehlen nicht Folge leistete, wurde
in den Kühlraum gesperrt. Andere wurden gezwungen,
verdorbene Fischköder zu essen. An guten Tagen dauerte eine Schicht zwanzig Stunden. Manchmal arbeiteten sie 48 Stunden durch. 'Ich dachte oft daran, um Hilfe zu bitten', sagte Andi Sukendar, einer der indonesischen Seeleute laut Gerichtsprotokoll, 'aber ich wusste nicht, wen'."